Der am 01. April 1956 gegründete Bundesnachrichtendienst (BND) ist die einzige dem Bundeskanzleramt unmittelbar nachgeordnete Bundesoberbehörde. Neben dem sogenannten Bundesamt für Verfassungsschutz, der als Nachrichtendienst im Inland fungiert, und dem Militärischen Abschirmdienst, der Teil des Bundesverteidigungsministeriums ist, bildet der BND den dritten Pfeiler der Nachrichtendienste des Bundes. Aufgabe ist die nachrichtendienstliche zivile und militärische Informationsgewinnung (Überwachung durch Agenten, Telekommunikation o.ä.) im Ausland und deren Analyse. Diese offensichtlich schon im Kern unmoralische Arbeit ist zu großen Teilen gegenüber einem demokratischen und rechtsstaatlichen Interesse an Öffentlichkeit immunisiert. Denn laut Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts gehört der Einsatz von Nachrichtendiensten zu den legitimen Mitteln einer wehrhaften Demokratie, welche die Bundesrepublik Deutschland zu sein beansprucht.[1] Diese zu gewährleisten hat regelmäßig eine höhere Priorität als Transparenz und demokratische Entscheidungsprozesse, weshalb sich der BND nur selten für sein Handeln und seine zumindest in Teilen rechtswidrigen Methoden und Operationen verantworten muss.
Die fast vollständige Immunisierung des BND
Erst durch den von Edward Snowden angestoßenen NSA-Skandal, der die Massenüberwachung der Geheimdienste offenlegte, war es nicht mehr haltbar, die Arbeitsweise des BND ohne Konsequenzen weiterzuführen. Ergebnis war ein Gesetz, das Andre Meister von netzpolitik.org mit dem Satz kommentierte: „Alles, was durch Snowden und Untersuchungsausschuss als illegal enttarnt wurde, wird jetzt einfach als legal erklärt.“[2] So war er auch wenig überrascht, dass ebenjenes Gesetz nach einer Klage von Reporter ohne Grenzen im Mai 2020 für verfassungswidrig erklärt wurde.[3] Im Urteil des Bundesverfassungsgerichts heißt es zur Entscheidung, „dass die Überwachung der Telekommunikation […] durch den Bundesnachrichtendienst an die Grundrechte des Grundgesetzes gebunden ist und nach der derzeitigen Ausgestaltung der Ermächtigungsgrundlagen gegen das grundrechtliche Telekommunikationsgeheimnis (Art.10 Abs.1 GG) und die Pressefreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG) verstößt.“[4] Bis Ende 2021 muss nun eine Gesetzesreform vorliegen. Doch macht das gesamte Unterfangen klar, wie immun der BND für die Verfassung und verabschiedete Gesetze ist.
Bei der Aufklärung des Oktoberfestattentats, dem schwersten Terroranschlag der BRD im Jahr 1980 mit 13 Toten und rund 200 Verletzten, kann sich der BND weiterhin raus halten. Nachdem sich die Einzeltätertheorie nicht halten konnte, nahm die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe nach 34 Jahren die Ermittlungen zu den Hintergründen des Attentats wieder auf und recherchierte auch zu Verbindungen der rechten Wehrsportgruppe Hoffmann, deren Mitglied der Attentäter gewesen war und die nach dem Attentat den Anschlag für sich reklamiert hatte.
Heinz Lembke, der in Verdacht steht, als V-Mann Sprengstoff an diese rechtsmilitante Gruppe weitergeben zu haben, wurde erhängt in seiner Zelle gefunden, hatte zu Beginn seiner Haft jedoch erklärt, eine Aussage machen zu wollen.[5] Nach einer Klage der Fraktionen “Die Linke” und “Die Grünen” vor dem Bundesverfassungsgericht, müssen nun jedoch auch Akten über ihn herausgegeben werden. Im Zuge dessen muss auch angegeben werden, wie viele Spitzel in der rechtsradikalen Wehrsportgruppe Hoffmann mitgewirkt hatten. Jedoch: Die Anfrage zu Spitzeln in der Dependance im Libanon darf vom BND unbeantwortet bleiben. Denn da es dort nur 15 Mitglieder gegeben hatte, sei die Gefahr einer Enttarnung zu hoch, so das Bundesverfassungsgericht.[6] Einer vollständigen Transparenz der Verstrickungen des Attentats wurde damit eine Absage erteilt.
