Am 21. Juni 1972 beschloss der Deutsche Bundestag das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) einstimmig. Bis zu dem Tag war Leiharbeit in Deutschland verboten. Doch war es nicht das Parlament, das die Lawine Leiharbeit ins Rollen brachte, sondern wie so oft in Deutschland, wenn es ums Arbeitsrecht geht, sind die Gerichte maßgeblich. Im Fall der Leiharbeit war es das Bundesverfassungsgericht (BVG), das bereits am 4. 4.1967 die Arbeitnehmerüberlassung legalisierte und das Verbot der gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung aufhob. Allen Ernstes vertrat das höchste Gericht die Ansicht, starke Regeln, die die Leiharbeit einhegen, würden den Leiharbeitsfirmen das Grundrecht auf Berufsfreiheit einschränken, auch weil „kaum eine Lebenserfahrung“ es hergäbe, dass in den Unternehmen über längere Zeit, fremde Beschäftigte arbeiten würden. Eine ziemlich weltfremde Lebenserfahrung des Gerichts, denn schon damals wurden Leiharbeitskräfte über einen längeren Zeitraum beschäftigt.
Mit diesem Freibrief im Rücken und mit Hilfe der „Arbeitsmarktreformen der Agenda 2010“ der Schröder – Regierung Anfang des Jahrhunderts, bekam die Leiharbeit unglaublichen Aufwind.
Nun hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) sich über zentrale Aussagen des Europäischern Gerichtshofs (EuGH) hinweggesetzt. Für alle Nachteile, die Leiharbeitskräften widerfahren, soll es ein genügender Ausgleich sein, wenn nach dem Gesetz die verleihfreie Zeit bezahlt wird, also der Zeitraum, für den sich kein Entleiher findet. Die Vergütung in einsatzfreien Zeiten sei staatlich festgesetzt, der Ausgleich müsse daher auch nicht durch den Tarifvertrag erfolgen.
2017 hatte die Zahl der Leiharbeitskräfte mit rund 1,08 Millionen Menschen ihren vorläufigen Höchststand erreicht. Seitdem war die Beschäftigung in der Leiharbeit – zunächst auch in Folge der Regulierungen – tendenziell rückläufig. Da die Zahl der Übergänge von Leiharbeitnehmern in sozialversicherungspflichtige Beschäftigung außerhalb der Leiharbeit im Jahr 2018 deutlich gestiegen ist, dürfte der Rückgang nicht zu nennenswert weniger Beschäftigung in der Gesamtwirtschaft geführt haben. Zwar kann plausibel vermutet werden, dass ein großer Teil der Beschäftigten vom ehemaligen Entleiher übernommen wurde, quantifizieren lässt sich der Anteil aus den vorliegenden Zahlen jedoch nicht.
Seit 2019 kamen bei dem Rückgang der Zahlen der Leiharbeitskräfte mehr und mehr konjunkturelle Gründe zum Tragen. In den Zahlen sind auch die Folgen der Corona-Krise sichtbar: Von Februar auf Juni 2020 sank die Zahl der beschäftigten Leiharbeitskräfte – saisonal untypisch – um knapp neun Prozent. Danach verzeichnete deren Zahl Monat um Monat – mit Ausnahme während des zweiten Lockdowns und den Corona bedingten Einschränkungen Ende 2021 – geringe Zuwächse. Die Werte liegen seit April 2021 wieder deutlich über dem Vorjahr, erreichen das Vorkrisenniveau jedoch noch nicht. So gab es im Dezember 2021 gut 816.000 beschäftigte Leiharbeitskräfte. Von Dezember 2022 auf Januar 2023 sank die Zahl der Leiharbeitskräfte von 706.100 auf 698.800, was einem Minus von 7.300 (minus ein Prozent) Beschäftigten entspricht. Im Vergleich zum Januar 2022 sank die Zahl der Arbeitskräfte von 710.900 um 12.100 (minus 1,7 Prozent).
