Verkehrssicher abgedeckt

Aus Osnabrücks neuesten Schreckenstagen[1]

Von Andreas Buderus

Die Zahl der deutschen Kriegerdenkmäler zur Zahl der deutschen Heine-Denkmäler verhält sich hierzulande wie die Macht zum Geist.“ (Kurt Tucholsky, 1919)

Es begab sich in der ehrwürdigen Friedensstadt Osnabrück, dass eines Morgens das alte Heger Tor – sonst ein steinerner Lobgesang auf Kanonendonner und Siegespathos – plötzlich über Nacht eine Botschaft trug: Nicht mit uns! Kriegstüchtig? Nein danke! Und weil heute nichts mehr ohne Domain existiert, auch gleich mit Internetadresse versehen.

Die Sache wäre womöglich als zeitgemäße Fußnote des Denkmals verblasst wie einst die Patina auf den Heldenbärten – hätte sich nicht augenblicklich der gesamte Apparat der sittlich alarmierten Ordnung in Marsch gesetzt. Die Verwaltung schritt, die Bürgermeisterin sprach ihr hart gerührtes „Schaden an der Allgemeinheit“, und der Staatsschutz – man halte die Kaffeetassen fest – ermittelte gegen Farbauftrag in meterweise Friedensschrift.

Nun ist bekanntlich nichts so bedrohlich wie ein paar Liter Wandfarbe, wenn sie sich nicht patriotisch verhalten. Panzer sind Ordnung, Bomben sind Sicherheit, Schlachtengemälde sind Kultur – aber Schrift bedeutet Anarchie. Und wenn Schrift dann auch noch am Denkmal klebt, weht sofort der Wind der Staatsgefährdung durch die ansonsten zugfreie und friedhofsruhende Republik.

Doch die eigentliche Köstlichkeit dieser Affäre – und man möchte sie als literarisches Sahnehäubchen kosten – liegt in der Verwaltungsformulierung, das Graffiti solle bis zur finalen Beseitigung „verkehrssicher abgedeckt“ werden. Ein Satz wie aus Heinrich Heines Schmunzelarchiv.

„Verkehrssicher abgedeckt!“

Nicht der Krieg, nicht die Panzeridee, nicht die Militarisierung im Herzen einer „Friedensstadt“ – nein, der Schriftzug muss verkehrssicher abgedeckt werden. Das Pflaster der Republik darf nicht ausrutschen auf einer öffentlichen Positionierung wider den Kriegszeitgeist.

Also hängt man Planen auf. Planen gegen Gedanken, Folie gegen Zweifel, Sicherheitsnetz gegen Gewissensbisse. Das Denkmal selbst – errichtet zur Verherrlichung eines europäischen Massakers – darf weiterhin unbedeckt den Himmel anstarren, aber der Satz „Kriegstüchtig? Nicht mit uns!“ wird eingepackt wie eine Leiche ohne Totenschein.

Denn nichts gefährdet den Verkehr des bürgerlichen Normalvollzuges in Zeiten der Kriegslüsternheit so sehr wie eine klare antimilitaristische Botschaft.

Die Empörung in den Kommentarspalten ließ nicht lange auf sich warten. „Sachbeschädiger!“. „Pfui!“. „Feige!“. „Putin-Freunde!“. Die Republik schnallt den moralischen Stahlhelm enger und zieht aus in den Stellungskrieg gegen den Filzstift.

Das alte Krähwinkel meldet sich zurück: Wer kritisiert, ist fremd. Wer protestiert, ist verdächtig. Wer malt, ist staatsnah zu überwachen. Schon Heinrich Heine wusste: „Ausländer, Fremde, sind es meist, / Die unter uns gesät den Geist / Der Rebellion.“ Und wie auf Kommando wird auch diesmal der rebellische Geist aus dem Denkmalschatten hervorgezerrt und wird ins Verhörzimmer zitiert.

Dabei ist die Botschaft der Aktivisten eigentlich von schlichter Bürgerlichkeit: Keine Panzer in der Friedensstadt. Busse statt Bomben. Straßenbahnen statt Schützenpanzer. Aber offenbar ist heute schon subversiv, wer vorschlägt, aus Fabriken etwas anderes als das Ende der Welt zu produzieren.

