Für Gewerkschaften gibt es nichts Wichtigeres als Mitglieder. Wenn sie die Unternehmen nicht mit Mitgliedern beeindrucken können, können sie sie auch nicht mit Streikdrohungen erschrecken. Wer nicht einmal mit Streiks drohen kann, der braucht an den Tischen der Tarifverhandlungen gar nicht erst Platz zu nehmen.
Die Zahl der Mitglieder, die in den DGB-Gewerkschaften organisiert sind, ist seit der Wiedervereinigung etwa um die Hälfte eingebrochen. Im Jahr 2017 ist sie erstmals unter die 6 Millionenmarke gesunken. Zum Jahresende 2022 waren es noch 5.643.762 Mitglieder, gegenüber dem Vorjahr ein Minus von 85.609.
Von offizieller Seite wird diese Situation hauptsächlich auf die demografische Entwicklung, Beschäftigungsabbau allgemein, Strukturwandel in der Berufswelt und neuerdings zusätzlich noch auf die Pandemie, mit ihrer erschwerten Mitgliederwerbung geschoben. Doch diese Sichtweise ist mehr als kurzsichtig, die Gründe sind vielfältiger und durch den DGB und seinen Mitgliedsgewerkschaften auch hausgemacht.
So haben sie sich nicht eindeutig gegen Aufrüstung und Krieg ausgesprochen und waren bereit, sich dem neuen Burgfrieden anzuschließen und dafür Reallohnsenkungen in Kauf zu nehmen.
Tarifabschlüsse ergeben keine Existenz sichernden Löhne mehr
Die neusten Erhebungen der Hans-Böckler-Stiftung (HBS) zeigen, dass bei den Menschen, deren Lebensstandard von Tariflöhnen, Lohnersatzleistungen oder staatlichen Renten abhängig ist, der Kaufkraftschwund höher ist als die offiziellen Inflationsraten. Festgestellt wurde ebenfalls, dass die „soziale Schere“ sich auch durch die Inflationsprozesse im abgelaufenen Jahr 2022 weiter geöffnet hat und die Tarifabschlüsse hinter der Geldentwertung herhinken.
So sind die Tariflöhne im Jahr 2022 um magere 2,7 Prozent gegenüber denen im Jahr davor gestiegen. Die geringe Steigerung ist dem Wirtschaftskriegskurs des Wertewestens mit seinen heftigen Inflationsschüben und mageren Tarifabschlüssen geschuldet. Diese Entwicklung hat innerhalb eines Jahres zu einem Wohlstandsgefälle um glatt ein Zehntel geführt.
Bei Zugrundelegung des BRD-Medianeinkommens 2022 verliert jeder tarifgebundene Beschäftigte schrittweise jährlich erhebliches Realeinkommen. Sollte sich die Inflation auf dieser Höhe auch im laufenden Jahr einpendeln, büßen sie bis Ende 2024 insgesamt 11 bis 13 Prozent an realer Kaufkraft ein. Für die Gruppe der in den neuen Bundesländern besonders zahlreichen Niedrigverdiener ist die Bilanz noch düsterer, weil aufgrund ihres typischen Verbrauchsverhaltens inflationstreibende Faktoren höher zu Buche schlagen und die wahre Inflation im abgelaufenen Jahr für diese Gruppe bei real 10 Prozent liegen dürfte.
Während Familien mit geringem Einkommen, die von der Teuerung am stärksten betroffene Gruppe sind und zum Jahresende 2022 eine Inflationsbelastung von 11,5 Prozent hatten, nutzen viele Unternehmen die Gunst der Stunde, um Marge und Gewinn kräftig auszuweiten und so die Inflation noch zusätzlich anheizen.
Eine für die Beschäftigten kämpfende Interessenvertretung sieht anders aus als die DGB-Gewerkschaften zurzeit und diese Abschlüsse tragen kaum dazu bei, Mitglieder zu gewinnen, geschweige denn aktiv mit lächerlichen Trillerpfeifen und Warnwesten ausgestattet, gewerkschaftliche Kampfkraft zu markieren.
