Von aktion ./. arbeitsunrecht e.V.
„Die aktion ./. arbeitsunrecht verteidigt seit ihrer Gründung im Jahr 2014 Beschäftigte und Betriebsratsmitglieder, die systematischen Angriffe durch Unternehmer und spezialisierte Dienstleister ausgesetzt sind (Union Busting). Im vorliegenden Dokument haben wir Missstände im Arbeitsrecht, in der Rechtsprechung und Strafverfolgung gesammelt, die unseren Mitgliedern seither aufgefallen sind. Daraus haben wir Forderungen und Reform-Vorschläge abgeleitet und im Vereinsvorstand, mit interessierten Mitgliedern sowie befreundeten Arbeitsrechtlern diskutiert.
Es handelt sich bei der vorliegenden Sammlung weder um ein Grundsatzprogramm noch um ein utopisches Werk oder ein Manifest. Ebenso besteht kein Anspruch auf Vollständigkeit. Im Gegenteil: Wir haben uns in diesem Text auf die Stärkung der demokratischen Mitbestimmung und arbeitgeberunabhängigen Interessenvertretung im Betrieb konzentriert. (Wir hätten auch Vorschläge zur Eindämmung von Lohnraub und Lohndumping, Sozialabgaben-Betrug sowie „Arbeit auf Abruf“ und anderer Härten in petto.)
Was wir fordern, sind ganz praktische, scheinbar kleine Dinge, die sich konkret durch Gesetzgebung und Strafverfolgung ändern lassen. Wir treten damit an Parteien und Parlamentsfraktionen auf Bundes- und Landesebene heran, um zu sehen, was möglich ist. Wir werden auf dieser Grundlage Prüfsteine entwickeln, an denen wir in Zukunft Wahlprogramme und Koalitionsvereinbarungen messen.
Wir fordern alle Gewerkschafter, Betriebsratsmitglieder und interessierten Lohnabhängigen auf, mit uns über diese Forderungen in Dialog zu treten, sie weiter zu entwickeln und gemeinsam für ihre Durchsetzung zu streiten!
Viele Betriebsräte stehen unter Beschuss durch Union Buster. Neu-Gründungen von Betriebsräten sind ein riskantes Abenteuer.
Die Demokratie hinter deutschen Werkstoren ist insgesamt lückenhaft und verstümmelt:
- – Unternehmer-Kriminalität gegen Betriebsräte ist in Deutschland weitgehend straffrei.
- – Die Hemmschwelle für aggressionsbereite Unternehmer und skrupellose Dienstleister sinkt, der Rechtsnihilismus grassiert.
- – Schätzungsweise nur noch 9% aller Betriebe mit mehr als fünf Beschäftigten haben einen Betriebsrat.
- – Schätzungsweise nur noch 41% aller Beschäftigten werden durch einen Betriebsrat vertreten. (Dabei sind management-hörige, untätige, konflikt-unfähige Gremien mitgezählt.)
- – Genaue Zahlen zu Straftaten gegen Betriebsratsmitglieder, Behinderung ihrer Arbeit, Sabotage gegen Betriebsratswahlen und (gescheiterten) Neugründungen sind Mangelware. Das Feld ist weitgehend unerforscht.
Es ist Zeit, die Bedrohung von aktiven Betriebsräten schonungslos aufzuklären, die Ursachen klar zu benennen, das Ruder endlich herum zu reißen!
Die aktion ./. arbeitsunrecht präsentiert konstruktive Ansätze:
Wir fordern, folgende Punkte als machbare und realistische Sofortmaßnahmen umzusetzen:
- Verpflichtendes Melderegister für BR-Wahlen
Zur Anzahl der Betriebsräte in Deutschland gibt es derzeit nur Schätzungen, aber keine exakten Zahlen oder Übersichten (nach Branchen, Regionen oder Unternehmenstypen).6 Erst recht weiß niemand, wie viele Versuche von BR-Gründungen erfolgreich sabotiert wurden.
Ein verpflichtendes Melderegister kann der notwendigen Debatte um Betriebsräte und deren Rechte ein solides Fundament geben und Fehlentwicklungen aufzeigen. Gerade das Scheitern von BR-Gründungen und Zusammenbrechen von existierenden Gremien muss nachvollziehbar und erkennbar sein.
