Die Frankfurter Urteile zum GDL-Streik

Von Rolf Geffken

Das Arbeitsgericht Frankfurt und das LAG Hessen haben die Rechtmäßigkeit des GDL-Streiks bei der Deutschen Bahn bestätigt. Der Antrag der DB auf Erlaß einer „einstweiligen Verfügung“, mit der der Streik verboten worden wäre, wurde vom Arbeitsgericht Frankfurt am 2.9.21 zurückgewiesen. Die dagegen gerichtete Berufung wurde vom LAG Hessen durch Entscheidung vom 3.9.2021 zurückgewiesen. Die von der DB vorgetragenen Argumente wurden sämtlich von beiden Gerichten zurückgewiesen. Der GDL wurde bestätigt, daß sie Tarifforderungen für ihre Mitglieder auch dann erheben und für sie streiken könne, wenn diese nicht zur Beschäftigtengruppe der Lokführer gehöre. Insbesondere das LAG Hessen lehnte auch die Auffassung ab, die GDL führe einen „illegalen Unterstützungsstreik“ für andere Bahn-Beschäftigte durch.

Die beiden Gerichte haben damit im Grunde genommen nicht nur zur Frage der rechtlichen Zulässigkeit des Bahnstreiks Stellung genommen, sie haben auch zahlreiche der in den Medien gegenüber der GDL erhobenen Vorwürfe ad absurdum geführt. Die Frankfurter Urteile zum GDL-Streik weiterlesen

Werneke: „Finger weg vom Streikrecht!“ – Tarifeinheitsgesetz abschaffen

Die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) warnt vor den Plänen der CDU-Mittelstandsvereinigung zur Aushöhlung des Streikrechts und fordert stattdessen die Abschaffung des Tarifeinheitsgesetzes: „Die CDU-Mittelstandsvereinigung muss sich fragen lassen, ob sie überhaupt noch auf dem Boden des Grundgesetzes steht. Streikrecht und Koalitionsfreiheit sind essentielle Grundrechte. Daran hat niemand herumzupfuschen – schon gar nicht die konservative Wirtschaftslobby samt Arbeitgebern“, sagte der ver.di-Vorsitzende Frank Werneke am Montag. Werneke: „Finger weg vom Streikrecht!“ – Tarifeinheitsgesetz abschaffen weiterlesen

Amazon I: Streiken gegen Amazon – geht da endlich was?

Amazon ist in aller Munde. Medien und PolitikerInnen kriegen Gänsehaut angesichts des Reichtums und der Macht eines Jeff Bezos. Aber auch die Linke erschaudert vor der »totalen Kontrolle« der schlecht bezahlten und »menschenunwürdig ausgebeuteten« ArbeiterInnen in den Amazon-Lagern. Wieder einmal verklebt der Mythos der alles beherrschenden kapitalistischen Technologie die Hirne und verfälscht die politische Intervention! Die ArbeiterInnen nur als krass überwacht, atomisiert und ohnmächtig darzustellen, ist der typisch paternalistische Zugang vieler Linker und der meisten Gewerkschaften (»die Arbeiter sind ohne uns schwach«). In den folgenden Beiträgen schauen wir uns den Arbeitsprozess in einem Amazon- und im Lager eines Drogeriemarkts genauer an. Die ArbeiterInnen dort sind keineswegs hirnlose Maschinenanhängsel. Amazon I: Streiken gegen Amazon – geht da endlich was? weiterlesen

Amazon II: Rückblick auf ein US-amerikanisches Organizing-Desaster – Amazon schlägt Gewerkschaft in Alabama

Von Ruth Wiess / Elmar Wiegand – arbeitsunrecht.de

Für eine gewisse Zeit im April 2021 blickte die Weltöffentlichkeit auf den US-Bundesstaat Alabama und wartete gespannt auf den Ausgang der Wahlen zur Anerkennung der Einzelhandels, Grosshandels- und Kaufhausgewerkschaft RWDSU im Amazon-Lager BHM1 in Bessemer, einem Vorort von Birmingham.

