Wie Milliardäre sich eine Reparatur vorstellen – Blackrock sieht große Chancen der Kapitalverwertung nach der Corona-Krise

Von Joachim Bischoff und Bernhard Müller

Larry Fink, Chef des zweitgrößten Vermögensverwalters Blackrock, erklärt im jährlichen Brief an seine Aktionäre zur Corana-Krise: »In meinen 44 Jahren in der Finanzindustrie habe ich noch nichts Vergleichbares erlebt.« Nach dieser Krise werde die Welt nicht mehr die gleiche sein.

»Die Psychologie der Anleger wird sich ändern. Die Geschäftstätigkeit wird sich ändern. Der Konsum wird sich ändern.« Um diese Krise zu besiegen, »brauchen wir eine Antwort, die über die Landesgrenzen hinausgeht«. Das beherzte Eingreifen von Zentralbanken und Regierungen schaffe die Grundlagen für einen neuen Aufschwung. Die Notenbanken gingen die Probleme auf den Kreditmärkten schnell an, die Regierungen flankierten aggressiv mit fiskalischen Anreizen und Hilfsprogrammen.

Das Tempo und die Form des Einschreitens würden stark von den Erfahrungen der globalen Finanzkrise 2008 beeinflusst. Die Akteur*innen müssten nicht mehr gegen dieselben strukturellen Herausforderungen ankämpfen wie noch vor zehn Jahren. Die Maßnahmen seien daher »wahrscheinlich wirksamer« und würden »schneller greifen«.[1]

Fink ist sich sicher: »Die Welt wird diese Krise überstehen. Die Wirtschaft wird sich erholen.« Zugleich böten sich Anleger*innen, die jetzt nicht den Kopf in den Sand steckten und den Blick nach vorn richteten, nun »enorme Chancen«. Wann die Märkte tatsächlich ihren Tiefpunkt erreicht hätten, könne niemand seriöser Weise wissen. Er persönlich und Blackrock hätten immer an die langfristige Perspektive geglaubt, diese gelte es weiter zu verfolgen. »Unternehmen und Investoren mit einem ausgeprägten Sinn für Ziele und einem langfristigen Ansatz werden diese Krise und ihre Nachwirkungen besser meistern können«, ist Fink überzeugt.

Was die formulierte Erwartung einer veränderten Geldanlage angeht, kommt Fink darauf in seinem Brief auch konkret zu sprechen. Im Kern geht es um das Thema Nachhaltigkeit – Blackrock hatte die Unternehmensführer dieser Welt bereits in einem Brief Mitte Januar zu mehr Anstrengungen aufgefordert und Aufsichtsräten und Vorständen Konsequenzen angedroht, sollten sie das Thema nicht ernst nehmen. Die weltweit 15.000 Unternehmen, an denen der Investmentriese aktuell beteiligt ist, dürften diese Sätze wohl nicht nur als leere Drohung verstehen.

Die Unternehmensphilosophie von Blackrock lautet: Um als Konzern dauerhaft erfolgreich zu sein, reiche es heute nicht mehr, die richtigen Produkte zu haben und Gewinne zu erzielen. Ein Unternehmen müsse vielmehr auch beweisen, dass es um seine gesellschaftlich-soziale Verantwortung weiß. Dass es die Nöte der Menschen und strukturelle Trends kennt, »von langsamen Lohnzuwächsen über die zunehmende Automatisierung bis zum Klimawandel«.

Kurzum: dass es einem »Zweck« dient, der über die kurzfristige Profitmaximierung hinausgeht. »Wir sind der Meinung, dass Anleger, ebenso wie Regulatoren, Versicherungen und die Öffentlichkeit mehr Informationen darüber brauchen, wie Unternehmen an das Thema Nachhaltigkeit herangehen. Diesbezügliche Daten sollten nicht nur das Klima betreffen, sondern auch Auskunft über den Umgang eines Unternehmens mit all seinen Interessensgruppen geben. Zentral sind Angaben zur Diversität der Belegschaft, zur Nachhaltigkeit der Lieferkette oder zum Schutz von Kundendaten. Die Wachstumsaussichten eines Unternehmens sind untrennbar mit seiner Fähigkeit verbunden, nachhaltig zu wirtschaften und all seinen Stakeholdern gerecht zu werden.

