Regelsatz zu gering – Hartz IV wird kleingerechnet

Von Jan Schmitt und Gitti Müller, WDR

Seit Jahren rechnet die Bundesregierung den Hartz-IV-Regelsatz nach unten. Nach Monitor-Berechnungen müssten Empfänger monatlich 155 Euro mehr bekommen. Der Staat spart Milliarden.

 

Ralph Rasbach ist gelernter Groß- und Außenhandelskaufmann. 2013 wurde ihm betriebsbedingt gekündigt, seit vier Jahren lebt der 49-Jährige nun von Hartz IV. 416 Euro monatlich – das ist der Regelsatz.

Das Geld reicht hinten und vorne nicht. Einige nötige Medikamente kann er nicht bezahlen, und Fleisch und Gemüse kauft er nur am Wochenende, kurz vor Ladenschluss, wenn der Discounter die Preise senkt. „Ohne Geld ist man kein Mensch in dieser Gesellschaft“, sagt Rasbach. Für ein menschenwürdiges Leben reiche der Regelsatz auf keinen Fall.

Teilhabe am soziokulturellen Leben unmöglich

Dabei hat in Deutschland jeder Mensch ein Anrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum. Das soll nach einem Grundsatzurteil des Bundesverfassungsgerichts nicht nur das nackte Überleben sichern, sondern auch „ein Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben“ ermöglichen.

Der ehemalige Vorsitzende am Landessozialgericht Hessen, Jürgen Borchert, kämpft schon seit vielen Jahren darum, dass Hartz-IV-Empfängern dieses menschenwürdige Existenzminimum auch tatsächlich gewährt wird. „Das ist mit den Regelsätzen, die wir jetzt haben, mit Sicherheit nicht mehr der Fall“, sagt er.

Berechnungsgrundlage geändert

Der Grund: das Vorgehen der Bundesregierung. Ursprünglich galten als Grundlage für die Hartz-IV-Sätze die Ausgaben der unteren 20 Prozent der Gesellschaft – eine Zahl, auf die sich auch die Bundeskanzlerin noch in diesem Jahr öffentlich bezog. Würde man davon ausgehen, käme man allerdings auf einen Regelsatz von 571 Euro monatlich, also deutlich mehr als die derzeitigen 416 Euro.

Was die Kanzlerin verschweigt: Unter ihrer Regierung wurde die Berechnungsgrundlage schon 2011 verändert. Statt der unteren 20 Prozent gelten jetzt nur noch die Ausgaben der unteren 15 Prozent der Bevölkerung als Grundlage für die Berechnung des Regelsatzes für Erwachsene.

Viele Kostenfaktoren gestrichen

Außerdem werden zahlreiche Ausgaben nachträglich nicht anerkannt und entweder ganz oder teilweise gestrichen. Dies betrifft vor allem die statistischen Ausgaben für Verkehrsmittel, Gaststättenbesuche, Reisen, Tabak oder Alkohol. Dabei spielt es keine Rolle, ob das Geld am Ende tatsächlich dafür ausgegeben wird oder nicht.

Nach Ansicht der Bundesregierung seien das Ausgaben, die „nicht zum soziokulturellen Existenzminimum zählen oder (…) nicht anfallen“. Gegenüber Monitor macht sie dazu eine erstaunliche Aussage: Demnach müssten nicht „alle zur Verfügung stehenden Daten vollständig verwendet werden“, die bei der Erhebung gewonnen werden.

Der Trick mit den „verdeckten Armen“

Irene Becker ist Expertin für Verteilungsforschung. Wahrscheinlich gibt es niemanden in Deutschland, der sich mit den Berechnungen der Regelbedarfe besser auskennt als sie. Becker nennt das Vorgehen der Bundesregierung „methodisch unsauber“. Das Ziel, das Existenzminimum zu errechnen, werde durch die Kürzungen systematisch unterlaufen – auch weil „verdeckt Arme“ bei den Berechnungen nicht herausgerechnet werden.

 „Verdeckt Arme“ sind Menschen, die eigentlich ein Anrecht auf Sozialleistungen haben, aber keine beantragen. Das sind immerhin 40 Prozent aller Menschen, die derartige Ansprüche geltend machen könnten. Durch solche Rechentricks werde der Regelbedarf weiter abgesenkt.

Hartz-IV-Satz steht offenbar schon vor der Berechnung fest

Insgesamt belaufen sich die Einbußen für Hartz-IV-Empfänger und Rentner auf rund zehn Milliarden Euro jährlich, wenn man den Betrag von 571 Euro mit dem derzeit gültigen Satz von derzeit 416 Euro monatlich vergleicht. „Diese Zahl ist vorgegeben worden, die wollte man erreichen“, glaubt Sozialwissenschaftler Stefan Sell von der Hochschule Koblenz. Man habe sie „durch die statistischen Manipulationen bei der Berechnung erreicht“.

Die Bundesregierung räumt dazu gegenüber Monitor ein, die Frage der Höhe des Regelbedarfs und des soziokulturellen Existenzminimums sei „nicht vorrangig eine Frage des Berechnungsverfahrens – sie muss politisch beantwortet werden.“

 

 

Quelle: wdr, monitor

Bild: HARTZ-IV.de