Verankerung eines Kommunalwahlrechts für Nicht EU-Ausländer in der Landesverfassung – vor 32 Jahren besetzten Aktivisten bei der Kommunalwahl das Wahllokal im Keuning-Haus in Dortmund

SotiriosDer Landesintegrationsrat NRW und der DGB fordern die Verankerung eines Kommunalwahlrechts für Nicht EU-Ausländer in der Landesverfassung. Nach 5 Jahren legalem Aufenthalt sollten zumindest auf lokaler Ebene die Menschen ohne deutschen Pass die Möglichkeit zur politischen Mitgestaltung erhalten.

Für Gewerkschafter in Dortmund ist die Forderung nach dem Kommunalwahlrecht für Nicht-EU-Ausländer seit 35 Jahren nicht vom Tisch gefallen, eher gehörte sie zu den Querschnittsaufgeben der politischen Arbeit vor Ort.

Ein neu formiertes Bündnis „Kommunales Wahlrecht für alle in NRW“ hat sich gegründet, das zum Ziel hat, das kommunale Wahlrecht für Migranten zu erreichen. In der Initiative engagieren sich rund 90 Migrantenorganisationen, aber auch Vertreter einzelner politischer Parteien und Gewerkschafter.

Betroffen von diesem Ausschluss aus dem politischen Leben sind rund 1,1 Millionen Menschen in NRW, darunter allein 450.000 Personen aus dem Herkunftsland Türkei, die größten Teils zu den „Gastarbeitern“ der ersten Generation zählen und seit Jahrzehnten hier leben.

Insgesamt sind etwa 14,4 Millionen Bürger in NRW wahlberechtigt. Bislang genießen nur die rund 650.000 EU-Ausländer in NRW das Kommunalwahlrecht. Von den knapp 1,7 Millionen volljährigen Migranten in NRW kommen rund 710.000 nicht aus der EU und sind deshalb nicht wahlberechtigt. Die türkischen Staatsbürger stellen die mit Abstand größte Nationalitätengruppe. Dabei ist der Anteil der Türken, die noch nicht länger als fünf Jahre in Deutschland leben und damit das mögliche Wahlkriterium nicht erfüllen würden, verschwindend gering (schätzungsweise weniger als fünf Prozent der türkischen Bevölkerung). Profitieren würden neben Türken aber auch viele Afrikaner und Asiaten. In Düsseldorf wohnen beispielsweise die landesweit meisten Japaner, in Essen die meisten Afghanen und in Bonn die meisten Menschen aus Libyen.

NRW wäre das erste Bundesland, dass über den EU Rechtsrahmen hinaus ein kommunales Ausländerwahlrecht einführen würde. Im Landtag wird für die Verankerung des Kommunalwahlrechts eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Landtag benötigt.

Ein kurzer Rückblick zeigt, dass das Thema der politischen Teilhabe der Menschen ohne deutschen Pass schon sehr alt und eine Partizipation dieser Menschen überfällig ist. Die ersten Schritte einer politischen Beteiligung der Einwanderer in Dortmund begannen Anfang der 1970er Jahre:

In seiner Sitzung am 30.08.1971 fasste der Rat der Stadt Dortmund den Grundsatzbeschluss, „zur Wahrung der Belange der ausländischen Staatsbürger“ einen Ausländerbeirat zu bilden. Am 28.02.1972 wurde eine Verwaltungsvorlage über die Aufgaben und die Zusammensetzung des Beirats verabschiedet. Der Beirat trat dann am 31.05.1972 zur ersten Sitzung zusammen. Von Anfang an war der Beirat der Kritik der ausländischen Arbeitnehmer und deren Familien ausgesetzt. Dem Beirat gehörten nämlich nur 6 Vertreter der ausländischen Arbeitnehmer an, wobei es sich allerdings um von den freien Wohlfahrtsverbänden entsandte angestellte Sozialbetreuer handelte. Dagegen stellten verschiedene deutsche Institutionen 20 Mitglieder: der Stadtrat 4, die Wohlfahrtsverbände 3, der DGB 1, die Arbeitgeber 2, das Arbeitsamt 1 und die Stadtverwaltung 9 Mitglieder. Der Vorsitzende war ein deutsches Ratsmitglied der SPD-Fraktion.

Für die ausländischen Beschäftigten und deren Familien war dies nicht hinnehmbar, sie forderten seit langem eine stärkere Vertretung. Viele gründeten eigene Vereine oder wurden Mitglied der im Rat vertretenen Parteien.

Großer Elan ging von den ausländischen Frauen aus. Viele türkische und marokkanische Frauen wurden als Alleineinreisende für bestimmte Sparten angeworben und ernährten ihre Familie im Herkunftsland. Mit den selbstbewusst, in Jeans und T-Shirt in Dortmund ankommenden Frauen, hatte damals kaum jemand gerechnet. Viele der marokkanischen Frauen engagierten sich in den 1970er Jahren in den feministischen Initiativen in Dortmund und brachten dort neue demokratische Diskussions- und Abstimmungspraktiken ein.

