Digitalisierung V: Microsoft 365 – So überwachen Chefs eure Produktivität am Arbeitsplatz


Von Rahel Lang

Der Markt für Kontrollsoftware boomt. So bietet der Riesenkonzern Microsoft eine Produktivitätsbewertung für Unternehmen an, für die Microsoft eine Menge Daten sammelt. Kritiker:innen bezeichnen diesen Service als ein „Instrument zur Arbeitsplatzüberwachung“.

Ganz nach dem Motto „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser“ nutzen einige Firmen Software, um ihre Mitarbeiter:innen zu überwachen. So steht der Riesenkonzern Amazon schon lange für seine drastischen Überwachungsmaßnahmen in der Kritik. Doch nicht nur bei Amazon, sondern auch in kleinen und mittelständischen Unternehmen (KMU) in Deutschland boomt die Beschäftigtenüberwachung. Der US-Konzern Microsoft liefert mit dem sogenannten „Productivity Score“ (Produktivitätsbewertung) ein besonders umfangreiches und einschneidendes Produkt.

Während der Hersteller behauptet, er würde die Dienstleistung einsetzen, um die digitale Transformation zu beschleunigen, sehen Aktivist:innen und Gewerkschaften darin einen möglichen Verstoß gegen das Recht aus Privatsphäre.

Tausende Daten, acht Kategorien und eine Bewertung

Die Produktivitätsbewertung ist ein Softwareprogramm für kleine und mittelständische Unternehmen, die das Microsoft-Abonnement „Office 365“ oder „Microsoft 365“ nutzen. Beide Angebote sind web- und cloudbasiert und beinhalten wichtige Büro-Produkte, etwa das Schreibprogramm Word, die Präsentationssoftware PowerPoint und der E-Mail-Dienst Outlook. Microsoft wirbt damit, alle Anwendungen in „einer kostengünstigen Lösung“ anzubieten, was die digitale Zusammenarbeit der Beschäftigten produktiver gestalten solle. Seit Oktober 2020 ist die Produktivitätsbewertung weltweit verfügbar, um die angepriesene Effizienz messen zu können.

Die neue Dienstleistung berechnet den Produktivitätswert eines Kunden-Unternehmens anhand ihrer Abonnement-Nutzung. Dazu misst Microsoft zwei verschiedene Bereiche, nämlich die Beschäftigtenerfahrung und die Technologieerfahrung der Unternehmen. Ersterer untersucht, wie die Angestellten mit den verschiedenen Microsoft-Produkten zusammenarbeiten, etwa ob sie in der Cloud Dokumente freigeben, was laut Microsoft effizienter sei als diese per Mail zu verschicken. Die Technologieerfahrung bewertet die Hardware und Software des Unternehmens, beispielsweise die App-Integrität, also ob Microsoft-Apps auf den Endgeräten installiert sind. Microsoft stellt klar: „Ihre Organisation hängt von zuverlässigen und leistungsfähigen Technologien wie auch von der effizienten Nutzung von Microsoft 365 ab.“

Dazu sammelt das Programm Daten von den Microsoft-Produkten Skype, Microsoft Teams, OneNote, Word, Excel, PowerPoint und einigen mehr. Die erhobenen Daten werden in acht Kategorien bewertet, etwa der Kategorie Teamarbeit oder Besprechungen, und können dabei maximal 800 Punkte erreichen. Die Punktezahl ist dann der Wert für die Produktivität des Unternehmens. Das Ergebnis kann der Betrieb anschließend mit sogenannten „Peer-Benchmarks“ vergleichen. Das ist ein Durchschnitt aus den Ergebnissen von vergleichbaren Unternehmen. Der Produktivitätswert und der Vergleich mit den „Peer-Benchmarks“ soll dem Betrieb helfen die eigene Leistung zu optimieren.

Der Überwachungsteufel greift zu

Für diese umfassende Bewertung erhebt der Konzern Microsoft sensible Informationen über die Arbeitsgewohnheiten der Mitarbeiter:innen des Kundenbetriebs. Zum Beispiel wie häufig sie den Chat nutzen, wie viele E-Mails sie an welchen Tagen verschicken und wie lange sie ihre Kamera bei Videomeetings aktivieren. Zwar berechnet Microsoft den Produktivitätswert für das ganze Unternehmen, die dazu benötigten Daten stammen aber dennoch von einzelnen Nutzer:innen. Das Programm aktualisiert diese Daten täglich und stellt sie 28 Tage einsehbar zur Verfügung. Doch wer kann auf diese Daten der Produktivitätsbewertung zugreifen?

