Im Jahr 2020 werden die Strompreise in Deutschland voraussichtlich um 5,5 Prozent im Durchschnitt steigen und die konkrete Lebenssituation der ärmeren Menschen noch weiter verschlechtern.
Wegen steigender Preise können immer mehr Bundesbürger ihre Stromrechnung nicht mehr zahlen. Die Zahl der Stromsperren ist auf den höchsten Wert gestiegen, der je gemessen wurde. Die Bundesnetzagentur berichtet für 2019 von 289.000 Haushalten in denen das Licht ausging und über 4,75 Millionen angedrohten Stromsperren.
Besonders betroffen von der Energiearmut sind Menschen, die auf Grundsicherungsleistungen angewiesen sind oder in prekären Beschäftigungsverhältnissen arbeiten. Für sie ist Strom zu einem Luxusartikel geworden, den sie sich kaum noch leisten können. Wer mehr für Heizung, Warmwasser, Licht und den Betrieb von Kühlschrank und TV ausgeben muss, hat weniger Geld für Lebensmittel, Kleidung oder Bildung übrig.
Bei der Stromsperre gibt es kein Licht, meistens auch kein warmes Wasser und keine Heizung mehr. Der Kühlschrank kühlt nicht mehr, telefonieren geht auch nicht und die im Dunklen sitzen, können sich in der Regel auch keine warmen Mahlzeiten mehr zubereiten.
Nach gängiger Rechtsprechung ist eine Wohnung ohne Strom schlichtweg unbewohnbar. Ein Schlüsselfaktor für das Entstehen und die Entwicklung von Energiearmut ist aber die Höhe der Energiepreise. Da hat sich seit Mitte der 1990er Jahre einiges getan.
Die Energieversorgungsunternehmen (EVU)
Der deutsche Strommarkt zeichnet sich mittlerweile durch eine große Akteursvielfalt aus. Private Stromkunden hatten Anfang des Jahres 2018 die Wahl zwischen 1.251 Stromanbietern mit knapp 15.000 Tarifen. Im Durchschnitt kann ein privater Haushaltskunde an seinem Wohnort aus 167 Stromversorgern auswählen.
Lag der Marktanteil im Jahr 2015 für die großen 4 Energiekonzerne noch bei 62 Prozent – RWE mit 21 Prozent, knapp gefolgt von E.on mit 15 Prozent und den Schlusslichtern Vattenfall und EnBW – beide mit je 13 Prozent – so verlieren die Großen stetig an ihren Anteilen. Auch ist der Bruttostromverbrauch am Strommarkt insgesamt rückläufig.
Als 1998 die „Liberalisierung“ auch im Energiesektor einsetzte, kam es zunächst zu einem Rückgang der Energieunternehmen. Ab 2002 nahm dann ihre Zahl rasant zu, vor allem wegen der vielen Neugründungen von Stromvertriebsgesellschaften, der Marktregulierung von Stromhändlern und auch durch die „Legal-Unbundling“, das ist die rechtliche Entflechtung von Stromerzeugung und Netzbetrieb. Außerdem hat es seit 2005 im Rahmen einer Rekommunalisierung 72 Stadtwerke-Neugründungen gegeben.
Trotz des lauten Klingelns in den Kassen der großen Konzerne im Jahr 2018, bei RWE AG (Umsatz: 26,3 Mrd. Euro), EnBW AG (Umsatz: 21,2 Mrd. Euro), E. On SE (Umsatz: 19,4 Mrd. Euro), Vattenfall GmbH (Umsatz: 16,4 Mrd. Euro) wurde bei den Branchenriesen fast jeder vierte Arbeitsplatz abgebaut.
Der seit 1998 einsetzende Verteilungskampf zwischen Kapital und Arbeit ist auch im Energiesektor eindeutig zugunsten des Kapitals entschieden worden. Im Einzelnen sah das im Jahr 2013 (neuere Zahlen konnten nicht ermittelt werden) so aus:
- Die wirtschaftlich entscheidenden Lohnstückkosten in der Strombranche sanken um 82,5 Prozent.
- Die Personalintensität, das ist der Personalaufwand in Relation zur Gesamtleistung, ging von 15,4 auf 2,9 Prozent, also um 12,5 Prozentpunkte extrem zurück.
- In der Elektrizitätswirtschaft kam es zu einer enorm hohen Umverteilung der erzielten Wertschöpfungen zum Nachteil der Arbeitseinkommen und zugunsten der Kapitaleinkommen. So verringerte sich in der Folge die Lohnquote auf der Basis der Nettowertschöpfung (Differenz zwischen dem Umsatz und den Ausgaben) zwischen 1998 und 2013 von 67,2 auf 42,7 Prozent, also um 24,5 Prozentpunkte.
