Die Grundrente läuft immer noch nicht rund – viele alte Menschen warten auf ihr Geld

Nach jahrelangem Hin und Her war es nach dem dritten Anlauf so weit: Zum Jahresbeginn 2021 wurde die Grundrente eingeführt. Langjährig  Rentenversicherte mit geringem Einkommen sollten automatisch einen monatlichen Zuschlag auf ihre Altersrente erhalten. In der Bundesregierung hatte man sich darauf geeinigt, dass die Bewilligung der Grundrente von einer Einkommensprüfung abhängig gemacht wird, wobei Rentenversicherung und Finanzverwaltung zusammenarbeiten sollen.

Die Rentenversicherung ist mit der Prüfung der Ansprüche auf die Grundrente der rund 26 Millionen Menschen im Altersrentenbezug allein gelassen worden. Ein Jahr nach der Einführung warten noch immer viele auf ihr Geld, da noch nicht alle Ansprüche geprüft werden konnten.

Grund für die Verzögerungen ist zu wenig Personal bei hohem Verwaltungsaufwand

Den Menschen im aktuellen Rentenbezug wurde versprochen, dass sie die Grundrente nicht extra beantragen müssen. Ihr Anspruch sollte automatisch geprüft werden, indem sich Rentenversicherungsträger und Finanzamt miteinander abstimmen. Dafür aber fehlte von vorneherein die nötige Infrastruktur. Die Rentenversicherung musste nach eigenen Angaben allein für die Bearbeitung der Grundrente 3.200 Beschäftigte neu einstellen.

Auch die enorm hohen Kosten sorgten im letzten Jahr für Kritik. Rund jeder vierte Euro von jährlich 1,3 Milliarden Euro für die Grundrente geht nach Angaben der Rentenversicherung  in der Aufbauphase für die Verwaltung drauf und auch in späteren Jahren, wenn der Aufbau der Datenautobahn abgeschlossen ist, rechnet man immer noch mit 13 Prozent der Ausgaben.

Der lange Vorlauf liegt an dem komplizierten Datentransfer zwischen der Deutschen Rentenversicherung und den Finanz- und Sozialbehörden, der erst einmal aufgebaut werden musste, um die Zuschläge berechnen zu können. Bei der Berechnung der Grundrente ist das zu versteuernde Einkommen maßgeblich. Nebentätigkeiten, Mieteinnahmen oder Kapitalerträge können dazu führen, dass weniger Grundrente gezahlt wird. Der Datentransfer läuft automatisch, allerdings übermitteln die Finanzbehörden die Daten mit zweijähriger Verzögerung.

Kommunikationsstörungen

Das jahrelange Prozedere um die Grundrente ist an den betroffenen alten Menschen völlig vorbeigegangen und die Kommunikation war und ist grottenschlecht. Niemand weiß etwas Genaues. Viele ältere Menschen wurden sogar Opfer von Trickbetrügern, die, getarnt als Angestellte der Rentenversicherung, versuchten, an persönliche Daten oder sogar die Bankverbindung von Versicherten zu kommen und deren Unsicherheit schamlos ausnutzten.

Dabei scheint die Grundrente selbst eine große Mogelpackung zu werden, bei der der Niedriglohnsektor weiter festgeschrieben und mit staatlichen Subventionen gefüttert wird, anstelle den Mindestlohn und die Grundsicherung gemäß Sozialgesetzbuch XII kräftig anzuheben, um im Alter ein menschenwürdiges Auskommen zu haben.

Grundrente als staatliche Einkommensaufstockung

Nach den aktuellen Statistiken der Bundesagentur für Arbeit (BA) belief sich die Zahl der abhängig erwerbstätigen Menschen, die zusätzlich zu ihrem Erwerbseinkommen aufstockend Arbeitslosengeld II-Zahlungen erhalten auf knapp eine Million. Sie stellen weiterhin rund ein Viertel aller Hartz-IV-Bezieher.

Bei den Beschäftigten, die zusätzlich zu ihrem Erwerbseinkommen Arbeitslosengeld II-Zahlungen erhielten, bilden mit einem Anteil von über einem Drittel die Teilzeitbeschäftigten die größte Gruppe. Für sie dürften der Beschäftigungsumfang und die unzureichenden Löhne die Gründe für das Aufstocken mit Hartz-IV sein. Mit 17,2 Prozent geht hingegen nur ein geringer Anteil der Aufstocker einer sozialversicherungspflichtigen Vollzeitbeschäftigung nach. Zu den subventionierten Beschäftigten zählen auch knapp 60.000 Auszubildende, das sind 5,2 Prozent aller Aufstocker.

Auf dem Rücken der Beschäftigten werden den Unternehmen die Personalkosten erspart und skandalös ist, dass diese Lohndrückerei vom Staat auch noch subventioniert wird.

Ähnliches ist nun bei den Renten passiert. Die Vorgängerregierung von Union und SPD hatte in ihrem Koalitionsvertrag vereinbart, dass die neue Grundrente ein Alterseinkommen, zehn Prozent oberhalb des Grundsicherungsbedarfs, garantieren soll.

Bundesarbeitsminister Hubertus Heil hatte, ähnlich wie seine Vorgängerinnen Ursula von der Leyen und Andrea Nahles, ein Konzept für eine Grundrente vorgelegt, das nach vielen Änderungen diesmal als Gesetz in Kraft trat.

