Die massiven Einkommenseinbußen in den vergangenen Jahren und die extremen Steigerungen der Lebenshaltungskosten, haben dazu geführt, dass immer mehr Menschen ihre steigenden Mieten nicht mehr aufbringen können und von Obdachlosigkeit bedroht sind.
Im Jahr 2022 haben Gerichtsvollzieher rund 30.000 Zwangsräumungen vollstreckt, weitere 20.000 Aufträge, die Menschen aus ihren vier Wänden zu werfen, wurden nicht exekutiert. Mehr als 600.000 wohnungslose Menschen wurden 2022 statistisch erfasst, ein Anstieg um fast 60 Prozent im Vorjahresvergleich.
Eine Trendwende ist nicht in Sicht, denn die Mietpreise explodieren immer weiter und die Energiekosten bleiben hoch.
Den politischen Akteuren sind diese Zahlen bekannt, aber sie halten bewusst daran fest, dass Zwangsräumungen Bestandteil des nach ihren Vorstellungen funktionierenden Wohnungsmarktes sind. Sie kennen auch die Studien, die aussagen, dass dort, wo die Wohnungsnachfrage stark ansteigt, auch die Räumungsneigung der Vermieter zunimmt, weil es immer attraktiver wird, nach der Räumung vom neuen Mieter eine viel höhere Miete zu verlangen.
Parallel dazu ist durch rigoroses Sparen der öffentlichen Hand das staatliche Hilfesystem zur Vermeidung von Räumung und Obdachlosigkeit massiv heruntergefahren worden und die hilfesuchenden Menschen sind sich selbst überlassen.
Einen Vorstoß der Linksfraktion im Bundestag, auch Zwangsräumungen in der Krise per Gesetz zu verbieten, lehnten alle anderen im Bundestag vertretenen Parteien, außer die Grünen, im Januar 2021 ab.
Rund 30.000 Zwangsräumungen im Jahr 2022
Es passiert im Schnitt 80 Mal pro Tag, dass Menschen ihren Wohnraum unter Anwendung unmittelbaren Zwangs verlieren. Im vergangenen Jahr haben Gerichtsvollzieher hierzulande knapp 30.000 Zwangsräumungen vollstreckt.
Bis zum Jahr 2019 wurden nur die Zahlen der Vollstreckungsaufträge, nicht aber die der tatsächlich durchgeführten Zwangsräumungen statistisch erfasst. Das erschwerte in der Vergangenheit die unmittelbare Vergleichbarkeit. Die Zahl der Zwangsvollstreckungsaufträge lag in den vergangenen Jahren beständig über 50.000. Das Land Bayern hatte diese Statistik nie erhoben. Deswegen lag die Zahl der Anträge tatsächlich noch darüber.
Seit drei Jahren erhebt nun die Bundesregierung über die Länder die Zahlen der durchgeführten Zwangsräumungen. Im Jahr 2022 sind rund 30.000 Wohnungen in Deutschland zwangsgeräumt worden. Die meisten Zwangsräumungen gab es mit 8.656 in Nordrhein-Westfalen, gefolgt von Bayern (3.432), Sachsen (2.667), Niedersachsen (2.285), Hessen (1.915), Baden-Württemberg (1.751), Berlin (1.668) und Sachsen-Anhalt (1.173). Es folgten Brandenburg (1.104), Rheinland-Pfalz (960), Hamburg (921), Mecklenburg-Vorpommern (873), Thüringen (855), Bremen (455) und das Saarland (286).
Eine Ursache für die Zwangsräumungen ist die Privatisierung des Wohnungsbestandes
Große Teile des Wohnungsbestandes der öffentlichen Hand und kommunalen Unternehmen wurden privatisiert und von den neuen Eigentümern unter Finanzmarktaspekten optimiert. Steigende Zwangsräumungen, meist mit der Obdachlosigkeit in der Folge, Verdrängung der Mieter aus gewachsenen Wohngebieten, Explosion der Mieten und Nebenkosten und fehlender Wohnraum sind Zeichen dafür, dass ein entspannter Wohnungsmarkt in Deutschland längst der Vergangenheit angehört.
Das Geschäft mit Wohnungen wird deshalb immer rentabler, weil die Nachfrage nach günstigem Wohnraum kräftig ansteigt. Die Vermieter sind nicht mehr auf die Einkommensschwachen, prekär Beschäftigten und Menschen die Hartz-IV/Bürgergeld oder Wohngeld beziehen, angewiesen. Die Verlierer sind vor allem die Menschen, die bislang auf den Schutz des Sozialstaates angewiesen waren. Doch genau in dieser Situation und in diesem Aufgabenbereich versagen die staatlichen Stellen, sind mehr oder weniger nutzlos geworden und verschärfen sogar noch das Wohnungsproblem. Das staatliche Korrektiv zum Markt ist zu dessen Spielball geworden.
