Am Himmel über Berlin wird vom 12. bis 23. Juni für den Krieg geübt. „Air Defender 23“ ist die größte Luftwaffenübung seit dem Bestehen der Nato. Sie wird unter Leitung der Bundeswehr durchgeführt. 220 Kampfflugzuge aus 24 Ländern – davon 100 aus den USA – proben den Ernstfall in drei Lufträumen über dem Norden, Süden und Osten Deutschlands. Das Manöver ist seit vier Jahren geplant und bezieht sich auf Artikel 5 des Nato-Vertrages, wonach sich die Mitgliedsstaaten verpflichten, einander bei einem Angriff beizustehen. Für den zivilen Luftverkehr wird in der Zeit des Manövers mit erheblichen Einschränkungen gerechnet.
Bereits 1997 schlossen die Nato-Staaten ein Partnerschaftsabkommen mit der Ukraine. „Zur Unterstützung der Zusammenarbeit vor Ort waren das Informations- und Dokumentationszentrum der Nato und das Nato-Verbindungsbüro seit 1997 bzw. seit 1999 in der Ukraine aktiv“, schreibt die Bundeszentrale für Politische Bildung. Verstärkt wurde die Zusammenarbeit nach den Maidan-Protesten und dem Anschluss der Krim an Russland nach einem umstrittenen Referendum 2014.
Der russische Angriff auf die Ukraine am 24. Februar 2022 markiere eine Zeitenwende, heißt es, und Russland führe einen Vernichtungskrieg gegen die Ukraine. Ein Angriffskrieg ist zweifellos eine Gewalttat, für die es keine Rechtfertigung gibt. Aber Vernichtungskrieg? Der Krieg des faschistischen Deutschland gegen die Sowjetunion war ein Vernichtungskrieg mit rund 27 Millionen Toten.
Der Ukrainekrieg ist auch nicht der erste Krieg in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg, wie mitunter behauptet wird. Im April 1999 beteiligte sich die Bundeswehr am Nato-Krieg gegen Serbien – das habe ich damals als Zeitenwende erlebt. Auch das war ein völkerrechtswidriger Angriffskrieg.
Damals regierte Rot-Grün, und der grüne Außenminister Joschka Fischer plädierte für den Krieg, damit sich Auschwitz nicht wiederhole, was angeblich durch Serbien geplant sei. Eine ähnliche Relativierung des Massenmords durch das faschistische Hitler-Regime findet sich heute in Gleichsetzungen von Putin mit Hitler.
Demonstrationen und Aktionen
Die große Berliner Friedenskundgebung am 25. Februar 2023, zu der die Linke-Politikerin Sahra Wagenknecht und die „Emma“-Herausgeberin Alice Schwarzer aufgerufen hatten, fand ein widersprüchliches Echo. Es war die größte Friedensdemonstration seit Jahren, ermutigend in einer Zeit, in der Friedensbewegten unterstellt wird, sie würden Partei für Russland ergreifen, und sie sogar als „Lumpen-Pazifisten“ (Sascha Lobo im „Spiegel“) beschimpft werden. In vielen Medien wurden die Organisatorinnen und Teilnehmenden der Kundgebung als „rechtsoffen“ bezeichnet. Auch der Linke-Parteivorstand distanzierte sich. Dem setzte Michael Brie von der Rosa-Luxemburg-Stiftung seine Kritik entgegen: „Statt dazu beizutragen, dass die breite gesellschaftliche und politische Linke diese Demonstration dominiert – mit vielen roten Fahnen und mit Ordnungskräften, die entsprechend den Vorgaben durch die Initiatorinnen Alice Schwarzer und Sahra Wagenknecht das Zeigen rechtsextremer Symbole unterbinden –, wird Abstinenz ausgerufen und Zerstreuung in viele kleine, weitgehend wirkungslose Aktionen empfohlen.“
Der traditionelle Ostermarsch des Netzwerks Friedenskooperative fand 2023 im Wedding statt. Ein Grüppchen protestierte dagegen mit Parolen wie „Das ist nicht unser Frieden“ und „Kampfjets liefern, Leben retten“. Am Brandenburger Tor skandierten Teilnehmende einer Kundgebung von Vitsche, einer „Vereinigung junger Ukrainer*innen in Deutschland“: „No Peace!“ Seit ich das in der RBB-Abendschau gesehen habe, lässt es mich nicht mehr los.
