Es muss Anfang der 1980er Jahre gewesen sein, da nahm der Autor allen Mut zusammen und gab dem selbstherrlichen Leiter des Dietrich Keuning Haus/Begegnungszentrum Nord vor den für den Abend dienstverpflichteten rund 50 pädagogischen Fachkräften der Stadt Dortmund kontra.
Seine Fragen lauteten, welche Auswirkungen das riesige Haus mit seiner generationen- übergreifenden Konzeption für die Angebote und die Initiativen im soziokulturellen und pädagogischen Bereich der Nordstadt haben würde, auch auf die zukünftige Anerkennung als Träger der Jugendhilfe durch die Jugendverwaltung/politik und ob noch weitere wohnbereichsbezogene Jugendfreizeitstätten, wie die in der Schützenstraße geschlossen würden, weil der Riese vieles abdecken, effektiver arbeiten und damit billiger sein sollte.
Dem Leiter des neuen Zentrums stieg die Zornesröte ins Gesicht und er machte den schon äußerlich als jungen Mann aus dem linksalternativen Milieu erkennbar, zur Minna. Dem kam niemand zur Hilfe, denn der Leiter des Keuninghauses war dafür bekannt, niemals so etwas zu vergessen und fürchterlich nachtragend zu sein.
Das große Zentrum machte dann alle Mainstreams der Jugendhilfe und Pädagogik mit, von dem Abbau der offenen Kinder- und Jugendarbeit, über die Kulturarbeit, der multikulturellen Arbeit bis zur Aufsichtserziehung mit eingestellten Security-Leuten.
Vorläufiges Ende der Entwicklung ist die Idee der neuen Leitung und des Programmmanagements, einen Zaun um einen Teil der Einrichtung zu ziehen, der die unliebsamen Menschen erst gar nicht hineinlässt und die Kinder- und Jugendlichen im Betreuungsangebot von der Außenwelt abschottet. Sie meinen, dass sie um den Zaun nicht rumkommen, da die Zukunftsfähigkeit des Hauses sonst gefährdet ist.
Nun liegt der Entwurf vor und bildet einen Höhepunkt in der Geschichte des Keuninghauses in der Dortmunder Nordstadt.
Als das Dietrich Keuning Haus errichtet wurde, war es Anfang der 1980er Jahre eines der modernsten Häuser in NRW. Was die Einrichtung selbst betraf, stimmte dies auch, aber auch der neue „generationenübergreifende Ansatz“ sollte etwas Neues sein und sich gegen die herkömmlichen Kinder- und Jugendeinrichtungen, Erwachsenenbildungs- und Alteneinrichtungen abgrenzen und alles unter einem Dach anbieten, nationalitätenübergreifend, mit Stadtteilbezug, familienfreundlichem Schwimmbad und großem Sport und Fitnessbeich.
Rückblickend gesehen, war es nicht weit her mit dem moderne Ansatz in der Arbeit des Hauses. Es wurde konzeptionell nämlich auf alle Wellen in der pädagogischen und gemeinwesenorientierten Arbeit aufgesprungen.
Um die Konflikte, die bei einer offen ausgerichteten Jugendarbeit mit einem situativen Ansatz auftreten können, erst gar nicht austragen zu müssen, wurde dankbar auf die Jugendkulturarbeit, die Mitte der 1980er in der Jugendarbeit en vogue war, mit festen Interessengruppen, gesetzt. Der niederschwellige, offene Ansatz konnte so zurückgefahren werden.
Gab es dann doch Konflikte zwischen Pädagogen und den sogenannten schwierigen Jugendlichen, wurde die Polizei geholt und Hausverbote ausgesprochen – ein absolutes No-Go in der damaligen Jugendarbeit, da so bei den jungen Menschen ein Vertrauensverhältnis zu den erwachsenen Jugendarbeitern erst gar nicht aufkommen konnte und eine qualifizierte Jugendberatungsarbeit von vornherein ausgeschlossen war.
Auch die konfliktträchtige Zusammenarbeit zwischen Senioren- und Jugendbereich wurde immer wieder zugunsten der Platzhirsche unter den älteren Besuchern und zu Lasten der Jugendlichen ausgetragen, flankiert von Polizeieinsätzen und baulicher Trennung der beiden Bereiche in der Folge.