„Wir reden und streiten auf Augenhöhe“, verkündete das Stadtoberhaupt, „nicht anonym“. Und doch ist es bemerkenswert, wie anonym Panzer sind, wenn sie durch ihre Bordkanonen sprechen. Wie gesichtslos Flucht wird, wenn sie Statistik heißt. Wie anonym und einsam Tod ist, wenn er Verteidigung heißt.

Was sagt uns diese Osnabrücker Posse also?

Sie erzählt vom Nerv eines Landes, das aufrüstet und zittert zugleich. Von einer Gesellschaft, die vor der Wahrheit lieber Planen spannt als Debatten zu führen. Vom Reflex, jeden Friedensruf zu kriminalisieren, während der Militarismus hofiert wird wie ein Investitionsengel.

Und sie erzählt etwas über unsere Zeit:
Wir erleben Kriegseskalation, Flucht, Vertreibung, kollabierende Ökosysteme – und während der Planet brennt, rücken wir aus wegen Kreideschrift und informieren die Staatsschützer, als sei die Wandfarbe Vorhut eines revolutionären Umsturzes – Ach, wär es doch nur so…

Der eigentliche Skandal ist nicht das zum Nachdenken ergänzte Kriegsmonument.
Der Skandal ist, dass die Krieger geehrt werden – und seien es Beteiligte am Vernichtungskrieg der faschistischen Wehrmacht gegen die Völker der Sowjetuinion – während Deserteure nach wie vor nicht rehabilitiert oder gar entschädigt sind, und die Mahner wie eh verfolgt und unterdrückt werden.

Während die Rüstungsindustrie ihre Werkbanksägen ölt und Ministerpräsidenten, Oberbürgermeister und Gewerkschaftsbosse um Mordmaschinenarbeitsplätze betteln wie um Sakramente, findet sich die Friedensbewegung in der Rolle des Ordnungshindernisses wieder. Der Panzer rollt durch die Debatte – aber wehe, jemand stellt ihm ein Wort in den Weg.

Doch Osnabrück, Stadt des Westfälischen Friedens, sollte eines nicht vergessen: Frieden war nie verkehrssicher. Er war immer ungehorsam.

Und so möge man das Heger Tor ruhig abdecken. Mit Planen, mit Plastik, mit administrativen Phrasen. Doch die Frage darunter – ob wir Panzer-, Artillerie- und  Bombenfabriken wieder zur urdeutschen Heimatindustrie machen wollen – lässt sich nicht einwickeln.

Sie bleibt.
Wie Farbe auf Stein.
Wie Geschichte auf Haut.
Wie Zukunft im Nacken.

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Der Autor:

Andreas Buderus ist Gewerkschaftsaktivist und Mitinitiator der gewerkschaftlichen Basisinitiative ´SAGT NEIN! Gewerkschafter:innen gegen Krieg, Militarismus und Burgfrieden´

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Anmerkung: 

[1] Am 27. November berichtete die Neue Osnabrücker Zeitung unter der Überschrift `Staatsschutz ermittelt – Heger Tor beschmiert´über eine antimilitaristische Protestaktion am Osnabrücker Kriegerdenkmal „Heger Tor“, das mit einer klaren Anti-Aufrüstungsbotschaft versehen worden war. Auslöser der Aktion ist die Auseinandersetzung um die für Mitte 2027 drohende Schließung des VW-Werkes in Osnabrück mit mehr als 2.200 Beschäftigten – und die Debatte um eine mögliche militärische „Nachnutzung“ durch den Rüstungskonzern Rheinmetall. In kurzer Zeit entwickelte sich im Leserforum eine aggressive Welle der Empörung, die sich weniger gegen Aufrüstung, Militarisierung und Kriegsvorbereitung  als gegen den Protest selbst richtete. Auch eine Umfrage des Blattes zeigte den Ton der Debatte: Eine überdeutliche Mehrheit (94%) erklärte, die Aktion gehe „zu weit“, während nur ein verschwindend kleiner Teil den Protest für legitim hielt (4%) und sich weitere 2% keine Meinung dazu bilden wollten. Vor diesem Hintergrund wird sichtbar, was antimilitaristischer Widerstand im Deutschland der Zeitenwende inzwischen bedeutet: Er stört nicht nur – er gilt als die Friedhofsruhe störende und damit „zersetzende“ Provokation, die mit den Mitteln des Staatsschutzes verfolgt wird und zum Schweigen gebracht werden soll .

 

 

 

 

 

Bild: Bernhard Brockhau