Recht auf Schuldnerberatung – Gesetzesänderung im SGB XII erforderlich

Die Arbeitsgemeinschaft Schuldnerberatung der Verbände (AG SBV) hat eine Positionierung zu einem Recht auf Schuldnerberatung vielfach diskutiert. Sie hat nun das Positionspapier „Recht auf Schuldnerberatung“ überarbeitet und verabschiedet.

Sie fordert die Einführung eines § 68a SGB XII (neu). Dies öffnet den Zugang zu einer Beratung in einer anerkannten Schuldnerberatungsstelle für alle Personenkreise, ungeachtet einer Leistungsberechtigung nach dem SGB XII oder SGB II. Das ermöglicht überschuldeten Personen einen unbürokratischen Zugang zu einer qualifizierten Schuldnerberatung.

Die AG SBV schlägt die folgende Gesetzesänderung im SGB XII vor:

  1. Kapitel

Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten und bei Überschuldung

  • 68a (neu) SGB XII Hilfe bei Überschuldung

(1) Überschuldeten und von Überschuldung bedrohten Personen ist ungeachtet einer sonstigen Leistungsberechtigung nach diesem Gesetzbuch weitere persönliche Hilfe zu gewähren. (2) Zur Hilfe gehören insbesondere Maßnahmen des Schuldnerschutzes und der Entschuldung sowie Beratung zur Vermeidung weiterer Überschuldung.

Die Einführung eines § 68a SGB XII (neu) öffnet den Zugang zu einer Beratung in einer anerkannten Schuldnerberatungsstelle für alle Personenkreise, ungeachtet einer Leistungsberechtigung nach dem SGB XII. Das ermöglicht überschuldeten Personen einen unbürokratischen Zugang zu einer qualifizierten Schuldnerberatung.

Ausgangslage

Die private Überschuldung in Deutschland ist ein gesamtgesellschaftliches Problem. Trotz aktuell nachhaltigem Wirtschaftswachstum ist die Anzahl der überschuldeten Haushalte in Deutschland weiterhin auf einem konstant hohen Niveau. Aktuell sind in Deutschland  6,7 Millionen erwachsene Menschen überschuldet.1  Überschuldung tritt im Wesentlichen in Folge biographischer Ereignisse wie Arbeitslosigkeit, Trennung und Scheidung oder Krankheit auf. In unserer Gesellschaft ist es inzwischen Normalität, sich nicht nur bei langfristigen Investitionen, sondern auch für den Erwerb von Konsumgütern zu verschulden. Die allgegenwärtige Werbung, aber auch die Angebote von Finanzdienstleistern haben zu dieser Entwicklung beigetragen.  Um Überschuldung zu überwinden, bedürfen Betroffene eines fachkompetenten Beratungsangebotes. Nur so können alle relevanten Faktoren in den Blick genommen werden und die wirtschaftliche und soziale Stabilisierung ihrer Lebenssituation gelingen. Diese Hilfe wird von den Schuldner- und Insolvenzberatungsstellen der Verbände angeboten.

Zugangsbeschränkungen durch das BSG-Urteil

Das Bundessozialgericht (BSG) hat mit seiner Entscheidung vom 13.07.2010 klargestellt, dass Menschen, die keine (ergänzenden) Leistungen nach dem SGB II erhalten, die Kosten für die Schuldnerberatung selbst tragen müssen. In der Praxis hat dieses Urteil dazu geführt, dass in einer großen Anzahl von Kommunen erwerbstätige überschuldete Personen keinen offenen und niedrigschwelligen Zugang zu öffentlich finanzierten Beratungsangeboten mehr haben.2 Überschuldete sind unabhängig von ihrem Einkommen regelmäßig nicht in der Lage, kostenpflichtige Beratungsangebote in Anspruch zu nehmen. Die Betroffenen leben aufgrund ihrer Zahlungsverpflichtungen bzw. Pfändungen in aller Regel am Existenzminimum. Deshalb sind sie nicht in der Lage, kostenpflichtige Angebote in Anspruch zu nehmen. Werden solche Angebote dennoch in Anspruch genommen, führt dies in vielen Fällen zu einer weiteren Überschuldung der Ratsuchenden, da die erhobenen Gebühren nicht gezahlt werden können.  Das nachfolgende Fallbeispiel einer alleinerziehenden Mutter mit einer Tochter verdeutlicht die zunehmend gängige Praxis in einer Reihe von Kommunen und Kreisen:

Martina O. (alleinerziehende Mutter einer zwölfjährigen Tochter) arbeitet als Krankenschwester in Teilzeit. Sie hat keine Ansprüche auf ergänzende Sozialleistungen. Die Gesamtschulden belaufen sich auf 25.000 €. Mangels Deckung auf dem Konto konnte sie den Strom nicht zahlen. Die Stromsperre drohte. Einen Termin bei der Schuldnerberatung bekommt sie nicht, da sie erwerbstätig ist. In einer Kommune, in der der Zugang zur Schuldnerberatung nicht auf den Personenkreis der ALG II Beziehenden begrenzt ist, hätte sie einen unproblematischen Zugang zur Schuldnerberatung bekommen.

Gerade überschuldete Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer benötigen einen niedrigschwelligen, offenen Zugang zu einer zeitnahen Beratung und Unterstützung, um nicht noch tiefer in die Schuldenfalle zu geraten und das Arbeitsverhältnis nicht zu gefährden. Der Schuldnerberatung kommt hier eine zentrale Rolle zu. Die AG SBV hat bei den angeschlossenen Schuldnerberatungsstellen erhoben, welche Personenkreise diese berieten und aus welchen Einkommensquellen sich diese finanzierten3. Die Rückmeldungen ergaben, dass mehr als die Hälfte der Beratungsstellen bestimmten Zielgruppen keine Beratung anbieten konnten. Neben den Erwerbstätigen betraf dies auch andere Personengruppen, wie z.B. Rentnerinnen und Rentner sowie ALG-I-Bezieherinnen und -Bezieher.

Fazit

Die Arbeitsgemeinschaft Schuldnerberatung der Verbände (AG SBV) ist der Auffassung, dass auch diejenigen Personen in finanziellen Notsituationen, die nicht leistungsberechtigt im Sinne des SGB II oder SGB XII sind, einen Anspruch auf ein qualifiziertes Schuldnerberatungsangebot erhalten müssen, um ihre Situation wirtschaftlich und sozial stabilisieren zu können. Dies kann dazu beitragen, drohenden Sozialleistungsbezug zu vermeiden.4

 

 

Quelle: BAG, AG SBV

Bildbearbeitung: L.N

Anmerkungen:

1 Vgl. „IFF Überschuldungsreport 2016, 2 Vgl. Positionspapier „Argumente zur Finanzierung der Schuldnerberatung für Erwerbstätige durch öffentliche Haushalte“ der Arbeitsgemeinschaft Schuldnerberatung der Verbände (AG SBV),  3 Erhebung der AG SBV 2013 … 4 Ebenda