Im Kern ging es bei der städtischen Jugendarbeit immer darum, das dreifache Mandat der Sozialen Arbeit/Sozialpädagogik, wie
- sozialanwaltschaftliche Ermöglichung und Wahrung der individuellen Autonomie,
- Ermöglichung der gesellschaftlichen Teilhabe,
sowie
- die Reflexionsfähigkeit der eigenen Situation unter den gegebenen gesellschaftlichen Verhältnissen
auf den Aspekt der Integration zu reduzieren, und zwar im Sinne eines nur funktionalen Anpassungsverständnisses. Das galt in der Umsetzung dieser Sozialpädagogik sowohl für deren Adressaten, die Jugendlichen, wie auch für die pädagogischen Fachkräfte selbst. Damit dann alles möglichst konfliktlos abläuft. Aber wenn nicht, dann muss das staatliche Gewaltmonopol zu Hilfe genommen oder Zäune gebaut werden.
Es bereitet auch keinem der Beteiligten irgendwelche Bauchschmerzen, dass seit einigen Jahren im und außerhalb des Hauses auf Security Kräfte gesetzt wird, die die wichtigsten Stellen wie Pforte und Eingangsbereich eingenommen haben.
Der stadtteilorientierte Ansatz beschränkte sich schnell auf einen Informations- und Bastelstand des Hauses bei den Statteilfesten, der Durchführung von Großveranstaltungen für die Stadtteilbewohner und man stellte Räume oder die Agora für Gruppen zur Verfügung. Neue Impulse kamen auch in die zahlreichen Arbeitskreise der Nordstadt durch das Keunighaus nicht hinein – man hielt sich als städtische Einrichtung lieber bedeckt.
Mit dem rasanten Absturz der politischen Parteien der Nordstadt in die Bedeutungslosigkeit, gefolgt von den Gewerkschaften, verlor das Haus auch die Funktion des politischen Treffpunkts und als Veranstaltungsort. Nur zur Erinnerung, der Namensgeber des Hauses, Dietrich Keuning, war engagierter Gewerkschafter und Betriebsratsvorsitzender der Dortmund-Hörder Hüttenunion AG. In einem Gespräch mit der Hausleitung vor 2 Jahren zeigte diese kein Interesse an der Wiederbelebung des Gewerkschaftsgeistes und mehr gewerkschaftliche Programmausrichtung im großen Begegnungszentrum der Nordstadt.
Als dann in Dortmund die Sicherheitspolitik zu einem der wichtigsten Themen geworden war, war Sicherheit und Kriminalitätsbekämpfung dann auch Thema im Keuninghaus, vor allem wurde das „kriminalitätsbelastete Umfeld“ thematisiert.
Da wurde dann geklotzt, deftige Parolen gedroschen und die Rede war von „Spannern und Säufern. Grölenden Saufgelagen. Drogensumpf der kriminellen Drogenbanden. Vandalen. Wildpinklern und organisierten Strukturen“.
In den Chor stimmte der neue Leiter des Hauses ein und machte sich Sorgen: „Wir kommen um den Zaun nicht rum, die Zukunftsfähigkeit des Hauses ist gefährdet. Wir möchten den Eltern, die ihre Kinder ins Haus schicken, in die Augen schauen und ihnen sagen können, dass ihre Kinder hier sicher sind. Das kann ich im Moment nicht behaupten“.
Letztens wurden die Büsche und Sträucher im Umfeld des Hauses gestutzt, um den Sicherheitskräften freie Sicht zu geben und die Parkbesucher auf den Präsentierteller zu stellen.
Aktuell soll nun die Neugestaltung dem „kriminalitätsbelasteten Umfeld“ entgegenwirken, so eine Entwicklung kann nur mit einem Zaun enden..
Die geplante Einzäunung bedeutet nicht nur die Bankrotterklärung für eine fachliche Kinder- und Jugendarbeit, auch für die Nordstadtbewohner ist das nicht nur eine Abrieglung des Durchgangs zum Hauptbahnhof, sondern schränkt sie viel weiter ein. Das Keuninghaus war schon immer auch die Verteilerfläche für die Nordstadt, hier zweigen die Wege nach allen Himmelsrichtungen ab.
Die Geschichte vom offenen stadtteilorientierten Kinder- und Jugendhaus zum eingezäunten Kinder- und Jugendgehege zeigt, dass eine Jugendbewegung in Dortmund ab Mitte 1970er Jahre schon vorbei war und keinen Einfluss mehr nahm. An ihre Stelle kam die einbetonierte, umzäunte und trostlose Jugendpolitik in Dortmund der letzten 40 Jahre, die die ganzen Jahre hindurch von einer ebenso starren Jugendverwaltung mit ihren Skandälchen begleitet wurde.
Wie schön wäre es gewesen, wenn der Autor das alles schon Anfang der 1980er Jahre gewusst hätte, als ihn der damalige Leiter des Keunighauses erbarmungslos niedermachte.
Quelle: WAZ
Bild: dkh/bzn