Vorbild könnte das Register der Gewerkschaftswahlen sein, welches in den USA von der Bundesbehörde für Arbeitsbeziehungen (Nation Labor Relations Board, NLRB) seit den 1930er Jahren (F. D. Roosevelt, New Deal) geführt wird.
Hierbei soll es sich keineswegs um eine bürokratische Hürde handeln, sondern um ein einfach auszufüllendes statistisches Werkzeug (Ort, Zeitpunkt, Anzahl der Wahlberechtigten, Kandidaten, Listen, Ergebnisse, externe Anwälte bzw. Berater). Falschangaben oder die Verweigerung von Angaben müssen allerdings mit empfindlichen Strafen belegt werden, um dem Register Geltung zu verschaffen.
Das Betriebsratsregister muss – ebenfalls nach US-Vorbild – die verpflichtende Meldung von externen Dienstleistern wie Lobbyisten, PR-Beratern, Anwälten samt ihrer Honorare enthalten.
In manchen Gewerkschaftsapparaten herrscht die Auffassung vor, ein solches Register sei nicht nötig, weil im BetrVG §18 (3) geschrieben stehe: „Dem Arbeitgeber und den im Betrieb vertretenen Gewerkschaften ist eine Abschrift der Wahlniederschrift zu übersenden.“ Diese Auffassung teilen wir aus folgenden Gründen nicht:
- Es gibt zahlreiche Betriebsräte, die nicht an eine Gewerkschaft angebunden sind.
- Die Bestimmung ist vage und – im Falle der Zuwiderhandlung – nicht mit spürbaren Konsequenzen versehen. Sie steht wirkungslos im Raum und dürfte gerade bei erfolgreichen Verhinderungen von BR-Gründungen systematisch missachtet werden, die ohnehin nach rechts-nihilistischen Methoden erfolgen.
- Die DGB-Gewerkschaften haben in der Vergangenheit keine erkennbaren Anstrengungen unternommen, eine reale, flächendeckende Erfassung von BR-Gremien zu bewerkstelligen, die über Schätzungen hinaus geht.
- Wenn schon die DGB-Gewerkschaften untereinander keine belastbaren Daten zur BR-Landschaft zusammentragen und auswerten, wie soll das im Zusammenspiel mit konkurrierenden Gewerkschaften gewährleistet werden (etwa berufsständischen Gewerkschaften wie Marburger Bund, GDL, IG Luftverkehr) oder gar „gelben“, wirtschaftsfriedlichen Gewerkschaften (AUB, CGM, DHV)?
- Das Melderegister sollte, soweit es datenschutztechnisch möglich ist, transparent sein; die versammelten Daten sollten prinzipiell für Forscher und interessierte Bürger zugänglich sein. Es handelt sich schließlich um demokratische Gremien und Wahlen. Daher macht es wenig Sinn, diese Daten als Privatbesitz von Organisationen mit Eigeninteressen zu behandeln.
Tatsächlich sind Betriebsräte und Gewerkschaften zwei voneinander getrennte Säulen. Die Erfassung der Betriebsratswahlen den (zum Teil konkurrierenden) Gewerkschaften zu überantworten, hat sich in den vergangenen Jahrzehnten als nicht praktikabel erwiesen.
- Arbeitsbeziehungen und Arbeitsrechte
Wir fordern die Einrichtung von Schwerpunktstaatsanwaltschaften für Arbeitsbeziehungen und Arbeitsrechte. Anders ist nicht absehbar, dass sich in der Strafverfolgung Kompetenzen und Ressourcen herausbilden, die nötig sind, um die Problematik zu bewältigen.
Es handelt sich bei Union Busting um ein komplexes Themenfeld, das nicht nur um §119 BetrVG (Betriebsratsbehinderung) kreist. Unternehmerkriminalität gegen Mitbestimmung und gewerkschaftliche Organisierung geht häufig einher mit anderen Vergehen und Delikten wie Steuerhinterziehung, Urkundenfälschung (z.B. manipulierte Stundenabrechungen), Lohnraub, Sozialabgaben-Betrug, Verstoß gegen das Mindestlohngesetz, das Arbeitnehmer-Entsendegesetz, die Ausnutzung von betrügerischen Firmen-Konstrukten (dubiose Sub-Sub-Unternehmen, Verlagerung in Steuer-Oasen), Nötigung, Erpressung, Diskriminierung, falsche Verdächtigung, Bestechung (z.B. durch Höhergruppierung), Prozessbetrug, (psychische) Körperverletzung.