Der durchschnittliche Verdienst von Beschäftigten in der Leiharbeit ist deutlich geringer, als jener der Beschäftigten sonst. Zugleich sind die Leiharbeitskräfte überproportional ohne abgeschlossene Berufsausbildung als Helfer tätig und jüngeren Alters.
Im Einzelnen:
In der Leiharbeit
- sind die Beschäftigten durchschnittlich viel jünger als sonst Beschäftigte. 45,7 Prozent der Leiharbeitsbeschäftigten sind unter 35 Jahre alt, sonst dagegen nur 30,1 Prozent.
- arbeiten mit 52,9 Prozent überproportional viele in Helfertätigkeiten, während es sonst lediglich 10,4 Prozent sind.
- ist jeder fünfte Beschäftigte in der Leiharbeit ein Mann mit ausländischer Staatsangehörigkeit, während in der Beschäftigung sonst nur jeder 16te ein ausländischer Mann ist.
- gilt die gleiche Relation für die Beschäftigten ohne Berufsabschluss
und
erhalten die Arbeitskräfte einen durchschnittlichen Lohn von 1.799 Euro (Median), der Verdienst ist deutlich geringer als bei den Beschäftigten sonst, die ein Lohn mit einem Median von 3.131 Euro erhalten.
Dieser Verdienstunterschied kann zu einem wesentlichen Teil durch die besondere Struktur der Beschäftigten bzw. deren spezifische Tätigkeiten in der Leiharbeit erklärt werden. Der um durchschnittlich 42,5 Prozent geringere Verdienst der Leiharbeitskräfte resultiert zu einem wesentlichen Teil aus den verschiedenen Besetzungen in den vier Anforderungsniveaus. So reduziert sich der „Lohnabschlag“ in der Leiharbeit auf 32,6 Prozent für die Helfer, 26,7 Prozent für die Fachkräfte, 17,4 Prozent für die Spezialisten und 15,2 Prozent für die Experten.
Die Höhe der Löhne in der Leiharbeit kann zu 40 Prozent durch die Merkmale Anforderungsniveau, Geschlecht, Alter und Betriebsgröße erklärt werden.
Chronologie
Am 4. April 1967 stellte das Bundesverfassungsgericht (BVG) in Karlsruhe in einem Musterprozess die Weichen für die Zukunft der Leiharbeit in Deutschland, in dem es urteilte, dass die Arbeitnehmerüberlassung/Leiharbeit grundsätzlich mit dem Recht der freien Berufswahl vereinbar ist.
1972 wurde das „Gesetz zur Regelung der gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung“ (AÜG) verabschiedet.
1982 wurde wegen der zahlreichen Verstöße gegen geltendes Recht die Arbeitnehmerüberlassung im Bauhauptgewerbe verboten.
1985 wurde die maximal zulässige Überlassungsdauer von drei auf sechs Monate erhöht.
1994 fiel das Vermittlungsmonopol der Bundesanstalt für Arbeit und gab damit den Startschuss für die gewerbsmäßige private Arbeitsvermittlung, so wie wir sie heute kennen.
In dem Jahr fand auch eine Verlängerung des Einsatzes von sechs auf maximal neun Monate statt.
1997 wurde die höchstzulässige Überlassungsdauer auf ein Jahr erhöht.
2004 trat im Rahmen der so genannten „Hartz IV-Reformen“ die Novelle des AÜG in Kraft. Es gab entscheidende Erleichterungen für die Arbeitnehmerüberlassung, so entfiel die zeitliche Beschränkung der Überlassungsdauer, ebenso das Synchronisations- und Wiedereinstellungsverbot. Ab diesem Zeitpunkt regeln Tarifabschlüsse das Lohnniveau für Beschäftigte in der Leiharbeit. Im Falle einer Arbeitnehmerüberlassung wurde die Vermittlungsprovision zugelassen.
