IG Metall: Gewerkschaft ohne Zukunftsplan?

Ende Juni 2019 konnte die IG Metall rund 50.000 Mitglieder zur Demonstration „#Fair Wandel“ mobilisieren, auch um die Zusammenarbeit mit den Sozialverbänden und der Naturschutzbewegung voran zu treiben.

Für viele Gewerkschafter ist das eine überraschende Kehrtwende der IG Metall, weil sie sich bislang in eine Zwickmühle hineinmanövriert hatte. Einerseits arbeiten in der Krisenbranche Autoindustrie 815.000 Menschen, von denen 510.000 Mitglieder der IG Metall sind, andererseits muss sie sich den aktuellen und zukünftigen Entwicklungen stellen, die von der Digitalisierung geprägt sind und die angetrieben werden von der weiteren Globalisierung, Elektrifizierung, dem Klimawandel und den demographischen Veränderungen, dabei wird sich nicht nur die Arbeitswelt verändern, es wird auch zu einem grundlegenden Umbruch in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft kommen.

In dieser Situation hat die IG Metall ihren Transformationsatlas veröffentlicht. Nach der bundesweiten Befragung von Betriebsräten und Vertrauensleuten war das Ergebnis erschütternd: In vielen Unternehmen gibt es überhaupt keine Strategie zur Bewältigung der zukünftigen Umbrüche und schon gar keinen konkreten Plan, wie die soziale, demokratische und ökologische Transformation gestaltet werden soll.

Im Folgenden werden die Informationen der IG Metall zum Transformationsatlas wörtlich wiedergegeben.

IG Metall Presse-Mitteilung vom 05.06.2019:

„Der Transformationsatlas ist eine Bestandsaufnahme zur Digitalisierung und zum ökologischen Wandel auf der Basis von Daten aus knapp 2 000 Betrieben mit rund 1,7 Millionen Beschäftigten. Aus den Angaben der Betriebsräte und Vertrauensleute, die den umfangreichen Fragenkatalog bearbeitet haben, ergibt sich ein Bild vom Stand der Digitalisierung, der Strategie und Unternehmensentwicklung, der Beschäftigungsstruktur, der Personalentwicklung und Qualifizierung sowie über die Mitbestimmung und die Einbeziehung der Beschäftigten. Der Atlas ist die Datengrundlage für die Strategie der IG Metall zur Gestaltung der Transformation.

Viele Unternehmen im Organisationsbereich der IG Metall sind auf den digitalen und ökologischen Wandel nicht vorbereitet. „Knapp die Hälfte der Betriebe haben keine oder keine ausreichende Strategie zur Bewältigung der Transformation. Betriebe und Beschäftigte müssen sich auf neue Qualifikationen und zum Teil auch neue Geschäftsmodelle einstellen. Die dazu notwendige Fähigkeit zur Veränderung ist allerdings erst in Ansätzen bemerkbar. Wenn sich die Unternehmen weiterhin so defensiv verhalten, spielen sie Roulette mit der Zukunft der Beschäftigten“, sagte Jörg Hofmann, Erster Vorsitzender der IG Metall, am Mittwoch in Frankfurt bei der Vorstellung des Transformationsatlas der Gewerkschaft.

Von der Digitalisierung wird vor allem die Arbeit in der Fertigung und Montage, in der Verwaltung und Logistik sowie in der Technischen Kundenbetreuung massiv betroffen sein. Die dortigen Arbeitsplätze enthalten große Anteile an Tätigkeiten, deren Profil sich verändern wird oder die teilweise entfallen könnten. 57 Prozent der Beschäftigten in den beteiligten Betrieben üben Tätigkeiten mit einem hohen Potential für eine Substituierung aus.

„Die Betriebe stehen erst am Beginn der Transformation, doch schon jetzt ist abzusehen, dass es mittelfristig zu einem Beschäftigungsabbau kommen wird, der sich nach Regionen und Branchen unterscheidet. Die höchsten Rückgänge erwarten wir in Unternehmen mit mehr als 1 000 Beschäftigten“, sagte Rudolf Luz, Bereichsleiter Betriebspolitik beim Vorstand der IG Metall in Frankfurt.

Besonders die Automobil- und die Zulieferindustrie wird durch den Technologiewandel stark verändert: In 54 Prozent der Betriebe in dieser Branche wird damit gerechnet, dass die Zahl der Arbeitsplätze sinken wird. „Vor allem für Zulieferer kann die Transformation existenzgefährdend werden, wenn sie nur über wenig Kapital und keine tragfähigen neuen Geschäftsmodelle verfügen“, sagte Hofmann.