Wenn kein Betriebsrat und keine Gewerkschaft als Korrektiv vor Ort ist, gibt es intern keine Aufsichtsfunktion. Oft richtet sich die geballte Aggression des Managements genau deshalb gegen Betriebsräte: Weil sie potentielle Whistleblower und innerbetriebliche Kritiker der oben beschriebenen Machenschaften sind.
Schwerpunktstaatsanwaltschaften auf Länderebene könnten eine dringend nötige Schub-Umkehr in der Ermittlungstätigkeit bewirken. Als Beispiel können die erfolgreichen Ermittlungen gegen Steuerhinterziehung dienen. Auch diese kamen erst nach der Einrichtung von Schwerpunktstaatsanwaltschaften für Wirtschaftskriminalität in NRW und anderen Bundesländern in Gang.
- Meldepflicht von Staatsanwaltschaften zu Strafanzeigen nach §119 BetrVG
Ohne eine Meldepflicht gibt es keinerlei verlässliche Daten, in welchem Ausmaß und ob überhaupt Strafanzeigen nach §119 gestellt werden. Eine solche Meldepflicht ist unabdingbar, um den Rechtnihilismus in den Betrieben zu dokumentieren. Die Generalstaatsanwaltschaften der Bundesländer haben auf Anfrage valide Zahlen zu Behinderung der Betriebsratsarbeit zu nennen.
- Reform des Betriebsverfassungsgesetzes (BetrVG)
4.1. §1 Verpflichtende Wahlen
Bislang heißt es „In Betrieben mit in der Regel mindestens fünf ständigen wahlberechtigten Arbeitnehmern, von denen drei wählbar sind, werden Betriebsräte gewählt.“ Die Verbform „werden gewählt“ ist schwammig und wird irrtümlicherweise als „Kann-Bestimmung“ interpretiert. Der Gesetzestext soll wie folgt geändert werden: „… sind Betriebsratswahlen abzuhalten. Finden sich im Betrieb keine Beschäftigten, die einen Wahlvorstand bilden, wird dieser vom Arbeitsgericht eingesetzt.“
4.2. Kündigungsschutz für Betriebsratsmitglieder schärfen
Hierzu sollen §103 BetrVG und das Arbeitsgerichtgsgesetz (ArbGG) ergänzt und sprachlich geschärft werden:
- a) Die ordentliche Kündigung von Betriebsräten (…) ist unzulässig.
- b) Eine außerordentliche Kündigung darf nicht im Rahmen eines bloßen Verdachtes ausgesprochen werden. Zulässig sind ausschließlich Tatbestandskündigungen.
- c) Eine Anhörung des Betriebsrates (…) ist nicht erforderlich, stattdessen muss ein Arbeitgeber, der einen Betriebsrat (…) kündigen will, sofort ein Zustimmungsersetzungsverfahren einleiten. Der oder die Betroffene sowie der Betriebsrat werden vor Einleiten des gerichtlichen Verfahrens informiert.
- d) Die Beweislast liegt unumkehrbar beim Arbeitgeber. Für die Betroffenen gelten auch die sonstigen juristischen Grundsätze wie „in dubio pro reo“ (Im Zweifel für den Angeklagten) und die Unschuldsvermutung.
- e) Kündigungs-Risiko bei geplanter Betriebsrats-Gründung: Beschäftigte müssen unter Kündigungsschutz gestellt werden, sobald sie ihre Absicht ankündigen, einen Betriebsrat zu gründen – und nicht erst, wenn sich ein Wahlvorstand konstituiert hat.