Der neue Burgfrieden
Das Vorhaben der Ampelkoalition, die gigantische Aufrüstung sogar im Grundgesetz zu verankern, ist mit dem neuen Burgfrieden ohne Probleme realisiert worden. Eine Zwei-Drittel-Mehrheit in Bundestag und Bundesrat für eine Änderung des Grundgesetzes galt schon in der Sondersitzung des Bundestages im Februar 2022, als Bundeskanzler Olaf Scholz die Zeitenwende ankündigte, als sicher. Unter stehendem Applaus erschreckend vieler Mitglieder des Bundestages wurde parteiübergreifend das gigantische Aufrüstungsvorhaben und die angekündigte neue weltpolitische Rolle Deutschlands gefeiert.
Der neue Burgfrieden sieht so aus, dass
- eine riesige Koalition aus CDU/CSU, SPD, Grünen und FDP entstanden ist, die meint, länger als eine Legislaturperiode zusammenarbeiten zu können und eine kontinuierliche Aufrüstung in den Verfassungsrang gehoben hat. Dadurch möchte sie gewährleisten, dass zukünftige, anders zusammengesetzte Koalitionen das Megarüstungsprogramm weder stoppen, kürzen oder verändern können, weil es in Verfassungsstein gemeißelt ist.
- alle Beteiligten den Trick der Regierung, die angekündigte Aufrüstung ausschließlich über neue Schulden zu finanzieren und das Ganze „Sondervermögen“ zu nennen, als besonders clever und als tollen Coup loben. Wenn nämlich das 100-Milliarden-Programm zur Förderung der Rüstungsindustrie durch Steuererhöhungen finanziert werden müsste, käme es voraussichtlich zu größeren Widerständen. Als „Paket Sondervermögen“ geschnürt, werden die Vermögen der Reichen und Superreichen verschont und die Kosten bei den Beschäftigten und Sozialleistungsbeziehern eingespart.
- bei einer offiziellen Inflationsrate von über 10 Prozent im Sommer 2022 Bundeskanzler Scholz die „Sozialpartner“ zu einer „konzertierten Aktion“ eingeladen hatte, bei der man die Gewerkschaften eingehegt hat und davon abhielt, ihre zukünftigen Lohnforderungen in Höhe der Inflationsrate zu stellten
und
es in Wahrheit um autoritäres Durchregieren geht und die Bevölkerung, coronagestählt, möglichst kritiklos „unpopuläre“ Maßnahmen mitmacht und immer mehr bereit ist „neue Realitäten und radikale Kurswechsel“ hinzunehmen.
Der DGB als Dachverband der Gewerkschaften in Deutschland war über Jahrzehnte hinaus ein einflussreicher Akteur und eine wichtige Stimme in der bundesdeutschen Friedensbewegung. Heute steht der DGB bei vielen Mitgliedern in der Kritik, weil er sich eher als Partner der Konzerne und Unternehmen versteht, es unterlässt, den bürgerlichen Staat grundlegend zu kritisieren und nicht als Kampforganisation der Beschäftigten angesehen wird.
Im Sinne eines Burgfriedens ist auch die zentrale Erklärung des DGB zum Antikriegstag 2022 zu sehen
(kursiv = original DGB)
Der Deutsche Gewerkschaftsbund
- versucht sich als eine fortschrittliche Kraft zu inszenieren, die „vor einer weiteren Militarisierung der Debatte“ warnen will.
- ruft aber zu konkreten Aktionen am 1. September 2022 gar nicht erst auf.
- benennt nicht, warum es in diesem Wirtschaftssystem immer wieder zu Kriegen kommt.
- lobt die Bundesregierung praktisch dafür, weil sie bemüht ist „die Verteidigungs- und Bündnisfähigkeit unseres Landes im Rahmen der NATO und der EU zu stärken “ und spricht sich zwar „gegen einen neuen weltweiten Rüstungswettlauf “ aus, doch fallen keine kritischen Worte zum milliardenschweren „Sondervermögen für die bessere Ausrüstung der Bundeswehr“.
- verneint dann auch selbst den Irrglauben, „Friede ließe sich mit Waffen schaffen“, doch fragt nicht, was die 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr sonst sein sollen, als vorgeblich Frieden mit Waffen zu schaffen.