Anfang 1973 gründete die Dortmunder SPD eine Kommission, die sich mit der Lage der ausländischen Beschäftigten auseinandersetzte. Nach einjähriger Arbeit wurde dann ein Programm vorlegt, in dem auch ein neues Modell für den Ausländerbeirat enthalten war. Das Programm verschwand dann erstmal für einige Jahre in der Parteischublade.

Am 24. August 1973 traten zu Anfang der Spätschicht tausende Arbeiter bei Ford in Köln in den Streik und besetzten das Niehler Fordwerk, auch um die drohenden Entlassung zu verhindern. Diese Aktion, vor allem von türkischen Arbeitern spontan und demokratisch durchgeführt, überraschte die IG Metall kalt und wurde auch in Dortmund engagiert diskutiert. Auch, dass die ausländischen Beschäftigten weder in der Gewerkschaft noch in den  Betriebsräten in angemessener Zahl vertreten waren.

Mit dem Anwerbestopp am 23. November 1973 endete die erste Phase der Zuwanderungspolitik auch in der Stadt Dortmund. Nun sollte die Rückkehrbereitschaft gefördert werden. Dies war schon damals die Steilvorlage für die „das-Boot-ist-voll-Kampagnen“, weil man indirekt die schlechte wirtschaftliche Situation mit dem Aufenthalt von Ausländern verband.

Der Anwerbestopp führte dazu, dass die Zahl der ausländischen Arbeitnehmer auf Bundesebene um ca. 20 Prozent sank. Die hohe Arbeitslosenzahl und Prämien von Firmen und Landesregierungen veranlassten viele nach einem langen Aufenthalt einen Neuanfang in dem Herkunftsland zu riskieren. Viele versuchten es dort mit der Selbständigkeit, allerdings gingen 70 Prozent der von den Rückkehrern gestarteten Betriebe in den Konkurs.

Da eine Veränderung der Arbeitsmarktlage sich trotz Anwerbestopp nicht abzeichnete, wurde im November 1974 die „Stichtagregelung“ eingeführt, die besagte, dass vor allem ausländische Frauen und Jugendliche, die nach dem Anwerbestopp eingereist waren und deren Länder nicht zur Europäischen Gemeinschaft gehörten, den sofortigen Zugang zum Arbeitsmarkt versperrt. Um den Arbeitsmarkt nicht weiter für Ausländer zu öffnen, wurde der § 19 in das Arbeitsförderungsgesetz eingefügt. Er regelte den Zugang zum Arbeitsmarkt so, dass eine freie Stelle zuerst dem deutschen Arbeitssuchenden angeboten werden muss, dann dem Angehörigen aus einem Staat der Europäischen Gemeinschaft und danach erst den übrigen ausländischen Arbeitssuchenden.

Die Richtlinien über die Errichtung verschiedener Zonen des Aufenthaltes vom 01.04.1975 sollten einem Zuzug von Ausländern in bestimmte Ballungsgebiete vorbeugen. Die Landkarte der Bundesrepublik stellte sich dann für Ausländer in Muss- (hier war eine Zuzugssperre), Kann- und Freizonen dar.

All diese arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen und die fehlenden Konzepte zur Ausländerpolitik trugen dazu bei, dass Einwanderer sich vom gesellschaftlichen Leben weitgehend ausgeschlossen fühlten, an den Rand der Gesellschaft gedrängt wurden und bei anhaltender wirtschaftlicher Krise  der deutschen Bevölkerung als Sündenböcke dienten.

Für diejenigen Arbeitnehmer, die noch einen Arbeitsplatz besaßen und für die die Rückkehr in das Herkunftsland nicht attraktiv war, stand die Entscheidung an, sich ein Leben in Dortmund einzurichten und ihre Kinder und Ehepartner im Rahmen der noch geltenden Familienzusammenführung nachzuholen.

Damit stand auch die Frage der Schul- und der Berufsausbildung im Vordergrund. Die deutschen Institutionen waren auf den wachsenden Anteil der türkischen, jugoslawischen, griechischen, spanischen, italienischen, portugiesischen Kinder nicht vorbereitet und ausgerichtet. Die Erwartung der Eltern, dass ihre Kinder im deutschen Bildungssystem herausfallen, bestätigte sich dann auch.

Die Arbeitslosigkeit unter den ausländischen Jugendlichen lag in den Ballungsgebieten bei über 20 Prozent. 90 Prozent verließen die Schule ohne qualifizierenden Abschluss, obwohl sie den größten Teil ihres Lebens in Dortmund verbrachten hatten oder hier geboren wurden.

Vertreter der griechischen Eltern mehrerer Städte in NRW und auch aus Dortmund traten am 29.05.1976 in den Hungerstreik, um auf die schulischen Probleme ihrer Kinder aufmerksam zu machen. Später richteten sich die griechischen Elternvereine in Zusammenarbeit mit den griechischen Institutionen eine eigene Schule ein, die bis heute noch von mehr 1.000 Schülern aus der Stadt Dortmund und Umgebung besucht wird.