Am Beispiel der wachsenden Zwangsräumungen wird das Versagen der staatlichen Hilfen deutlich.
Wohnungen als Ware
Seit einigen Jahrzehnten ist zum potenziellen Investment geworden, was vorher entweder keine Ware oder strengen Regulierungen unterworfen war. Seien es (öffentliche) Wohnungen, Güter der Daseinsvorsorge, Gesundheit, Nahrungsmittel, landwirtschaftlicher Boden, CO2-Emmissionen und vieles mehr. Auch Immobilien, unabhängig davon, ob es sich um Wohn- oder Gewerbeimmobilien handelt, haben den Status eines Finanzprodukts erhalten und unterliegen einer Finanzialisierung.
Für die Unternehmen der Immobilienwirtschaft ist der Soziale Wohnungsbau unattraktiv geworden. Im Vergleich zum frei finanzierten Wohnungsbau gibt es geringere Rendite, Mietpreisbindungen und eine abschreckende Wirkung des Mieterklientels. Der Soziale Wohnungsbau ist so faktisch zum Erliegen gekommen und für Finanzinvestoren lohnt sich der Aufkauf ganzer Pakete von Mietwohnungsbeständen, begleitet von den großzügigen Gewinnversprechen der Hedgefonds.
Was passiert, wenn dann noch die Folgen einer verfehlten Wohnungspolitik hinzukommen, ist derzeit vor allem in den Ballungsgebieten und Universitätsstädten zu beobachten.
Zahl der Sozialwohnungen sinkt – Zahl der Wohnberechtigungsscheine steigt
Die Zahl der Sozialwohnungen sinkt beständig. Während 1987 noch 25 Sozialwohnungen auf 100 Mieterhaushalte kamen, sind es heute nur noch fünf. Gegenüber dem Jahr 2007 hat sich die Anzahl der Sozialwohnung fast halbiert, im Jahr 2021 gab es bundesweit nur noch 1,1 Millionen.
Rein rechnerisch ist allein im vergangenen Jahr alle 19 Minuten eine Wohnung vom Sozialwohnungsmarkt verschwunden, weil sie aus der Sozialbindung heraus fiel, aber nur alle 25 Minuten kam eine durch Neubau hinzu.
Allein um die Entwicklung aufzuhalten, werden rund 100.000 neue Sozialwohnungen pro Jahr benötigt. Um diese Anzahl zu fördern, müssten Bund und Länder zusammen mindestens 12,5 Milliarden Euro pro Jahr bereitstellen.
Nach wie vor wird für den Einzug in eine Sozialwohnung der Wohnberechtigungsschein benötigt. Mit ihm wird der Anspruch aufgrund des Einkommens dokumentiert. Rund 40 Prozent der 22 Millionen Mieterhaushalte haben derzeit einen Anspruch auf das Dokument, doch werden für diese 8,8 Millionen Mieterhaushalte nur noch die 1,1 Millionen Sozialwohnungen bereitgestellt. Auch ist die Zahl der Mieter, die in Wohnungen von Genossenschaften oder Stiftungen als gut funktionierendes Gegenmodell zu den Privatwohnungen leben, auf nur 9 Prozent geschrumpft.
Krise des Hilfesystems
Die Studie „Zwangsräumungen und die Krise des Hilfesystems“ deckte den Skandal der massenhaften Zwangsräumungen am Beispiel von Berlin auf. Dort gibt es noch nicht einmal ein umfassendes Berichtswesen bzw. Statistiken dazu. Die Studie zeigt auf, dass der Sozialstaat auf diesem Feld nicht nur hilflos, sondern sogar nutzlos ist und dass er das Wohnungsproblem noch verschärft. Obwohl der Staat eigentlich das Ziel haben müsste, Zwangsräumungen zu verhindern und Miet- und Energiekosten der Menschen, die staatliche Hilfe erhalten, zu übernehmen, um die Wohnungslosigkeit zu verhindern, werden die Anträge dafür in den finanzschwachen Bezirken Berlins zu 85 Prozent abgelehnt.
Auch in den Ruhrgebietsstädten hat sich hier einiges geändert. Kommunale Mietbeihilfen gibt es schon lange nicht mehr. Bei den Darlehen ist man richtig knauserig geworden und droht auch schon mal der alleinerziehenden Mutter von drei Kindern mit dem Jugendamt, da sie nicht haushalten könne, eine Rabenmutter sei, die Miet- und Energieschulden auflaufen ließe.
Die in den staatlichen Leistungen festgelegten Sätze für die Wohnungsmiete halten schon lange nicht mehr mit der Entwicklung auf dem Wohnungsmarkt Schritt. Immer mehr Bezieher von Arbeitslosengeld 2 und Grundsicherung bekommen vom Staat weniger Geld für die Miete, als sie tatsächlich bezahlen müssen und rutschen in die Überschuldung, die ein weiterer Schritt in die Zwangsräumung ist. Wenn die Schulden zu groß geworden sind, die Klage gegen eine Räumung vergeblich war, greift in den großen Städten der früher noch funktionierende Räumungsvollstreckungsschutz immer seltener. Die Menschen werden zunehmend schneller geräumt.