- versucht sein pazifistisches Antlitz zu wahren, weil er weiß, dass die kategorische Ablehnung des Krieges vielen Mitgliedern tief im Herzen liegt und er sieht sich gleichzeitig in seinen Leitungsgremien offenbar gezwungen, die deutsche Aufrüstungs- und Eskalationspolitik mitzutragen.
- meint vorgeblich und oberflächig, weil „die europäische und internationale Friedens- und Sicherheitsordnung in Trümmern liegt, zwingt uns diese tiefe Zäsur, neue Antworten zu finden“. Er lobt: „Die deutsche Bundesregierung hat darauf mit einer Reihe von Maßnahmen reagiert, um die Verteidigungs- und Bündnisfähigkeit unseres Landes im Rahmen der NATO und der EU zu stärken“. Der DGB spricht sich für diese „notwendige breite und offene Debatte“ aus, die sich „aber immer stärker auf den Einsatz militärischer Mittel der Friedenssicherung verengt hat“.
- fordert die Bundesregierung auf, „ihren im Koalitionsvertrag formulierten Anspruch einer wertebasierten deutschen Außenpolitik konsequent umzusetzen“ und plappert unreflektiert die Sätze der ‚werteorientierten‘ Außenpolitik nach. Eine solche Politik, die nichts anderes als unsere Werte und Interessen meint, trägt zwangsläufig zwei unlösbare Probleme in sich: Einmal ist sie widersprüchlich und zum anderen unfähig zu einem derzeit äußerst wichtigen Dialog.
- wandelt im aktuellen Aufruf das „Nie wieder Krieg“ kategorisch zu: „Krieg ist ein Angriff auf die Menschheit und Menschlichkeit“, weil der Aufruf sich ja schließlich gegen Russland und dessen „brutale Politik der militärischen Konfrontation und Eskalation“ richtet.
- erwähnt nicht namentlich die anderen Kriege, wie bspw. den türkischen völkerrechtswidrigen Angriff auf Kurdengebiete in Syrien oder den brutalen Krieg im Jemen.
- verschweigt, dass die USA und NATO alle wiederholten Bemühungen Russlands zur friedlichen Beilegung des Konflikts ausgeschlagen haben. Er erwähnt nicht, dass sie es bis zuletzt nicht für nötig gehalten haben, Russland eine ernsthafte Antwort zu geben auf dessen Vertragsentwurf, mit rechtsverbindlichen gegenseitigen Garantien und auf der Grundlage der gleichen und unteilbaren Sicherheit die weitere Eskalation zu beenden.
- erklärt, dass die nun entstandene „tiefe Zäsur“ „uns“ zwinge, „neue Antworten zu finden“. Er hat auch Verständnis für eine „Reihe von Maßnahmen“ der Bundesregierung, die der Stärkung der „Verteidigungs- und Bündnisfähigkeit unseres Landes im Rahmen der NATO und der EU“ dienen und möchte nur, dass die militärische Friedenssicherung nicht auf Kosten der „Leistungsfähigkeit unseres Sozialstaates“ und der „sozial-ökologischen Transformation“ geht.
- sagt dagegen nichts zu den Zusammenhängen von Krieg, Teuerungen und der wirtschaftlichen Lage. Kaum ein Wort zur Inflation, steigenden Mieten, explodierenden Energiepreisen, wie sich der (Wirtschafts-)Krieg mit Russland auf den Lebensstandard der Beschäftigten in diesem Land auswirkt und was der DGB dagegen zu tun gedenkt.
- schließt die Augen vor der Lage, die selbst Olaf Scholz als „sozialen Sprengstoff“ bezeichnete und lässt die konkrete Lebenssituation der beschäftigten und erwerbslosen Menschen völlig unerwähnt
und
unterstützt eine Regierungspolitik mit ihren Sanktionsmaßnahmen und ihrem anti-Russland-Wahn, die den wirtschaftlichen und sozialen Zusammenbruch des eigenen Landes riskiert mit dem Ziel, „Russland zu ruinieren“ (Zitat Außenministerin Baerbock).