Die Grundrente soll garantieren, dass

  • für drei bis vier Millionen ehemalige Geringverdiener die Rente um bis zu 447 Euro monatlich aufgestockt wird, wenn sie sozialversicherungspflichtig gearbeitet haben und 35 Jahre Beitragszahlung und/oder Kindererziehung oder Pflegetätigkeit nachweisen können.
  • die Rentenversicherung künftig bei jedem Versicherten automatisch prüft, ob er Anspruch auf die Grundrente hat. Dafür wird die Summe der gesammelten Rentenpunkte durch die Versicherungsjahre geteilt. Kommt ein Versicherter im Jahresdurchschnitt auf weniger als 0,8 Punkte, wird er automatisch hochgewertet.
  • die Grundrente nicht nur für Neu-Rentner, sondern auch für die bisherigen Rentner gelten wird.
  • zu 75 Prozent Frauen davon profitieren sollen

und

die Leistungen aus Steuermitteln finanziert werden.

Strittig war lange, ob das alles ohne eine Bedürftigkeitsprüfung bei den alten Menschen gehen soll. Schließlich hat man sich darauf geeinigt, dass die Bewilligung der Grundrente von einer Einkommensprüfung abhängig gemacht wird, wobei Rentenversicherung und Finanzverwaltung zusammenarbeiten sollen. Dabei soll ein Einkommensfreibetrag in Höhe von 1.250 Euro für Alleinstehende und 1.950 Euro für Paare gelten.

Die Grundrente, sowie die geplanten Freibeträge in der Grundsicherung nach dem SGB XII und beim Wohngeld sollen über Steuern und ohne eine Beitragserhöhung in der Rentenversicherung finanziert werden. Dazu muss der Bundeszuschuss zur allgemeinen Rentenversicherung erhöht werden. Als wichtiger Beitrag zur Finanzierung der auf 1,3 bis 1,6 Milliarden Euro geschätzten Kosten pro Jahr, sollte die im Koalitionsvertrag  der vorherigen Regierung vereinbarte Finanztransaktionssteuer eingeführt werden – diese Steuer ist aber nicht in Sicht, jetzt kommt das Geld aus dem Bundeshaushalt.

Somit wird wieder einmal der Niedriglohnsektor weiter festgeschrieben und mit staatlichen Subventionen gefüttert, anstelle den Mindestlohn und die Grundsicherung kräftig anzuheben.

Vielmehr sollte man kurzfristig

  • SGB II-Leistungen/Hartz-IV durch eine Sanktionsfreie Mindestsicherung von 1.050 Euro grundlegend überwinden. Der Betrag umfasst dann den Lebensunterhalt, sowie die Wohnkosten und bei Bedarf ergänzend Wohngeld.
  • Sanktionen in der Grundsicherung völlig ausschließen, das Konstrukt der Bedarfsgemeinschaft aufheben und stattdessen die gesetzlichen Unterhaltsansprüche berücksichtigen.
  • durch die Stärkung der Leistungsansprüche in der Gesetzlichen Rentenversicherung und mit der Solidarischen Mindestrente in Höhe von 1.050 Euro die Altersarmut bekämpfen.
  • die Solidarische Mindestrente dann für Personen im Rentenalter ohne ausreichendes Einkommen und Vermögen zur Verfügung stellen.
  • alle in Deutschland lebenden Erwachsenen unterhalb des Rentenalters, die über kein ausreichendes Einkommen oder Vermögen verfügen, als Anspruchsberechtigte ansehen

und

das Asylbewerberleistungsgesetz abschaffen und die betreffenden Personen durch die regulären Grundsicherungssysteme absichern.

Niedriglohn und geringfügige Beschäftigung führen in die Sackgasse

Wie die vorgebliche Notwendigkeit der Lohn- und Rentenaufstockung durch öffentliche Mittel zeigt, ist die Lohnpolitik der letzten Jahrzehnte für die Beschäftigten und Rentenbezieher vor die Wand gefahren worden – als Preis für die Exportweltmeisterschaft und Vermögensbildung bei den Reichen.

Mit der Einführung der Grundrente, wird sich der Niedriglohnsektor weiter vergrößern, so, wie es mit der Hartz-IV/Arbeitslosengeld II-Einführung im Jahr 2005 auch vorgesehen war.

Die Zurschaustellung von Handlungsbereitschaft der Großen Koalition mit dem 3. Anlauf der Einführung der Grundrente sollte vor den Bundestagswahlen im vergangenen Jahr verdecken, dass die öffentliche Hand geringfügig entlohnte Beschäftigte mit Milliardenbeträgen unterstützen muss, weil diese Menschen von ihrer Arbeit nicht leben können und dass die Geschichte von der Brückenfunktion der Mini-Jobs ein Märchen ist, weil kaum jemand es schafft, über diese Beschäftigung den Um- und Aufstieg in ein sozialversicherungspflichtiges und finanziell ausreichendes Vollzeitarbeitsverhältnis mit guter Altersabsicherung zu ergattern.

 

 

 

 

 

Quellen: BA, Deutschlandfunk, Neue Zeit, Süddeutsche, bundesregierung.de, Tagesspiegel

Bild: ver.di