Der Unternehmenszweck und der Umgang mit Stakeholdern werden immer wichtiger, wenn es darum geht, wie ein Unternehmen seine Rolle in der Gesellschaft definiert. Wie ich schon in früheren Briefen betont habe, kann ein Unternehmen nur dann auf Dauer Gewinne erzielen, wenn es sich auf seinen Unternehmenszweck konzentriert und die Bedürfnisse seiner verschiedenen Stakeholder berücksichtigt.«

Wenn ein Unternehmen wesentliche Belange nicht ernst nehme, »sollte seine Führung nach unserer Überzeugung dafür zur Verantwortung gezogen werden. Im letzten Jahr hat Blackrock bei 4.800 Beschlussvorlagen von 2.700 verschiedenen Unternehmen gegen das Management votiert oder sich der Stimme enthalten. Wenn wir der Meinung sind, dass Unternehmen und ihre Führungsgremien keine aussagekräftigen Nachhaltigkeitsinformationen bereitstellen beziehungsweise kein Rahmenwerk für den Umgang mit diesen Themen implementieren, werden wir die Unternehmensführung dafür zur Rechenschaft ziehen.

Wir setzen uns im Dialog mit den Unternehmen bereits seit geraumer Zeit für Offenlegung ein. Angesichts der wachsenden nachhaltigkeitsbezogenen Anlagerisiken sind wir zunehmend geneigt, Vorständen und Aufsichtsräten unsere Zustimmung zu verweigern, wenn ihre Unternehmen bei der Offenlegung von Nachhaltigkeitsinformationen und den ihnen zugrunde liegenden Geschäftspraktiken und -plänen keine ausreichenden Fortschritte machen.«

Vor diesem Hintergrund sieht Fink die aktuelle Krise als Chance und auch als Katalysator für neue Finanzprodukte, die Kriterien wie Umweltschutz, Soziales und gute Unternehmensführung stärker berücksichtigen: »Die aktuelle Pandemie führt uns vor Augen, wie fragil die Welt ist und welcher Wert in nachhaltigen Portfolios steckt.« Dass sich Blackrock quasi an der Spitze dieser Bewegung sieht, ist für Fink keine Frage.

Er macht zugleich Werbung in eigener Sache: Man habe das größte Angebot an nachhaltigen börsengehandelte Indexfonds (ETFs) aufgebaut, »weil wir der Meinung sind, dass alle Anleger gleichen Zugang zu einer besseren Zukunft haben sollten«. Deshalb auch verpflichte sich der weltgrößte Vermögensverwalter, die Anzahl der nachhaltigen ETFs und Indexfonds, von denen man schon jetzt mehr als 150 anbiete, in den nächsten Jahren zu verdoppeln.

Finks Ansatz ist kein sozialer, ihm geht es vielmehr darum, Rahmenbedingungen zu erhalten, die »seinen« Unternehmen dauerhaftes Wachstum und größtmögliche Profite ermöglichen. Deshalb sieht der Chef der Investorengesellschaft die zunehmende gesellschaftliche Spaltung und den Aufstieg populistischer Politiker*innen in Teilen der Welt nicht gleichermaßen gelassen. 2019, so schreibt er in seinem Brief an die Vorstandschefs, sei ein hervorragendes Börsenjahr gewesen – und dennoch seien der Frust und die Zukunftsangst vieler Menschen weitergewachsen: »Wir erleben ein Paradox aus hohen Gewinnen und großer Ängstlichkeit.«

Gleichzeitig würden viele Regierungen an der Aufgabe scheitern, ihre Bürger*innen und Sozialsysteme auf die Automatisierung und die vielen anderen Herausforderungen der Zukunft vorzubereiten. Das Ergebnis sei, dass Unternehmen in die Bresche springen und verstärkt gesellschaftliche Aufgaben übernehmen müssten. Der Privatsektor soll also aus Geschäftsinteresse einspringen, wo der öffentliche Sektor versagt. Auch daran wird deutlich, dass Fink – wie auch andere aus Führungsetagen, die ihr Herz für Umwelt und Mitarbeiter*innen entdeckt haben – nach wie vor überzeugter Anhänger der Kapitalverwertung ohne große Ausgleichungsmodi und politische Regulierungen ist.