Angesichts dieser Ergebnisse fordert der Gewerkschafter von den Arbeitgebern, Vorsorge zu treffen und die Betriebe auf die Transformation einzustellen. „Die Unternehmen müssen die anstehenden Veränderungen offensiv angehen. Dazu gehören Investitionen in neue Produkte, Prozesse und in neue Geschäftsmodelle. Nötig ist auch eine vorausschauende Personalplanung und betriebliche Qualifizierung, um sicherzustellen, dass die Betriebe den Wandel bewältigen können“, sagte Hofmann. Berufliche Weiterbildung darf sich nicht mehr auf Spezialisten und Führungskräfte beschränken, alle Beschäftigtengruppen müssen die Chance bekommen, sich zu qualifizieren.

Hofmann: „Dieser Wandel kann nur zusammen mit den Beschäftigten gelingen. Der Betriebsrat braucht deshalb mehr Mitbestimmungsrechte bei der betrieblichen Weiterbildung, der Personalplanung und bei strategischen Fragen.“

Auch die Politik ist bei der digitalen und ökologischen Transformation in der Verantwortung. Viele Betriebe fahren auch deshalb auf Sicht, weil über die Rahmenbedingungen der Energie- und Mobilitätswende weiter Unklarheit besteht. Dazu gehören auch notwendige Milliardeninvestitionen in die Infrastruktur.

Für Regionen, die vom Strukturwandel besonders betroffen sind, weil sie zum Beispiel stark von der Automobilindustrie abhängen, müssen Strukturfonds aufgelegt werden, um die Veränderungen abzufedern.

Dringend erforderlich ist auch ein Transformationskurzarbeitergeld. Wenn durch den Strukturwandel Arbeitsvolumen wegbricht, können die Beschäftigten mit diesem neuen arbeitsmarktpolitischen Instrument in einem Betrieb gehalten und zugleich für die Arbeit an neuen Produkten geschult werden. Hofmann: „Wir brauchen das Transformationskurzarbeitergeld als Beschäftigungsbrücke, wenn Entlassungen vermieden werden sollen.“

 

Ergebnisse im Einzelnen und Schlussfolgerungen:

Betriebsräte/innen aus 1.964Betrieben haben sich im Frühjahr 2019 an der Erstellung betrieblicher Transformationsatlanten beteiligt.

In diesen Betrieben sind mehr als 1.700.000Menschen beschäftigt.

Sie repräsentieren alle Branchen des Organisationsbereichs der IG Metall.

Es handelt sich bei den Ergebnissen um Einschätzungen, welche die Betriebsräte/innen in Workshops auf der Grundlage intensiver Diskussionen und betrieblicher Recherche vorgenommen haben.

Ziel des Transformationsatlas ist die Erstellung differenzierter betrieblicher Bestandsaufnahmen zu folgenden Themenbereichen:

Stadium der Digitalisierung der Betriebe

Beschäftigungsstruktur und -entwicklung

Unternehmensentwicklung und Strategien der Transformation

Personalentwicklung, berufliche Bildung und Qualifizierung

Mitbestimmung und Einbeziehung der Beschäftigten

Die Ergebnisse sind Grundlage für eine soziale und mitbestimmte Gestaltung der digitalen Transformation.

Digitalisierung und Arbeitsbelastung:

45 % der Betriebsratsgremien sehen die Möglichkeit, dass Belastungen reduziert werden können.

77% der befragten Betriebsräte gehen davon aus, dass mit der Digitalisierung neue Arbeitsbelastungen entstehen.

Notwendig ist eine gestaltungsorientierte Arbeitspolitik.

Digitalisierung und strategische Vorbereitung Für den Betrieb gibt es eine Strategie für die Bewältigung der Transformation:

In nur 18% der befragten Betriebe gibt es eine Strategie zur Bewältigung der Herausforderungen, die durch die Transformation entstehen. In weiteren 19% der Betriebe sind nach Beurteilung der Betriebsräte teilweise Strategien vorhanden.

In mehr als der Hälfte der Betriebe fehlen nach Auffassung der Betriebsräte Strategien weitgehend oder gar komplett.

Personalplanung und Qualifizierung:

Die Hälfte der Betriebe hat keine systematische Personalplanung und -bedarfsermittlung. Gleiches gilt für die Qualifizierungsbedarfsermittlung, die nur in 45% der Betriebe systematisch erfolgt.

Für eine beschäftigungssichernde Transformation sind die Ermittlung des Personalbedarfs, sowie die Qualifizierung auf sich verändernde oder neue Tätigkeiten von zentraler Bedeutung. In 95% der Betriebe sehen Betriebsräte einen signifikanten Anstieg des Qualifizierungsbedarfs

Digitalisierung und Mitbestimmung:

Eine frühzeitige Information der Betriebsräte über Veränderungsprojekte findet in 52% der Betriebe nicht statt.

