Seit einiger Zeit hat man in Dortmund parteiübergreifend die Sicherheitspolitik entdeckt. Nachdem es in der Nordstadt andauernd zu Übergriffen von Sicherheitskräften auf Bewohner kommt und ganze Quartiere hermetisch abgeriegelt werden, um Kontrollen durchzuführen, möchte der Vorsitzende des Westfälischen Industrieklubs, J. Punge, ganz im Sinne einer Selbstjustiz, eine „Fangprämie“ für Bürger ausloben, die dabei helfen soll, Diebe oder Einbrecher zu stellen.
Die Stimmung wurde noch einmal durch eine Terrorwarnung Ende November angeheizt. Es wurde gewarnt, dass Leute aus dem IS-Umfeld in Dortmund einen Anschlag planen – der „dringende Tatverdacht“ wurde schnell in einen „einfachen Tatverdacht“ herabgestuft und verflüchtigte sich im Ungefähren.
Damit etwas „gegen den Terror von Morgen“ schon heute getan werden muss, hat OB Ullrich Sierau, in Anwesenheit von NRW-Innenminister Ralf Jäger und dem Präsidenten des NRW-Verfassungsschutzes Burkhard Freier, eine neue Beratungsstelle in Dortmund vorgestellt, die helfen soll, junge Menschen vom Abdriften in die gewaltbereite Salafismus-Szene abzuhalten, die es nach Meinung vieler Experte in Dortmund schlichtweg nicht gibt.
Nun meint auch die Stadt Dortmund ein Problem zu haben: Sie ist besorgt, weil die objektive Sicherheitslage und das subjektive Sicherheitsempfinden häufig nicht mehr übereinander zu bringen sind. Damit dies in Zukunft besser gelingt, will sie einen Masterplan „Kommunale Sicherheit“ erarbeiten.
Soll hier etwas vorangetrieben werden, damit die Bürger eher bereit sind, freiheitseinschränkende Maßnahmen zu akzeptieren, weil sie sich bedroht fühlen? Soll das erlebte Unsicherheitsgefühl die aktuelle Sicherheitspolitik legitimieren und umgekehrt sich das rechtspolitische Handeln verstärkt am Sicherheitsgefühl der Bürger orientieren und dass dann, wie im Stadtteil Nord, das Handeln bezüglich der objektiven Bedrohungslage völlig unangemessen entwickelt?
Der Begriff „Subjektives Sicherheitsgefühl“ ist derzeit in vieler Mund. Er drückt aus, wie die einzelne Person ihre Sicherheit einschätzt oder umgekehrt, sie die Gefahr sieht, dass ihre Rechtsgüter beeinträchtigt werden. Zumeist wird als Hauptursache für die befürchtete Rechtsgüterbeeinträchtigung eine zunehmende Kriminalität angenommen, weshalb das subjektive Sicherheitsgefühl über die Kriminalitätsfurcht hinausgeht. Das Sicherheitsgefühl erfasst auch die Beunruhigung durch mittelbare Beeinträchtigungen, wie die Besorgnis anlässlich massenhafter Kleinkriminalität sowie demonstrativer und ohne Ahndung bleibende Rechtsbrüche und Ordnungsstörungen.
Das Sicherheitsgefühl der Dortmunder Bürger ist offenbar schlechter, als es die Kriminalstatistik ausweist. Das soll mit einem neuen „Masterplan Kommunale Sicherheit“ nun in Einklang gebracht werden.
Für die Dortmunder Ordnungsdezernentin Diane Jägers, die im vergangenen Jahr stolz die erfolgreiche Arbeit der „Task Force Nordstadt“ präsentierte und betonte, dass seit Mai 2011 600 Anzeigen gegen Prostituierte, die ihren Drogenkonsum so finanzieren müssen, ausgesprochen wurden. Im Verbund mit typischen Drogendelikten wurden mehrere Frauen zu Haftstrafen von einigen Monaten bis hin zu vier Jahren verurteilt. Die Dezernentin rühmt sich damit, dass mindestens 13 Frauen, die als Prostituierte arbeiteten, in Haft sind. Für diese Frau mit CDU-Parteibuch hat sich „das subjektive Sicherheitsgefühl an manchen Stellen verschlechtert, ohne dass wir es objektiv nachvollziehen können“. Sie beklagt, dass in den vergangenen Monaten häufiger Ordnungskräfte angegangen worden seien und möchte auch auf die Globalisierung und weltweite Terrorbedrohungen hinweisen, die sich natürlich auch auf lokaler Ebene auswirken würden.