- Die Umsatzrendite (bemisst den verbleibenden Gewinnbeitrag je Euro Umsatz für die Eigenkapitalgeber, die sog. Shareholder) in der Elektrizitätswirtschaft schwankte im Zeitraum von 2013 und 2008 zwischen 2,4 und 7,1 Prozent und lag weit über den allgemeinen Renditen im Jahresdurchschnitt.
Das hohe Umsatzwachstum bei den 4 Branchenriesen beruht vor allem auf internationale Expansionen, dem Auftun neuer Energiedienstleistungen und die durchgesetzte Preissteigerung im privaten Haushaltsbereich.
Die Gewinne stiegen für die Shareholder der Energieversorgungsunternehmen von 1998 bis 2013 um 180,9 Prozent, aber die Einkommen der in der Branche verblieben Beschäftigten nur um 31,2 Prozent.
Etwas geschmälert werden die Gewinne zukünftig wohl durch den Druck auf die konventionellen Stromerzeuger, der von dem Ausbau der erneuerbaren Energien ausgeht. Auch müssen die 4 Branchenriesen seit 2013 die Emissionsrechte für ihre fossilen Kraftwerke an der Börse ersteigern – bis dahin hatten sie diese mehrheitlich geschenkt bekommen.
Beim Handel mit den sogenannten Grünstromzertifikaten wird getrickst und dem Verbraucher oft vorgegaukelt, er würde mit echtem Wasser-, Solar- oder Windkraftstrom beliefert. Dabei ist es möglich, dass sein Strom nur „grün-gewandelt“ ist und aus einem hiesigen Kohle- oder Atomkraftwerk stammt. Die betreffende Strommenge wurde über den Kauf und die Entwertung von Grünstromzertifikaten z.B. von skandinavischen Wasserkraftwerken ihre „grüne Eigenschaft“ zugeteilt, tatsächlich ist aber kein Watt Grünstrom aus Skandinavien ins deutsche Stromnetz gelangt.
Die Energieverbraucher
Für die privaten Haushalte ist es in den vergangenen 20 Jahren zu keinen Strompreissenkungen gekommen. Im Gegenteil: Der durchschnittliche Strompreis für Privathaushalte ist seit der Jahrtausendwende von 13,94 auf 30,43 Cent pro Kilowattstunde im Jahr 2019 gestiegen. Dies entspricht einer Steigerung von 118 Prozent beziehungsweise 6 Prozent pro Jahr. Der allgemeine Verbraucherpreisanstieg belief sich dagegen im gleichen Zeitraum auf nur 27,0 Prozent.
Die Stromkosten der Privathaushalte in Deutschland liegen rund 45 Prozent über dem EU-Durchschnitt von 20,52 Cent pro Kilowattstunde und sind mehr als doppelt so hoch wie beispielsweise in Schweden und den Niederlanden.
Weit über 50 Prozent des Strompreises setzt sich aus Steuern, Abgaben und Umlagen zusammen. Einer der größten Brocken, neben den Steuern in Höhe von knapp 23 Prozent, ist hierbei die Erneuerbare-Energien-Gesetze (EEG)-Umlage, die im Jahr 2019 alleine schon 21 Prozent ausmachte. Diese Umlage soll jetzt noch einmal um 5,5 Prozent erhöht werden.
Zur EEG-Umlage muss man wissen, dass diese nicht von allen gezahlt wird, sondern sich die Industrie, die besonders viel Strom verbraucht von dieser Umlage weitgehend befreien kann.
Aus ökologischer Sicht scheint die EEG-Umlage sinnvoll zu sein, da mit ihr erneuerbare Energien finanziert und gefördert werden sollen.
Leider wird hier jedoch nach dem Motto verfahren, die Kleinen hängt man, die Großen lässt man laufen. Dabei wäre es viel wichtiger, die großen Stromverbraucher für die Energiewende zur Kasse zu bitten, als die Haushalte, die ohnehin wenig Strom verbrauchen, weil sie sich diesen kaum leisten können.
Der um Abgaben bereinigte Industriestrompreis dagegen liegt mit 6,27 Cent pro Kilowattstunde ganz deutlich unter dem EU-Mittelwert von 9,37 pro Kilowattstunde.
Für das Jahr 2020 haben mehrere Versorger bereits weitere Erhöhungen der Haushaltsstromkosten angekündigt. Als Hauptgründe für den Preisschub gibt die Energiewirtschaft die steigenden Kosten für die Stromnetze und die Anhebung staatlicher Gebühren, wie der Ökostromumlage und der sogenannten Offshore-Haftungsumlage, die Entschädigungsleistungen für zu spät ans Netz angeschlossene Windparks finanziert.