4.3. §119 BetrVG | Betriebratsbehinderung als Offizialdelikt
- a) Behinderung konkretisieren
Der §119 BetrVG stellt die Behinderung und systematische Beeinflussung von Betriebsratswahlen und Betriebsratsarbeit unter Strafe. Das ist gut so. Aber das Gesetz hat einige praktische Mängel. Allen voran ist es zu allgemein formuliert. Strafrechtliche Vergehen müssen konkret aufgelistet sein, damit sie überhaupt geahndet werden können. Dazu gehören:
- die Anleitung, Förderung, Bildung, Begünstigung und Finanzierung von Betriebsratslisten durch die Unternehmensleitung bzw. deren Beauftragte,
- die Anleitung, Förderung, Begünstigung von Unterschriftensammlungen gegen Betriebsräte und Gewerkschaftsmitglieder durch die Unternehmensleitung bzw. deren Beauftragte,
- juristisches Stalking durch Wellen substanzloser, konstruierter und aus Motiven der Vergeltung oder Maßregelung eingesetzter Abmahnungen und Kündigungsversuche,
- Schikanen am Arbeitsplatz,
- Ungleichbehandlung am Arbeitsplatz,
- die systematische Verweigerung zustehender Leistungen wie Lohn, Urlaub etc.
- b) Der Versuch ist strafbar
In Strafverfolgung und Rechtsprechung hat sich eine Lesart durchgesetzt, nach der Betriebsratsbehinderung ein so genanntes „Erfolgsdelikt“ sei. Der bloße Versuch ist nach dieser Auffassung nicht strafbar. Um Unklarheiten zu beseitigen muss daher der Satz „Der Versuch ist strafbar.“ in den Gesetzestext eingefügt werden.
- c) Offizialdelikt statt eingeschränktem Antragsdelikt
Es ist nicht einzusehen, warum bislang nur Betriebsratsgremien und Gewerkschaften Verstöße gegen §119 BetrVG zur Anzeige bringen können. Die Behinderung und gezielte Beeinflussung von Betriebsratsarbeit und Betriebsratswahlen muss zu einem Offizialdelikt werden. Außerdem dürfen diese Delikte nicht länger als Vergehen, sondern müssen als Straftat bewertet werden. Betriebsratsbehinderung ist erstens in hohem Maße sozial schädlich und daher von hohem öffentlichem Interesse, zweitens stehen die Opfer und ihre Kollegen als Lohnabhängige in besonderer Abhängigkeit zu den Tätern – die sich zumeist aus dem Kreis der Vorgesetzten und Personalverantwortlichen sowie deren Dienstleistern rekrutieren.
Die Opfer bedürfen daher eines besonderen Schutzes, damit ihre Rechte gewahrt bleiben.
Wenn Betriebsratsbehinderung zu einem Offizialdelikt wird, muss die Staatsanwaltschaft Ermittlungen aufnehmen, sobald sie Kenntnis erhält. Somit werden aber auch Dritte in die Lage versetzt, entsprechende Delikte anzuzeigen.
- d) Verankerung des §119 BetrVG im Strafgesetzbuch
Der §119 ist vermutlich der am wenigsten bekannte und verfolgte Straftatbestand in Deutschland. Das liegt auch daran, dass er sozusagen im BetrVG versteckt ist. Behinderung von Betriebsräten soll deshalb ins Strafgesetzbuch aufgenommen werden.
4.4. Verpflichtende Schulung für Betriebsratsmit glieder und -kandidaten
Die Unkenntnis vieler Betriebsratsmitglieder über ihre Rechte und Pflichten ist ein ernstes Problem. Ebenso hat sich eine Scheu ausgebreitet, die zustehenden Schulungen bzw. deren Bezahlung und Freistellung vom Unternehmer einzufordern und durchzusetzen.
Es ist erschreckend, wie wenig Betriebsräte rechtssicher sind. Der Unterschied zwischen Arbeitsgericht und Einigungsstelle ist kaum bekannt, geschweige die Unterscheidung von Klage- und Beschlussverfahren, der Begriff der Mitbestimmung kann kaum definiert werden, die Normenrechtspyramide ist kaum in den Köpfen. Über ILO-Normen und dazugehörige Verfahren herrscht beinahe vollständige Unkenntnis.
Dazu kommt der Unwille, sich konsequent schulen zu lassen.
Viele Betriebsräte werden erst nach vielen Monaten auf einem Seminar mit den maßgeblichen Rechten, Gesetzen und Urteilen, welche die eigentlichen Aufgaben und die Stellung des Betriebsrates als demokratisches Gremium definieren.
Schätzungsweise 80% der Neugewählten glauben felsenfest, sie seien als Wunscherfüller der ArbeitnehmerInnen und als Kummerkasten bei Konflikten gewählt und müssten sich den Interessen von ArbeitnehmerInnen und Arbeitgeber gleichermaßen widmen.