Der Masterplan „Kommunale Sicherheit“ soll folgende Zielsetzungen verfolgen:
1) Sicherheit als Standortfaktor: Aufdecken von Handlungsbedarfen durch die Analyse
von objektiver und subjektiver Sicherheit; Analyse des individuellen und abstrakten
Unsicherheitsgefühl im Vergleich zur objektiven Sicherheitslage; Differenzierung von
Handlungs- und Wirkungsbereichen.
2) Abkehr von der Versicherungsgesellschaft: Klärung der Rolle des Einzelnen im
Verhältnis zu den Aufgaben der kommunalen Institutionen.
3) Sicherheit als Exportmodell: Darstellung von übertragbaren Ansätzen,
wissenschaftlich und systematisch gewonnenen Erkenntnissen.
Beim neuen Masterplan soll ein integrierter, quartiersbezogener Ansatz gewählt werden. Neuere Untersuchungen sollen ergeben haben, dass nur eine solche Einheit, im Zusammenspiel aller Akteure, dann erst Maßnahmen zur Sicherheit sinnvoll und wirksam sind. Deshalb hat der Rat der Stadt Dortmund in seiner Sitzung vom 7. Mai 2015 bereits beschlossen, das Projekt „Nordwärts“ um die Schwerpunkte „Ordnung, Sauberkeit und Sicherheit“ zu erweitern.
Nach der Zustimmung im Rat im vergangenen Monat soll der Prozess Masterplan „Kommunale Sicherheit“ im Frühjahr 2016 beginnen und voraussichtlich im Herbst 2017 abgeschlossen sein.
Für die Hinzuziehung einer externen Moderation und Beratung des Masterplanprozesses,
einschließlich Kosten für die Prozessbegleitung und Öffentlichkeitsarbeit (Veröffentlichungen und Veranstaltungen), ist mit ca. 80.000 Euro zu rechnen.
Für die Stadt Dortmund kein Problem, bei dem neuen, insgesamt 60 Millionen Euro schweren Sparpaket, das man sich zur Haushaltssanierung verordnete, bei dem Einsparungsvorschläge im Musikschulbereich, bei der Schulbegleitung, bei der Kinder- und Jugendförderung, beim Ausbau der Kindertagesbetreuung, beim Familienprojekt und bei der stationären Pflege vorgesehen sind.
Dass in Dortmund seit Jahren Gewalt vor allem von der Naziszene, die von staatlichen Stellen aufgepäppelt wurde, ausgeht, ist hinreichend dokumentiert. Das wird kaum thematisiert.
Genau so wenig, wie die genau 107.669 „stillen SMS“, die die Dortmunder Polizei in den letzten anderthalb Jahren verschickte, um unbemerkt den Aufenthaltsort von 220 Empfängern zu lokalisieren.
Vielmehr kommt der Eindruck auf, dass die Politik die öffentliche Debatte bezüglich des Terrorismus und radikalen Islamismus bewusst anheizt, um so die kollektiven Ängste innerhalb der Bevölkerung weiter zu verstärken, um dann eine Legitimation dafür zu erhalten, gegen diese Bevölkerung z.B. der Nordstadt unangemessen hart vorzugehen.
Bei offiziell 36.000 erwerbslosen Personen, tausenden jungen Menschen, die keinen Ausbildungsplatz ergattern konnten, wo jeder vierte Dortmunder als einkommensarm gilt und auch jeder vierte Einwohner auf staatliche Leistungen zur Existenzsicherung angewiesen ist, wo im Dortmunder Norden jeder Dritte über 18 Jahren hoch verschuldet ist und wo in einigen Postleitzahlgebieten der Nordstadt die Verschuldung bei 28 Prozent der Einwohner liegt, da müssen die Menschen im Zaum gehalten und jeglicher Widerstand sofort eingedämmt und eingehegt werden.
Der neue Masterplan „Kommunale Sicherheit“ geht da schon in die richtige Richtung.
Quelle: WAZ
Bild: waz.de