Der Interessenverband Deutscher Zeitunternehmen e.V (iGZ) und die Tarifgemeinschaft Zeitarbeit der Einzelgewerkschaften schlossen erstmals einen Tarifvertrag mit dem Deutschen Gewerkschaftsbund ab.
2005 bescheinigt die Bundesregierung im 10. AÜG-Erfahrungsbericht (für 2000 bis 2004), dass Leiharbeit „beschäftigungspolitisch in der Bundesrepublik Deutschland an Bedeutung gewonnen hat, im Rahmen sozial abgesicherter Beschäftigungsverhältnisse auch Arbeitslosen eine Chance zum Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt eröffnet und geeignet ist, neue Arbeitsplätze zu schaffen“. Dieses Statement erhöhte die Akzeptanz der Leiharbeit und trug dazu bei, mehr Flexibilität auf dem Arbeitsmarkt zu schaffen und der Leiharbeit einen weiteren Schub zu geben.
2012 einigten sich die Gewerkschaften der Metall- und Elektro- sowie der Chemischen Industrie mit den Leiharbeitsunternehmen auf eine Angleichung der Stundenlöhne von Leiharbeitskräften an die Löhne festangestellter Beschäftigter. Dabei erfolgte die Anpassung über gestaffelte Zuschläge, die von der Einsatzdauer abhingen. Die Tarifpartner weiterer Branchen übernahmen die Regelungen später in gleicher oder ähnlicher Form.
2017 wurde die Höchstüberlassungsdauer auf 18 Monate beschränkt.
Im gleichen Jahr wurde vereinbart, dass nach neun Monaten Beschäftigung im Betrieb der gleiche Lohn wie der Stammbelegschaft an die Leiharbeitskräfte zu zahlen ist.
2020 bekam die Leiharbeit weiter Aufwind und ließ die Kassen der Leiharbeitsvermittler klingeln. Während der sogenannten Corona-Krise konnten die entstandenen Lücken in „systemrelevanten Berufen“ mit Leiharbeit geschlossen werden.
Während der Krise konnte auch für Leiharbeitskräfte Kurzarbeit beantragt werden.
Ende 2022 hat der Europäische Gerichtshof EuGH entschieden, dass Leiharbeitskräfte zwar per Tarif schlechter bezahlt werden dürfen als die Stammbelegschaft, aber sie einen Ausgleich zu „equal pay“ und „equal treatment“ bekommen müssen. Hier musste nun das Bundesarbeitsgericht neu entscheiden.
2023 hat die Tarifgemeinschaft Zeitarbeit des DGB im Januar mit den Leiharbeitsunternehmensverbänden BAP und iGZ eine Erhöhung der Entgelte in zwei Schritten vereinbart. Schaut man sich die Tarifergebnisse (gültig ab 01.04.2023) an, stellt man fest, für die Entgeltgruppen E3 und E4 wurde das erreicht. Aber für alle folgenden Lohngruppen E5 bis E9 hat sich der Lohngruppenschlüssel verschlechtert, sprich, es wurde eine Lohnsenkung vereinbart.
Das BAG setzt sich mit seinem Urteil von Ende Mai 2023 über zentrale Aussagen des EuGH hinweg. Es urteilte, dass für alle Nachteile, die einem Leiharbeiter widerfahren, soll es ein genügender Ausgleich sein, wenn nach dem Gesetz die verleihfreie Zeit bezahlt wird, also der Zeitraum, für den sich kein Entleiher findet.
Die Chronologie zeigt, dass es lange schon gängige Praxis ist, Beschäftigte in der Leiharbeit nicht mehr nur kurzfristig einzusetzen, um Auftragsspitzen abzufangen, sondern sie verdrängen langfristig immer mehr Stammbeschäftigte. Dabei sind sie nicht nur befristet beschäftigt und weniger abgesichert, sondern auch noch schlechter bezahlt. Daran konnten auch die DGB-Tarifverträge zur Leiharbeit nichts Entscheidendes ändern.