Noch schlimmer ist es bei denen, die im Laufe ihrer Amtszeit kein einziges Seminar besuchen. Nach Erhebungen der Hans-Böckler-Stiftung sind dies immerhin fast 40%
Wir fordern daher:
- a) Neu gewählte Betriebsratsmitglieder sollen verpflichtet sein und in die Lage versetzt werden, innerhalb der ersten 12 Monate mindestens 4 Seminare zu besuchen, in denen Grund- und Aufbauwissen zur BR-Arbeit vermittelt wird (§ 37 (6) BetrVG).
- b) Schulungen des Betriebsrates gehen vor betriebliche Notwendigkeiten. Ein Recht zur Ablehnung einer Kostenübernahme bei Schulungen des BR von Seiten des Arbeitgebers besteht nicht.
- c) Sieht ein Arbeitgeber eine Schulung des Betriebsrates nicht als erforderlich, muss er die Einigungsstelle anrufen (so steht es schon im Gesetz, die Realität zeigt jedoch, dass sich die Gerichte gerne damit befassen und auch gerne mal den BR´s das Recht auf Schulung abstreiten).
- d) Für die Durchführung der Schulung hat das Anrufen der Einigungs-Stelle keine aufschiebende Wirkung.
4.5. Untätige und management-gesteuerte Betriebsräte
Betriebsräte, die untätig sind oder als verlängerter Arm der Geschäftsleitung fungieren, stellen ein ebenso großes Problem für eine unabhängige Interessenvertretung der Lohnabhängigen dar wie das brachiale Plattmachen von BR-Gremien oder einzelnen Mitgliedern. Möglicherweise ist das geschmeidige Einwickeln und schrittweise Korrumpieren von Gremien sogar die effizientere Herrschaftsmethode.
Um die gezielte Vereinnahmung von Betriebsräten durch das Management bis hin zur Korruption zu unterbinden bzw. entscheidend zu erschweren, fordern wir folgende Regelung:
4.5.1. Erhöhte Abfindungen gelten als Bestechung
Betriebsratsmitglieder dürfen Kraft ihres Amtes keine höheren Abfindungen erhalten. Denn eine solche Praxis führt Personalmanager und Betriebsräte auf den falschen Weg und begünstigt spezialisierte Anwälte, die das Arbeitsrecht als Vergleichsrecht umdeuten: Betriebsräte werden so lange mürbe gemacht, bis sie eine Abfindung annehmen, einzelne BR-Mitglieder spekulieren genau darauf und treiben die Abfindungssumme in die Höhe. Ein Amt und demokratische Grundrechte zu verkaufen ist unmoralisch; eine solche Praxis gibt ein negatives Beispiel und untergräbt die demokratische Kultur. Erhöhte Abfindungen sollen deshalb als Form der Korruption gewertet und entsprechend sanktioniert werden. Ebenso sollen Betriebsratsmitglieder aufgrund ihres Amtes keine höheren Gehälter, Höhergruppierung, Sonderzahlungen oder geldwerte Vorteile erhalten.
4.6. Stalking: juristische Nachstellung, Maßregelungen und Vergeltungsmaßnahmen ächten
Ein grundlegendes Problem bei der Verteidigung von Betriebsratsmitgliedern ist die Asymmetrie des Konflikts zwischen Unternehmensleitung und Betriebsrat – also die Ungleichheit der zur Verfügung stehenden Möglichkeiten und Ressourcen.
Aggressive Unternehmer und ihre findigen Berater können wöchentlich, mitunter täglich neue Abmahnungen, Kündigungen, Schikanen, Lohnkürzungen etc. aus dem Hut zaubern und über ihre Anwälte in Gang setzen. Betriebsräten und Gewerkschaften bleibt derzeit nur die Möglichkeit, darauf zu reagieren und sich daran abzuarbeiten.
Arbeitsgerichte machen sich bislang zu unfreiwilligen Gehilfen von juristischen, scheinbar rechtsförmigen Zermürbungsstrategien. Arbeitsgerichte müssen deshalb in die Lage versetzt werden, nicht mehr jede einzelne Abmahnung und Kündigung aus diesen wellenartig vorgetragenen, substanzlosen und konstruierten Angriffen kleinteilig abzuarbeiten.
