Alle Cops arbeiten bestens – Zum Problem von Polizeigewerkschaften

  Von Malte Meyer

In seinem Gedicht »Die KP an die Jugend« hat der linke Schriftsteller und Filmregisseur Pier Paolo Pasolini 1968 den Versuch unternommen, italienische Polizisten vor den Steine werfenden StudentInnen der römischen Architekturfakultät in der Valle Giulia in Schutz zu nehmen. »Kleinbürgerliche Vorrechte, Freunde./ Als ihr euch gestern in der Valle Giulia geprügelt habt mit den Polizisten,/ hielt ich es mit den Polizisten!/ Weil die Polizisten Söhne von armen Leuten sind.« Und einige Zeilen weiter: »Die jungen Polizisten,/ die ihr aus heiligem Bandentum (in vornehmer Tradition/ des Risorgimento)/ als Vätersöhnchen geprügelt habt,/ gehören zu einer anderen Gesellschaftsklasse./ In der Valle Giulia hat es gestern also ein Stück/ Klassenkampf gegeben: und ihr, Freunde (obwohl im/ Recht), wart die Reichen,/ während die Polizisten (im/ Unrecht) die Armen waren. Ein schöner Sieg also,/ der eure.« Zwar lässt Pasolini keinen Zweifel daran, dass auch er die Polizei für ein repressives Instrument des Klassenstaates hält, die Sozialisationsbedingungen und schlechteren Entfaltungsmöglichkeiten seiner Schergen dürften im politischen Kampf aber nicht außer Acht gelassen werden – schon gar nicht von sich links wähnenden, materiell aber privilegierten Bürgerkindern.

Was folgt aus der Tatsache, dass viele PolizistInnen »Proletarier in Uniform« waren und z.T. immer noch sind, für antikapitalistische Bewegungen? Sind etwa Polizeigewerkschaften das Mittel der Wahl, um die soziale Subalternität von PolizistInnen und »die psychologische Verfassung, auf die sie reduziert sind/ (an die vierzigtausend Lire im Monat)« wenn nicht sofort, so doch zumindest auf längere Sicht zu überwinden? Eine solche These immerhin hat Pasolini nicht in den Raum gestellt. Die gegenwärtige Verfassung nicht nur der US-amerikanischen, sondern auch der deutschen Polizeigewerkschaften macht die Frage nach dem Klassencharakter der Polizei und ihrer Funktion in einer auch rassistisch strukturierten Gesellschaft aber trotzdem überaus aktuell. Zu klären wäre also, ob die Polizei und ihre Gewerkschaften in einem emanzipatorischen Sinn reformierbar sind oder ob sie trotz der sozialen Herkunft ihres Personals zur Gegenseite gerechnet werden müssen.Die Debatten der letzten Monate haben ein bezeichnendes Licht auf den Zustand der Polizei geworfen. Nicht nur in den USA, wo die Hinrichtung George Floyds durch weiße Polizisten Ende Mai 2020 landesweite Massenproteste ausgelöst hat, sondern auch in Deutschland fällt die Polizei immer wieder durch rassistische Handlungsmuster, brutale Gewaltexzesse sowie eine unheimliche Nähe zur Agenda des Rechtspopulismus auf. Ermittlungsmethoden wie das Racial Profiling stellen migrantische Communities genauso unter Pauschalverdacht (»Nafris«) wie die polizeiliche Obsession für »Clankriminalität« bzw. für die »Herkunft« oder sogar »Abstammung« von Tätern. Wenn hingegen Betroffene rassistische Gewalt (noch dazu solche von Seiten der Polizei) zur Anzeige bringen wollen, werden sie als Angehörige einer ›beschwerdeschwachen‹ Gruppe behandelt, die sich gegen eine polizeiinterne Mauer des Misstrauens und Schweigens nur äußerst schwer durchsetzen kann. Schließlich vermittelt auch die überproportional hohe Zahl an Polizisten, die als AfD-Abgeordnete in Parlamenten sitzen, eine Vorahnung davon, wie stark braune Sympathien unter uniformierten StaatsdienerInnen wohl verbreitet sein müssen: 7,7 Prozent der Bundestags- und 6,8 Prozent aller Landtagsabgeordneten der AfD sind Leute mit Polizeihintergrund. Bei den anderen Parteien liegen diese Zahlen weit darunter (max. dreieinhalb Prozent bei CDU/CSU), aber zumeist immer noch über dem Anteil von Polizisten an der Gesamtbevölkerung (Naumann/Hock). Kann es vor diesem Hintergrund noch verwundern, dass die Spuren des »NSU 2.0« zwar zu polizeilichen Dienstcomputern und Chatgruppen führen, die verantwortlichen Rechtsterroristen in Uniform aber partout nicht ausfindig gemacht werden? Dass die Polizei – wie gelegentlich konstatiert – ein Problem mit rechten Netzwerken hat, muss vor diesem Hintergrund jedenfalls als untertrieben gelten: In weiten Teilen ist die Polizei ein rechtes Netzwerk.