Operation Rubikon
Die Liste an Vorfällen, bei denen der BND sich über alle Gesetze gestellt hat, ist lang und hat System (es lohnt sich, hier einen Blick auf den Wikipedia-Eintrag der Geheimdienst-Affären in Deutschland zu werfen, der zeigt, dass bei „Skandalen“ die Einzelfalllogik schon längst nicht mehr greift).[7]
Eine vom ZDF Anfang 2020 veröffentliche Dokumentation, die in gemeinsamer Recherche mit der New York Times und dem Schweizer Rundfunk entstand, beschäftigt sich beispielsweise mit der Operation Rubikon. Dabei handelt es sich um eine Operation, die in Kooperation mit der CIA stattfand. Kern der Operation war es, Verschlüsselungssysteme der Schweizer Firma Crypto AG so zu verändern, dass Informationen von BND und CIA entschlüsselt und mitgelesen werden konnten. Kunden der Crypto AG waren in Afrika, Asien, Südamerika, aber auch Europa ansässig (Italien, Irland, Türkei). Dadurch waren CIA und BND in der Lage, zahlreiche politische Umstürze und Machenschaften zu überwachen und für sich zu nutzen.
Bekanntes Beispiel ist beispielsweise die Unterstützung der CIA bei dem Militärputsch in Chile. Hier nutzte die CIA Informationen, um den Diktator Pinochets bei der Machtübernahme gegen den demokratisch gewählten Salvador Allende zu unterstützen. Ebenso bekannt war den Geheimdiensten die Politik in Argentinien: sie hatten genaue Kenntnisse über die dort stattfindenden Folterungen und Todesflüge und betrachteten sie als „ganz normale“ Meldung.[8] Und dem nicht genug reiste der BND im Zuge der Schleyer-Entführung 1977 mit dem französischen und britischen Geheimdienst nach Argentinien. Ziel der Reise war es “Methoden zu diskutieren, wie man eine Organisation zur Bekämpfung des Untergrundes aufbauen könnte, ähnlich der Condor-Organisation” – so der Wortlaut eines Dokuments des CIA-Direktorats für Operationen vom 7. April 1978.[9] Diese Operation Condor war von den Geheimdiensten der Länder Argentinien, Chile, Paraguay, Uruguay, Bolivien und Brasilien – mit Unterstützung der Vereinigten Staaten ins Leben gerufen wurden und laut einem internen Dokument “ein Schlüsselwort für das Sammeln und Austauschen von Informationen über so genannte Linke, Kommunisten oder Marxisten”. Neben linken Oppositionellen und Priestern zählten dazu für die Militärregierungen auch Menschenrechtsorganisationen. Offiziell sind “nur” einige hundert Personen Opfer dieser Operation gewesen, nach Angaben von Menschenrechtsorganisationen gab es etwa 50.000 Ermordete, 35.0000 Verschwundene und 400.000 Gefangene.[10]Die Ermordungen, Folterungen und andere Menschenrechtsverletzungen sind für Geheimdienste also legitim und der deutsche Staat bezahlte den BND sogar um sich mit den Akteuren solcher perverser Aktionen über den Umgang mit Oppositionellen auszutauschen.
Weiterhin waren die Abhöranlagen natürlich immer wieder nützlich, um geostrategisch die eigene Macht auszubauen. So nutzte der damalige US-amerikanische Präsident Carter 1978 Informationen für Gespräche zwischen Israel und Ägypten in Camp David, 1979 verhandelte er während der iranischen Revolutionen mit acht verschiedenen Gruppen, ebenfalls mithilfe der Abhöranlagen.
Als Argentinien 1982 die Falklandinseln besetzte, konnte der BND, der an der Nordsee, unter dem Tarnministerium „Bundesamt für Fernmeldetechnik“ Abhörstationen angebracht hatte, die Kommunikation des argentinischen Militärs abfangen, mithilfe der manipulierten Geräte entschlüsseln und an Großbritannien weitergeben.