Energiearmut
Die ausreichende Versorgung mit Strom ist eine Grundvoraussetzung zur Sicherung eines menschenwürdigen Lebens. Nur durch die gesicherte Energieversorgung wird die Teilhabe der Menschen mit niedrigem Einkommen und Bezieher von Leistungen zum Lebensunterhalt am gesellschaftlichen Leben ermöglicht. Die angebotene Unterstützung beim Energiesparen sind lobenswert aber wenig effizient und sie beseitigen nicht die systematische Unterdeckung aufgrund zu niedriger Bedarfsanteile in den Regelsätzen für Haushaltsenergie oder für die Anschaffung energieeffizienter Geräte.
Für Energiearmut gibt es in Deutschland bisher keine einheitliche Definition. Man kann sich aber an eine in Großbritannien gebräuchlichen Definition von Energiearmut orientieren. Auf der Insel gilt ein Haushalt als energiearm, wenn er mehr als zehn Prozent seines Einkommens für den Kauf von Energie aufwenden muss, um im Hauptwohnraum 21 Grad Celsius und in den übrigen Räumen 18 Grad Celsius zu gewährleisten.
Die zentrale Ursache für Energiearmut ist die Armut an sich. Besonders in Haushalten mit niedrigem Einkommen können die Kosten für Strom und Gas schnell zu einem existenzbedrohenden Faktor anwachsen. Diese Entwicklung wird sich aller Voraussicht nach in den nächsten Jahren fortsetzten. Hier ist besonders der Blick auf Haushalte, die Leistungen nach SGB II (sog. Arbeitslosengeld II) oder SGB XII (Sozialhilfe bzw. Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung) beziehen, von Bedeutung.
Eine Studie des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung von 2017 zeigt, dass vor allem Menschen die von der Grundsicherung wie z.B. von Hartz-IV leben müssen von Stromsperren betroffen sind. Der Grund dafür ist, dass der Anteil, der für Strom im Regelsatz vorgesehen ist, nicht ausreichend die Stromkosten abdeckt. Während die Kosten für Strom zwischen den Jahren 2008 und 2018 um knapp 40 Prozent nach oben kletterten, stiegen die staatlichen Zuwendungen für Strom im Regelsatz der Grundsicherung nur um 27 Prozent an.
Für die Sicherung ihres Lebensunterhalts erhalten die Leistungsempfänger im Rahmen von SGB II und SGB XII eine monatliche Pauschale, den sogenannten Regelbedarf. Dieser wird alle fünf Jahre auf der Basis der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS) ermittelt und jährlich an die Entwicklung der Preise sowie der Löhne und Gehälter angepasst.
Seit Januar 2020 bekommt ein Alleinstehender eine monatliche Leistung von 432,00 Euro. Die angemessenen Kosten der Unterkunft sowie die Kosten der Heizung werden direkt vom Leistungsträger übernommen, sodass aus dem Regelbedarf im Bereich Wohnen und Energie hauptsächlich die Stromrechnung beglichen werden muss und mit monatlich 38,00 Euro festgesetzt ist.
Schon seit Jahrzehnten wird kritisiert, dass die auf der EVS basierenden Regelbedarfe den tatsächlichen Bedarfen der Haushalte in Grundsicherung nicht genügen.
Das Verbrauchsverhalten von Haushalten in Grundsicherung ist auch aus einer anderen Perspektive von Interesse. Da diese Haushalte über ein stark begrenztes Budget für den Konsum verfügen, kann ihr Stromkonsum im Durchschnitt als ein soziales Minimum interpretiert werden, das ihnen ab sofort unter den gegebenen technischen und sozialen Kapazitäten zugesichert werden muss.
Wir brauchen dringenden Handlungsbedarf zur wirksamen Bekämpfung von Energiearmut.
Der Verein Tacheles e.V. fordert schon weit langem die Umsetzung der nachstehenden Punkte im Rahmen der anstehenden Gesetzesänderungen:
- Herausnahme der Haushaltsenergie aus den Regelbedarfen
- Einführung einer bedarfsorientierten Haushaltsenergiepauschale zusätzlich zum Regelsatz
- Angleichung der Bemessungsmethode des Mehrbedarfs für dezentrale Warmwasserversorgung
- Schaffung von „Energiesicherungsstellen“
- Entschärfung der Frist bis zur möglichen Energiesperre
- Rechtsansprüche zur Übernahme von Energieforderungen im Sozialrecht stärken
und die Einführung einer garantierten Grundenergiemenge.
Die umgehende Umsetzung dieser Forderungen ist auch deshalb notwendig, weil das Hilfsangebot für die von Energiearmut betroffenen Menschen vor Ort systematisch beschnitten wurde und die vormals fast schon gemeinnützigen kommunalen Stromanbieter verhalten sich mittlerweile extrem „marktkonform“ und liefern bei „Problemfällen“ nur noch Strom gegen 2.500 Euro Vorschuss.
Quellen: Bundesnetzagentur, Waz, memorandum, Tacheles e.V, Monopolkommission des Bundes, Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung Bild: aachener-zeitung.de