Diese Toten sind die Folge des Rechtsrucks

Mittlerweile verliert jeder Siebte, der die Überfahrt nach Europa wagt, sein Leben. Über 1.400 Menschen starben 2018 schon im Mittelmeer, die Dunkelziffer dürfte weit höher liegen. Der erneute Anstieg der Todeszahlen ist eine direkte Folge auch der deutschen Politik.

Dieser Tage treffen sich die EU-Innenminister in Innsbruck. In einer eigenen Runde will Innenminister Horst Seehofer mit seinen Kollegen von der rechtspopulistischen FPÖ (Freiheitliche Partei Österreichs) und der rechtsextremen Lega aus Italien eine »Kooperation der Tätigen« bilden. Tätig heißt dabei: Die absolute Abschottung der europäischen Außengrenzen. Während man in Fragen der EU-Binnenmigration auseinander liegt, ist man sich darin einig. Es soll schlichtweg niemand mehr nach Europa kommen und hier einen Asylantrag stellen können. Dass das zur Folge hat, dass vor den Toren Europas, vor unseren Augen, Menschen ertrinken, wird dabei in Kauf genommen – es dient ja der Abschreckung.

Es sind keine Zahlen, es sind Menschen

Die offiziellen Schätzungen des UNHCR liegen bei aktuell 1.408 ertrunkenen Flüchtlingen, die meisten davon auf der zentralen Mittelmeerroute. Hierbei handelt es sich aber nur um die offiziell protokollierten Toten. Wessen Leichnam nicht gefunden wird, der bleibt in der Statistik unerwähnt, wie ein Seenotretter in diesem Erfahrungsbericht eindrücklich vorrechnet:

»Zu der Zeit, als ich noch im Mittelmeer mitgefahren bin, da entdeckten wir pro Tag und pro Schiff – und wir waren viele Schiffe – mindestens 2, oftmals 3 bis 5 gekenterte Schlauchboote. Rundherum trieben häufig ein paar Leichen im Wasser. Die Körper, meist in Bauchlage, stark aufgebläht, der Kopf unter Wasser, die Haut aufgedunsen und völlig weiß – von Kindern und Frauen bis hin zu kräftigen Männern. […] Jedes dieser Boote war mit Sicherheit mit bis zu 180 Menschen gefüllt, wie wir von den Booten wissen, die noch nicht gekentert waren und internationale Gewässer erreichten.

Alle Leichen haben wir aber nie gefunden. […] Wir konnten nur die auf dem Wasser treibenden Leichen zählen und haben es dann Rom so weitergegeben. Das waren immer etwa 10–20 tote Körper. Nur diese Leichname sind in die Statistik der Ertrunkenen im Mittelmeer eingeflossen. Dann erhält man eine Zahl wie 1.500 oder auch mal 3.000 pro Jahr. Eine sehr geschönte Zahl, so makaber das auch klingen mag.«

Deutlich wird auch: Im Juni stiegen die Todeszahlen drastisch an. Nachdem Malta und Italien diversen Seenotrettungsschiffen die Einfahrt verweigerten, einige Schiffe sogar festgesetzt und damit an weiteren Rettungseinsätzen gehindert wurden. Nachdem Horst Seehofer in Deutschland Zurückweisungen an EU-Binnengrenzen forderte. Nachdem das Nachbarland Österreich sogar schon Grenzübungen unter dem von Rechtsextremen genutzten Motto »Pro Borders« veranstaltete.

Mittlerweile stirbt, dem UNHCR zufolge, jeder siebte Mensch, der die Überfahrt wagt. Weit mehr als noch in den Vorjahren, Anfang 2017 war es noch einer von 38.

Wer in »unser Meer« kommt, den lassen wir absaufen

Italien hatte währenddessen vor wenigen Jahren noch eine eigene Seenotrettungsmission, die bis Oktober 2014 zehntausenden Flüchtlingen das Leben rettete. Nachdem sich die übrigen europäischen Regierungen aber beharrlich weigerten, das Projekt zumindest finanziell zu unterstützen, wurde »Mare Nostrum« (deutsch: »Unser Meer«) beendet. Heute scheint die Prämisse der neuen italienischen Regierung hingegen zu sein: »Wer in unser Meer kommt, den lassen wir absaufen«. Nun sollen nämlich nicht mehr »nur« die privaten Seenotrettungsinitiativen kriminalisiert werden:

Selbst Schiffe, die im Rahmen der EU-Operation EUNAVFOR Med (genannt »Sophia« – sozusagen der europäische Nachfolger von »Mare Nostrum«, allerdings mit dem Fokus auf »Schlepperbekämpfung«, nicht auf Seenotrettung) im Mittelmeer unterwegs sind, sollen nicht mehr in italienischen Häfen einlaufen dürfen, wenn sie aus Seenot gerettete Flüchtlinge an Bord haben.

Anstrengungen zur Verhinderung der Rettung von Menschenleben

Die Hardliner der Abschottung führen also Regie in der Europäischen Union. Keine fünf Jahre ist es her, dass der damalige EU-Parlamentspräsident Schulz angesichts der Zustände im Mittelmeer von einer »Schande für die EU« gesprochen hatte und mehr Anstrengungen zur Rettung von Menschenleben forderte. Worte, die klingen, wie aus einer anderen Epoche, kaum ein Verantwortlicher spricht heute noch davon. Das Gebot der Stunde scheinen im Gegensatz Anstrengungen zur Verhinderung der Rettung von Menschenleben zu sein.

(mk)

 

Quelle und weitere Infos:  www.proasyl.de/

Bild: nord-dgb.de