Stattdessen muss ein Paragraph geschaffen werden, der diese Manöver nach ihrer Methode als juristisches Stalking bewertet sowie nach ihrem Motiv als Vergeltungsmaßnahmen und Maßregelungen.
Solche Manöver sollen niedergeschlagen, unterbunden und im Wiederholungsfall unter Strafe gestellt werden. Dafür müssen sowohl das Arbeitsgerichtgesetz (ArGG), das Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) als auch das Strafgesetzbuch (StGB) angepasst werden.
4.6.1. Juristische Nachstellung durch Kündigungsversuche und Abmahnungen | § 238 StGB
Bereits heute könnte der § 238 des Strafgesetzbuches (StGB) in zahlreichen Union Busting-Fällen angewandt werden. Er regelt seit dem 22. März 2007 die so genannte „Nachstellung“ (deutsch für „Stalking“).9 Um den Paragraphen zum Schutz von Betriebsräten nutzbar zu machen, sollte er ergänzt werden.
Wer sich die Methoden spezialisierter Union Busting-Kanzleien und ihrer Sub-Unternehmer (Detekteien, Überwachungsspezialisten) vergegenwärtigt, dürfte wenig Zweifel haben, dass hier – so der Wortlaut des Gesetzes – „die Lebensgestaltung“ des Opfers „systematisch beeinträchtigt“ wird, indem „unter missbräuchlicher Verwendung personenbezogener Daten […] diese Person mit der Verletzung von körperlicher Unversehrtheit bedroht“ wird „oder andere vergleichbare Handlungen“ vorgenommen werden.
Leider ist der Nachstellungsparagraph bislang hauptsächlich auf das Wohnumfeld und die Privatsphäre des Opfers ausgerichtet. Der Schutz vor Nachstellung müsste auf den Arbeitsplatz und auf soziale Beziehungen am Arbeitsplatz erweitert werden.
Wir fordern: Die Strafbarkeit soll auch Täter erfassen, die beharrlich „unsubstantiierte, ohne Aussicht auf Erfolg gestellte Abmahnungen, Kündigungsversuche und ähnliche juristische Maßnahmen missbräuchlich in Gang setzen oder durch Dritte in Gang setzten lassen, um das Arbeitsverhältnis einer anderen Person zu zerrütten, ihr die Ausübung von Kandidaturen, Funktionen oder Ämtern unmöglich zu machen oder sie in die Arbeitsunfähigkeit zu treiben.“
4.7. Sanktionen gegen delinquente Unternehmer verschärfen | § 23 BetrVG
Der § 23 Abs. 3 des BetrVG regelt die Sanktionen gegen Unternehmer, die ihren gesetzlichen Pflichten nicht nachkommen. Er soll nicht nur bei groben Verstöße, sondern bei allen Verstößen gelten. Das Strafmaß für Zwangs- und Ordnungsgeld muss auf wirksame Beträge erhöht werden, die in Relation zum Unternehmens- bzw. Konzernumsatz stehen, aber mindestens das Jahreseinkommen eines Hauptgeschäftsführers oder Vorstandsvorsitzenden betragen.
4.8. Verletzung der Auskunftspflichten als Straftat
Die Verletzung von Aufklärungs- und Auskunftspflichten (§ 121 BetrVG) muss von einer Ordnungswidrigkeit zu einer Straftat erhoben und ins Strafgesetzbuch übernommen werden. Begehung dieser Straftat ist auch fahrlässig möglich.
Damit der Paragraph ernst genommen wird und aus dem gegenwärtigen Status als Bagatelle oder Kavaliersdelikt herausrückt, muss der Strafrahmen in Relation zum Konzernumsatz deutlich erhöht werden, mindestens aber das Jahreseinkommen eines Hauptgeschäftsführers oder Vorstandsvorsitzenden betragen.
Um dem Gesetz Geltung zu verschaffen, muss das kontrollierende Personal (Staatsanwälte, Fahnder, Kriminalbeamte) aufgestockt werden bzw. müssen die Behörden mit entsprechenden Etats ausgestattet werden (siehe Punkt 2. Schwerpunktstaatsanwaltschaft)
4.9. § 100 BetrVG – Einstellungen ohne Zustimmung des Betriebsrats?
