Weselskys letzter Kampf: Der Tarifstreit bei der Deutschen Bahn ist beendet

Von Rainer Balcerowiak

Als am Montagabend bekannt wurde, dass sich die Deutsche Bahn AG und die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) nach rund fünf Monaten und insgesamt sechs Streiks, die den Schienenverkehr fast vollständig lahmlegten, auf einen neuen Tarifvertrag verständigt haben, dürfte das allgemein für Erleichterung gesorgt haben. Am Dienstag wurden Details der Vereinbarung, die nach gut einwöchigen Verhandlungen hinter verschlossenen Türen erzielt wurde, auf getrennten Pressekonferenzen bekanntgegeben und erläutert. Entscheidend ist sicherlich die Frage, für wen sich der zähe Tarifkampf nun mehr „gelohnt“ hat.

Für die GDL steht auf der Habenseite, dass sie ihre zentrale Forderung nach stufenweiser Absenkung der Wochenarbeitszeit für Schichtdienstbeschäftigte von 38 auf 35 Stunden bei vollem Lohnausgleich gegen die zähe Blockadehaltung des Konzerns durchgesetzt hat. Allerdings mit einer längeren Streckung der Absenkungsschritte, als von der GDL gefordert. Zunächst sinkt 2026 (statt 2025) die sogenannte Referenzarbeitszeit für alle Beschäftigten im Schichtdienst automatisch auf 37 Stunden.

Die weiteren Absenkungen (ab 2027 auf 36, ab 2028 auf 35,5 und ab 2029 auf 35 Stunden) erfolgen dann nicht mehr automatisch. Beschäftigte müssen sich vielmehr selbst bei der Bahn melden, wenn sie ihre Arbeitszeit reduzieren wollen. Sie können sich aber auch für eine gleichbleibende Zahl oder sogar mehr Arbeitsstunden entscheiden, in einem Korridor von bis zu 40 Stunden. Wer das tut, erhält pro Stunde oberhalb der Referenzarbeitszeit 2,8 Prozent mehr Lohn oder mehr Urlaubstage. Dies fällt – was die Streckung der Arbeitszeitverkürzung betrifft – hinter die Abschlüsse zurück, die die GDL bereits mit 28 privaten Konkurrenten der Bahn AG erzielt hatte. Diese werden jetzt wohl entsprechend modifiziert werden.

Nicht alle Forderungen durchgesetzt

Auch bei der Lohnerhöhung gab es einen „intelligenten Kompromiss“, wie es Bahn-Personalvorstand Martin Seiler am Dienstag nannte. Die Vergütungen steigen in zwei Stufen um insgesamt 420 Euro pro Monat: jeweils 210 Euro ab August 2024 und April 2025. Sicherlich eine bittere Pille für die GDL, denn da der alte Tarifvertrag am 31. Oktober 2023 ausgelaufen war, bedeutet dies eine neunmonatige Nullrunde. Zusätzlich gibt es aber noch eine steuerfreie Inflationsausgleichsprämie in Höhe von 2.850 Euro, die in zwei Stufen ausgezahlt wird, die erste bereits für diesen März. Ferner werden die Schicht- und Wochenendzulagen erhöht und die Anzahl der Schichten auf 5 Tage pro Woche reduziert, mit einer Mindestruhezeit von 48 Stunden.

Bei der Laufzeit hat wiederum die GDL gepunktet. Sie beträgt 26 Monate und endet damit am 31. Dezember 2025. Die Bahn hatte bis zuletzt eine Laufzeit von 32 Monaten gefordert. Allerdings gilt anschließend für zwei Monate eine weitere Friedenspflicht, in Form einer verbindlichen „Verhandlungsphase“, in der nicht gestreikt werden darf. Falls es in dieser Phase zu keiner Einigung komme, soll dort auch über die Möglichkeit eines Schlichtungsverfahrens verhandelt werden. Ein verbindliches Schlichtungsverfahren, wie es in den vergangenen Wochen vor allem Wirtschaftsverbände und Politiker der CDU und der FDP gefordert haben, wurde aber nicht vereinbart. Das heißt, ab März 2026 könnte die GDL wieder Warnstreiks durchführen.

Nicht durchsetzen konnte sich die GDL mit der Forderung nach Anwendung des neuen Tarifvertrages auf die Infrastrukturbetriebe des Konzerns. Weselsky räumte ein, dass sich zwar viele Kollegen aus diesen Bereichen an den Streiks beteiligt hätten, der Organisationsgrad dort aber noch zu gering sei. Der Abschluss wird daher laut Tarifeinheitsgesetz nur für das Fahrpersonal in jenen DB-Betrieben abgewendet, in denen die GDL die Mehrheit der Gewerkschaftsmitglieder stellt.

