Als in den 1960er Jahren durch die beginnende Krise in Bergbau und Stahlindustrie ein massiver Arbeitsplatzabbau begann, sprach man von einem Strukturwandel der Arbeit. Die wegfallenden Arbeitsplätze im Bereich Industrie sollten durch die neu geschaffenen Arbeitsplätze im Bereich Dienstleistung ersetzt werden. Dies wurde aber nicht erreicht, unterm Strich gab es von 1960 bis zum Jahr 2010 einen Verlust von fast 74 000 Arbeitsplätzen im industriellen Bereich.
Der Wandel hat sehr viele Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt mit sich gebracht. Im Jahr 1960 waren 63 Prozent der Beschäftigten Arbeiter gegenüber 22 Prozent Angestellte. 2010 waren es nur noch knapp 25 Prozent Arbeiter gegenüber über fast 64 Prozent Angestellte.
Aber besonders der wachsende Einfluss der neoliberalen Politik auch auf den Strukturwandel hat dazu geführt, dass die „Normalbeschäftigung“ ab- und die prekäre Beschäftigung zugenommen hat, mit fatalen Begleiterscheinungen.
Besonders Berufseinsteiger können kaum mehr eine Lebens- oder Familienplanung machen, sie müssen zeitlich und örtlich flexibel sein.
Seit Ende der 1970er Jahre wurde der Strukturwandel im Ruhrgebiet von allen Akteuren des Arbeitsmarktes immer begleitet von dem Totschlagargument „der Arbeitsplatzvernichtung“. Jegliche Kritik an der Wirtschaftsverfassung wurde damit bereits im Kern erstickt und erst gar nicht zugelassen. Ergänzt wurde diese Argumentation später mit den Kampfbegriffen „Hauptsache Arbeit“ und „sozial ist, was Arbeit schafft“. Die Qualität der Arbeitsplätze wurde nicht mehr hinterfragt und die Entwicklung von den hochqualifizierten industriellen Arbeitsplätzen hin zu den meist subventionierten „Billigjobs“ gar nicht erst wahrgenommen.
Hinzu kamen in den vergangenen zehn Jahren die Arbeitsmarktgesetze auf der Bundebene mit schlimmen Konsequenzen für Kommunen wie Dortmund. Das weitgehend gleichbleibende Arbeitsvolumen wurde bedingt durch die erleichterte Flexibilität, neu unter den Minijobbern, Teilzeit- und Leiharbeitern, in der Mehrheit waren dies Frauen, aufgeteilt.
Nach den Zahlen der Sozialforschungsstelle Dortmund zur Entwicklung der prekären Beschäftigung in Dortmund ist in den Jahren von 2000 bis 2011 die
• Anzahl der Vollzeitbeschäftigten von 168 000 auf 161 000 gesunken
• Anzahl der Leiharbeitnehmer in Vollzeit von 3 000 auf 7 500 gestiegen
• Anzahl der Teilzeitbeschäftigten von 29 000 auf 42 000 gestiegen
und die
Anzahl der Arbeitnehmer in den Mini-Jobs als Hauptbeschäftigung von 30 000 auf 46 000 gestiegen.
Diese Entwicklungen haben dazu geführt, dass wir mittlerweile einen total aufgesplitterten Arbeitsmarkt haben und Kolleginnen und Kollegen nebeneinander oder zusammenarbeiten und unterschiedlich bezahlt werden, unterschiedliche Arbeitverträge und unterschiedliche Rechte haben. Eine gemeinsame Interessenvertretung wurde so bewusst nach und nach unmöglich gemacht.