Auch die deutsche Wirtschaft war tief in diese systematische Täuschungsoffensive verstrickt. So war es die Siemens-AG in München, die für den Bau der Telekommunikationssysteme, die von der Crypto-AG verschlüsselt wurden, verantwortlich war. Siemens war hierbei nicht nur über die Manipulation der Geräte informiert, viel eher kann man das Agieren des Konzerns als eine Art „verlängerter Arm“ des Geheimdiensts beschreiben. So stellte der Konzern beispielsweise Teile des Führungspersonals der Schweizer Firma und half dadurch mit, die Besitzverhältnisse der Crypto AG zu verschleiern.[11]
Der Umzug nach Berlin
Als Auslandsgeheimdienst mit enormen Abhörinstrumenten, denen es inhärent ist, dass ihre Lokalität unbekannt bleiben soll, überrascht es, dass der BND nun ganz offen das zweitgrößte Gebäude in Berlin für seine Arbeit nutzen will. Mit 260.000 m² (ca. viermal so groß wie das Bundeskanzleramt) ist die neue Zentrale des BND nicht zu übersehen, auch aufgrund des neuen Standorts am Rande des Regierungsviertels. Mit dem abschließend genehmigten Gesamtkostenrahmen von 1,086 Milliarden Euro war es das größte Bauprojekt des Bundes im Jahre 2018.[12] Einer fundierten Begründung für den Umzug oder die enormen Baukosten konnte sich der BND selbstverständlich entziehen. Die parlamentarische Arbeit von Oppositionsparteien hinsichtlich des Umzugs des BND von Pullach nach Berlin zeigt, wie intransparent der BND, auch bezüglich der Staatsausgaben, agieren kann. So heißt es in einer Kleinen Anfrage von Abgeordneten der Linksfraktion zu den Kosten des BND-Umzugs nach Berlin in der Vorbemerkung der Bundesregierung: „Die Beantwortung der Fragen 2, 4, 5, 6, 7, 9, 11, 15 und 16 kann aus Gründen des Staatswohls nicht in offener Form erfolgen. Aus ihrem Bekanntwerden könnten sowohl staatliche als auch nichtstaatliche Akteure Rückschlüsse auf Personalentwicklung, Modus Operandi sowie die Fähigkeiten und Methoden des Bundesnachrichtendienstes ziehen“ [Drucksache 19/5402 S.2], was überdies bei den Fragen 10 und 17 in gleicher Weise wiederholt wird. Im Gegensatz zum eigenen Narrativ, enthebt sich die Arbeit des BND also einer Kontrolle, die als demokratisch bezeichnet werden könnte.
Denn offiziell betont der BND nun, enttarnte Dienststellen wie das Amt für Militärkunde und die Bundesstelle für Fernmeldestatistik auflösen und seine größten Außenstellen nun öffentlich machen zu wollen.[13][14] Der ehemalige BND-Präsident Gerhard Schindler begründete das mit seinem Selbstverständnis des BND als „Dienstleister für die Politik und somit für die Bevölkerung“.[15] Dass diese Propaganda wenig mit der Realität zu tun hat, zeigt nicht nur die Arbeitsweise und parlamentarische Nicht-Kontrolle des Nachrichtendienstes. Auch das neu gegründete Besucherzentrum ist nur für Besuchergruppen von Bundestagsabgeordneten zugänglich und somit alles andere als ein „BND zum Anfassen“.[16]
Verbindungen zur Bundeswehr
Amt für Militärkunde
Das Amt für Militärkunde (AMK) wurde 2014 als eine von mehreren inoffiziellen Behörden des BND enttarnt und sollte im Zuge dessen aufgelöst werden.[17] Über die Funktion des AMK berichtete der Spiegel 2013 in einer Reportage eines Ex-Agenten, der erzählt, dass er nach seiner Tätigkeit als Zeitsoldat mehrere Jahre für den Bundesnachrichtendienst gearbeitet hat. Laut dem Bericht ist eine Versetzung vom Bund zum BND nicht unüblich und wurde entsprechend mit einem „Ich wechsle zum Amt für Militärkunde.“ angekündigt.[18] Auch in der Youtube-Werbeserie „Die Rekrutinnen“ äußert einer der Rekruten zu Beginn der Staffel, den Wunsch später für den BND zu arbeiten, nicht ohne den Halbsatz „aber darüber darf man ja nicht öffentlich reden“, hinterher zu schieben.