Neuauflage der „Konzertierten Aktion“ und Beteuerung der Sozialpartnerschaft
Um ein Durchregieren ohne Störungen zu gewährleisten, wurden im Sommer 2022 die „Sozialpartner zu einer konzertierten Aktion“ von Bundeskanzler Scholz eingeladen, bei der man beraten wollte, wie auf die hohe Preisentwicklung reagiert werden sollte. Gleichzeitig wollte man die Gewerkschaften davon abhalten, dass sie ihre Forderung in Höhe der Inflationsrate stellen. Dabei haben sie das Märchen von der „Lohn-Preis-Spirale“ aus der Mottenkiste geholt und sich untereinander erzählt. Als das Märchen zu Ende erzählt war, lag auch die Sonderzahlung für die Beschäftigten als Wunderwaffe in Tarifkonflikten auf dem Tisch.
Mit den nicht tabellenwirksamen Sonderzahlungen wurde gleichzeitig auch eine permanente Lohnabsenkung vereinbart. Dieses Vorgehen ist von langer Hand vorbereitet und geschickt verpackt worden.
Die Sonderzahlungen werden in Zukunft bei keiner Tarifauseinandersetzung mehr fehlen und immer mehr mit Bedingungen, wie z.B. die Zahlung an eine Gewinnentwicklung des Unternehmens auszurichten, verbunden: Beschäftigte in Betrieben mit großem Profit erhalten höhere Einmalzahlungen als diejenigen, die sich in kleineren Betrieben der Branche verdingen müssen. Damit das halbwegs akzeptiert wird, wirft man das gefürchtete Schattengespenst der Lohn-Preis-Spirale an die Wand und verabredet, die Einmalzahlungen als dauerhafte Lohnerhöhungen zu verkaufen, und mit dem Bonbon für die Beschäftigten obendrauf, dem Verzicht auf Steuern und Abgaben.
Die Verabredungen bei der konzertierten Aktion sollten vor allen Dingen gewährleisten, dass sich an der hervorragenden Wirtschaftslage der Unternehmen nichts ändert. Die haben, wie Preiserhöhungen auf breiter Front und ausgeschüttete Dividenden zeigen, die Lage bislang weidlich ausgenutzt. Aber die Sicherheit, dass sie weiterhin erfolgreich wirtschaften, darf nicht durch Lohnerhöhungen gefährdet werden. Bei der neu gefestigten Sozialpartnerschaft gilt nach wie vor das Motto, die Pferde vorne mit ganz viel Hafer füttern, damit hinten auch noch etwas für die Spatzen herauskommt.
Der schon eingetretene permanente Lohnsenkungsprozess wird zusätzlich noch von unklaren Begrifflichkeiten, Widersprüchen und einer Nonsenssprache auf Seiten der Gewerkschaften begleitet.
Die IG BCE gibt derzeit den Vortänzer dieser Bewegung:
- Bei dieser Einzelgewerkschaft wird seit ewigen Zeiten die Sozialpartnerschaft wie eine Monstranz vor sich hergetragen. Aus der Entfremdung der Arbeit und der Abhängigkeit der Beschäftigten von der betriebswirtschaftlichen Rechnung des Unternehmens wird eine Partnerschaft gemacht.
- Das nun ausgehandelte Geld soll nicht nur zum Lebensunterhalt etwas beitragen, sondern es soll auch die „aktuellen Preissprünge bei der Energie“ mildern und dann auch noch einen „Ausgleich für die ständigen Preissteigerungen allgemein“ bilden. Es wird der Anschein erweckt, dass die Preise als Naturereignis vom Himmel fallen und dann wieder hochspringen und nicht knallhart in den Chefetagen der Firmen kalkuliert werden.
- Wieder einmal soll die Zurückhaltung bei den Forderungen den „Betrieben bei der Standort- und Arbeitsplatzsicherung helfen“.
- Es soll der Eindruck entstehen, Sonderzahlungen und Tariflohn müssten harmonieren und dann als Kosten der Unternehmen zusammengezählt werden. Da es schon im Frühjahr 2022 eine 1.400 Euro Sonderzahlung gab, sollten deshalb die dauerhaften, prozentualen Lohnsteigerungen nicht zu hoch ausfallen. Praktisch heißt das, im kommenden Jahr gibt es nur 3,5 Prozent mehr bei einer erwarteten Inflationsrate von 7 oder 8 Prozent.