Die Reaktion des DGB und seiner Einzelgewerkschaften auf die Agitation von Politik, Arbeitsrechtsprechung und Leiharbeitsunternehmerschaft war und ist eine Katastrophe
Seit 2004, als im Rahmen der so genannten „Hartz IV-Reformen“ die Novelle des AÜG in Kraft trat, gab es einige Erleichterungen für die Leiharbeitskräfte, wie die zeitliche Beschränkung der Überlassungsdauer, das Synchronisations- und Wiedereinstellungsverbot und Tarifabschlüsse regeln das Lohnniveau für Beschäftigte in der Leiharbeit.
Der Interessenverband Deutscher Zeitunternehmen e.V. (iGZ) und die Tarifgemeinschaft Zeitarbeit der Einzelgewerkschaften schlossen damals zum ersten Mal einen Tarifvertrag mit dem Deutschen Gewerkschaftsbund ab. Damit wurde ein Paradoxon installiert, das bis heute den DGB – Gewerkschaften permanent auf die Füße fällt. Paradox deshalb, weil für die Leiharbeitskräfte zwar eigentlich equal pay und equal treatment, also gleiche Bezahlung und gleiche Behandlung gilt, aber per Tarifvertrag darf davon nach unten abgewichen werden.
Nicht nur paradox, sondern auch politisch nicht tragbar ist das Ganze, denn ohne Tarifverträge hätte bereits ab 1.1.2004 die alte Gewerkschaftslosung gegolten, die auch rechtlich abgesichert war: „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“.
Noch einmal: durch das absurde Verhalten der DGB – Gewerkschaften können im Falle der Leiharbeit die gesetzlichen Mindeststandards, wie der im Gesetz verankerte Grundsatz der Gleichbezahlung, durch Tarifverträge nicht wie üblich verbessert, sondern verschlechtert werden. Das wollte der Gesetzgeber so und so haben die DGB – Gewerkschaften abgeschlossen und so steht nun im Gesetz.
Über die Motivation der Gewerkschaftselite, Tarifverträge unter dem Mindeststandard abzuschließen lässt sich nur spekulieren. Lag es am stoischen Blick auf die Sozialpartnerschaft oder an dem Grundsatz Hauptsache, wir regeln irgendwas, damit wir dabei sind und dabei bleiben oder hatte man einfach nur den Wunsch nach Ausbau des Niedriglohnsektors der Schröder – Regierung von deren Lippen abgelesen?
Aus Sicht der Leiharbeitskräfte war und ist es stets logisch gewesen, keinen Tarifvertrag abzuschließen oder diese nach dem Auslaufen nicht zu verlängern, weil dann die gleiche Bezahlung wie die der Stammkräfte gezahlt werden müsste.
Doch hält der DGB bis heute an den Tarifverhandlungen mit dem Interessenverband Deutscher Zeitunternehmen fest. Mit dem Ergebnis, dass im Schnitt die Tariflöhne von Leiharbeitskräften bis heute um 30 Prozent unter den Löhnen der Stammbelegschaften liegen. Die Wünsche der Leiharbeitskräfte standen immer schon hinter den Wünschen der gewerkschaftlich gut organisierten Stammbelegschaften zurück.
Das wurde auch wieder bei den letzten Tarifverhandlungen deutlich.
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hatte am 15.12.2022 entschieden, dass Leiharbeitskräfte zwar per Tarif schlechter bezahlt werden dürfen als die Stammbelegschaft, aber dass sie einen Ausgleich zu „equal pay“ und „equal treatment“ bekommen müssen.
Der EuGH stellte auch klar, dass die deutschen Gerichte Tarifverträge darauf hin überprüfen sollen, ob sie schlechtere Bedingungen für Leiharbeitskräfte im Vergleich zu Stammbelegschaften vorsehen. Die Gerichte können nun Tarifverträge in der Branche also kippen, wenn Leiharbeitskräfte darin nicht ausreichend geschützt werden.