Trotz der Ankündigung des BND, die Tarnbehörde „Amt für Militärkunde“ aufzulösen, ist sie noch immer in der Standortdatenbank des Zentrums für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr in Bonn (Dienststelle) und München (Kaserne) verzeichnet[19] und wird auch im Haushaltsgesetz des Deutschen Bundestages 2019 erwähnt. Dort wird das AMK als Teil der Streitkräftebasis ausgewiesen,[20] ist aber weder in der Stationierungsbroschüre der Bundeswehr 2011 noch in der Dienstellenliste auf der Homepage der Streitkräftebasis zu finden. Bisher scheint sie also als Knotenpunkt zwischen Bundeswehr und Nachrichtendienst weiter zu funktionieren. Dass dieser Knotenpunkt auch durchaus in internationalen Konflikten genutzt wird, zeigt sich immer wieder durch investigative Recherchen, die die Kooperation zwischen Geheimdienst und Militär zumindest partiell ans Licht bringen. Bekannt geworden sind hierbei vor allem die Zuarbeit an die US-Behörden im Irakkrieg und die Beteiligung am Luftschlag in Kundus 2009. Diesen Vorfällen folgte nach massivem öffentlichen Druck auch jeweils ein Untersuchungsausschuss.
Zuarbeit an die US-Behörden im Irak-Krieg 2006
Obgleich die rot-grüne Bundesregierung unter Bundeskanzler Gerhard Schröder und Außenminister Fischer 2003 die Beteiligung am Irakkrieg abgelehnt hatte, war diese Ablehnung nur partiell, auch wenn sich das Bild der deutschen Enthaltung noch immer hält. So wurden z.B. Überflugrechte gewährt sowie die Aufklärung durch AWACS-Flüge und der Schutz der Nachschubbasen in Deutschland (siehe auch IMI-Analyse 2006/006). Schon 2005 wurde diese von Deutschland geleistete Unterstützung vom Bundesverwaltungsgericht als Beihilfe zu einem völkerrechtswidrigen Krieg bewertet.
Auch der Bundesnachrichtendienst war während des Irakkriegs involviert und für die Bombardierung von Häuserblocks und die Tötung von Zivilist*innen mitverantwortlich. So berichtete die FAZ im Januar 2006, dass zwei deutsche Agenten des BND während des Irakkrieges 2003 in Bagdad geblieben waren, um eventuelle Bombardierungsziele zu observieren.[21] Nachdem am 7. April 2003 vor einem Gebäude Luxusfahrzeuge als Beweis für die Anwesenheit von Saddam Hussein gewertet wurden, kam es zur Bombardierung. Zwei Häuserblocks wurden zerstört und mindestens zwölf Zivilist*innen getötet, während Hussein nicht getroffen wurde.[22] Während ein amerikanischer Informant über die Arbeit des BND sagte, diese sei „sehr wichtig für die Bombardierung an diesem Tag.“ gewesen, hieß es in der damaligen Mitteilung des BND, „den kriegsführenden Parteien [seien] keinerlei Zielunterlagen oder Koordinaten für Bombenziele zur Verfügung gestellt worden.“[23] Auch das NDR-Magazin „Panorama“ sowie die Süddeutsche Zeitung berichteten schon im Januar 2006, dass Mitarbeiter des BND im Jahr 2003 US-Streitkräfte mit Informationen für die Benennung von Objekten und das Verifizieren von Zielen für Bombardierungen versorgt hatten.