Sowohl in Russland und Belarus als auch in der Ukraine versuchen viele, sich dem Krieg zu entziehen. „Ihnen allen drohen dafür von ihren Regierungen Repression und Gefängnisstrafen, in Belarus sogar bis hin zur Todesstrafe“, schreibt ein breites Antikriegsbündnis in seinem Aufruf für Aktionen gegen den Krieg vom Mai 2023. Die Forderung: „Schutz und Asyl für alle aus Russland, Belarus und der Ukraine, die den Kriegsdienst verweigern.“
Fortschreitende Militarisierung
Seit einigen Jahren ist eine Militarisierung der Gesellschaft zu beobachten. Die Bundeswehr wirbt an Schulen, im öffentlichen Raum und mittlerweile auch mit kostenlosen Postkarten in Kneipen. 2019 schloss die Deutsche Bahn einen „Rahmenfrachtvertrag“ mit der Bundesregierung ab. Darin wird militärischen Transporten Vorrang vor dem Personenverkehr eingeräumt. Seit 2020 dürfen Soldaten und Soldatinnen kostenlos mit der Bahn fahren – wenn sie Uniform tragen. 2021 vereinbarte die Ampelregierung im Koalitionsvertrag: „Die Strukturen der Bundeswehr müssen effektiver und effizienter gestaltet werden mit dem Ziel, die Einsatzbereitschaft zu erhöhen.“ Stolz weist die Bundeswehr auf ihrer Website auf ihre aktuellen Auslandseinsätze „Vom Balkan bis Zypern“ hin.
Während die olivgrüne Außenministerin Annalena Baerbock vor Kriegsmüdigkeit warnt, weisen Friedens-Aktive „auf die Nazistrukturen und Rechtsradikalismus in der Bundeswehr“ hin. Seit 2017 hat die „Taz“ umfangreiche Recherchen zu einem rechten Netzwerk veröffentlicht, dem Mitglieder aus Bundeswehr, Polizei und Verfassungsschutz angehören, dem „Hannibal“-Netzwerk. Schon 2021 waren täuschend echt im Bundeswehr-Design gestaltete Plakate im Stadtraum aufgetaucht. Mein Lieblings-Slogan: „Rumballern statt Retten. Statt Geflüchtete im Mittelmeer zu retten, rüsten wir auf“.
Die Informationsstelle Militarisierung (IMI) hat kürzlich dargelegt, wie unter Umgehung von EU-Recht und Europäischem Parlament ein Budget für „EU-Militäreinsätze und Waffenlieferungen an befreundete Akteure“ eingerichtet wurde. Darüber hinaus hat das EU-Parlament weitere Mittel für Munitionskäufe genehmigt, nachdem diese – entgegen dem im EU-Vertrag festgelegten Verbot der Finanzierung militärischer Maßnahmen – zu industriepolitischen Maßnahmen umetikettiert wurden. Es ist noch mehr geplant – laut IMI eine zielstrebige Bewegung „in Richtung Kriegswirtschaft“.
„Die Waffen nieder“
Mir macht das Angst. Wie kann irgendwer glauben, eine Atommacht wie Russland könne militärisch besiegt werden? Ich sehe keine Alternative zu Verhandlungen – und zwar so schnell wie möglich, bevor die Ukraine mit einer Offensive versucht, die Krim zurückzuerobern. Denn mit jeder weiteren Eskalation steigt das Risiko, in einem atomaren Inferno unterzugehen, auch hierzulande.
Krieg ist die patriarchale Anmaßung, Herr über Leben und Tod zu sein – was richtet das in denen an, die damit konfrontiert sind, selbst bedroht, mitwirkend oder von Weitem zuschauend? Ist es überhaupt möglich, all diese Gewalt an sich heranzulassen, die Ungeheuerlichkeit des Tötens zu empfinden, oder ist es überlebensnotwendig abzustumpfen, um sich zu schützen?
Würde Putin oder irgendein anderer Gewalttäter in Berlin einmarschieren, dann würde ich ganz sicher nicht meine Kinder losschicken, um mich zu verteidigen. Darum könnte ich auch nicht erwarten, dass andere Söhne oder Töchter ihr Leben für mich auf einem Schlachtfeld riskieren. Vielleicht würde ich weiße Tücher raushängen – in jedem Fall gilt für mich weiterhin der Titel des großartigen 1889 erschienenen Antikriegsromans von Bertha von Suttner: „Die Waffen nieder!“
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Die Autorin:
Elisabeth Voß ist freiberufliche Autorin, Journalistin, Vortragende und Beraterin zu Solidarischem Wirtschaften und Selbstorganisation in Wirtschaft und Gesellschaft.
Einzelne Sätze wurden aus dem Beitrag der Autorin „Krieg zerstört Leben“ (Graswurzelrevolution 470, Sommer 2022) übernommen. Der Artikel erscheint in der Berliner Umweltzeitung Der Rabe Ralf in der Ausgabe Juni/Juli 2023.
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