Dieses wichtige Urteil hätte unbedingt in die Tarifverhandlungen einfließen müssen und für den nötigen Dampf im Kessel sorgen können. Doch davon keine Spur, die Ohrfeige für die DGB-Gewerkschaften steckte man ein, schaltete auf stur und schloss den Tarifvertrag ab.
So hat die Tarifgemeinschaft Zeitarbeit des DGB, wie schon oben erwähnt, im Januar 2023 mit den Leiharbeitsunternehmensverbänden BAP und iGZ eine Erhöhung der Löhne in zwei Schritten vereinbart. Schaut man sich die Tarifergebnisse (gültig ab 01.04.2023) genauer an, stellt man fest, dass für die Entgeltgruppen E3 und E4 eine Erhöhung erreicht wurde, aber für alle folgenden Lohngruppen E5 bis E9 hat sich der Lohngruppenschlüssel verschlechtert, sprich, es wurde real eine Lohnsenkung vereinbart.
Die nächste Peinlichkeit für die Tarifgemeinschaft Zeitarbeit des DGB ist, dass mit dem EuGH-Urteil die aktuellen Tarifverträge rechtswidrig sind. Man darf gespannt sein, ob und wie der DGB und seine Einzelgewerkschaften aus diesem Dilemma heraus finden.
Aber da springt das höchste Arbeitsgericht Deutschlands wieder mal ein.
Bundesarbeitsgericht (BAG) setzt sich über zentrale Aussagen des EuGH hinweg
Wie schon in der Vergangenheit häufiger, wird das BAG immer sofort tätig, wenn droht, dass die Lohnkosten am Standort Deutschland steigen. Das BAG verteidigt den legalen Niedriglohn-Sektor immer wieder, zu dem insbesondere die Leiharbeit gehört. Nun setzt das BAG sich mit seinem Urteil von Ende Mai 2022 über zentrale Aussagen des EuGH hinweg. Es urteilte, dass für alle Nachteile, die einer Leiharbeitskraft widerfahren, es ein genügender Ausgleich sein soll, wenn nach dem Gesetz die verleihfreie Zeit bezahlt wird, also der Zeitraum, für den sich kein Entleiher findet. Damit legalisiert das BAG die Leiharbeitstarife erneut.
Auch die Zusammenarbeit der Leiharbeitsbranche mit der Bundesagentur für Arbeit (BA) hat sich gut entwickelt
Im Jahresdurchschnitt waren bei der BA gemeldeten offenen Stellen über 28 Prozent ein Leiharbeitsverhältnis, damit war fast jeder dritte über die BA zu besetzende Arbeitsplatz ein Leiharbeitsplatz. Bei den Vollzeitstellen wurden sogar Werte von mehr als 40 Prozent erreicht.
Die Beschäftigten in der Leiharbeit sind überdurchschnittlich häufig auf ergänzende Sozialleistungen angewiesen, während von allen sozialversicherungspflichtig Beschäftigten 1,6 Prozent ihren Lohn mit Arbeitslosengeld II aufstocken, liegt die Quote bei den Leiharbeitskräften bei 5,9 Prozent. Der Leiharbeitsmarkt umfasst aktuell und offiziell knapp 700.000 Beschäftigte, ihr Entlassungsrisiko ist fast sechsmal so hoch wie im Durchschnitt alle Branchen.
In den vergangenen Jahren wurde an der Vermittlungspraxis der BA immer wieder Kritik laut. Ihr wurde der Vorwurf gemacht, dass sie den erwerbslosen Menschen viel zu häufig nur Arbeitsplätze in der Leiharbeit anbiete und sich entsprechend ihre Vermittlungserfolge überdurchschnittlich stark auf die Vermittlung in die Leiharbeit begründeten. Statt auf die Qualität der neuen Stellen zu achten, wäre die BA in erster Linie an hohen Vermittlungsquoten interessiert.
Da die Kritik aus den eigenen Reihen der BA kam, hatte sie entsprechendes Gewicht. Es wurde eingeräumt, dass es bei der Zusammenarbeit mit der Leiharbeitsbranche „Fehlentwicklungen“ gebe und schnelle Besserung versprochen.
