Interview mit der Präsidentin der Armutskonferenz: „So wird auf Kosten von Bürgergeldempfängern gelogen“

Aktuell tobt – mal wieder – eine Debatte über das Bürgergeld. Teile der Bundesregierung wollen die Unterstützung für arbeitslose und geflüchtete Menschen kürzen. Besonders aufmerksam wird die Debatte von Sachsen-Anhalts Armutskonferenz (LAK) verfolgt, einem Zusammenschluss von rund dreißig Vereinen und Verbänden, die in der Sozialarbeit aktiv sind. LAK-Präsidentin Barbara Höckmann meint: Bei dem Thema wird auch viel gelogen.

Von MDR SACHSEN-ANAHLT

MDR SACHSEN-ANHALT: Frau Höckmann, überrascht Sie die Debatte?

Barbara Höckmann: Nein, die Debatte überrascht eigentlich nicht. Das ist eine Form der Sozialstaatsdiskussion, die meiner Meinung nach in die völlig falsche Richtung geht. Man versucht bei Bürgergeldbeziehern und Geflüchteten zu sparen, um das Geld woanders einsetzen zu können.

Insbesondere geht es um die Frage, ob das Bürgergeld zu hoch ist. Deswegen würden sich die Menschen in der sozialen Hängematte ausruhen und nicht arbeiten gehen. Das ist ja der Generalvorwurf an alle Bürgergeldbezieher.

Ich sage jetzt mal ganz böse: Da werden Lügen verbreitet und die, die sie verbreiten, wissen, dass es Lügen sind. Es gibt eine Studie von der Hans-Böckler-Stiftung und zwar für jede Stadt in Deutschland.

Ich habe mir das mal für Halle angeguckt und in Halle heißt das: Ein Alleinstehender hat mit Mindestlohn 595 Euro mehr als ein Bürgergeldbezieher, eine Alleinerziehende mit einem Kind, fünf Jahre, hat 773 Euro mehr und ein Ehepaar, zwei Kinder, 45, – einer arbeitet mit Mindestlohn –, die haben 724 Euro mehr. Also das ist absoluter Schwachsinn, zu behaupten, man würde sich da cool ausruhen können und Arbeit würde sich nicht mehr lohnen.

In der Debatte geht es ja um Menschen, aber vor allem auch um Zahlen. Derzeit erhalten 5,5 Millionen Menschen Bürgergeld. Aber da sind ja auch viele Menschen dabei, die nicht arbeiten können.

Es bekommen derzeit 1,8 Millionen Kinder Bürgergeld. Weitere 2,1 Millionen können nicht sofort in Arbeit untergebracht werden, denn sie pflegen Angehörige, sind in Weiterbildung, haben keine Betreuung für ihre Kinder oder die haben gesundheitliche Probleme. Also unterm Strich sind es nur 1,7 Millionen, die überhaupt nur dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen, auch wenn immer von 5,5 Millionen geredet wird.

Davon sind ganze 16.000 sogenannte Totalverweigerer. Herr Linnemann, der Generalsekretär der CDU, spricht von sechsstelligen Zahlen. Das ist alles gelogen.

Totalverweigerer sind jene Menschen, die sich weigern, an Maßnahmen zur Weiterbildung teilzunehmen oder auch keine Jobs annehmen. Sachsen-Anhalts Landräte forderten unlängst härtere Sanktionen gegen solche Bürgergeldbezieher.

Ich habe 25 Jahre Sozialberatung gemacht. Bei den Totalverweigerern gibt es viele Leute, die sind psychisch überfordert und machen Briefe nicht auf, weil sie Angst vor dem Amt haben. Die versuchen dann Augen und Ohren zuzumachen, weil sie gar nicht wissen, wie das System funktioniert. Die zu bestrafen, das halte ich für Schwachsinn.

Und die, die richtig clever sind, die kriegt man sowieso nicht. Die finden eine andere Lücke, die suchen sich wieder was Neues.

Auch Kanzler Friedrich Merz hat in seinem Sommerinterview die Kosten kritisiert, insbesondere das Wohngeld. Da würden bis zu 20 Euro pro Quadratmeter gezahlt. 

Die Kosten der Unterkunft zahlen die Städte und Gemeinden, und da wird natürlich immer versucht zu sparen. Und es ist natürlich auch klar, dass die Zahlen sich regional unterschiedlich gestalten. Im Prinzip wird ein Mietspiegel zugrunde gelegt und dann wird geguckt, was ist angemessen. Für eine Person sind es in Sachsen-Anhalt 50 Quadratmeter, weil es 45 Quadratmeter im Osten nicht gibt. 60 Quadratmeter sind es dann für zwei, dann in der Regel 70 bis maximal 75 Quadratmeter für drei und dann pro je weitere Person zehn Quadratmeter und mehr ist es nicht.

Und wenn man sich die Preise anguckt, zum Beispiel in Halle, dann sieht man, dass für den Preis im Prinzip auch nur ein begrenzter Wohnungsmarkt zur Verfügung steht und der befindet sich in der Regel in Heide-Nord, in der Silberhöhe oder in Halle-Neustadt in den unsanierten Vierteln. Weil alles, was saniert wurde, von den Kosten über dem liegt, was die Stadt als Unterkunftskosten definiert hat. Also das sind auch so Märchen, das da erzählt werden, wie luxuriös Leute leben. Das ist aus meiner Sicht alles Schwachsinn.

Die Fragen stellte Uli Wittstock.

 

 

 

 

 

Quelle: https://www.mdr.de

Bild: L.N.