Obwohl die Kommune offiziell verpflichtet ist, die wohnungslosen Menschen unterzubringen, ist das in der Praxis immer öfter gar nicht möglich, weil die Wohnheime oder vorgehaltenen Wohnungen, die zur kurzfristigen Unterbringung gedacht sind, mit dauerhaft dort wohnenden Menschen belegt sind. Auch hier wittern Geschäftemacher schnelles Geld und bieten den Kommunen Plätze in ihren privatwirtschaftlich betriebenen Wohnheimen an – die Bewohner dürfen sie selbst aussuchen und eben auch die Aufnahme verweigern.
Den Weg aus dieser Situation heraus können staatliche Stellen kaum noch bieten, da es auch mittlerweile eine geänderte Wohnungsvergabepraxis gibt. Regelmäßig verlangen die Wohnungsunternehmen und Privatvermieter eine Schufa-Auskunft, nehmen keine Mieter mit früheren Mietschulden oder solche, die das Insolvenzverfahren durchlaufen und achten auch auf vorherige gute oder schlechte Meldeadressen. Also gerade von Menschen, die wegen Mietschulden wohnungslos sind, wird als Voraussetzung für ein neues Mietverhältnis, der Nachweis über ein mietschuldenfreies Vorleben verlangt.
Das Dilemma wird noch durch den Schlendrian in den kommunalen Behörden verschärft, wie die unglaublich langen Bearbeitungszeiten von Anträgen von bis zu einem Jahr. Zu spät ausgezahlte Hilfen führen immer öfter zu Wohnungsverlusten, denn ist ein Mieter mit zwei Monatsmieten in Zahlungsrückstand, ist das bereits ein Grund für die fristlose Kündigung.
Ebenso tragen die Jobcenter ihr Scherflein zur Misere der Zwangsräumungen bei. Sie treiben die Mieten in die Höhe, indem sie Umzüge in günstigere Wohnungen in den „Problemstadtteilen“ erzwingen und die Vermieter für die frei gewordenen Wohnungen einen neuen Mietvertrag mit höherer Miete abschließen können.
Wohngeld ist Teil des Problems
Zu einem weiteren Stolperstein in der Wohnungspolitik hat sich das Wohngeld entwickelt. Mieter, die keine Transferleistungen erhalten, können den Mietzuschuss beim Wohnungsamt beantragen. Wie groß der Bedarf ist, zeigen die Gesamtkosten von Bund und Ländern: Von 680 Millionen Euro im Jahr 2015 stieg die Auszahlung im vergangenen Jahr auf 1,31 Milliarden. Das Wohngeld fließt wie die anderen Mietzuschüsse auch, direkt in die Taschen der Vermieter und legitimiert die hohen Mieten noch.
Besser wäre es, von den subjektiven auf die objektiven Ausgaben zu wechseln, anstatt die Einzelmieter und damit die Vermieter zu unterstützen, sollte das Geld für den Bau von Wohnungen mit geringen Mieten verwendet werden.
Steigt die Wohnungsnachfrage – nimmt die Räumungsneigung zu
Eine bisherige Annahme wird durch die Berliner Studie belegt: Dort, wo die Wohnungsnachfrage stark ansteigt, nimmt auch die Räumungsneigung der Vermieter zu, weil es immer attraktiver wird, nach der Räumung vom neuen Mieter eine viel höhere Miete zu verlangen. Deutlich wurde auch, dass das staatliche Hilfesystem Diskriminierung und Isolation der Hilfesuchenden noch befördert, da die einen vom Verwaltungspersonal alleingelassen werden und keine Unterstützung erfahren, die anderen werden willkürlich bevorzugt. Da läuft dann der gleiche Ausleseprozess wie auf dem Wohnungsmarkt selbst ab.
Als Fazit der Studie bleibt, dass das staatliche Hilfesystem nur bei einem entspannten Wohnungsmarkt rund läuft, eben nur dann, solange die Vermieter mit den Wohnungen auf die einkommensschwachen Menschen angewiesen sind. Die Vermieter schlagen immer häufiger die Übernahme von Mietschulden durch die Kommune aus und vermieten neu, weil auf dem „freien Markt“ der Profit viel größer ist.
Die fatale Entwicklung in der Wohnungspolitik, wie sie in Berlin durch die Studie offenkundig wurde, ist aber auch auf andere Ballungsgebiete und Universitätsstädte übertragbar.
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Quellen: Anfrage der Linksfraktion, Studie Zwangsräumungen und die Krise des Hilfesystems, konkret, WAZ, Pestel-Institut, Dt. Mieterbund Bild: stadtmission-nürnberg