Doch getan hat sich bis heute wenig. Im Gegenteil, es zeigt sich, dass die Stellenangebote aus der Verleihbranche für die Arbeitsvermittlung in den Agenturen und Jobcentern nicht an Attraktivität verloren haben. Alle aktuellen Anfragen, seien es parlamentarische oder die von Initiativen, wurden so beantwortet, dass die BA immer noch fast ein Drittel der von ihr betreuten erwerbslosen Menschen auf Stellen in der Leiharbeitsbranche vermittelt.
Die boomende Leiharbeitsbranche weiß die verlässliche Zulieferrolle der Jobcenter und Arbeitsagenturen zu schätzen. Falls die erwerbslosen Menschen das Spiel verderben, erhalten sie empfindliche Sanktionen, wenn sie ein Arbeitsangebot der Arbeitsvermittlung ohne rechtlich akzeptierten Grund ablehnen. So ist die Leiharbeitsbranche nicht nur dankbare Abnehmerin, sondern füttert die Vermittlungsagenturen geradezu mit Angeboten an Arbeitsstellen.
Leistungsangebot der Leiharbeitsfirmen an die Unternehmen
Die Leiharbeitsfirmen haben in den vergangenen Jahren die Wandlung von der kleinen Klitsche zum „all-inclusiv-Betrieb“ vollzogen, der eine eigene Unterfirma in einem Unternehmen bildet und mittlerweile den Gesamtbetrieb berät und damit lenkt.
Das wird auch durch die Angebotspalette der Leiharbeitsfirmen deutlich, aus der im Folgenden zitiert wird:
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„Wir sorgen für Ihre Flexibilität!
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unterstützt Unternehmen mit großem Bedarf an flexiblem Personal. Damit werden nicht nur kurzfristige Engpässe optimal abgedeckt, denn wir koordinieren auch das komplette Personalmanagement. Vom Rekrutieren geeigneter Mitarbeiter bis zur Personaleinsatzplanung.
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bietet Ihnen alle Vorteile der klassischen Auslagerung, ohne dass Sie Ihr “Know-how“ verlieren. Alle Leistungen werden vor Ort erbracht, sämtliche Prozesse können so jederzeit wieder in Ihr Unternehmen integriert werden.
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- Auswahl und Einarbeitung der Mitarbeiter
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- Permanentes Prozess- und Leistungscontrolling
- Regelmäßige Qualitätsüberprüfung“
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In der engen Zusammenarbeit mit der Arbeitsverwaltung und den Auftragsunternehmen sind die Leiharbeitsfirmen allmächtig geworden und für die meisten Beschäftigten dort die einzige Möglichkeit, durch diese Arbeit den Lebensunterhalt, wenn auch immer öfter, unter dem Existenzminimum, zu bestreiten.
Was diese Arbeitsverhältnisse mit Menschen machen können, sei hier an einem Beispiel aufgezeigt.
Konkrete Arbeits- und Lebenssituation einer Leiharbeiterin – heute hier, morgen dort
Eine 24-jährige Frau, ohne Berufsausbildung, früher als Pflegeassistentin gearbeitet, hat in den vergangenen 5 Jahren immer wieder zwischen Leiharbeit und Erwerbslosigkeit gewechselt. Sie lebt alleine und hat keine familiären Kontakte oder einen Freundeskreis. Aktuell ist sie bei einer Leiharbeitsfirma beschäftigt, die neben der Beschäftigung im Gesundheitsbereich auch Servicepersonal für Catering, Restaurants oder private Feiern, inkl. Notfalldienst anbietet.
Seit Jahren hat sie wechselndes Einkommen, immer unter dem Existenzminimum bzw. der Pfändungsfreigrenze.