Dass sie weltweite Aufmerksamkeit für einen demokratischen Wahlkampf am Arbeitsplatz erzeugen konnte, war womöglich der grösste Verdienst der RWDSU in dieser Schlacht, die mit einer vernichtenden Niederlage endete. Manche meinen, dass die Niederlage bereits zu Beginn feststand und anhand der Ausgangslage unvermeidlich war. Dieser Artikel fasst Union-Busting-Massnahmen und mögliche Lehren zusammen. Amazon II: Rückblick auf ein US-amerikanisches Organizing-Desaster – Amazon schlägt Gewerkschaft in Alabama weiterlesen

Der Kern des Bahn-Streits: Heimliches Kündigungsrecht für die Staatsgewerkschaft EVG

Von Werner Rügemer

Zum Ende 2020 liefen im DB-Konzern die Tarifverträge aus. Der Bahnvorstand forderte mit Rücksicht auf die pandemiebedingten Verluste eine Minusrunde. Zunächst hatte der Vorsitzende der größeren Bahn-Gewerkschaft EVG, Klaus-Dieter Hommel, getönt: „Mit mir wird es keine Nullrunde geben“.

Aber dann segnete Hommel für die EVG nicht nur eine Null-, sondern sogar eine Minus-Runde ab: Am 17.9.2020 unterschrieb Hommel den Tarifvertrag im Verkehrsministerium von Andreas Scheuer: Keine Lohnerhöhung bis 1.1.2022, danach 1,5 Prozent bis 28.2.2023. Das ist eine reale Lohnsenkung angesichts der durch die Corona-Politik der Bundesregierung beschleunigten Inflationsrate: die beträgt gegenwärtig 1,8 Prozent und steigt absehbar weiter.

Die abhängige Staatsgewerkschaft EVG hatte somit der Erpressung des Bahnvorstands sofort und konfliktscheu zugestimmt, hatte dazu die Mitglieder nicht befragt. Dagegen verweigerte die kleinere Gewerkschaft GDL die Zustimmung, führte eine Urabstimmung durch – Ergebnis: Ablehnung der Minusrunde und Streik. Der Kern des Bahn-Streits: Heimliches Kündigungsrecht für die Staatsgewerkschaft EVG weiterlesen

Visionär der Befreiung – Zum Tod von Mikis Theodorakis, ein Wunder an Schöpferkraft und Überzeugung

Von Gunnar Decker

Er war vieles in seinem langen Leben. Und immer vieles zugleich: Komponist von über tausend Werken – von Symphonien, Opern, Balletten, Kammermusiken, Kantaten, Oratorien, Hymnen, Liederzyklen, bis zu Theater- und Filmmusiken, aber dabei immer auch Widerstandskämpfer, Kommunist, Anarchist, Parlamentarier und sogar Minister. Ein Wunder an Schöpferkraft!

Doch die Griechen verehren Mikis Theodorakis vor allem als jemanden, der nicht nur Politik machte, sondern diese als Künstler auch immer wieder hart kritisierte. Ein Musiker, der die Sehnsüchte des Volkes verstand und ihnen einen – überparteilichen – Ausdruck zu geben vermochte! Dieser unbequeme Einzelgänger war gewiss einer der wenigen Intellektuellen der Gegenwart, der diesen Namen verdiente: das Gewissen der Nation im Sinne Èmile Zolas und seines »J’accuse!« Ich klage an! Visionär der Befreiung – Zum Tod von Mikis Theodorakis, ein Wunder an Schöpferkraft und Überzeugung weiterlesen

Macht. Gemeinsame Sache.- Gewerkschaften, Organizing und der Kampf um die Demokratie

In ihrem neuen Buch zeigt Jane McAlevey, warum und wie die potenziell wichtigste Kraft im Kampf gegen soziale Ungerechtigkeit und den Rechtsruck gestärkt werden kann: «In einer Welt der massiven Einkommensungleichheit und ausufernder sexueller und ethnischer Diskriminierung ergreife ich mit diesem Buch für die Gewerkschaften Partei. Die Auswirkungen wirtschaftlicher, politischer und sozialer Ungleichheit sind real, gefährlich und unbestreitbar. Dieses Buch handelt davon, wie wir mithilfe der Gewerkschaften aus dem Schlamassel herauskommen können, in dem wir uns gegenwärtig befinden.»

Welche gesellschaftliche Kraft könnte in der Lage sein, die Umverteilung des Reichtums von unten nach oben umzukehren, dem Klimawandel und der Umweltzerstörung Einhalt zu gebieten und sozial und ökologisch nachhaltige Verhältnisse zu erkämpfen? Für die Autorin gibt es darauf eine klare Antwort: Die Gewerkschaften. Macht. Gemeinsame Sache.- Gewerkschaften, Organizing und der Kampf um die Demokratie weiterlesen

Das Modell der 24-Stunden-Pflege: Um die Löhne zu drücken und arbeitsrechtliche Bestimmungen zu umgehen


Die häusliche Pflege in Deutschland ist mittlerweile vielfach  zur Ausbeutungsinstitution osteuropäischer Pflegerinnen und Tummelplatz von zwielichtigen und kriminellen Pflegediensten verkommen.