Der Arbeitsmarkt in Dortmund stellt sich zurzeit so dar:
– im Sommer 2012 arbeiteten fast 205 000 Menschen in sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung. Vergleicht man die Entwicklung hier in den letzten 10 Jahren, so ist bei diesem Beschäftigungsverhältnis eine Steigerung von erfreulichen 10 Prozent zu verzeichnen. Im gleichen Zeitraum verdoppelte sich aber die Zahl der geringfügig Beschäftigten auf fast 63 000
– neben einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung hatten im Jahr 2007 noch 13 247 Menschen einen Nebenjob. Ende 2012 waren es bereits 17 310 Personen, das ist eine Steigerung von 30,7 Prozent
– im Jahr 2007 waren 43 536 Menschen ausschließlich geringfügig beschäftigt, diese Zahl stieg bis Ende 2012 auf 45 610, eine Steigerung von 4,8 Prozent
– bei den ca. 31 000 arbeitslosen Menschen, die auch noch auf öffentliche Leistungen angewiesen sind, waren zuletzt ca. 14 300 erwerbstätig. Von diesen Personen war über die Hälfte bis zu der 450,00 € Grenze beschäftigt und mussten als „Aufstocker“ Sozialleistungen beantragen. Die meisten Arbeitsplätze für geringfügige Beschäftigung findet man vor allem in den Bereichen Handel, Gesundheit und Soziales, Gastronomie und in der Logistikbranche
– stark angewachsen ist auch der sogenannte „Soziale Arbeitsmarkt“ mit seinen eigenen Programmen zur Förderung von Arbeitsverhältnissen, 1 €-Jobs/AGH und Bürgerarbeit. Kommunen wie Dortmund kommen ohne die Leistungen dieser „Programmbeschäftigung“ gar nicht mehr aus, denn sie helfen erheblich dabei, die Personalkosten gering zu halten
– einige hundert Menschen verdingen sich auf dem „Arbeiterstrich“ als Tagelöhner
– die Zahl derjenigen, die ehrenamtlich arbeiten, ist nicht bekannt, die Bundesregierung geht davon aus, dass jede vierte Person über 14 Jahre alt, ehrenamtlich tätig ist
– laut dem DGB Dortmund-Hellweg kamen im Jahr 2011 auf 100 Bewerber noch 85 angebotene Lehrstellen, im Jahr 2013 waren es nur noch 70 Lehrstellen. Mittlerweile bilden nach Auskunft der Agentur für Arbeit nur 22,8 Prozent der Betriebe aus, in Zahlen sind das 2 854 von 12 545 Betrieben. Entsprechend gesunken ist dann die Anzahl der Ausbildungsplätze
– nicht erfasste junge Leute, die als Praktikanten in Vollzeit arbeiten und hoffen, dass eine Übernahme erfolgt
– Subunternehmer, „freiberuflich Tätige“ bzw. „Scheinselbständige“ und Werkvertrags-arbeiter, über die es keine genauen Kenntnisse gibt
und
einige tausend Menschen, die seit der wirtschaftlichen Krise aus den südeuropäischen Staaten der EU eingewandert sind. Sie werden aber nur umworben und sind nur willkommen, wenn sie gut ausgebildet sind, wie Ärzte, Ingenieure, IT-Spezialisten und Pflegekräfte, da wir uns die Ausbildungskosten sparen können.
Am Beispiel der Bürgerarbeit wird der Einfluss der Programmarbeit auf die Zerstückelung des Arbeitsmarkt deutlich und zeigt, dass es innerhalb des gleichen Programms noch erhebliche Unterschiede gibt: Bürgerarbeit ist ein Modellprojekt des Bundesarbeitsministeriums zur Integration von Langzeitarbeitslosen. Im Januar 2011 wurden bundesweit 34 000 Bürgerarbeitsplätze eingerichtet, in NRW 4 100. Aus dem Bundesetat werden hierfür jährlich 230 Millionen Euro gezahlt, aus dem Europäischen Sozialfonds 200 Millionen Euro. Bürgerarbeitsplätze sind sozialversicherungspflichtig, in die Arbeitslosenversicherung wird aber nicht eingezahlt. Ab 2011 wurden in Dortmund 450 Bürgerarbeitsplätze mit einer Laufzeit bis Ende 2014 eingerichtet, so viele Plätze hat keine andere Stadt in NRW bekommen. 2012 kamen noch einmal 68 Plätze hinzu. Der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD) findet keine Anwendung bei Beschäftigten, die Arbeiten nach den §§ 260ff SGB III verrichten. Nach Ansicht der Stadt Dortmund gilt die sogenannte „Öffnungsklausel“ auch für Beschäftigungsverhältnisse im Rahmen des Modellprojekts „Bürgerarbeit“. Die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di ist der Ansicht, dass auf Arbeitsverträge im Rahmen der Bürgerarbeit der TVöD anzuwenden ist, da weder von einer Eingliederungsmaßnahme nach §§ 217 ff. SGB III noch von einer „Arbeitsbeschaffungsmaßnahme“ nach §§ 260 ff. SGB III auszugehen ist.
Alle Bürgerarbeiterinnen und Bürgerarbeiter, die Arbeitsverträge bei der Stadt Dortmund abgeschlossen haben, erhalten analog der Entgeltgruppe 1, Stufe 2 TVöD, monatlich ein Bruttoarbeitsentgelt in Höhe von 1.114,45 €. Bürgerarbeiterinnen und Bürgerarbeiter, die bei externen Kooperationspartnern Arbeitsverträge abgeschlossen haben, werden entsprechend dort bestehender tariflicher Regelungen entlohnt. Sofern die Kooperationspartner nicht tarifgebunden sind, richtet sich das Arbeitsentgelt nach ortsüblicher Bezahlung oder die Bürgerarbeiterinnen und Bürgerarbeiter werden analog zu der Entgeltgruppe 1, Stufe 2 TVöD, entlohnt. Bei den externen Kooperationspartnern erhalten sie folgendes Brutto-Entgelt:
– Servicedienstleistungen in Bussen und Bahnen bei der DSW 21 monatlich 1.251,58 €
– Servicekräfte in Kitas beim DPWV monatlich 1.244,19 €
– Service- und Präsenzdienst bei der GFA im Innendienst monatlich 1.145,72 €, im Streifendienst monatlich 1.015,82 €
– Umfeldmanager outdoor/indoor bei der European Homcare GmbH monatlich 1.114,45 €
– Servicekräfte in Kitas bei der AWO monatlich 1.097,23 €
– Servicekräfte bei der Dortmunder Tafel monatlich 1.080,- €
– Servicekräfte in Kitas beim DRK monatlich 1.066,73 €
– Servicekräfte in Kitas beim Diakonischen Werk monatlich 990,19 €
In dieser Frage wäre es geboten gewesen, wenn sich die Personalräte, Betriebsräte und die Mitarbeitervertretungen der Anstellungsträger der Bürgerarbeiterinnen und Bürgerarbeiter bereits schon am Anfang des Modellprojekts zusammengesetzt hätten und dafür eingetreten wären, dass im Rahmen von Bürgerarbeit der TVöD angewendet wird.
