Die meisten erwerbslosen Menschen möchten erst gar nicht in die Situation kommen, dass ihr Arbeitslosengeld künftig an der Supermarktkasse ausgezahlt wird. Selbst wenn auf dem Gutschein oder Kassenbon nur ein Scancode aufgedruckt ist und er keinen Stempel hat, bekommt doch jeder mit, was da in der Schlange an der Kasse vor sich geht.
Das Ganze wird ab Ende Mai in einzelnen ausgesuchten Städten stattfinden und später dann wohl im ganzen Bundesgebiet: Die Bundesagentur für Arbeit will ihre Kassenautomaten abschaffen und die Barauszahlung in Notsituationen in Supermärkten vornehmen.
Erwerbslose, die über kein eigenes Konto verfügen, sollen künftig ihre Sozialleistungen an der Supermarktkasse erhalten. Die über 300 Bargeld-Automaten in den Jobcentern werden laut der Bundesagentur aus Kostengründen abgeschafft.
In den Jobcentern ist es Alltag, dass einzelne Menschen, die Leistungen beziehen, eine Notsituation anzeigen und im Vorgriff auf die nächste Monatszahlung der Regelleistung, Barauszahlung erhalten. Der Betroffene kann dann mithilfe einer speziellen Kassenkarte des Jobcenters, die in der Leistungsabteilung mit dem genehmigten Betrag aufgeladen und ausgehändigt wird, den Vorschuss am Kassenautomaten im Jobcenter bar einlösen. Die Kartennummer dient als Kennung und der Kassenautomat zahlt den Betrag bar aus und behält die Karte ein. So war es bisher und für die Menschen in aktuell finanzieller Notlage eine praktikable Lösung, weil der Überweisungsweg im Notfall nicht der beste ist, da das Bargeld noch am gleichen Tag benötigt wird.
Nun sollen aber die Kassenautomaten in Jobcentern wegfallen und auf die Auszahlung im Supermarkt umgestellt werden.
Zur Erprobung des neuen Barzahlungsverfahrens werden ab dem 28.05.2018 Pilotprojekte in ganz Deutschland, SGB II-/SGB III-übergreifend gestartet. Die Pilotprojekte sind vorgesehen in: Jobcenter Neuwied, Jobcenter Oberhausen, Jobcenter Dortmund, Jobcenter Salzgitter, Jobcenter Wolfsburg, Jobcenter Börde, Arbeitsagentur Dortmund, Arbeitsagentur Schwandorf und Arbeitsagentur München. Zum Jahresende 2018 könnte dann die bundesweite Einführung erfolgen.
Die Bundesagentur für Arbeit (BA) nennt als Ziel des Ganzen, mit der Umstellung mehr in die Fläche zu kommen. So könnte statt an derzeit lediglich rund 300 Kassenautomaten in bundesweit mehr als 1.000 Agentur-Dienststellen dann in mehr als 8.000 Supermärkten von Rewe, Penny, real, dm und Rossmann Bargeld an Leistungsempfänger ausgezahlt werden.
Hier stehen Einsparungen im Vordergrund, die BA leugnet das gar nicht, doch versichert sie, dass es ihr Hauptanliegen sei, die Anzahl der Auszahlungsstellen zu erhöhen und zeitlich flexiblere Möglichkeiten anzubieten, um im Notfall an Bargeld zu kommen. Die Bargeldauszahlung gelte nur für Notsituationen. Grundsätzlich sei die Überweisung das Mittel der Wahl, da die Bundesagentur nicht zur Barauszahlung gesetzlich verpflichtet sei und für die Barauszahlung im Notfall beruft sie sich auf § 42 SGB I, da heißt es: „Besteht ein Anspruch auf Geldleistungen dem Grunde nach und ist zur Feststellung seiner Höhe voraus-sichtlich längere Zeit erforderlich, kann der zuständige Leistungsträger Vorschüsse zahlen, deren Höhe er nach pflichtgemäßem Ermessen bestimmt. Er hat Vorschüsse nach Satz 1 zu zahlen, wenn der Berechtigte es beantragt; die Vorschusszahlung beginnt spätestens nach Ablauf eines Kalendermonats nach Eingang des Antrags.“ Dass es sich um eine sofortige Auszahlung handeln kann, geht aus der Formulierung: „die Vorschusszahlung beginnt spätestens nach Ablauf eines Kalendermonats nach Eingang des Antrags“ hervor. Es handelt sich also um Akutfälle, die einen sozialrechtlichen Vorschussanspruch auslösen können und es im Ermessen liegt, den Vorschuss sofort auszuzahlen.
Die Geldausgabeautomaten in den gemeinsamen Einrichtungen und Agenturen für Arbeit werden im Jahr 2018 abgebaut. Doch die BA beruhigt: Den Leistungsbeziehern sollen in Notsituationen auch weiterhin zwei Wege zum Erhalt von Bargeld möglich sein. Einmal steht ZzV-Bar, das ist das Zahlungsmittel, das zwischen Postbank und BA vereinbart wurde, weiterhin zur Einlösung bei der Postbank zur Verfügung. Zusätzlich kann künftig Bargeld über einen Zahlschein mit Barcode, der von den gemeinsamen Einrichtungen (ARGEN) oder den Agenturen für Arbeit ausgestellt wird, ausgezahlt werden.