- Die Mitglieder sollen glauben, wenn demnächst die Inflationsrate sinkt, sinken in gleichem Maße auch die Preise – doch das stimmt nicht – die Preisen werden in dem Fall nur nicht mehr so schnell ansteigen.
- Die Beschäftigten sollen nach Ansicht ihrer Gewerkschaft zwei Funktionen übernehmen. Als Lohnabhängige müssen sie billig sein und als Konsumenten sollen sie über möglichst viel Kaufkraft verfügen.
- Erinnert wird daran, dass die Tarifparteien der Chemieindustrie sowieso nicht „durch Krawall und Arbeitskämpfe“ auffallen, aber der neue Abschluss liefere jetzt geradezu „Lehrmaterial darüber, wie gute Sozialpartnerschaft funktioniert“.
- Eigenlob stinkt, auch in einer blumigen Sprache: Nachdem die IG BCE im Frühjahr eine „flexible Brücke in den Herbst“ baute, hat sie nun die „Quadratur des Kreises“ geschafft
und das kann in Größenwahn ausarten: „Eine gut gemachte Tarifpolitik kann zentraler Baustein eines gesamtgesellschaftlichen Bollwerks gegen Inflation und Energiekrieg sein“.
Der beschriebene permanente Lohnsenkungsprozess, den die IG BCE mit eingeleitet hat, wird den Abstand zwischen Löhnen und Preisen weiter vergrößern und andere Einzelgewerkschaften werden folgen, ganz im Geiste der Konzertierten Aktion und Gewerkschaften, Unternehmen und Regierung ihre Reihen schließen und den neuen Burgfrieden feiern.
In diesen Chor stimmte dann zum Jahreswechsel 2022/23 die neue DGB – Vorsitzende Fahimi ein.
Yasmin Fahimi befürchtet eine drohende Deindustrialisierung und einen riesigen Arbeitsplatzabbau
Die DGB Vorsitzende verteidigte lautstark ihre freche Äußerung , dass Konzerne, die mehr als 50 Millionen EURO „Krisenhilfe“ vom Staat erhalten haben, diese Millionen direkt als Dividenden und Boni ausschütten dürfen.
Das kam nicht gut bei den Gewerkschaftsmitgliedern an, auch weil zeitgleich Zahlen von der Organisation OXFAM zum Vermögenszuwachs bekannt wurden, wonach 81 Prozent des Vermögenszuwachses zwischen 2020 und 2021 bei dem reichsten 1 Prozent der Bevölkerung der BRD gelandet ist. Auf die restlichen 99 Prozent entfallen 19 Prozent, die meisten davon sind aber ärmer geworden. Diese Zahlen zeigen, wie groß die Kluft zwischen arm und reich in Deutschland geworden ist.
Als sie für ihre Äußerung kritisiert wurde, sagte Yasmin Fahimi, es sei jetzt nicht an der Zeit für kapitalismuskritische Grundsatzdebatten. Sie hat wohl nicht mitbekommen, dass die unverschämt hohen Vergütungen für die Unternehmensleitungen schon seit einigen Jahren eine permanente hochemotionale Diskussion in den Gewerkschaften ist.
Es war nicht das erste Mal, dass die Vorstände in den DGB-Gewerkschaften die Diskussionen vor Ort nicht mitbekommen haben oder mitbekommen wollen und sie den Mitgliedern an der Basis, die für die Sicherung ihrer Arbeitsplätze und existenzsichernden Löhnen kämpfen in den Rücken fallen. Vielmehr sollen die Menschen auf Verzicht eingeschworen werden.
Die Gewerkschaftsbasis, Beschäftigte, erwerblose und arme Menschen werden auf Verzicht eingeschworen
Mit ihrer derzeitigen Politik verweigern sich der DGB und die Einzelgewerkschaften mehr und mehr einer offensiven Lohnpolitik gegen die inflationären Entwicklungen. Gleichzeitig wächst der Druck von unten, dort reichen die Löhne schon lange nicht mehr aus und Millionen Menschen werden in die Armut getrieben.