Das Schlupfloch „vorläufige personelle Maßnahmen“ schließen
Der §99 BetrVG verleiht dem Betriebsrat umfangreiche Mitbestimmungsrechte im Fall von Personalentscheidungen (Neueinstellungen etc.). Das ist gut so. Leider wird der Paragraph durch den folgenden §100 BetrVG komplett torpediert, der eben diese Rechte wieder aufhebt, wenn eine Personalentscheidung als „vorläufige Maßnahme“ deklariert wird, was standardmäßig passiert.
Nun streiten sich Betriebsräte und Unternehmen oft monate- bis jahrelang vor Gericht, ob eine „vorläufige personelle Maßnahme“ vorliegt bzw. ob diese – so fordert es das Gesetz – „sachlich begründet“ war. Das geht oft solange, bis sich das Verfahren von selbst erledigt, weil die umstrittenen Neueinstellungen den Betrieb längst wieder verlassen haben.
Gerade in Zeiten hoher Fluktuation, die durch Befristungen und Ketten-Befristungen von der Unternehmerseite geradezu forciert wird, ist es fragwürdig, „vorläufige Einstellungen“ von der Mitbestimmungspflicht auszunehmen.
Als Folge dieses juristischen Schlupflochs, das von Unternehmern systematisch zur Umgehung der Mitbestimmungsrechte genutzt wird, nehmen auch die BR-Rechte aus §92 BetrVG (Personalplanung)11 Schaden. Unternehmer und ihre findigen Anwälte fragen sich folgerichtig: Wenn ich bei „vorläufigen“ Einstellungen nicht den Betriebsrat fragen muss, wozu soll ich die Personalplanung mit ihm erörtern?
- a) „Vorläufige“ und reguläre Personal- Entscheidungen trennen
Wir meinen: Die Verfahren um „vorläufige personelle Maß nahmen“ sind zu trennen von der regulären „Mitbestimmung bei personellen Einzelmaßnahmen“ (§99 BetrVG).
- b) Verfahren beschleunigen – nach Vorbild der Einigungsstelle
Wir fordern gesonderte und beschleunigte Verfahren bei „vorläufigen personellen Maßnahmen“ (BetrVG §100), die bislang ohne Zustimmung des Betriebsrats umgesetzt werden können. Dafür schlagen wir vor, die Kompetenzen der Vorsitzenden Arbeitsrichter so zu erweitern, dass sie – nach Muster der Einigungsstellen – schnelle Entscheidungen fällen können.
So greift der Vorsitzende Arbeitsrichter bereits heute laut Arbeitsgerichtsgesetz (§100 ArbGG) ein, wenn Unternehmer und Betriebsrat in einer Einigungsstelle (nach §76 BetrVG) zu keiner Entscheidung kommen. Das soll er nach unserer Vorstellung in Zukunft auch bei strittigen „vorläufigen personellen Maßnahmen“ tun können.
- c) beschleunigtes Zwangsgeld
Ferner sollten gesonderte und beschleunigte Verfahren bei der Verhängung von Zwangsgeld gegen Unternehmer (§101 BetrVG) eingesetzt werden. Bislang sitzen Unternehmer verhängte Zwangsgelder oft genüsslich aus; deren Eintreibung dauert bis zu drei Jahre.
Konkreter Textvorschlag: Bislang heißt es in §100 ArbGG: „In den Fällen der §§ 76 Abs. 2 Satz 212 und 313 des Betriebsverfassungsgesetzes entscheidet der Vorsitzende allein.“
Wir schlagen folgende Ergänzung vor: „Das gilt auch für § 100 BetrVG Abs. 2, Abs. 3 (voläufige personelle Maßnahmen) sowie §101 BetrVG Satz 1 (Zwangsgeld).“
- Reform des Arbeitsgerichts
5.1. Nebenverdienste von Richtern offenlegen und eindämmen
Die Mühlen der Arbeitsgerichte mahlen langsam. Zu lang sam. Die enorme Zeitverzögerung bis zum rechts kräftigen Urteil trägt zur Zermürbung der Betroffenen bei. Paradoxerweise verlängern sich die Prozesszeiten stetig, obwohl die Fallzahlen in der Arbeitsgerichtsbarkeit seit der Einführung der Hartz-Gesetze laut offiziellen Statistiken stark abnehmen.