Unterbezahlung und Überarbeitung der Pflegekräfte gehören zum Alltag der Branche der 24-Stunden-Pflege. Offene Ausbeutung heißt das Geschäftsmodell, mit dem die Unternehmen arbeiten, indem sie gezielt Beschäftigte aus Osteuropa anwerben, die die Sprache oft nicht beherrschen und in keinerlei gewerkschaftlichen Strukturen eingebunden sind, um so die Löhne zu drücken und arbeitsrechtliche Bestimmungen zu umgehen.

Mit dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 24. Juni 2021 gerät zumindest einmal das Modell der 24-Stunden-Pflege auf den Prüfstand und einer breiten Öffentlichkeit wurde erstmals bekannt, dass es dieses Modell in der Pflege gibt und wie es funktioniert. Das Modell der 24-Stunden-Pflege: Um die Löhne zu drücken und arbeitsrechtliche Bestimmungen zu umgehen weiterlesen

Verkürzung der Arbeitszeit in Island, mit verblüffendem Erfolg – wird nun die Tür zur Arbeitszeitverkürzung in Europa geöffnet?

Auf Druck der Gewerkschaften und zivilgesellschaftlicher Gruppen hatten der Stadtrat von Reykjavík und die isländische Regierung 2015 das weltweit größte Experiment zur Arbeitszeitverkürzung gestartet. Vier Jahre lang haben 2.500 Beschäftigte aus über 100 Unternehmen statt 40 im Schnitt nur 35 oder 36 Stunden in der Woche gearbeitet und das bei vollem Lohn.

Die nun vorliegende Studie zeigt, dass der Versuch einer Arbeitszeitverkürzung im Öffentlichen Dienst ein überwältigender Erfolg war und dass der Öffentliche Sektor ein Vorreiter bei kürzeren Arbeitswochen sein kann.

Der Versuch war so erfolgreich, dass nun generell die Arbeitszeitregelungen in Island geändert wurden, jetzt haben 86 Prozent der dortigen Beschäftigten eine Arbeitszeitverkürzung oder die Möglichkeit dazu bekommen.

Das isländische Beispiel kann dazu dienen, eine gute Vorlage für die Arbeitszeitverkürzung in anderen Ländern zu geben oder den dortigen Bemühungen kräftigen Aufwind zu verschaffen. Verkürzung der Arbeitszeit in Island, mit verblüffendem Erfolg – wird nun die Tür zur Arbeitszeitverkürzung in Europa geöffnet? weiterlesen

Keine Bewegung bei der DB – GDL kündigt weitere Arbeitskämpfe an

Die Deutsche Bahn (DB) bewegt sich weiterhin keinen Millimeter im von ihr selbst verschuldeten Tarifkonflikt. Sie strebt kein echtes Einlenken an, sondern hält in voller Absicht an ihrem strikten Verweigerungskurs fest. Dabei nimmt sie ganz bewusst wirtschaftliche Nachteile und die Belastung der Reisenden in Kauf.

Dies alles geschieht mit dem Ziel, die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) als einzig kritische Gewerkschaft im Eisenbahnmarkt zu eliminieren. „Mit inhaltsleeren Scheinofferten und fadenscheinigen Desinformationskampagnen willfähriger Politiker wollen die Manager die GDL diskreditieren“, so der GDL-Bundesvorsitzende Claus Weselsky. „Doch das sind alles alte Hüte. Der wahre Verweigerer ist die DB, darüber können die Tricks aus der Mottenkiste der DB-PR-Maschinerie nicht hinwegtäuschen. Hätten die hochbezahlten Führungskräfte nicht so eine kurze Halbwertzeit im Konzern, wüssten sie, dass der GDL und ihren Mitgliedern damit nicht beizukommen ist.“ Keine Bewegung bei der DB – GDL kündigt weitere Arbeitskämpfe an weiterlesen

Tiefe Spuren einer Parallelgesellschaft – das kirchliche Arbeitsrecht

Von Martin Dieckmann

Ein einheitlicher, allgemeinverbindlicher Pflege-Tarifvertrag ist am Widerstand der kirchlichen Träger Caritas und Diakonie gescheitert. Die katholische Caritas erklärte, man wolle sich nicht von einer „Minderheit“ einen Tarifvertrag aufzwingen lassen. In der zuständigen Arbeitsrechtlichen Kommission auf evangelischer Seite ließ man die Arbeitnehmerseite erst gar nicht zu Wort kommen: der Antrag auf Abstimmung wurde abgelehnt. Anfangs war die Empörung über diese Haltung groß, auch in den beiden Großkirchen meldeten sich Kritiker:innen zu Wort. Bei aller Kritik und Empörung: Dass die Kirchen hier ein so wichtiges Projekt mit einem einfachen Nein schlicht zum Scheitern bringen konnten, ist schon kein Thema mehr. Oder doch? Tiefe Spuren einer Parallelgesellschaft – das kirchliche Arbeitsrecht weiterlesen