Das Besondere an ihrer Arbeit ist, dass sie im gesamten Ruhrgebiet eingesetzt wird und entsprechend höhere Fahrtkosten, monatlich über 140 Euro, aufbringen muss. In ihrem Arbeitsvertrag steht, dass die Wegezeit nur dann zu vergüten ist, wenn sie die Dauer von 1,5 Stunden für die einfache Fahrt tatsächlich überschreitet.
Es ist üblich, dass sie in der Woche an 5 Tagen an verschiedenen Orten (heute hier…) und an 5 verschiedenen Arbeitsstellen (morgen dort…) arbeitet. Es kommt vor, dass sie einspringt, wenn abends noch zusätzlich wegen einer Erkrankung der Kollegin ein Büfett aufgebaut werden muss. Dort bedient sie das Buffet und nachts muss noch abgebaut werden.
Der „Notfalldienst“ kann konkret so aussehen, dass auch mal ein größerer Umzug von ihr tatkräftig ausgeführt wird. Auch das gibt der Arbeitsvertrag her, dort steht, dass „der Mitarbeiter an verschiedenen Einsatzorten im Ruhrgebiet bei Kundenbetrieben beschäftigt wird“. Und zu den Tätigkeiten steht dort. „Aus der Einsatzanweisung vor Beginn des Einsatzes in einem Kundenbetrieb können sich abweichende oder ergänzende Tätigkeiten ergeben.“
Weil ihr Einkommen zu gering ist, musste sie immer wieder kleine Kredite aufnehmen, auf Pump Waren aus dem Versandhandel beziehen und die laufenden Zahlungen für Radio- und Fernsehgebühr einstellen. Mit der Zeit ist ihr Schuldenberg auf 12.000 Euro angewachsen. Von dem derzeit 1.045 Euro Lohn müssen neben den Wohnkosten auch noch 388 Euro Raten gezahlt werden.
Ein paar Mal hatte sie ungeschickt Einkäufe in der Fußgängerzone getätigt, ohne zu zahlen und wurde erwischt. Als „Wiederholungstäterin“ erhielt sie vom Staatsanwalt eine saftige Geldstrafe in Höhe von 360 Euro. Hier sprang die Leiharbeitsfirma ein und gab ihr das Geld als Vorschuss, das dann am Monatsende wieder fehlte, aber für die Firma war es so besser, als dass die Frau die Ersatzfreiheitsstrafe absitzen musste und nicht einsetzbar war.
Mittlerweile hatte sie eine Abhängigkeit von den leistungssteigernden „mothers little helpers“ entwickelt, ohne die gar nichts mehr geht.
Kurz vor dem völligen psychischen und physischen Ende machte ihr Körper nicht mehr mit und sie klappte auf dem Weg zur Arbeit zusammen.
Die Zeit im Krankenhaus nutzte sie, um sich „neu zu orientieren“. Die Neuorientierung sieht so aus, dass sie eine Leiharbeitsfirma sucht, die sie als Pflegeassistentin arbeiten lässt. Toll wäre es, wenn sie über einen längeren Zeitraum am gleichen Ort an ein Pflegeheim ausgeliehen würde und nicht mehr „heute hier, morgen dort…“ unterwegs sein muss.
Wieso wieder Leiharbeit? Die Frau hat keine anderen Arbeitsverhältnisse kennengelernt und weiß nichts von GUTER ARBEIT.
Leiharbeit ist Menschenverachtung
Die menschenverachtende Leiharbeit ist zu einem eigenständigen System des Arbeitsmarktes geworden. Sie befeuert die atypische Beschäftigung und den gesamten Niedriglohnsektor. Dabei ist sie eingebettet in die Arbeitsmarktpolitik der Bundesregierungen, Rechtsprechung der Arbeitsgerichte, Arbeitsvermittlung der BA, abgesichert und legitimiert durch das Sanktionsregime der Jobcenter.
Und die DGB-Gewerkschaften spielen die dazugehörige Begleitmusik.
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Quellen: miese jobs, destatis, www.handelsblatt, Leiharbeitsfirmen, Berichte von Betroffenen Bild: IG BCE