Zu denjenigen Kräften, die einen solchen Befund bestreiten würden, gehören nicht zuletzt die deutschen Polizeigewerkschaften. Nach Minneapolis haben sich die Gewerkschaft der Polizei (GdP), die Deutsche Polizeigewerkschaft (DPolG) und der Bund Deutscher Kriminalbeamter (BDK) nämlich nicht zu Instanzen kritischer Aufklärung weiterentwickelt, sondern sind – wieder einmal – als Scharfmacher, Täterschützer und Verharmloser vom Dienst aufgefallen. Die Berliner Landesverbände von DPolG und GdP z.B. haben die taz-Kolumnistin Hengameh Yaghoobifarah wegen »Volksverhetzung« angezeigt, selbst aber keinerlei Probleme mit extrem rechten Spitzenfunktionären wie dem DPolG-Landesvorsitzenden Bodo Pfalzgraf (ehemals REP) oder dem GdP-Pressesprecher Steve Feldmann (ehemals »Bund Freier Bürger«). Auch für die GdP steht, daran lässt die Juli-Ausgabe des Mitgliedermagazins »Deutsche Polizei« (»Linksextremismus. Brutal. Zynisch. Arrogant.«) keinen Zweifel, der Feind eben traditionell links. Sie polemisiert deshalb auch gegen das neue Berliner Antidiskriminierungsgesetz und wehrt sich gegen Forderungen nach unabhängigen Beschwerdestellen. »Polizeibeauftragte«, so DGB-Chef Hoffmann im GdP-Mitgliedermagazin, »stigmatisieren eure Berufsgruppe. Das stellt unseren Rechtsstaat in Frage und führt ins Nichts«. Nicht einmal eine harmlose wissenschaftliche Studie zum Racial Profiling möchten die Polizeigewerkschafter im DGB den Ordnungshütern zumuten. »Die GdP sagt mehrheitlich, dass wir keine Untersuchung benötigen, weil wir der tiefen Überzeugung sind, dass wir diese Probleme nicht in der Struktur und auch nicht als generelles Problem bei den Beschäftigten haben.«

Der bagatellisierende Umgang der gewerkschaftlichen Polizeilobby mit extrem rechten Tendenzen in den Repressionsorganen hat Tradition. Nach der Wiederzulassung der Polizeigewerkschaften 1950 rekrutierte die GdP ihre Mitglieder vor allem aus den Reihen der sogenannten 131er. Anders als der konkurrierenden ÖTV-Abteilung Polizei traten ihr also vorwiegend Polizeibeamte bei, die nach Kriegsende wegen ihrer NS-Vergangenheit von den Alliierten zunächst entlassen worden waren, in der frühen Bundesrepublik auf der Basis des Grundgesetzartikels 131 aber zu großen Teilen wiedereingestellt wurden. Ende der 1950er Jahre nahm die ÖTV die SS-Vergangenheit zahlreicher ranghoher Kriminalpolizisten zum Anlass für eine Kampagne gegen die GdP, in der einige von ihnen mittlerweile zu Führungskadern aufgestiegen waren.

Die Beteiligung zahlloser Polizisten am Holocaust, am Vernichtungskrieg der Wehrmacht und anderen NS-Verbrechen stellte in der Nachkriegszeit – auch wegen einer nur partiell erfolgten Entnazifizierung – kein Karrierehindernis dar und wurde in einer breiteren Öffentlichkeit erst Ende der 1990er Jahre diskutiert, als keiner der Täter mehr im aktiven Polizeidienst war. Insofern fungierte die GdP nicht zuletzt wegen der Nazivergangenheit vieler ihrer eigenen Mitglieder jahrzehntelang als Teil des bundesdeutschen Schweigekartells. Bestrebt, irgendwann dennoch in den DGB aufgenommen zu werden (das gelang erst 1978), positionierte sie sich innerhalb der Polizeilobby allerdings lange nicht an deren rechtem Rand, sondern trat in innenpolitischen Fragen verglichen mit anderen Polizeiverbänden eher liberal auf. So sprach sie sich insbesondere in der Amtszeit ihres langjährigen Vorsitzenden Werner Kuhl­mann zwischen 1958 und 1975 gegen eine Militarisierung der Polizei, gegen Militäreinsätze im Inland und für ein Streikrecht von Beamten aus.