Allerdings wird die konkurrierende, zum DGB gehörende Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) nicht umhinkommen, die in ihren Tarifverträgen vereinbarte „Nachverhandlungsklausel“ geltend zu machen und ebenfalls Regelungen für die Absenkung der Wochenarbeitszeit zu vereinbaren. Denn sie wird ihren Mitgliedern wohl kaum vermitteln können, dass diese ab 2026 bei gleichem Lohn mehr arbeiten müssen als die GDL-Kollegen. Und Weselsky kündigte an, dass die GDL weiterhin juristisch dafür kämpfen werde, dass die „willkürliche Zählweise“ der Bahn bei der Ermittlung der Mehrheitsverhältnisse in den DB-Betrieben keinen Bestand hat.

GDL-Abschluss könnte Signalwirkung haben

Bei allen, teilweise schmerzlichen Abstrichen, die die GDL für diesen Abschluss hinnehmen musste, bleibt dennoch festzuhalten, dass sie sich bei ihrer Kernforderung, der Absenkung der Wochenarbeitszeit von 38 auf 35 Stunden bei vollem Lohnausgleich, durchgesetzt hat. Sie hat damit – nicht zum ersten Mal – bewiesen, dass gut organisierte, entschlossene Gewerkschaften besonders in Zeiten entsprechender Rahmenbedingungen auf dem Arbeitsmarkt die Möglichkeit haben, zentrale Forderungen wenigstens teilweise durchzusetzen. Und das auch bei einem mächtigen Konzern wie der bundeseigenen Deutschen Bahn AG. Der Abschluss der GDL wird mit Sicherheit eine gewisse Signalwirkung für künftige Tarifauseinandersetzungen in anderen Branchen haben, und das nicht nur wie jetzt schon im Verkehrssektor und im öffentlichen Dienst. Weselsky sprach gar von einem „historischen Durchbruch“, der „beispielgebend auch für andere Gewerkschaften in diesem Land“ sei.

Der Gegenseite gefällt das nicht. Sie hat die Streiks bei der Bahn zum Anlass genommen, eine Kampagne zur deutlichen Beschränkung des Streikrechts zu starten. Aktuell dürfte da ein wenig die Luft raus sein, denn die Einigung hat letztendlich gezeigt, dass die viel beschworene Tarifautonomie letztendlich doch funktioniert. Doch die gesamte Gewerkschaftsbewegung muss in dieser Frage äußerst wachsam bleiben, denn die Angriffe auf das Streikrecht werden weitergehen.

Für den GDL-Vorsitzenden Claus Weselsky war das wohl der letzte große Kampf. Der 65-jährige gelernte Schienenfahrzeugschlosser und Lokführer wird sein Amt auf der nächsten Generalversammlung der GDL im September abgeben. Sein bisheriger Stellvertreter und designierter Nachfolger Mario Reiß tritt in ziemlich große Fußstapfen, denn Weselsky hat – getragen von einer kämpferischen Mitgliedschaft – einige Pflöcke in die deutsche Tariflandschaft eingeschlagen und alle Versuche abgewehrt, die GDL im Konzern durch das Tarifeinheitsgesetz zu marginalisieren. Im Gegenteil: In seiner 16-jährigen Amtszeit hatte die GDL einen erheblichen Mitgliederzuwachs zu verzeichnen, auch in Berufsgruppen, die sie früher nicht vertreten hat.

Aus der standesbezogenen Lokführergewerkschaft ist eine Organisation geworden, die den Anspruch hat, für alle Berufsgruppen des Fahrpersonals und darüber hinaus in der Infrastruktur, also Netzbetrieb und Werkstätten, zu kämpfen. Sein größtes Verdienst war es, in zähen „Häuserkämpfen“ über viele Jahre hinweg bei fast allen privaten Konkurrenten weitgehend einheitliche Vergütungen und Arbeitsbedingungen auf dem Niveau des Marktführers Deutsche Bahn durchgesetzt zu haben. Ein Pfund, mit dem er in der aktuellen Tarifrunde bei der Bahn auch wuchern konnte, denn Weselsky verwies stets darauf, dass die GDL bei der Bahn keine überzogenen Forderungen stelle, sondern lediglich das verlange, was sie zuvor bereits für 29 Unternehmen mit rund 15.000 Eisenbahnern vereinbart hatte.

Eine gewisse Kontinuität ist bei der Stabübergabe an der GDL-Spitze jedenfalls garantiert. Wie Weselsky stammt Mario Reiß aus Sachsen und hat bei der Deutschen Reichsbahn Ausbildungen zum Schienenfahrzeugschlosser und Lokführer absolviert und diesen Beruf auch viele Jahre ausgeübt, bevor er hauptamtlicher Gewerkschafter wurde. Er wird sehr genau wissen, dass sich die GDL auf den erzielten Erfolgen nicht ausruhen kann, denn sie wird sich weiter dagegen wehren müssen, mittels Tarifeinheitsgesetz vom Bahnmanagement und der konkurrierenden, konzernfreundlichen Gewerkschaft EVG marginalisiert zu werden.

 

 

 

 

 

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Bild: GdL