In den vergangenen Jahren wurde von einzelnen ehrenamtlichen Gewerkschaftern immer wieder versucht, das Thema der sog. Programmarbeit, hier vor allem die AGH/1€Jobs innerhalb und außerhalb der Gewerkschaften zu thematisieren. Ohne Erfolg, auch weil die Gewerkschaften selbst in den Ausschüssen der Arbeitsverwaltung und in den „Konsensrunden“ die einzelnen Maßnahmen mit durchwinken und auch auf den Zug „Hauptsache Arbeit“ eingeschwenkt sind.
Der Öffentliche Dienst, früher mit der wichtigen Funktion der Regulierung des Arbeitsmarktes versehen, schrumpft zunehmend, da der Staat immer weniger Geld für sein Personal ausgibt. Von 1991 bis 2010 ist die Zahl der Staatsbediensteten um 1,6 Millionen gesunken, das sind über 30 Prozent. Knapp die Hälfte des Stellenabbaus folgte daraus, dass der Staat Wirtschaftsunternehmen wie die Bahn oder die Post, Krankenhäuser und Hochschulen zunehmend aus den Kernhaushalten ausgliederte.
Für die verschiedenen staatlichen Ebenen sah der Abbau so aus:
Bundesebene: Rückgang um 30 Prozent, besonders bei der Finanzverwaltung, den Verkehrsbehörden und im militärischen Sektor.
Länder: Rückgang um 25 Prozent, besonders bei der politischen Führung und zentralen Verwaltung, der Gesundheit, Erholung und Umwelt, soziale Sicherung, sowie Wirtschaftsunternehmen (hier vor allem Förderbanken, Wohnungs- und Verkehrsunternehmen).
Kommunale Ebene: Rückgang um 38 Prozent, besonders durch die Privatisierung zahlreicher Krankenhäuser und Einsparungen in der sozialen Sicherung und im Bildungssektor.
Die Auswirkungen sind schon jetzt spürbar: Mit dem Stellenabbau im öffentlichen Dienst ging eine besorgniserregende Verschlechterung der Altersstruktur der Beschäftigten einher. Für die Beschäftigten, die in den Ruhestand gingen, wurden keine jüngeren Arbeitskräfte eingestellt, sondern man strich diese Stellen.
Im Rahmen einer früheren Mitarbeiterversammlung sagte Oberbürgermeister Ulrich Sierau, dass in Dortmund angestrebt wird, bis 2015 die Personalkosten um 1,5 Prozent jährlich zu kürzen. Bei der letzten Mitarbeiterversammlung im Dezember 2013 forderte der Personalrat die pauschale Personalkürzung von mittlerweile 2 Prozent aufzuheben. Das Ziel, Personalkosten zur senken, kann die Stadt Dortmund aber nur erreichen, wenn nach dem Auslaufen der bisherigen Programme, weitere Programme mit EU- und Bundesmittel mit unterbezahltem Personal installiert werden, auch um die Aufgaben z.B. der Verwaltung aufrecht erhalten zu können.
Der erste Arbeitsmarkt wird immer kleiner und das gesamte Tarifgefüge wird zunehmend aufgelöst. Solidarität kann kaum noch gelebt werden und die Durchsetzung der gemeinsamen Interessen wird immer schwieriger.
Dieser Prozess ist in der Vergangenheit auch von der Politik kaum wahrgenommen oder als alternativlos gesehen worden. Geschielt wird meist nur auf die Arbeitslosenzahl und Arbeitslosenquote im Vergleich zu anderen Kommunen. Umso mehr sind die Gewerkschaften und hier vor allem ihre Mitglieder selbst gefordert, die Diskussion um die Rahmenbedingungen für die Erwerbsarbeit aufzugreifen und öffentlich lautstark zu führen.
Quellen: Bundesagentur für Arbeit, Amt für Statistik und Wahlen Dortmund, Ausschuss für Soziales, Arbeit und Gesundheit der Stadt Dortmund, Sozialforschungsstelle Dortmund, Dienstleistungsgewerkschaft ver.di
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