Dieser Prozess-Stau entsteht auch durch umfangreiche Nebenaktivitäten und -verdienste von Arbeitsrichtern.
Richter(innen), die im Ruf stehen, einseitige Interessen zu vertreten, können als Vorsitzende einer Einigungsstelle immerhin abgelehnt werden. Anders sieht es aber bei Nebentätigkeiten aus, die hauptsächlich von einer Seite honoriert werden wie Referate, Gutachten und Schulungen.
Durch regelmäßige, gut honorierte Engagements von Richtern können Abhängigkeiten, Verpflichtungen bis hin zu Gefälligkeiten und Korruption entstehen. Allein der Anschein bzw. der Verdacht von Befangenheit oder gar Käuflichkeit ist schädlich. Nebeneinkünfte von hauptamtlichen Richtern und ihre Herkunft sollen erstens genehmigungspflichtig sein, zweitens stark eingeschränkt und drittens gegenüber der Öffentlichkeit transparent gemacht werden.
Dass amtierende Arbeitsrichter (und dann teilweise im eigenen Arbeitsgerichtsbezirk) nebenberuflich als Einigungsstellen-Vorsitzende tätig sein dürfen, lehnen wir ab.
Richter müssen frei in ihrer Entscheidung sein und finanziell ausschließlich vom Staat abhängen. Auch BR- oder Arbeitgeber-Schulungen sollten nicht von aktiven Arbeitsrichtern abgehalten werden dürfen, mindestens aber genehmigungspflichtig und auf Nachfrage transparent sein.
Wir fordern, entsprechende Regeln ins Arbeitsgerichtsgesetz (ArbGG) aufzunehmen.
- Betrügerische Firmenkonstrukte bekämpfen
Es gehört zum Standard-Repertoire aggressiver Unter nehmen, jenseits betriebswirtschaftlicher Sinnhaftigkeit und Plausibilität mit Firmen-Strukturen zu spielen.
Dazu gehören Franchise-Systeme (Systemgastronomie, Einzelhandel, Kurier- und Paketdienste etc.), Unternehmensstiftungen (Aldi, Bertelsmann, Helios etc.), die Aufspaltung in scheinselbständige Einheiten (Aldi-Süd) und Pseudo-Tochter-Firmen und Sub-Unternehmer (XXXLutz, Rossmann, Schlecker, Telekom), Briefkastenfirmen z.B. in Luxemburg, Malta, Irland, Delaware/USA, den Niederlanden und Panama und andere Konstrukte.
Der Trend zu bizarren Firmen-Konstrukten hat drei Haupt-Motive:
- Steuervermeidung,
- Aushebelung von Mitbestimmungs- und Arbeitsrechten,
- Erschwerung der gewerkschaftlichen Organisierbarkeit.
Im Spiel mit scheinselbständigen und kaskadierenden Firmenstrukturen besteht einer der wichtigsten Hebel für Union Busting und Lohndumping in Deutschland.
Firmen-Konstruktionen, die aus dem erkennbaren Motiv geschaffen wurden, geltende Gesetze auszuhebeln und zu umgehen, müssen annulliert werden.
Schein-Firmen und schein-selbständige Tochter-Firmen dürfen keine Anerkennung finden. Der Versuch, durch solche Firmen-Konstrukte und Umstrukturierungen geltende Regelungen zu umgehen und Behörden wie Öffentlichkeit zu täuschen, ist als Betrug zu werten.
- Sanktionen gegen Unternehmen, die ihre wirtschaftliche Macht missbrauchen
Unternehmern, die ihre wirtschaftliche Macht missbrauchen, sollen mit der Möglichkeit der Enteignung konfrontiert werden wie es z.B. die Hessische Landesverfassung (Artikel 39)15 und das Grundgesetz der Bundesrepublik (Artikel 14, 2+3)16 vorsehen.
Die Vergabe von Subventionen und anderer Formen der Wirtschaftsförderung muss an die Einhaltung von Tarifverträgen und innerbetrieblichen demokratischen Standards gekoppelt sein. Firmen, die Gewerkschaften und Betriebsräte bekämpfen und gegen entsprechende Schutzrechte verstoßen, sollen keine Wirtschaftsförderung erhalten und bereits erhaltene Förderung zurückzahlen.“
Weitere Infos: https://aktion.arbeitsunrecht.de/de Bild: freedo