Nach einer Sondersitzung kam das Parlamentarische Kontrollgremium, welches die demokratische Kontrolle des BND sicherstellen soll, jedoch zu dem Schluss, dass hier keine Beteiligung stattgefunden habe[24] – eine Aussage, die durch den eingesetzten Untersuchungsausschusses schließlich widerlegt wurde und zurückgenommen werden musste.[25] Zumindest vom 14. Februar bis zum 2. Mai 2003 waren in Bagdad zwei Mitarbeiter des Sondereinsatzteams des BND stationiert, um die militärische und operative Aufklärung Bagdads zu verstärken. Obgleich es unwahrscheinlich ist, dass zwei Personen sämtliche Informationen sowie Stimmung und Lage der Bevölkerung Bagdads ohne weitere Mithilfe sammeln konnten, blieb die Bundesregierung im Untersuchungsausschuss bei der Aussage, es seien nach der offiziellen Evakuierung nur zwei Personen in Bagdad verblieben. Laut Hans-Christian Ströbele, damals Mitglied im Parlamentarischen Kontrollgremium, meldete der BND zwischen 28. März und 7. April 2003 elf potenzielle Ziele an US-Stellen. Diese Weitergabe wurde zwar von der Bundesregierung bestätigt, diese fand aber weiterhin Argumente, um sich vor einer Verantwortungsübernahme für die Bombardierungen in Bagdad, beispielsweise bei einem Restaurant im Stadtteil Mansur zu drücken. Während Regierung und BND zuerst behauptet hatten, die Agenten in Bagdad hätten insbesondere Informationen zum Kriegsverlauf beschafft und den Amerikanern nur so genannte non-targets, z.B. Krankenhäuser, übermittelt, gab der BND schließlich die Weitergabe von „vier Meldungen“ mit „Koordinaten zu sieben militärischen Teileinheiten beziehungsweise Objekten sowie zum Restaurant im Stadtteil Mansur“ zu, allerdings mit dem fragwürdigen Zusatz, dies sei erst nach der Bombardierung ebenjenes Restaurants geschehen. Weiter argumentierten der damalige Regierungssprecher Ulrich Wilhelm sowie der BND-Sprecher Stefan Borchert, dass die Koordinaten militärisch nicht verwendbar gewesen wären, da der BND ein ziviles Navigationsgerät benutzt hätte, dessen Abweichungen von mindestens 50 Metern für Militärs zu ungenau seien.[26] Letztendlich waren im gesamten Meldeaufkommen jedoch nur 7% Nontargets genannt, ein Krankenhaus, eine Synagoge – deren Koordinaten jedoch erst nach dem Luftangriff ausfindig gemacht werden sollten, sowie fünf Botschaften. Offensichtlich ging es bei den Beobachtungen also vorrangig um die Weitergabe militärischer Bewegungen und Stützpunkte.
Dies ist jedoch wenig verwunderlich, waren die Vorgaben der Bundesregierung doch verhältnismäßig schwammig formuliert, um einen Bewertungsspielraum bezüglich der militärischen Nutzung zuzulassen. So sollte nur bei unmittelbarer Relevanz für taktische Luft- und Landkriegsführung der Koalitionsgruppen keine Weitergabe von Informationen stattfinden und Unterstützung eines offensiven strategischen Luftkriegs war untersagt. Ebenfalls spannend ist, dass diese Vorgaben erst im Nachhinein schriftlich niedergelegt wurden.[27]
Beteiligung des BND am Luftschlag in Kundus 2009
Am 16. Februar 2021 sprach der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte Deutschland in einem Prozess um die Aufarbeitung des Nato-Luftangriffes im afghanischen Kundus im Jahr 2009 frei. Ankläger war ein Afghane, der bei dem Angriff zwei Söhne verlor und Deutschland Verstöße gegen die europäische Menschenrechtskonvention vorwarf. Bei dem Bombardement zweier Tanklaster im September 2009 kamen rund 100 afghanische Zivilist*innen, darunter zahlreiche Kinder, ums Leben.[28]
Als Reaktion auf die öffentliche Kritik des Bombardement korrigierte der damalige Verteidigungsminister Guttenberg seine Aussage dieses sei „militärisch angemessen“ zu „militärisch unangemessen“. Um weiteres verantwortliches Handeln vorzuspielen, wurde zudem Staatssekretär Dr. Peter Wichert entlassen und zwischen Guttenberg und dem Bundeswehrgeneralinspekteur Schneiderhan gab es eine gegenseitiges Zuschieben von Verantwortung, das Schneiderhan mit einem Rücktrittgesuch in den Ruhestand beendete.[29] [30] Die Entschädigungszahlungen an die Opfer fielen nichtsdestotrotz bitterlich gering aus. Auch diesbezüglich gab es vor dem Bundesgerichtshof eine Klage, deren Beschwerdeführer als Angehörige von getöteten Opfern Schmerzensgeld und Schadenersatz forderten. Mit dem Argument, das Völkerrecht sehe keine individuellen Entschädigungszahlungen vor, wurde jedoch auch diese Klage abgelehnt[31]
