Die Arbeitszeiten in Deutschland sind hoch flexibel. Das zeigt sich nicht nur in einschlägigen Statistiken zu Abend-, Nacht-, Schicht und Wochenendarbeit, sondern auch beim Blick ins Arbeitszeitgesetz, das etwa die Ausweitung der täglichen Arbeitszeit auf zehn Stunden erlaubt.
Zahlreiche Tarifverträge sehen Arbeitszeit-Korridore vor und insbesondere mitbestimmte Großunternehmen verfügen ganz überwiegend über Arbeitszeitkonten. Hinzu kommt, dass nach Berechnungen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) im Jahr 2016 insgesamt 820 Millionen bezahlte und noch einmal 941 Millionen unbezahlte Überstunden geleistet wurden.
Gleichzeitig ist für viele Beschäftigte die psychische Belastung durch ihre Arbeit gestiegen, daraus resultierende Krankheitsbilder verursachen zunehmend mehr Fehltage.
„Das zeigt: Wir brauchen nicht noch mehr Entgrenzung von Arbeitszeiten, sondern Reformen, die auch den Beschäftigten einen größeren Anteil an der `Flexibilitätsrendite´ bringen“, sagt Dr. Yvonne Lott, Arbeitszeitexpertin der Hans-Böckler-Stiftung. Anforderungen der Arbeit und private Verpflichtungen und Bedürfnisse verlässlich unter einen Hut bringen zu können, sei unerlässlich für Gesundheit und Leistungsfähigkeit. „Arbeitgeber wollen gute Mitarbeiter gewinnen und im Unternehmen halten. Das gelingt nur, wenn sie auch auf deren Bedürfnisse eingehen – und zum Beispiel Möglichkeiten für zeitweilige Anpassungen der Arbeitszeit bieten und für ausreichend Personal sorgen, damit Vertretungen wirklich klappen. Es liegt also auch im Interesse der Unternehmen, die Arbeit so zu organisieren, dass Mitarbeiter nicht überfordert werden“, so Lott.
Dabei weist die Forscherin auf ein bislang ungelöstes Problem hin: Flexible Arbeitszeiten und Teilzeitarbeit helfen dabei, Berufstätigkeit und Familie besser zu vereinbaren. Doch sie können zum Problem für die Gerechtigkeit auf dem Arbeitsmarkt werden, wenn sie nur von bestimmten Beschäftigtengruppen genutzt werden und gleichzeitig negative Konsequenzen für das berufliche Fortkommen haben. Erst wenn flexible Arbeitszeiten unabhängig von Geschlecht, Qualifikation oder Hierarchiestufe zur Normalität würden, ließen sich Nebenwirkungen wie die Verstärkung sozialer Ungleichheiten abstellen. Deshalb sei es ein kluger Ansatz, Möglichkeiten zur Arbeitszeitanpassung tariflich zu regeln.
Über die folgenden Links finden Sie Zusammenfassungen von aktuellen Studien zum Thema sowie zu Interviews und Beiträgen unserer Expertin:
- „Das ist keine Luxusdebatte, wenn wir uns die Krankenstände angucken.“ Warum die Vereinbarkeit von Job und Leben für Beschäftigte – und Arbeitgeber – immer wichtiger wird, erklärt Arbeitszeitforscherin Yvonne Lott.
- Extrem flexible Arbeitszeiten gehen häufig zulasten der Beschäftigten. Dabei sind die Folgen für Frauen andere als für Männer.
- Die Arbeitszeit soll flexibler und die Arbeitsgesetze deshalb gelockert werden. Das würde aber nur zu Überstunden und noch mehr Druck auf die Arbeitnehmer führen. Gastbeitrag von Yvonne Lott.
- Wenn Beschäftigte nachts oder im Schichtdienst arbeiten, leidet die Gesundheit. Ein wichtiger Grund sind Vereinbarkeitsprobleme. Ein zweiter die oft schlechte Organisation von Wechselschichten.
- Beschäftigte sollten ihre Arbeitszeit je nach Lebensphase anpassen dürfen. Doch oftmals ist das unerwünscht. Vor allem Männer und hochqualifizierte Beschäftigte bekommen Probleme, wenn sie zeitweise kürzer treten wollen. Die Gründe: mangelndes Verständnis, rigide Arbeitsorganisation und knappe Personalausstattung. Eckpunkte einer Personalpolitik, die Beschäftigten Spielräume eröffnet, skizziert diese Analyse .
- Bei der Arbeitszeit ermöglichen Tarifverträge viel Flexibilität. Die Interessen der Beschäftigten könnten zum Teil noch stärker verankert werden. Das zeigt eine Untersuchung des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung.
- Forscherin über Arbeitszeitregelungen: Wir haben schon genug Flexibilität.
- 80,8 Prozent der Teilzeitbeschäftigten waren 2015 Frauen. Auf Leitungspositionen wird Teilzeitarbeit von deutschen Unternehmen oft nicht möglich gemacht. Damit können flexible Arbeitszeiten zum Problem für die Gerechtigkeit auf dem Arbeitsmarkt werden.
- Termindruck, Arbeitsverdichtung, Stress: Nur in jedem vierten Betrieb werden systematische Maßnahmen gegen psychische Belastungen ergriffen, zeigt eine WSI-Studie.
- Frauen wenden erheblich mehr Zeit für Kindererziehung und Hausarbeit auf als Männer. Solange das so bleibt, ist eine Gleichstellung in Beruf und Gesellschaft nicht erreichbar.
- Eine zukunftsorientierte Gestaltung von Arbeitszeiten und mobiler Arbeit ist auch ein Schwerpunktthema im Abschlussbericht der Expertenkommission „Arbeit der Zukunft“ (Kapitel Arbeitszeit und Arbeitsorganisation).Kommission Arbeit der Zukunft
Quelle: Hans-Böckler-Stiftung, WSI Bild: wsi