Noch geringer ist die Einbindung der Betriebsräte zur Mitgestaltung in Projekten. Zu 62% sind sie nicht eingebunden. 

Information und Beteiligung der Belegschaft in der Transformation:

Die Information der Belegschaft ist eine Grundbedingung für Beteiligung und Mitgestaltung.

72% der Beschäftigten sind nicht ausreichend über die zukünftigen Änderungen in ihrem Betrieb informiert. Nur 6% sind gut informiert.

Schlussfolgerungen:

Wir werden die Arbeitgeber auffordern, ihre Strategien zur Bewältigung der Transformation offenzulegen und die Belegschaften an der Gestaltung der Veränderungen zu beteiligen.

Wir fordern -wo nicht vorhanden -betriebliche Zukunftsvereinbarungen, die mittel- und langfristige Investitionsentscheidungen, Standortsicherung, Kündigungsschutz und Personalentwicklung beinhalten.

Wir brauchen mehr Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats, um eine verbindliche Personal- und Qualifizierungsplanung einzufordern.

Um alle Beschäftigten einbeziehen zu können, müssen unsichere Arbeitsverhältnisse wie Leiharbeit und Befristungen eingedämmt werden.

Wir fordern, den Wandel mit unterstützenden arbeitsmarktpolitischen Instrumenten zu begleiten.

Ein Transformationskurzarbeitsgeldschafft die Möglichkeit, die Beschäftigten im Betrieb zu halten und für neue Aufgaben zu qualifizieren.

Wir fordern die Verlängerung der Bezugsdauer ALG I.

Der Wandel muss durch eine aktive Industriepolitik und regionale Strukturpolitik begleitet werden.

Wir brauchen Klarheit und Planungssicherheit bezüglich einer gelingenden Energie- und Mobilitätswende und die dafür notwendigen Investitionen in öffentliche Infrastruktur.“

 

Soweit die IG Metall

Ob die Schlussfolgerungen, die aus dem betrieblichen Transformationsatlanten gezogen werden, ausreichen, um zukünftige Umbrüche aufzufangen und die soziale, demokratische und ökologische Transformation mitzugestalten, scheint höchst fraglich.

Fest steht, dass das Arbeitsvolumen sich zukünftig verringern wird und die IG Metall sich auf eine kollektive Arbeitszeitverkürzung auf 30 Wochenstunden mit vollem Lohn- und Personalausgleich konzentrieren müsste, um das Arbeitsvolumen umverteilen zu können.

Neue Ideen und Wortschöpfung wie das Transformationskurzarbeitsgeld, von dem sich die Gewerkschaftsspitze erhofft, dass „wenn durch den Strukturwandel Arbeitsvolumen wegbricht, können die Beschäftigten mit diesem neuen arbeitsmarktpolitischen Instrument in einem Betrieb gehalten und zugleich für die Arbeit an neuen Produkten geschult werden. Wir brauchen das Transformationskurzarbeitergeld als Beschäftigungsbrücke, wenn Entlassungen vermieden werden sollen,“ schaffen nur Nebenschauplätze bei denen sich die Unternehmen geruhsam zurücklehnen und den Konkurrenzvorteil durch solche Maßnahmen mit dem Geld der Sozialkassen und des Staates genießen können.

Vielmehr müsste klar sein, dass wenn gegen die Auswirkungen der Digitalisierung und Rationalisierung nichts Substanzielles in nächster Zukunft unternommen wird, wenn z.B. auf den Produktivitätsfortschritt nicht mit der Verkürzung der Arbeitszeit reagiert wird, erhöht sich die Erwerbslosigkeit, die ja real bei knapp fünf Millionen Betroffenen liegt und die Gewerkschaften geben das Helft des Handelns aus der Hand, sie können nur noch reagieren anstelle zu agieren.

Wenn die Gewerkschaften und hier besonders die IG Metall, die soziale, ökologische und demokratische Transformation wirklich will, muss auch über die Alternativen zum Kapitalismus nachgedacht werden müssen, so wie im Sinne von Paragraf 2 Nr. 4 der Satzung der IG Metall, beschlossen im Oktober 2015, dort heißt es „Aufgaben und Ziele der IG Metall sind insbesondere…. Die Erringung und Sicherung des Mitbestimmungsrechtes der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen im Betrieb und Unternehmen und im gesamtwirtschaftlichen Bereich durch Errichtung von Wirtschafts- und Sozialräten; Überführung von Schlüsselindustrien und anderen markt- und wirtschaftsbeherrschenden Unternehmungen in Gemeineigentum“.

 

 

 

Quelle: https://www.igmetall.de/download/20190605_20190605_Transformationsatlas_Pressekonferenz_f2c85bcec886a59301dbebab85f136f36061cced.pdf

Bild: IG Metall