Das Unbehagen von Repräsentanten der Anlageindustrie macht deutlich, dass das Fundament der kapitalistischen Gesellschaften, ihr gesellschaftlicher Zusammenhalt, brüchiger geworden ist. Die wachsende Kluft zwischen Gebildeten und Abgehängten, urbanen Eliten und dem Rest der Bevölkerung wird zur Gefahr für eine nachhaltige Entwicklung und demokratische Willensbildung. In weiten Teilen Europas und darüber hinaus stehen die Zeichen auf Polarisierung, Unruhe und Konflikt.

Es deute sich ein umfassender Wandel in den gesellschaftlichen Verhältnissen an, auf den auch die Führungsschichten der kapitalistischen Unternehmen schlecht vorbereitet seien. Und: Der Kapitalismus sei zu weit gegangen, er funktioniere nur noch für wenige, klagt Fink. Auch Siemens-Chef Joe Kaeser warnt vor einer Spaltung der Gesellschaft. Die Milliardäre Jamie Dimon (JP Morgan Chase), Howard Marks (Oaktree) und Ray Dalio (Bridgewater) befürchten eine nicht steuerbare Umwälzung in den Gesellschaften und fordern daher eine Reform des Kapitalismus in ihrem Sinne.

Diese Reform zielt auf eine Langfristorientierung der Kapitalverwertung und eine Integration der Interessen aller Stakeholder. Dies ist eine neue Akzentsetzung in der Unternehmenspolitik, die – bislang eher ungewöhnlich – von einem mächtigen Vertreter der Finanzbranche kommt. Fink ermahnt die CEOs, dass es nicht allein genüge, eine möglichst große Verwertung des eingesetzten Kapitalvermögens anzustreben, es müsse auch einen positiven Beitrag für die Gesellschaft leisten, wenn es langfristig erfolgreich sein wolle. Die Geldanleger*innen mahnt er, Kriterien wie Umweltschutz, Soziales und gute Unternehmensführung berücksichtigen.

Fink steht für eine neue Tendenz, bei der sich Investmentgesellschaften und Vermögensverwalter für langfristige Kapitalanlagen und die stärkere Beteiligung der »Stakeholder« aussprechen. Erneut nimmt der CEO des weltgrößten Vermögensverwalters Corona-Krise zum Anlass, die PR-Trommel für eine Umschichtung der Anlagepolitik der passiven Investoren zu rühren.

Die Hinweise auf eine umfassende Umwälzung im Prozess der Krise sind zutreffend. Allerdings könnten diese Veränderung auch die Vermögensverwaltung selbst betreffen. Denn Kommentator*innen warnen zu Recht vor allzu großen Erwartungen. Viele Fonds behaupteten, klimafreundlich zu sein, stimmten aber beständig gegen entsprechende Initiativen. Als einer der größten Investoren in fossile Energiekonzerne habe Blackrock viel zu spät den Ausstieg aus diesem Segment vollzogen und es überwiege das Greenwashing der Anlagenpolitik.

Das eigentliche Problem besteht darin, dass Blackrock sich von den Interessen seiner Anlageinteressenten nicht lösen kann. Die Unternehmensgruppe bietet vor allem passive Anlageprodukte (iShares) an, sie ist damit ein Aggregator von Kundenpräferenzen. Mit Indizes nachbildenden ETFs lassen sich aber durch Nachhaltigkeit aufgeworfene Probleme kaum lösen.

Blackrock fordert, die Unternehmen sollten wieder mehr Geld in Produkte, Innovationen aber auch in Übernahmen investieren. Die Corona-Krise hat aber gerade eben enthüllt, wie schwierig die Lenkung von gesellschaftlichen Investitionen in dem Bereich der Waren und Technologien für die Gesundheitsversorgung ist.[2]

Die COVID-19-Krise hat in der Tat gravierende Mängel in den kapitalistischen Strukturen offengelegt. Im Zentrum steht die langjährige Konsolidierung- und Sparpolitik der öffentlichen Sektoren aus der unsinnigen Überlegung heraus, dass die Staatsverschuldung das Problem sei. Das Ergebnis war die Aushöhlung genau der öffentlichen Institutionen, die wir zur Überwindung von Krisen wie der Corona-Virus-Pandemie brauchen.