Die Anschläge der RAF und die Militanz insbesondere der Hausbesetzer- und Anti-Atom-Bewegung in den 1980er Jahren begriff allerdings auch die GdP als willkommenen Vorwand, um die Polizei fortan als Gewaltopfer darzustellen und auf eine bessere Ausstattung ihres Apparats zu dringen. Hauptleidtragende dieses bis heute extrem »normalistischen« polizei(gewerkschaft)lichen Selbstverständnisses (Raphael Beer in Die Zeit, 20.08.2020) waren und sind die früher so genannten »Randgruppen« – neben Prostituierten, Drogenabhängigen, Angehörigen der LGBT-Community, linken Jugendkulturen und AktivistInnen also vor allem die migrantische Bevölkerung sowie arme und wohnungslose Menschen. In der »Asyldebatte« Anfang der 1990er Jahre hat sich insbesondere die DPolG als rassistische Scharfmacherin positioniert. Bis zum Pogrom von Rostock-Lichtenhagen im August 1992 prangerten Gewerkschafts­funktionäre im »Polizeispiegel«, ihrer Mitgliederzeitschrift, immer wieder »Asylmissbrauch« an.

Vor dem Hintergrund der Sympathien, die sich Franz Schönhubers REPs seit Ende der 1980er bei zahlreichen Polizisten erworben hatte, fällte die Gewerkschaft der Polizei im Herbst 1990 einen Unvereinbarkeitsbeschluss. Einen vergleichbaren Willen, die Mitgliedschaft in der AfD ebenfalls für unvereinbar mit einer Gewerkschaftszugehörigkeit zu erklären, gibt es heute bei der GdP ebenso wenig wie bei fast allen anderen DGB-Gewerkschaften – die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) stellt hier seit April 2019 die einzige Ausnahme dar. Stattdessen werden in der GdP nicht nur AfD-WählerInnen, sondern auch Mitglieder ausdrücklich geduldet, solange sie sich im Polizeidienst »politisch neutral« verhalten. Lediglich ein Amt oder Mandat dürfen GdP-Mitglieder in der AfD nicht wahrnehmen. Bei der DPolG existieren noch nicht einmal solche Hürden. So kommt es, dass mit Rainer Wendt seit vielen Jahren ein »Mini-Maaßen« (sueddeutsche.de) an der Spitze der DBB-Gewerkschaft steht. Wendts Bücher, Interviews und Talkshowauftritte lassen keinen Zweifel daran, dass sich das CDU-Mitglied als Fürsprecher von AfD-Anliegen in seiner Partei (und seiner Gewerkschaft) begreift. Lediglich der sächsische DPolG-Vize und AfD-Landtagsabgeordnete Lars Kuppi wurde im Sommer 2020 aus der DPolG ausgeschlossen, weil er sich inmitten einer öffentlichen Diskussion um die brandenburgische Oberglatze Andreas Kalbitz allzu ungeschickt mit dieser verbrüderte.

Trotz oder auch wegen solcher Allianzen haben die Polizeigewerkschaften – ebenso wie die Polizei selbst – in den Mainstreammedien einen durchaus guten Ruf und bleiben von neoliberalen Angriffen meist komplett verschont. Ihren mehr oder weniger prominenten Sprechern (Frauen gibt es auch in GdP-Vorständen kaum) wird eine relative Unabhängigkeit von der offiziellen Polizeiversion zugebilligt und sie gelten trotz jahrzehntelanger Funktionärskarrieren noch immer als vergleichsweise »basisnah«. Weil führende Polizeigewerkschafter schon wüssten, wie die einfachen BeamtInnen im Einsatz so ticken und wo ihnen der Stiefel drückt, werden sie insofern gerne als glaubwürdige Stimmen aus dem Alltag polizeilicher Arbeit zitiert.

Gegner frei?

