Zwei Jahre nach dem Sanktionsurteil des Bundesverfassungsgerichts

Von Harald Thomé

Vor zwei Jahren, am 05.11.2019 hat das Bundesverfassungsgericht Teile des Hartz-IV-Sanktionsregimes als verfassungswidrig eingestuft. Mit klaren Worten urteilte das Gericht: „Die Menschenwürde ist ohne Rücksicht auf Eigenschaften und sozialen Status, wie auch ohne Rücksicht auf Leistungen garantiert, sie muss nicht erarbeitet werden, sondern steht jedem Menschen aus sich heraus zu. Die eigenständige Existenzsicherung des Menschen ist nicht Bedingung dafür, dass ihm Menschenwürde zukommt; die Voraussetzungen für ein eigenverantwortliches Leben zu schaffen, ist vielmehr Teil des Schutzauftrags des Staates.“

Das Sanktionsregime im § 31 SGB II existiert weiter, Gesetzesänderungen wurden von den Unionsparteien verhindert, die Regierungsampel will das Hartz IV-System umbenennen in Bürgergeld, sagt aber gleich „an Mitwirkungspflichten halten wir fest“. Somit soll das Sanktionsregime weiter aufrecht erhalten werden.

Ändern wird sich daher nicht viel, außer dass das neue System einen neoliberalen neuen Namen bekommt.

Ich möchte den Blick auf zwei weitere Sanktionsarten richten, diese sind bisher völlig unterbelichtet und sind in der Konsequenz genauso scharf wie das für verfassungswidrig erklärte Sanktionsregime.

1. Rechtswidrige Leistungsversagung wegen fehlender Mitwirkung

Immer häufiger werden beantragte oder gewährte Leistungen durch Entsagungs- und Entziehungsbescheid wegen fehlender Mitwirkung nach § 66 SGB I versagt. Im Gesetz steht, dass ganz oder teilweise versagt werden kann und auch nur dann, wenn durch die unterlassene Mitwirkung die Aufklärung des Sachverhalts erheblich erschwert wird und die Voraussetzungen der Leistung nicht nachgewiesen sind.

Die Entscheidung der Leistungsversagung steht im Ermessen der Behörde. Also ob sie das überhaupt macht, ganz oder teilweise, in welcher Höhe. Einen Stufenplan gibt es nicht. Die Realität ist, dass Leistungen nicht erst teilweise, sondern oft direkt zu 100 % versagt werden.

2. Leistungsversagung durch vorläufige Leistungseinstellung

Die Jobcenter können SGB II – Leistungen ganz oder teilweise vorläufig einstellen, „wenn sie von Tatsachen Kenntnis erlangen, die zu einem geringeren Leistungsanspruch führen“ (§ 40 Abs. 1  Nr. 4 SGB II iVm § 331 SGB III). Auch diese Entscheidung steht im Ermessen der Behörde, in der praktischen Erfahrung wird dieses Ermessen nicht angewendet.

In beiden Rechtsvorschriften erfolgt sehr häufig eine 100 % Leistungsversagung, einschließlich Miete, Krankenkasse und ohne Anspruch auf Gutscheine. Jede Leistungsversagung oberhalb 30 % des Regelsatzes hat das Bundesverfassungsgericht im Sanktionsrecht für verfassungswidrig erklärt.

Beide beschriebenen Leistungsversagungen sind faktische Sanktionsregeln. Die Folgen sind Existenzvernichtung: keine Regelleistung, keine Miete, kein Strom, keine Krankenkasse werden erbracht. Die rückwirkende Erbringung stellt das Amt ebenfalls ins willkürliche Ermessen.

Daher muss der Blick der öffentlichen Diskussion auf dieses „neue Sanktionsregime“ der Jobcenter gerichtet UND diese haben unverzüglich gestoppt zu werden!

 

 

 

 

Quelle: https://www.harald-thome.de/

Bild: Hartz IV.org