Bereits Mitte der 1970er Jahre entstanden auch in Dortmund die ersten Initiativen, die die Bildungssituation der ausländischen Kinder durch sozialpädagogische Angebote, Elternarbeit und Öffentlichkeitsarbeit verbessern wollten. Im Dortmunder Norden gründeten sich studentische Initiativen, wie die Projektgruppe Bornstraße und das Projekt Oestermärschstraße.

Parallel dazu entstanden einige Arbeitskreise die auf Initiative des DGB z.B. in Eving mit den meist türkischen Beschäftigten, die auf ihre Situation aufmerksam machen wollten.

Immer mehr Migranten betätigten sich politisch, sei es in den selbstorganisierten nationalen Gruppen, in den Parteien, aber vor allem in den Gewerkschaften.

Nachdem Anfang der 1980er Jahre vermehrt Migranten vor allem in der Dortmund SPD aktiv wurden und vor allem die neu entstandene Partei – Die Grünen – begann das Thema Ausländer bzw. die multikulturelle Gesellschaft zu thematisieren. Jetzt wurden die Papiere der Ausländerkommission der SPD wieder aus der Schublade geholt und die Kommission selbst durch engagierte deutsche und ausländische Parteimitglieder wiederbelebt.

Diese Aktivisten tingelten förmlich unermüdlich durch die Ortsvereine und leisteten harte Überzeugungsarbeit für ihre politische Teilhabe. Vom baren Hass bis zu offenen, freundlichen und solidarischen Verhalten kam ihnen alles entgegen. Vor allem die Platzhirsche und Mandatsträger in den einzelnen Stadtbezirken fürchteten die Konkurrenz der frischen und engagierten Exoten.

Die Bewegung für das kommunale Ausländerwahlrecht kam dann auch richtig in Schwung. Ein wichtiger Initiator dieser Aktivitäten war die SPD-Ausländerkommission mit dem Vorsitzenden Sotirios Kolokythas.

Bei der Kommunalwahl 1984 stürmte eine Gruppe von ausländischen Aktivisten das Dietrich-Keuning-Haus im Dortmunder Norden, besetzte das Wahllokal und forderte lautstark und öffentlichkeitswirksam, auch wählen zu wollen.

Diese Aktion bildete den Höhepunkt der langjährigen Kampagne um das Kommunalwahlrecht für Ausländer in Dortmund.

Zeitgleich wollte das Bundesland Schleswig-Holstein durch das Gesetz zur Änderung des Gemeinde- und Kreiswahlgesetzes es Angehörigen der Staaten Dänemark, Irland, Niederlande, Norwegen, Schweden und Schweiz, die seit mindestens fünf Jahren berechtigt im Inland leben, gestatten, an Gemeinde- und Kreiswahlen teilzunehmen. Das gleiche hatte die Hamburger Bürgerschaft  auch schon propagiert.

Das passte der CDU/CSU Faktion im Bundestag gar nicht und sie reichte Normenkontroll-Anträge beim Bundesverfassungsgericht ein. Das höchste Gericht in Deutschland gab dem Antrag der CDU/CSU-Fraktion statt und erließ eine einstweilige Anordnung gegen den Vorstoß von Schleswig-Holstein und setzte deren Gesetz aus.

Damit war erst einmal die Luft auch in Dortmund aus dem Kampf um das Wahlrecht raus, der von Anfang an auch ein Kampf gegen die wachsende Fremdenfeindlichkeit in Dortmund, die damals vor allem von der Borussenfront bzw. FAP ausging, sein sollte.

Das Bundesverfassungsgericht entschied später in der Hauptsache und erklärte dieses Gesetz mit Urteil vom 31. Oktober 1990 jedoch für unvereinbar mit Art. 28 Abs. 1 Satz 2 Grundgesetz, der sagt, dass  das „Volk“, das nach dieser Vorschrift in den Ländern, Kreisen und Gemeinden eine gewählte Vertretung haben muss, sei ebenso wie das Volk, von dem nach Art. 20 Abs. 2 GG alle Staatsgewalt ausgeht, nur das deutsche Volk, das Staatsvolk der Bundesrepublik Deutschland. Deswegen sei damit die Gewährung eines Kommunalwahlrechts für Ausländer ausgeschlossen.

 

Falls der aktuelle Vorstoß gelingen würde, wäre NRW wäre das erste Bundesland, das über den EU-Rechtsrahmen hinaus ein kommunales Ausländerwahlrecht einführen würde. Im Landtag wird für die Verankerung des Kommunalwahlrechts eine Zwei-Drittel -Mehrheit benötigt. Genau deshalb wird das Ganze scheitert – die CDU- und die FDP-Fraktion in Düsseldorf haben ihre Ablehnung für die Verankerung eines Kommunalwahlrechts für Nicht EU-Ausländer in der Landesverfassung schon angekündigt.

 

Bild: Vorsatz Verlag Dortmund