Sollten Polizeigewerkschaften aber nicht vielleicht besser (wie z.B. der kritische Polizist Oliver von Dobrowolski nicht nur auf Twitter vorschlägt) als Teil der Polizeilobby bezeichnet werden? Verbeamtete Mitglieder einer Polizeigewerkschaft dürfen nach herrschender juristischer Meinung ohnehin nicht streiken oder anderweitig das »Treueverhältnis« zu ihrem Dienstherrn belasten. Außerdem sind Polizeigewerkschaften nicht »gegnerfrei«, sondern nehmen auch Angehörige der polizeilichen Führungsebene in ihre Reihen auf. Neben ihrer Fähigkeit ist aber schon die Bereitschaft zur Führung von Arbeitskämpfen stark eingeschränkt: Als williger Teil des Staatsapparats wollen Polizei­gewerkschaften nach eigenem Bekunden Schaden von diesem abwenden – und sei es, dass sie ihre Mitgliedschaft im Rahmen von »Einsatzbetreuungen« bei Demonstrationen mit Snacks und Getränken versorgen. Auch wenn sich die Ordnungshüter-Organisation in Sachen Staatsnähe von den anderen Ordnungsmächten im DGB insofern allenfalls graduell unterscheidet, verdeutlicht das Wort von der Polizeilobby doch besser ihren eigentlichen Zweck: die Identifikation von Mitgliederinteressen mit einer rabiaten Verteidigung der Institution Polizei.

Diesen Zweck verfolgen GdP (190.000 Mitglieder), DPolG (100.000 Mitglieder) und BDK (15.000 Mitglieder) zum einen, indem sie sich bei politischen Parteien und Entscheidungsträgern nach Kräften für eine bessere personelle, finanzielle und materielle Ausstattung der Polizei stark machen, was automatisch auch den einzelnen PolizistInnen in ihren Einsätzen zugutekäme. Der Rüstungskonzern Rheinmetall schaltet in »Deutsche Polizei«, dem Mitgliedermagazin der GdP, also nicht von ungefähr Anzeigen für seinen Bürgerkriegspanzer »Survivor R«. Zum anderen begreift es die Polizeilobby als ihre originäre Aufgabe, die Polizei gegenüber öffentlicher Kritik in Schutz zu nehmen.

Das PR-Stilmittel der Wahl bleibt aber, Diskussionen über Polizeibrutalität und institutionellen Rassismus unter Hinweis auf die gegen PolizistInnen verübte Gewalt (angeblich ein ständig größer werdendes und deshalb mit immer härteren Strafen zu ahndendes Problem) abzuwürgen. Auf Betreiben verschiedener Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes stilisiert der DGB deshalb in seiner Kampagne »Auch Mensch« Repräsentanten der Staatsgewalt und andere StaatsdienerInnen seit einigen Jahren zu potentiellen Gewaltopfern, die eines deutlich besseren Schutzes bedürften. Wie schief dieses Bild ist, wird nicht zuletzt mit Blick auf die Übernahme von Verfahrenskosten in Höhe von 430.000 Euro deutlich, die die GdP Sachsen-Anhalt jenem Dienstgruppenleiter gewährt hat, der im Zusammenhang mit dem gewaltsamen Tod Oury Jallohs in einer Dessauer Polizeizelle wegen fahrlässiger Tötung verurteilt wurde (Sächsische Zeitung, 16. Oktober 2015). Wie ihre US-amerikanischen Pendants begreifen es deutsche Polizeigewerkschaften offenbar als eine ihrer vornehmsten Aufgaben, Mitglieder gegen Dienstaufsichtsbeschwerden in Schutz zu nehmen und etwaige KlägerInnen vor Gericht mit Gegenklagen einzuschüchtern.

Warum aber wehrt sich die deutsche Polizeilobby so vehement gegen eine antirassistische Demokratisierung der hiesigen Polizei? Könnte nicht zumindest die dem DGB angehörende GdP für eine zivile Aufsichtsbehörde nach dem Vorbild des englischen Independent Office für Police Conduct (IOPC) plädieren? Würde das offensive Eintreten für ein solches gut ausgestattetes Kontrollamt (in England und Wales liegt dessen Jahresbudget immerhin bei umgerechnet 83 Mio. Euro) dem Interesse an einer Stärkung der Institution Polizei nicht auf längere Sicht viel besser dienen als jenes stümperhafte Nachkarten gegen Polizeikritik, das die GdP-Pressearbeit gegenwärtig kennzeichnet? Tatsächlich gibt es ja etliche zivilgesellschaftliche Initiativen, die sich für das im internationalen Vergleich recht fortschrittliche britische Modell von Kontrolle und interkultureller Öffnung der Polizei aussprechen.

