Spätestens als klar war, dass die fast 500 neuen Kolleginnen und Kollegen, die im Rahmen der Bürgerarbeit im Bereich Servicedienstleistung tariffähige Tätigkeiten übernehmen, müsste es geklingelt haben.
Es konnte sich doch jeder vorstellen, dass durch die neue Bürgerarbeit reguläre Arbeit ersetzt wird, Vertretungen organisiert werden können, Arbeitsspitzen geglättet werden und die chronische Unterbesetzung in den öffentlichen Einrichtungen der verarmten Kommune Dortmund etwas abgeschwächt würde.
Auf jeden Fall würde der Einsatz der Bürgerarbeiterinnen und Bürgerarbeiter die dringend erforderliche Stellenerweiterung verhindern.
Die Mitarbeitervertretungen bei den kirchlichen Arbeitgebern haben das erst gar nicht mitbekommen, haben ihren vorauseilenden Gehorsam gepflegt und sind in ihrer arbeitspolitischen Dauerschockstarre verblieben. Die Betriebsräte der AWO haben Mühe, ihren Kolleginnen und Kollegen zu erklären, wie es kommen konnte, dass bei der AWO Entgeltforderungen in Höhe von 3,5 Prozent erforderlich geworden sind, um einen Anschluss an das Tarifniveau vergleichbarer Beschäftigter in staatlichen Einrichtungen zu behalten.
Die Personalräte der Stadtverwaltung schlagen Alarm, dass der Baum brennt und die Beschäftigte ihren Dienst am Bürger dieser Stadt nicht mehr erfüllen können, Personallücken ins Unermessliche wachsen und sogar Auszubildende als „Löschtrupps“ ausgesendet werden müssen.
Bei der Einrichtung der Bürgerarbeit in Dortmund hieß es von Seiten der Gewerkschaften euphorisch, „es sind reguläre Arbeitsplätze, sozialversicherungspflichtige sogar und nach Tarif bezahlte“ – aber warum hat man den Beschäftigten dann die vorgegebenen Mitbestimmungsrechte nicht einräumt.
Vor allem war die Entgeltzahlung nach Tarif das Aushängeschild dieser Beschäftigungsform.
Aber war das denn wirklich so:
Alle Bürgerarbeiterinnen und Bürgerarbeiter, die Arbeitsverträge bei der Stadt Dortmund abgeschlossen hatten, erhielten analog der Entgeltgruppe 1, Stufe 2 TVöD, monatlich ein Bruttoarbeitsentgelt in Höhe von 1.114,45 €. Bürgerarbeiterinnen und Bürgerarbeiter, die bei externen Kooperationspartnern Arbeitsverträge abgeschlossen hatten, wurden entsprechend dort bestehender tariflicher Regelungen entlohnt. Sofern die Kooperationspartner nicht tarifgebunden waren, richtete sich das Arbeitsentgelt nach ortsüblicher Bezahlung oder die Bürgerarbeiterinnen und Bürgerarbeiter wurden analog zu der Entgeltgruppe 1, Stufe 2 TVöD, entlohnt. Bei den externen Kooperationspartnern erhielten sie folgendes Brutto-Entgelt:
- Servicedienstleistungen in Bussen und Bahnen bei der DSW 21 monatlich 1.251,58 €
- Servicekräfte in Kitas beim DPWV monatlich 1.244,19 €
- Service- und Präsenzdienst bei der GFA im Innendienst monatlich 1.145,72 €, im Streifendienst monatlich 1.015,82 €
- Umfeldmanager outdoor/indoor bei der European Homcare GmbH monatlich 1.114,45 €
- Servicekräfte in Kitas bei der AWO monatlich 1.097,23 €
- Servicekräfte bei der Dortmunder Tafel monatlich 1.080,- €
- Servicekräfte in Kitas beim DRK monatlich 1.066,73 €
- Servicekräfte in Kitas beim Diakonischen Werk monatlich 990,19 €.
Außerdem wurde im Nachhinein durch das Dortmunder Arbeitsgericht klar gestellt, dass bei der Bürgerarbeit der TVöD (VKA) Anwendung finden muss, d.h. er fand bis zum Urteil keine Anwendung.Unter dem Aktenzeichen 6 Ca 226/14 hat das Arbeitsgericht in Dortmund am 28.08.2014 über zwei Klagen von früheren Beschäftigten im Rahmen der Bürgerarbeit gegen die Stadt Dortmund als ihren früheren Anstellungsträger entschieden:
„1. Es wird festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis aufgrund der Befristung im Arbeitsvertrag vom 07.04.2011 nicht mit Ablauf des 31.03.2014 beendet worden ist.
2. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung über die Entfristungsklage zu unveränderten Bedingungen weiter zu beschäftigen.
3. Es wird festgestellt, dass der TVöD (VKA) auf das Arbeitsverhältnis der Parteien Anwendung findet.
4. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 3.823,16 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 03.03.2014 zu zahlen.
5. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 1.431,36 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.12.2013 zu zahlen.
6. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 1.036,08 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz aus 483,41 € seit dem 16.04.2014 und aus 552,64 € seit dem 01.04.2014 zu zahlen.
7. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
8. Der Streitwert wird auf 16.293,14 € festgesetzt“.
Die Stadt Dortmund muss somit einen ehemaligen Beschäftigten im Rahmen der Bürgerarbeit nach dem Ablauf seiner dreijährigen Befristung weiterbeschäftigen. Die Richter waren der Meinung, dass die Tätigkeiten der Beschäftigten bei der Bürgerarbeit nicht nur Zusatzdienste waren, die nach dem Auslaufen der Maßnahme einfach wieder entfallen können. Auch deshalb, da die Bürgerarbeit auf zwei Grundgedanken stehen würde: Einmal muss die Tätigkeit sinnvoll und zweckdienlich sein, zum anderen darf sie keine regulären städtischen Arbeitsplätze verdrängen.
Im Fall eines Schulhausmeisters (Servicedienstleistung an Schulen) entschied das Arbeitsgericht, dass seine Tätigkeiten als Daueraufgaben das Funktionieren der Schule erst gewährleisten und nur in geringem Maß zusätzliche Arbeiten beinhalten.
Im zweiten Fall, in dem der Beschäftigte, als “Quartierskümmerer” gearbeitet hatte, sah das Gericht seine Tätigkeiten als neu und auch als zusätzlich an, obwohl die Tätigkeiten bereits in früheren Maßnahmen schon beschlossen wurden. Auch ist die Fortführung dieser Arbeiten nach Ende des Programms Bürgerarbeit durch den Rat der Stadt Dortmund beschlossen worden und deshalb stellen sie durchaus eine Daueraufgabe dar. Trotzdem folgte das Arbeitsgericht diesem Teil der Klage nicht.
Aber für beide Klagen stellte das Gericht fest, dass der TVöD (VKA) auf das Arbeitsverhältnis der Parteien Anwendung findet. Beide Kläger hatten ein pauschales Entgelt erhalten, das noch unter der niedrigsten tariflichen Vergütung, der Entgeltgruppe 1 lag. Das Gericht entsprach den Anträgen der beiden Kläger und legte einmal die Entgeltgruppe 2 und einmal die Entgeltgruppe 3 als tarifgemäß fest. Beiden wird das höhere Entgelt zusätzlich mit Zinsen nachgezahlt.
Bei der Bürgerarbeit wäre es geboten gewesen, wenn sich die Personalräte, Betriebsräte und die Mitarbeitervertretungen der Anstellungsträger der Bürgerarbeiterinnen und Bürgerarbeiter bereits schon vor dem Start des Modellprojekts zusammen gesetzt hätten und dafür eingetreten wären, dass
- im Rahmen von Bürgerarbeit der TVöD angewendet wird, Sonderzahlungen auch geleistet werden müssen,
- die Vergütung nicht für 3 Jahre festgeschrieben wird,
- sozialversicherungspflichtige Beschäftigung ohne die Arbeitslosenversicherung nicht sein darf
und den Beschäftigten auch alle Mitbestimmungsrechte gewährt werden.
Auch, dass fast alle Bürgerarbeiterinnen und Bürgerarbeiter die gleichen Beschäftigungen zugewiesen bekamen, wie die AGH/1€Jobber, wollte nicht wahrgenommen werden.
Schließlich ging es um fast 500 neue Beschäftigungsverhältnisse, die der Gewerkschaft und den Personal- und Betriebsräten doch mehr Gewicht gegeben haben.
Jetzt die Krokodilstränen zu vergießen ist nicht redlich.
In den vergangen Jahren wurde von einzelnen ehrenamtlichen Gewerkschaftern immer wieder versucht, das Thema der sogenannten Programmarbeit, hier vor allem die AGH/1€Jobs, innerhalb und außerhalb der Gewerkschaften zu thematisieren.
Ohne Erfolg, auch weil die Gewerkschaften selbst in den Ausschüssen der Arbeitsverwaltung und in den „Konsensrunden“ die einzelnen Maßnahmen mit durchwinkten und auch auf den Zug „Hauptsache Arbeit“ eingeschwenkt waren.
Gleiches lief bei der Einrichtung der Bürgerarbeit ab; falls jemand aus dem hauptamtlichen und ehrenamtlichen Gewerkschaftskreisen direkt angesprochen wurde, um Unterstützung bei der Problematisierung geworben wurde, holte man sich eine blutige Nase. Immer wieder hat man die Kolleginnen und Kollegen auf dem falschen Fuß erwischt, überall gab es Absagen und oberflächige Lippenbekenntnisse. Als dann die Dienstleistungsgewerkschaft zähneknirschend einem Treffen zu einem Koordinierungstreffen für Mitarbeitervertretungen, Betriebs- und Personalräte und Vertrauensleuten zu diesem Thema zustimmte, wurden dann eben die Einladungen dazu nicht abgeschickt.
Eine Positionierung zum Thema wurde für nicht erforderlich gehalten, man agierte ja gemeinsam und einvernehmlich mit den anderen „lokalen Arbeitsmarktakteuren“.
Über Jahre hinaus wurde deutlich, in Dortmund will keiner an dieses Thema ernsthaft heran.
Jetzt, wo das Modellprojekt „Bürgerarbeit“ in Dortmund beendet ist, muss der Personalrat der Stadt Dortmund die Scherben dieses Beschäftigungsprogramms aufsammeln und durchnummerieren.
Ob sie für zukünftige öffentlich geförderte Beschäftigungskonzepte neu zusammengesetzt werden können, ist äußerst ungewiss.
Quellen: Sozialausschuss der Stadt Dortmund, WAZ, Arbeitsgericht Dortmund
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