Schon jetzt, vor Beginn der Pilotphase stellen sich einige Probleme in der Praxis dar, die mit der Auszahlung durch private Unternehmen erhebliche praktische Probleme vorprogrammiert sind, wie:
- Die Rechtmäßigkeit des Vorgehens ist zweifelhaft, da die Jobcenter den gesetzlichen Auftrag haben, Menschen, die Hilfe brauchen, zu unterstützen, ihnen ihre Dienste zur Verfügung zu stellen und diese vorzuhalten. Hier ist die Frage unbeantwortet, was und wer legitimiert eine Verkäuferin Sozialleistungen auszuzahlen?
- Für die Betroffenen wird das Prozedere komplizierter, zeitaufwändiger und teurer, weil sie sowieso zum Jobcenter müssen, denn auch im Notfall gibt es das Geld nur auf Antrag. Derzeit ist es noch so, dass, wenn die Nothilfe genehmigt wurde, das Geld direkt aus dem Kassenautomaten des Jobcenters gezogen werden kann. Werden die Automaten abgeschafft, müssen Betroffene erst in den richtigen Supermarkt fahren, wer die Fahrtkosten übernimmt ist ungeklärt.
- Bei der Vorausleistung im Notfall muss man nach wie vor zum Jobcenter oder Arbeitsagentur, sie gibt es nur auf Antrag und dem Nachweis der Notsituation. Die Bewilligung liegt im Ermessen des Bearbeiters in der Leistungsabteilung und es handelt sich immer um Einzelfallentscheidungen.
- Das neue Verfahren wird für die Betroffenen keine Vereinfachung bringen. Den Barcode-Zettel für die Supermarktkasse müssen sie voraussichtlich weiterhin persönlich beim Jobcenter abholen.
- Auch wenn die Barcode-Zettel nicht mit dem Logo der Arbeitsagentur versehen sind, werden Leistungsberechtigte bloßgestellt, was zur weiteren Stigmatisierung beiträgt. Sie müssen sich vor den Augen von Kunden und Kassierern als Erwerbslose outen. Dabei haben sie aber ein Recht auf Diskretion, das ihnen vom Staat als eine staatliche Aufgabe zu gewährleisten ist und nicht Drogeriemärkten oder Discountern überlassen werden kann.
- Die in der Situation an einer Supermarktkasse nicht kontrollierbaren Fremdwahrnehmungen oder Rückschlüsse erhöhen das Stigmatisierungsrisiko noch einmal. Neben der Person an der Kasse können auch Umstehende, wie Bekannte und Nachbarn, Einblick erhalten. Theoretisch besteht bei der Auszahlung von Sozialleistungen an Kassen des Einzelhandels das Risiko des Bekanntwerdens von Informationen über die soziale Lage der Betroffenen ohne deren Einverständnis, die den Bereich des Datenschutzes sehr empfindlich treffen.
- Es kann schnell zu Konflikt kommen, wenn es technischen Komplikationen gibt, da die Auszahlung durch Private, die weder auf Finanzdienstleistungen noch auf die Auszahlung von Sozialleistungen spezialisiert sind, die Auszahlung mal ebenso nebenbei abwickeln sollen. In Situationen, in denen Barauszahlungen stattfinden, hier insbesondere in akuten Eilfällen, in denen das Geld für den Lebensunterhalt fehlt, oder wenn man verschuldet oder obdachlos ist, sind Menschen verständlicherweise angespannt und gereizt. Wenn dann noch aus technischen Gründen etwas mit der Auszahlung der existenziell notwendigen Leistung schiefgeht, wären praktische Abhilfe notwendig und empfindliche Reaktionen zu erwarten. Das Kassenpersonal ist für solche Situationen nicht geschult und verfügt auch nicht über Informationen, die den Leistungsberechtigten weiterhelfen könnten. Dies ist bei den Auszahlungsautomaten anders, da dort Jobcenter-Angestellte in der Nähe und ansprechbar sind.
- Die genannten Handelsketten sind in der Regel nicht die Warenanbieter für Menschen, die jeden Cent drei Mal umdrehen müssen. Sie wurden deshalb ausgewählt, weil sie heute schon mit dem Zahlungsdienstleister Cash Payment Solutions (CPS) zusammenarbeiten. Der hat den Zuschlag erhalten, das Vorhaben der Bundesagentur umzusetzen und kann so alles unter einem Dach abwickeln.
- Die Kosteneinsparung, die die BA nennt, ist zumindest fragwürdig. Die Einsparung von 3,2 Millionen sind bei einem Gesamtbudget von über 50 Milliarden Euro nebensächlich. Interessanter ist, wie viel Geld die BA an Cash Payment Solutions, die den Zuschlag bekommen hat zahlt, damit diese eine funktionierend Infrastruktur aufbaut, und wieviel Geld an die Supermärkte geht. Diese Summen müsste einmal gegengerechnet werden.
Im Sozialgesetzbuch (§ 17 Abs. 1 Nr. 2 SGB I) ist festgelegt, dass die Sozialleistungsträger „verpflichtet sind, die für die Ausführung von Sozialleistungen erforderlichen Sozialen Dienste und Einrichtungen rechtzeitig und ausreichend zur Verfügung zu stellen“.
Dagegen verstößt die Auszahlung von Sozialleistungen durch Supermärkte eindeutig, auch weil hoheitliche Aufgaben über nicht befugte Dritte abgewickelt werden. Hinzu kommen große Datenschutzbedenken. Auch gibt es keinen nachvollziehbaren Grund, warum hier nicht die Jobcenter und Arbeitsagenturen weiter in der Pflicht stehen müssen, ihre Infrastruktur auf- und auszubauen und aufrecht zu erhalten.
Quellen: BA, Nationale Armutskonferenz, Bundestagsanfrage Die Linke, Arbeitslosenverband Deutschland (ALV) Bild: Hartz4Kontakte