Polizeigewerkschaften würden sich solche Forderungen nach Lage der Dinge wohl zuallerletzt zu eigen machen und sie stattdessen im Gegenteil hart bekämpfen. Zivile Sank­tionsrechte und die Durchsetzung einer »unkameradschaftlichen« Fehlerkultur setzen dem Korpsgeist, von dem ihre Organisationen zehren, den sie ständig reproduzieren und dann auch noch »Solidarität« nennen, eben viel zu sehr zu. Wie der französische Soziologe Jérémie Gauthier (zu sehen in der aufschlussreichen arte-Doku »Feindbild Polizei. Gewalt und Gegengewalt ohne Ende?«) richtig erkannt hat, muss sich aber auch der Staat selbst – insbesondere in sozialökonomischen Krisenzeiten – nicht nur auf eine funktionsfähige Polizei, sondern auch auf funktionsfähige Polizeigewerkschaften verlassen können. Sie vertreten seine elementaren Interessen am Erhalt und Ausbau eines schlagkräftigen Repressionsapparates in der Öffentlichkeit mit am überzeugendsten und können potentielle Konfliktlinien zwischen dem Staat und seinen uniformierten DienerInnen noch am ehesten kitten.

Um denkbaren Ausschlussdiskussionen schon frühzeitig vorzubeugen, hat sich der DGB in einer am 7. Juli 2020 veröffentlichten Resolution unmissverständlich für den Verbleib der GdP im Gewerkschaftsbund ausgesprochen. »Wir als DGB-Gewerkschaften verurteilen jegliche Form von Gewalt sowie Diskriminierungen gegen Polizistinnen und Polizisten und solidarisieren uns mit unseren Kolleginnen und Kollegen bei der Polizei. Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) gehört für uns so selbstverständlich wie alle anderen Gewerkschaften zum DGB. Unsere Geschichte hat uns gelehrt, dass politische Spaltung den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern und allen abhängig Beschäftigten in unserem Land schadet.« Zwar kritisierte der DGB in dieser Solidaritätsadresse an die GdP-KollegInnen auch »die Beleidigungen, Anfeindungen, Diskriminierungen und Gewalt, die Menschen mit Migrationshintergrund und People of Color in Deutschland immer noch erfahren«, stellte diesen Rassismus aber auf eine Stufe mit gleichfalls inakzeptablen »Diskriminierungen«, die PolizeibeamtInnen und andere Angehörige des öffentlichen Dienstes erleiden müssten.

Dabei sind Vorstöße für einen Ausschluss der GdP aus dem Deutschen Gewerkschaftsbund in den letzten Jahren allenfalls vereinzelt unternommen worden. 2018 bspw. hatten Betriebsräte des Bremer Mercedes-Werks nicht nur gefordert, den damaligen GdP-Bundesvize nicht zum Hauptredner der Maikundgebung des DGB zu machen, sondern sich konsequenterweise auch gleich für die komplette Entfernung der Polizeigewerkschaft aus dem DGB ausgesprochen. Auf deutlich vernehmbare innergewerkschaftliche Kritik stieß auch die von der GdP betriebene Ausladung eines Antifa-Kongresses aus dem Münchener DGB-Haus im Herbst 2017. Weil die von der DPolG unter öffentlichen Druck gesetzte Polizeigewerkschaft innerhalb des DGB mit diesem Ansinnen lediglich einen vorübergehenden Erfolg verzeichnen konnte, forderte der bayerische Landesverband der GdP daraufhin seinerseits einen Austritt aus dem DGB wegen dessen vermeintlich »gestörtem Verhältnis zur Polizei«. Insgesamt aber befinden sich linke wie rechte BefürworterInnen einer organisatorischen Trennung von DGB und GdP innerhalb ihrer jeweiligen Lager in einer deutlichen Minderheit.

Auf dem Boden der Verfassung?