Nach Angaben des Konzerns haben nur IT-Expert:innen mit einer bestimmten Rolle, etwa ein „Globaler Administrator“ oder „Microsoft Teams-Administrator“ Zugang zu diesen Informationen. Allerdings bleibt es fragwürdig, ob diese Zugangsbarriere hoch genug ist, um vor missbräuchlicher Nutzung zu schützen. Der Konzern bietet zudem die Möglichkeit, den Bereich „Mitarbeitererfahrung“ zu deaktivieren. Sobald er deaktiviert ist, darf Microsoft keine Informationen darüber sammeln, wie die Beschäftigten miteinander interagieren. Außerdem veröffentlicht Microsoft auf der Productivity-Score-Webseite seine Datenschutz-Richtlinien – vermutlich um Datenschutz-Bedenken abzumildern.

Die Überwachung der Beschäftigten bewegt sich dennoch im rechtlichen Graubereich. Zwar gibt es kein eigenständiges Gesetz zum Beschäftigungsdatenschutz im Unternehmen, aber Deutschland bestimmt mit dem Bundesdatenschutzgesetz welche Beschäftigtendaten die Arbeitgeber verarbeiten  dürfen. Außerdem setzen der Betriebsrat und die individuellen Rechte der Arbeitnehmer:innen, etwa das Persönlichkeitsrecht, der Überwachung Grenzen. Netzpolitik.org hat bereits letztes Jahr über den rechtlichen Rahmen der digitalen Kontrolle von Beschäftigten aufgeklärt. Zwei zentrale Aspekte sind, dass Mitarbeiter:innen immer ihre Einwilligung geben müssen und, dass keine anlasslose Überwachung ohne Verdachtsmomente stattfinden darf.

Privatsphäre versus Produktivität?

Gewerkschaften und Jurist:innen sehen in dem Produkt aber genau das: eine digitale Überwachungsmaßnahme der Unternehmen. So meint die IG Metall gegenüber netzpolitik.org:

Bei allen technischen Einrichtungen, die dazu bestimmt oder geeignet sind, das Verhalten oder die Leistung der Arbeitnehmer zu überwachen, haben Betriebsräte ein zwingendes Mitbestimmungsrecht. Vor dem Hintergrund der Herausforderungen, denen sich die Betriebe und Unternehmen momentan stellen müssen, ist es geradezu fahrlässig, den Fokus auf die Kontrolle der Beschäftigten zu legen. Es zeigt sich darin außerdem ein Führungsverständnis von vorgestern. Moderne Führung setzt auf Eigenverantwortung, nicht auf Kontrolle durch beispielsweise Software.

Der Rechtsanwalt Christian Velten ist auf Arbeitsrecht und Datenschutz spezialisiert. Ein besonders problematischer Aspekt der Produktivitätsbewertung ist für Velten, dass viele Unternehmen damit abhängig von dem Riesenkonzern und seinen Produkten sind. Er sagt gegenüber dem Spiegel: „Microsoft wird Unternehmen früher oder später in die Cloud zwingen“. Schließlich ist das Paket „Microsoft Office“ im vergangenen Jahr die meistgenutzte Büro-Software in Deutschland – und zwar mit ganzen 85 Prozent. Diese Zahl ermittelt zumindest eine Untersuchung des Dienstes Statista.

Die Produktivitätsbewertung kann diese Monopol-ähnliche Stellung noch verstärken. Immerhin fließt die Kategorie „Microsoft 365 Apps-Integrität“ in die Rechnung mit ein, die berücksichtigt, wie viele Microsoft-Produkte auf den Geräten der Mitarbeiter:innen installiert sind und genutzt werden. Möchte ein Unternehmen einen möglichst hohen Wert in dieser Kategorie erzielen, sollte es alle Microsoft 365-Apps benutzen. Das verstärkt nicht nur die Abhängigkeit des Unternehmens zu dem Riesenkonzern, sondern erschwert auch alternativen Cloudspeicher und Büro-Software sich auf dem Markt durchzusetzen.

Dabei steht zur Debatte, ob die erhobenen Daten überhaupt aussagekräftig sind, um die Produktivität der Beschäftigten zu beurteilen. Schließlich gibt es so einige plausible Gründe, warum eine Mitarbeiter:in nicht die Kamera bei einem Meeting aktiviert oder eine Weile keine Mails oder Chat-Nachrichten schreibt. Sie hatte möglicherweise direkten oder telefonischen Kontakt mit ihren Kolleg:innen. Kritik kommt auch von Rechtsanwält:innen. Auf dem Blog datenschutzticker.de heißt es: „[Wenn] Angestellte mitbekommen, dass sie untereinander verglichen werden, führt das zu einer größeren Stressbelastung und kann letztlich die Produktivität verringern.“

Boomfaktor Corona

Durch die Corona-Pandemie wechselten viele Beschäftigte von ihrem vorherigen Arbeitsplatz in das Home-Office. Dieser Wechsel erwies sich für den Softwarekonzern Microsoft als sehr profitabel – denn die Arbeit im Home-Office erfordert, dass die Kolleg:innen digital miteinander vernetzt sind. Der Cloud-Service des Riesenkonzerns ist besonders gewinnbringend. Microsoft hat im vergangenen Quartal ein Plus von 21 Prozent erwirtschaftet und übertrifft damit sogar die Erwartungen von Finanzexpert:innen.