So blieb es für die 86 Familien, die bei dieser Bombardierung Todesfälle zu beklagen hatten, bei 5000 USD pro Familie, während die Bundeswehr in anderen Fällen 20.000 bis 33.000 US-Dollar pro Opfer gezahlt hatte.[32]
Der verantwortliche Oberst Klein schaffte es dagegen, zum General befördert zu werden. Und das trotz zahlreicher Nachweise, dass es sich bei dem Anschlag nicht um einen Unfall, sondern mindestens um nachlässiges Verhalten gehandelt hatte. So vermuteten die amerikanischen Bomberpiloten vor dem Luftangriff sofort, dass am Boden Zivilisten waren, und sprachen sich für Tiefflüge als Warnung aus, da sie keine Notlage sahen. Es war Oberst Klein, der hier ein Veto einlegte, von Feindberührung, („troops in contact“) sowie einer unmittelbaren Bedrohung („imminent threat“) sprach und von einer Rücksprache mit seinem Rechtsberater oder Vorgesetzten absah. Zwar wurden hier vereinzelt dienstrechtliche Konsequenzen gefordert, fanden jedoch keine Mehrheit. Zurück bleibt die Frage, wann dienstrechtliche Konsequenzen oder ähnliches Anwendung finden, wenn es selbst bei einem solchen unverantwortlichen Verhalten nicht zum Tragen kommt.
Ungeklärt bei der Aufarbeitung bleibt, wenig überraschend, leider auch die Beteiligung des BND an dem grausamen Luftschlag.
Denn aus dem Untersuchungsausschuss geht hervor, dass Vorbereitung und Durchführung des Luftschlags in den Räumlichkeiten der Task Force 47 (TF47) stattfanden. Diese war offiziell damit beauftragt, Informationen und Aktivitäten in Kundus zu sammeln und bestand aus rund 120 Bundeswehrsoldaten sowie einer nicht näher definierten Zahl an BND-Mitarbeitern.[33] Trotz der Verbindung wurde im Untersuchungsausschuss nachdrücklich darauf hingewiesen, es habe sich einzig und allein um einen Einsatz der PRT-Kunduz unter Leitung des damaligen Oberst Klein gehandelt. Schon allein aufgrund der räumlichen Überschneidung ist es jedoch nahezu unmöglich, dass die Mitarbeiter des BND nichts von dem geplanten Luftschlag wussten. Dies wird auch durch die Aussage des BND-Mitarbeiters A.R., der sich in der Nacht des Luftschlags in der TF47 aufhielt, deutlich: „Also, ich war da im Bereich, aber quasi im Nebenraum, wenn man das so beschreiben will.“[34]
Trotzdem wurde die Aussage, an der Operation sei nur die PRT-Kunduz beteiligt gewesen, im Untersuchungsausschuss von den Regierungsfraktionen als schlüssig interpretiert, denn letztlich hatten alle vernommenen Zeugen übereinstimmende Aussagen gemacht.
Zwar hatte eine erste Aussage des verantwortlichen Oberst Klein eine Beteiligung der Task Force 47 nahegelegt, diese wurde jedoch später von ihm widerrufen und Oppositionsfraktionen, die sich darauf bezogen, wurde vorgeworfen, die Aussage faktenwidrig zu missbrauchen.[35]
Dabei macht es auch die Nachrichtenlage schwer, eine direkte Beteiligung des BND von der Hand zu weisen. Denn schon wenige Stunden nach dem Anschlag informierten Mitarbeiter des BND das Kanzleramt. Eine Mitplanung und Durchführung ist also überaus wahrscheinlich, insbesondere da der Anschlag nachts stattfand.
Fazit
Mit dem Argument, Gefahren für die innere und äußere Sicherheit abzuwehren, entzieht sich der BND der Möglichkeit einer demokratischen Einhegung weitgehend. Regelmäßig werden geltende Gesetze und Grundrechte der Bundesrepublik wissentlich ignoriert bzw. übertreten. Untersuchungsausschüsse und Klagen funktionieren als Instrument gegen die Rechtsbrüche des BND nur bedingt. Der Nachrichtendienst setzt alle Überwachungsmethoden ein, die ihm zur Verfügung stehen und entzieht sich dabei auch bei der Auswahl, Anwerbung und Führung von V-Leuten dem Parlament.[36] Die Problematiken die sich daraus ergeben liegen auf der Hand, werden aber trotz einer sichtbaren Anzahl grauenhafter Ereignisse innerhalb und außerhalb Deutschlands nicht angegangen.