Der große Knall – Sechs Tote bei Chemie-Unglück

Von Jan Pehrke

Am Morgen des 27. Juli ereignete sich auf dem Gelände des Leverkusener Chemparks eine Explosion, die sieben Menschen-Opfer forderte. Zudem verletzten sich 31 Personen zum Teil schwer. Noch in 40 Kilometer Entfernung von der Unglücksstelle schlugen die Messgeräte des nordrhein-westfälischen Geologischen Dienstes aus, eine solche Kraft hatten die Druckwellen. Die Giftwolke war ebenfalls weithin sichtbar. Eine Warn-Meldung der Kategorie „extreme Gefahr“ setzten die Behörden ab. Die nächsten Wohnhäuser liegen noch nicht einmal einen Kilometer von dem „Entsorgungszentrum“ entfernt. Neue Anlagen dürfen nach den Maßstäben der – von der Industrie massiv bekämpften – Seveso-III-Richtlinie gar nicht mehr so dicht an Siedlungen heranreichen. Der große Knall – Sechs Tote bei Chemie-Unglück weiterlesen

Von wegen Rekommunalisierung der Krankenhäuser oder eine Vergesellschaftung der Klinikkonzerne – im Ruhrgebiet läuft gerade eine Krankenhaus-Mega-Fusion

Aufgrund der schlechten Erfahrungen mit den kaputtgesparten Krankenhäusern in den vergangenen Jahren sind die Stimmen lauter geworden, die eine Rekommunalisierung der Krankenhäuser und eine Vergesellschaftung der Klinikkonzerne fordern. Erste Rechtsgutachten, die die rechtliche Zulässigkeit einer solchen Vergesellschaftung untersuchen, gibt es bereits.

Zeitgleich werden aber Krankenhäuser, die nicht den erwarteten Gewinn erwirtschaften, geschlossen und die weitere Konzentration auf dem Gesundheitsmarkt geht scheinbar unbemerkt ihren Weg.

So auch im Ruhrgebiet, dort haben sich die katholischen Kliniken in Dortmund, Castrop-Rauxel, Lünen, Werne, Hamm und Schwerte zur „Kath. St. Paulus Gesellschaft“ zusammengeschlossen. Es ist ein Gesundheitsverbund mit rund 10.000 Beschäftigten und einem Jahresumsatz von über 800 Millionen Euro entstanden. Von wegen Rekommunalisierung der Krankenhäuser oder eine Vergesellschaftung der Klinikkonzerne – im Ruhrgebiet läuft gerade eine Krankenhaus-Mega-Fusion weiterlesen

50 Jahre BAföG: Von der Möglichkeit von Chancengleichheit für Arbeiterkinder zur Überschuldungsfalle im Bildungsbereich

Als am 1. September 1971 das Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) in Kraft trat, konnte man noch von einer Reform sprechen, die auch ihren Namen verdiente. Eingebettet in das Konzept eines einheitlichen, durchlässigen und öffentlichen Bildungswesens von der Vorschule über die Gesamtschule bis zur Gesamthochschule, das den Arbeiterkindern ermöglichen sollte, mit den Kindern aus den traditionellen Bildungsschichten auf Augenhöhe konkurrieren zu können. Erst das BAföG konnte in den 1970er Jahren den Kindern die Gelegenheit bieten, einen Bildungsweg einzuschlagen, der in einem Studium münden konnte und den Arbeiterfamilien die reale Chance bot, in die Mittelschicht aufzusteigen. Die jungen Menschen hatten das Gefühl, in eine Gesellschaft hineinzuwachsen, die an ihnen interessiert ist und sie als Vollmitglied integrieren will.

Das BAföG gab es als Vollzuschuss, es musste nichts zurückgezahlt werden. Individuell bedürftigen Studierenden wurde ein garantierter Rechtsanspruch auf Förderung zugesprochen, damit war diese Förderung einklagbar. Das neue Gesetz wurde als „Meilenstein für Chancengleichheit in der Bildung“ gefeiert. 50 Jahre BAföG: Von der Möglichkeit von Chancengleichheit für Arbeiterkinder zur Überschuldungsfalle im Bildungsbereich weiterlesen