Die Produktivitätsbewertung entstand allerdings nicht wegen der Pandemie-Situation, sondern wurde als Konzept zum ersten Mal im Jahr 2019 von Microsoft vorgestellt. Mit der Pandemie hat das Konzept neuen Aufschwung bekommen. Jared Spataro, Vizepräsident von Microsoft 365, hat im Oktober 2020 in einem Blogbeitrag angekündigt, dass der „Productivity Score“ nun global verfügbar sei. Er meint:

Wir müssen die digitale Transformation von der Kunst zur Wissenschaft machen. (…) Lassen Sie uns einen Blick darauf werfen, wie die Produktivitätsbewertung Ihren Mitarbeiter:innen heute und in Zukunft zum Erfolg verhelfen kann.

Er betont in dem Beitrag auch, dass der Productivity Score kein Instrument zur Arbeitsüberwachung sei. Das sehen Datenaktivist:innen anders. Der österreichische Programmierer und Aktivist Wolfie Christl hatte auf Twitter heftige Kritik gegen die neue Dienstleistung von Microsoft ausgelöst. Christl bezieht sich in seinem Thread auf das Promotions-Video von Microsoft 365 zu dem Productivity Score. Er bezeichnet diesen als „ein vollwertiges Instrument zur Arbeitsplatzüberwachung“.

Inzwischen hat Christl eine umfangreiche Studie veröffentlicht, die Methoden digitaler Kontrolle am Arbeitsplatz dokumentieren. Weitere Kritiker:innen schließen sich ihm an und warnen vor digitaler Überwachung und Eingriffe in die Privatsphäre. Ein Detail verrät, was eine breite Gruppe von Leuten denkt: Ein Microsoft-365-Werbevideo auf YouTube mehr Dislikes als Likes.

Unzureichender Datenschutz

Der US-Konzern hat auf diese Datenschutz-Kritik reagiert und kündigte an, eine Änderung in der Datenerhebung vorzunehmen: Microsoft möchte Kategorien des Bereichs „Mitarbeitererfahrung“ auf Unternehmensebene zusammenfassen und damit verhindern, dass Rückschlüsse auf einzelne Beschäftigte gezogen werden können. Das ist zwar ein erster Schritt zu anonymisierten Daten, Datenschützer:innen halten ihn aber für unzureichend. Schließlich ist es sehr schwer solche Rückschlüsse zu verhindern, wie Heise berichtet.

So drastisch diese Produktivitätsbewertung auch klingen mag, sie ist nur ein Teil der Kontrollsoftware-Industrie, die durch die Corona-Pandemie einen Aufschwung erlebte. Die Pandemie bietet für Unternehmen eine gute Gelegenheit, ihre Kontrolle durch Überwachungstechnologie auszuweiten und ihr schnelles Handeln mit dem Krisenstatus zu rechtfertigen.

Eine zweiteilige Studie von Getapp untersucht den aktuellen Stand der Mitarbeiter:innenüberwachung von KMU in Deutschland. Sie belegt, dass etwa die Hälfte der Befragten angeben, erst seit der COVID-19 von ihren Arbeitgeber:innen mit Überwachungstool kontrolliert zu werden. Insgesamt geben 21 Prozent der Mitarbeiter:innen an, dass ihr Unternehmen Überwachungssoftware nutzen – die Manager sprechen hingegen von 38 Prozent. Das deutet darauf hin, dass einige Unternehmen ihre Arbeitnehmer:innen ohne deren Einwilligung mit Software kontrollieren – schließlich geben 13 Prozent der Beschäftigten an, nicht zu wissen, ob sie überwacht werden.

Klar ist, dass nur ein geringer Anteil der Mitarbeiter:innen die Überwachung aus eigenem Willen heraus akzeptiert hatten. Die Mehrheit der Befragten fühlte sich unter Druck gesetzt und äußerte große Bedenken bezüglich ihrer Privatsphäre. Die Zahlen zeigen, dass die digitale Überwachung von Beschäftigten zunimmt – und damit die Kritik vor möglichen Datenschutzvergehen.

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Über den Autor:

Rahel ist von Ende Juli bis Oktober 2021 Praktikantin bei netzpolitik.org und studiert Liberal Arts and Sciences mit dem Schwerpunkt Governance in Freiburg. Besonders am Herzen liegt ihr die Analyse von Algorithmen und Big Data und deren Einfluss auf unser Leben. Mehr Texte findet ihr auf ihrem Tazblog „abseitsregeln“.

 

 

 

 

Quelle: https://netzpolitik.org/ cco
Bild: Wikipedia