Anmerkungen:
[1] BverfGE 143, 101ff, juris Rn. 126 ff, 128ff.
[2] netzpolitik.org : Das neue BND-Gesetz: Alles, was der BND macht, wird einfach legalisiert. Und sogar noch ausgeweitet, netzpolitik.org 16.06.2020
[3] Netzpolitik.org: Das neue BND-Gesetz ist verfassungswidrig, netzpolitik.org 16.06.2020
[4] Bundesverfassungsgericht: Ausland-Ausland-Fernmeldeaufklärung nach dem BND-Gesetz verstößt in derzeitiger Form gegen Grundrechte des Grundgesetzes, bundesverfassungsgericht.de 16.06.2020
[5] Süddeutsche: Verfassungsschutz muss Akten über das Oktoberfest-Attentat öffentlich machen sueddeutsche.de 05.03.2021
[6] Ebd
[7] Wikipedia: wikipedia.org 21.02.2021
[8] ZDF-Doku: Geheimdienstoperation Rubikon, der größte Coup des BND
[9] ZDF: BND wusste von Mordplänen südamerikanischer Regimes zdf.de 01.03.2021
[10] Tagesschau: Terror im Namen des Staates tagesschau.de 01.03.2021
[11] ZDF-Doku: Geheimdienstoperation Rubikon, der größte Coup des BND
[12] Berliner Woche: BND-Zentrale: 3200 Agenten arbeiten in der neuen Geheimdienstburg an der Chausseestraße berliner-woche.de 27.5.2020
[13] FAZ: Kämpfen gegen das Unsichtbare faz.net 27.5.2020
[14] Welt: Phantombehörden des BND werden aufgelöst welt.de 27.5.2020
[15] FAZ: Kämpfen gegen das Unsichtbare faz.net 27.5.2020
[16] Ebd.
[17] Welt: Phantombehörden des BND werden ausgelöst welt.de 09.06.2020
[18] Spiegel: James Bond käme nicht durchs Bewerbergespräch spiegel.de 09.06.2020
[19] Standortdatenbank ZMSBw: zmsbw.de 09.06.2020
[20] siehe bundestag.de, Haushaltsgesetz 2019, S. 2141
[21] 5.2.21 FAZ: BND half Amerikanern im Irak-Krieg: www.faz.net
[22] Ebd.
[23] Ebd.
[24] Bericht über die Kontrolltätigkeit gemäß § 6 des Gesetzes über die parlamentarische Kontrolle nachrichtendienstlicher Tätigkeit des Bundes durch das Parlamentarische Kontrollgremium, Drucksache 16/7540 S.9
[25] Ebd. S.838
[26] Süddeutsche Zeitung: BND nannte doch mögliche Angriffsziele im Irak sueddeutsche.de 19.06.2020
[27] Bericht über die Kontrolltätigkeit gemäß § 6 des Gesetzes über die parlamentarische Kontrolle nachrichtendienstlicher Tätigkeit des Bundes durch das Parlamentarische Kontrollgremium, Drucksache 16/7540 S. 876
[28] Bundestag: Bundestag debattiert über Kunduz-Abschlussbericht bundestag.de 22.06.2020
[29] Ebd.
[30] Stern: Was Schneiderhan dem Minister vorenthielt stern.de 15.03.2021
[31] Tagesschau: tagesschau.de 19.02.2021
[32] Drucksache 17/7400 S.296
[33] Beschlussempfehlung und Bericht des Verteidigungsausschusses als 1. Untersuchungsausschuss gemäß Artikel 45a Absatz 2 des Grundgesetzes Drucksache 17/7400 S.68
[34] Ebd.
[35] Ebd. S.177
[36] Jelena von Achenbach: “Effektive Nachrichtendienste als Verfassungsgut” in Hoff/ Kleffner/ Pichl/ Renner (Hrsg.) “Rückhaltlose Aufklärung?” VSA-Verlag Hamburg, 2019 S.162
Quelle: Informationsstelle Militarisierung (IMI) (imi-online.de) Bild: chromorange.de