Die öffentlichen Gesundheitsbudgets inklusive der stationären und ambulanten Gesundheitsversorgung sind massiv beschnitten worden. Die Belastung der Ärzte und des Pflegpersonals ist gestiegen und die langfristigen Investitionen, die erforderlich sind, um sicherzustellen, dass Patient*innen in sicheren, modernen und voll ausgestatteten Einrichtungen behandelt werden, wurden verringert. Es fehlt an Intensivbetten, an Beatmungsgeräten und an Schutzkleidung für das Personal.

In den USA, die nie über ein halbwegs angemessen finanziertes öffentliches Gesundheitssystem wie in großen Teilen Europas verfügten, hat die Trump-Administration hartnäckig versucht, die Mittel und Kapazitäten für die Zentren für Krankheitskontrolle und -verhütung und andere wichtige Einrichtungen weiter zu kürzen. Das fatale Ergebnis wird jetzt sichtbar.

Zu den gesellschaftlichen Defiziten zählt auch die zunehmende Prekarität der Lohnarbeit, die auf den Aufstieg der Gigawirtschaft und eine jahrzehntelange Verschlechterung der Verhandlungsmacht der Lohnabhängigen zurückzuführen ist. Telearbeit ist für die meisten Arbeitnehmer*innen einfach keine Option, und obwohl die Regierungen fest angestellten Arbeitnehmer*innen eine gewisse Unterstützung gewähren, wird es den Selbständigen möglicherweise schlechter ergehen.

Die Regierungen vergeben jetzt Kredite an Unternehmen zu einer Zeit, in der die private Verschuldung bereits historisch hoch ist. In den Vereinigten Staaten belief sich die Gesamtverschuldung der Haushalte kurz vor der aktuellen Krise auf 14,15 Bio. US-Dollar, was nominal 1,5 Bio. US- Dollar mehr ist als 2008. Und wir sollten nicht vergessen, dass es die hohe private Verschuldung war, die die globale Finanzkrise verursacht hat.

In der Tat: Der Kapitalismus ist zu weit gegangen. Die gesellschaftliche Regulation ist in diversen Bereichen deutlich zurückgefahren worden, so dass durch den Ausbruch der Pandemie die Anfälligkeit dieses gesellschaftlichen Systems schlagartig enthüllt wurde. Während diverse Gesundbeter seine Schwächen immer schöngeredet haben, hat nun ein neuartiges Virus seine Defizite schonungslos aufgedeckt.

Jetzt, da die Bevölkerungen und Regierungen aufgerüttelt sind, haben wir die Gelegenheit, darüber nachzudenken, ob und wie das System zu reparieren ist – und ob bei der Reparatur nicht zugleich ein komplett anderer Weg des gesellschaftlichen Reproduktionsprozesses eingeschlagen werden muss. Dabei sollten wir aber nicht dem Irrtum verfallen, dass wir diese Reparaturen den großen Vermögensverwaltern und Investmentgesellschaften überlassen können. Nach der Corona-Krise wird die Welt nicht mehr die gleiche sein. Sorgen wir dafür, dass dies auch für die abgehobene Welt des Finanzkapitals gilt.

Anmerkungen

[1] Vgl. dazu kritisch Joachim Bischoff/Bernhard Müller, Der Optimismus der Wirtschaftsweisen, Sozialismus.deAktuell vom 30. März 2020.
[2] Vgl. hierzu Hartmut Reiners, Gesundheit und Geld. Ökonomisierung der Medizin – Anfälligkeiten des Gesundheitssystems – Wege zur Humanisierung, Sozialismus.de Supplement zu Heft 4/2020.

 

 

Der Artikel erschien am 01.04.2020 auf https://www.sozialismus.de/
Sozialismus.de, St. Georgs Kirchhof 6, D-20099 Hamburg 

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