Die katholische Kirche ist der Ansicht, sie sei berechtigt, dem Chefarzt eines katholischen Krankenhauses zu kündigen. Denn er habe »den heiligen und unauflöslichen Charakter der Ehe« missachtet, indem er sich scheiden ließ und erneut heiratete. Doch die Richter sind verständnisvoller als der Klerus: Eine solche Kündigung ist nach Ansicht des Europäischen Gerichtshofs rechtswidrig.
Von 2000-2009 war JQ, der katholischer Konfession ist, Chefarzt der Abteilung »Innere Medizin« eines katholischen Krankenhauses in Düsseldorf. Dieses Krankenhaus wird von IR betrieben, einer deutschen GmbH, unter Aufsicht des katholischen Erzbischofs von Köln. Als IR erfuhr, dass JQ nach Scheidung von seiner ersten Ehefrau standesamtlich wieder geheiratet hatte, kündigte sie seinen Arbeitsvertrag.
Nach Ansicht von IR hat JQ durch Eingehung einer nach kanonischem Recht ungültigen Ehe erheblich gegen arbeitsrechtliche Verpflichtungen verstoßen. Nach kanonischem Recht sei die Ehe eines durch eine frühere Ehe gebundenen Katholiken ungültig. Der Abschluss einer nach Glaubensverständnis und Rechtsordnung der Kirche ungültigen Ehe sei ein schwerwiegender Loyalitätsverstoß.
Der Fall gelangte vor das Bundesarbeitsgericht (BAG). Das BAG fragte beim Europäischen Gerichtshof (EuGH), ob ein Verständnis des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts, das es der katholischen Kirche erlaube, unterschiedliche Loyalitätsanforderungen an ihre Arbeitnehmer aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit zu stellen, auch wenn sie ähnliche Aufgaben wahrnehmen, mit EU-Recht, hier dem in der europäischen Gleichbehandlungsrahmenrichtlinie (RL) 2000/78/EG niedergelegten Verbot der Diskriminierung aufgrund der Religion, vereinbar ist.
Religiöse Diskriminierung
Generalanwalt (GA) Melchior Wathelet führt aus, nach der RL stelle eine Ungleichbehandlung wegen Religion oder Weltanschauung einer Person dann keine Diskriminierung dar, wenn die Religion oder Weltanschauung dieser Person nach Art der Tätigkeiten oder der Umstände ihrer Ausübung eine wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung angesichts des Ethos der Organisation darstelle.
Im Hinblick auf den Kündigungsgrund sei zu prüfen, ob die Situationen, in denen sich katholische Arbeitnehmer einerseits und Arbeitnehmer einer anderen Konfession oder ohne Konfession andererseits befänden, unter dem obj. Blickwinkel der beruflichen Tätigkeit – hier Erbringung von Gesundheitsdiensten – des kirchlichen Arbeitgebers vergleichbar seien.
Im vorliegenden Fall sei die Anforderung die Zustimmung zu einer bestimmten Überzeugung der katholischen Kirche, nämlich dem Eheverständnis entsprechend der Definition durch Lehre und kanonisches Recht der katholischen Kirche, was die Beachtung der religiösen Form der Ehe und des heiligen und unauflöslichen Charakters des Ehebandes einschließe.
Keine gerechtfertigte berufliche Anforderung
Im vorliegenden Fall stelle eine solche Überzeugung offenkundig keine berufliche Anforderung und erst recht keine wesentliche und gerechtfertigte berufliche Anforderung dar. Sie stehe in keinem Zusammenhang zur beruflichen Tätigkeit, nämlich Gesundheits- und Pflegedienste für Kranke. Dies werde dadurch deutlich, dass die Zugehörigkeit zur katholischen Kirche keine Voraussetzung für die Besetzung der Stelle des Chefarztes der Abt. »Innere Medizin« sei und IR Nichtkatholiken für Stellen mit medizinischer Verantwortung einstelle und ihnen Leitungsaufgaben übertrage.
Zudem fehle der fraglichen Anforderung durch ihre Ausrichtung auf das Privat- und Familienleben von JQ jede mögliche Verbindung zu den Verwaltungsaufgaben als Chefarzt. Somit handele es sich nicht um eine echte berufliche Anforderung.
Des Weiteren sei die Beachtung des Eheverständnisses nach Lehre und kanonischem Recht der katholischen Kirche keine wesentliche berufliche Anforderung, da sie nicht aufgrund der Bedeutung der beruflichen Tätigkeit, nämlich Erbringung von Gesundheitsdiensten, notwendig erscheine, damit IR ihr Ethos bekunden oder ihr Recht auf Autonomie ausüben könne. Bei Patienten oder Kollegen gebe es keine vorgefasste Meinung dahin, dass der Chefarzt der Abt. »Innere Medizin« katholisch sei, und erst recht nicht dahin, dass er keine nach Lehre und kanonischem Recht der katholischen Kirche ungültige Ehe eingegangen sei. Für diese Patienten und Kollegen zählten vielmehr seine Qualifikationen und medizinischen Fähigkeiten sowie Managementqualitäten.
Aus denselben Gründen sei die fragliche Anforderung alles andere als gerechtfertigt. Scheidung und standesamtliche Wiederheirat stellten keine wahrscheinliche oder erhebliche Gefahr einer Beeinträchtigung des Ethos von IR oder ihres Rechts auf Autonomie dar. Für den Fall, dass es dem BAG nicht möglich sein sollte, deutsches Recht im Einklang mit der RL auszulegen, weist der GA darauf hin, dass das Verbot der Diskriminierung wegen Religion oder Weltanschauung angesichts des historischen Kontextes der Gründung der Europäischen Union (EU) einen grundlegenden Wert von Verfassungsrang der EU-Rechtsordnung darstelle, der vom EuGH als allgemeiner Grundsatz des EU-Rechts anerkannt worden sei.
Dieses Verbot verleiht dem Einzelnen ein subjektives Recht, das er in Rechtsstreitigkeiten zwischen Privatpersonen als solches geltend machen kann. Sollte es dem BAG nicht möglich sein, nationales Recht im Einklang mit der RL auszulegen, sei es verpflichtet, den dem Einzelnen aus dem allgemeinen Verbot der Diskriminierung wegen der Religion erwachsenden Rechtsschutz zu gewährleisten und für die volle Wirksamkeit dieses Verbots zu sorgen, indem es erforderlichenfalls jede entgegenstehende nationale Vorschrift unangewendet lasse.
Ende in Sicht
Der Antrag eines GA ist noch kein Urteil. Es ist jedoch zu erwarten, dass der EuGH, wie er dies übrigens in der Mehrheit der Fälle tut, dem Antrag des GA in seinem Urteil folgen wird. Das EuGH-Urteil seinerseits ist dann verbindlich für das BAG. Ein gutes Ende dieses seit Jahren ausgetragenen Kündigungsrechtsstreits für den Chefarzt ist abzusehen.
Autor:Torsten Walter, LL.M. (Leicester), DGB Bundesvorstand, Abteilung Recht Bildbearbeitung: L.N.