Der Grund hierfür dürfte weniger in der Jahrzehnte lang proklamierten Verfassungstreue der GdP als darin liegen, dass die gewerkschaftliche Identifikation mit dem Staat selbst und dessen Organen nach 1945 stark zugenommen hat. Alle Einzelgewerkschaften des DGB eint ein prinzipieller Antikommunismus, die GdP treibt ihn mit ihren turnusmäßigen Warnungen vor dem Linksextremismus lediglich auf die Spitze. Besondere Staats­nähe ist für DGB-Gewerkschaften noch nie ein Problem gewesen. Dass der Staat und seine Organe bei allem Reformeifer (und gelegentlichen Selbstmissverständnissen) immer nur die herrschende gesellschaftliche Ordnung konservieren, kommt bei Gewerkschaften, die den Kapitalismus ebenfalls nicht überwinden, sondern lediglich »sozialverträglich« machen wollen, alles andere als schlecht an. Insofern stellt es für sie auch kein größeres Problem dar, dass die Polizei schwerpunktmäßig gegen bestimmte Arten von Delinquenz (wie etwa Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz oder das Ausländerrecht) vorgeht, andere (wie die »weiße« Kriminalität des Kapitals) aber eher nachlässig behandelt und auf diese Weise die klassengesellschaftliche Ordnung reproduziert.

Gibt es Alternativen zu systemtreuen Polizeigewerkschaften? In ihrem Kommentar zum Programm der SDKPiL aus dem Jahr 1906 hatte Rosa Luxemburg zwar keine Polizisten, wohl aber Soldaten vor Augen, als sie – ähnlich wie Jahrzehnte später Pasolini – von »Proletariern in Uniform« sprach. Demnach sei der Militärdienst in der Kaserne vorsätzlich so eingerichtet, »aus dem Arbeiter und dem Bauern in Uniform ein gehetztes Tier zu machen, das blind und taub gegenüber allem außer den Befehlen seiner Kommandeure ist. Nach dem mehrjährigen Drill vergisst der Soldat, dass er ein Kind des Volkes ist, hört er überhaupt auf, darüber nachzudenken, was er tut, und ist er bereit, auf Befehl der Offiziere den eigenen Vater und die eigene Mutter zu ermorden. So haben die herrschenden Klassen und Regierungen im Militarismus eine Mordwaffe gegen die bewussten Arbeiter und aufrührerischen Bauern«. Das Äquivalent zur von Luxemburg deshalb geforderten Abschaffung des Militärs bestünde wahrscheinlich in einem »Defunding« der Polizei. Bis sich die Gesellschaft uniformierte und bewaffnete Ordnungskräfte irgendwann ganz spart, können solidarische Netzwerke kritischer PolizistInnen bereits heute gute Dienste dabei leisten, den Korpsgeist des Apparats zu unterminieren und damit sein Gefahrenpotential zu mindern.

 

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Malte Meyer lebt in Köln und beschäftigt sich mit Fragestellungen aus dem Themenfeld historischer und aktueller Gewerkschaftspolitik.

 

Literatur:

KOP – Kampagne für Opfer rassistisch motivierter Polizeigewalt: Chronik rassistisch motivierter Polizeivorfälle für Berlin von 2000 bis 2020, Berlin 2020

Kraushaar, Nina /Behr, Rafael: »Was Gewalt ist, bestimmen wir!« – Die Rolle der Polizei-Gewerkschaften bei der Konstruktion polizeilicher Wirklichkeit, in: Arbeitskreis empirische Polizeiforschung (Hrsg.): Polizei und Politik, Frankfurt/M. 2014, S. 52-77

Levin, Benjamin: What’s Wrong with Police Unions? in: Columbia Law Review 7/2020, S. 1333-1402

Meisner, Matthias/ Kleffner, Heike (Hrsg.): Extreme Sicherheit. Rechtsradikale in Polizei, Verfassungsschutz, Bundeswehr und Justiz, Freiburg 2019

Naumann, Annelie/ Hock, Alexej: Heimat für Law & Order? Soldaten und Polizisten in den AfD-Fraktionen. https://libmod.de/hock-naumann-afd-soldaten-polizisten/

Paul Gilroy: Police and thieves, in: Centre for Contemporary Cultural Studies (Hrsg.): The Empire Strikes Back. Race and Racism in 70s Britain, London 1982, S. 141-180

Reiner, Robert: The Blue-Coated Worker. A Sociological Study of Police Unionism, Cambridge 1978

 

 

 

Der Beitrag erschien in: express 8-9/2020 und wird hier mit freundlicher Genehmigung der Redaktion gespiegelt


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Bilder: DPolG und GdP