Wie schon 1914, unterstützt die Gewerkschaftselite mit ihren unklaren Stellungnahmen die Aggression der deutschen Weltmachtsfantasien. Ohne große Not stellt sie sich hinter den Wirtschaftskrieg gegen Russland und schwört die Gewerkschaftsbasis, Beschäftigte und Menschen in prekären und verarmten Verhältnissen auf Verzicht ein.
Auch seitens der Politik wird Druck auf die Gewerkschaften ausgeübt, ihre bisherigen Positionen aufzugeben und der Druck hat schon Erfolg. So sprechen die Dienstleistungsgewerkschaft und auch der DGB bereits von der Neubewertung der Situation und haben über Nacht Forderungen wie ein Nein zu Waffenexporten fallengelassen.
Anstelle die Kontakte und Zusammenarbeit der Beschäftigten in den östlichen Ländern zu fördern, internationale Solidarität zu praktizieren und Demonstrationen gegen Weltkriegsgefahr und Verarmung zu organisieren, unterstützt eine Mehrheit in den Führungsgremien der Gewerkschaften Demonstrationen mit Forderungen nach einer „gerechten Verteilung der Lasten“ verbunden mit der Bitte, die „Armen im Lande nicht zu vergessen“. Auch der DGB-Bundesvorstand möchte gerne handzahm „Echt gerecht – solidarisch durch die Krise.“
Die viel beschworene Sozialpartnerschaft zahlt sich in Krisenzeiten eben doch aus, besonders für die Unternehmensführungen und Gewerkschaftsbürokratie. Die hauptamtlichen Gewerkschaftsleute fühlen sich schnell von Politik und organisierter Unternehmerschaft gebauchpinselt, mit ihren autoritären Charakteren meinen sie, dass sie zur hiesigen Elite gehören und können es gar nicht abwarten, am Großen und Ganzen der Politik des neuen Burgfriedens mitzuwirken. Die Gewerkschaftsspitzen wissen also genau was sie tun, kennen ihre Funktion und ihre Grenzen in diesem System. Dieser Kreislauf kann nur durch Druck der Mitgliedschaft durchbrochen werden und ohne konkrete Gegenmacht wird alles auch so bleiben.
Die Zeche zahlen die Krisenverlierer, vor allem jede einzelne Person, die zu den rund 21 Prozent aller abhängig beschäftigten Menschen im Niedriglohnsektor gehört und maßgeblich den Reichtum der Krisengewinner schafft. Zur Kasse werden aber auch die vielen erwerbslosen und armen Menschen gebeten, die schon lange nicht mehr über ein Existenz sicherndes Einkommen verfügen.
Damit das nicht so bleibt, ist vor allem der politische Streikt wieder in den Vordergrund der gewerkschaftlichen Diskussion zu stellen. Der politische Streik muss das Mittel der Wahl für den Aufbau gewerkschaftlicher Gegenmacht sein.
Den politischen Streik wieder in den Vordergrund stellen
Einen politischen Streik hat es auch schon in der Bundesrepublik gegeben. Als der DGB im Sommer 1951 sich konfliktbereit zeigte und der Bundesregierung drohte, seine Mitglieder zu gewerkschaftlichen Kampfmaßnahmen aufzurufen. Hintergrund war die unnachgiebige Haltung der Adenauerregierung gegenüber den Neuordnungsforderungen der Gewerkschaften für die Mitarbeit in den wirtschaftspolitischen Gremien der BRD. Im Mittelpunkt der Auseinandersetzungen stand die Ausdehnung der paritätischen Mitbestimmung auf die gesamte Wirtschaft, was vehement von den damaligen Unternehmerverbänden und den Regierungsparteien, der CDU/CSU und der extrem kapitalorientierten FDP verweigert wurde.
Nach der Demonstration gewerkschaftlicher Kampfbereitschaft und -fähigkeit in den Auseinandersetzungen um die Montanmitbestimmung war es für die Gewerkschaften klar, dass nur durch harte und offene Konflikte zwischen der Arbeiterbewegung und den reaktionären, teils offen faschistischen Kräften, eine Restauration der Machtverhältnisse zu verhindern war.
Als sich dann im Frühjahr 1952 eine schnelle Verabschiedung des Gesetzesvorhabens zum Nachteil der Gewerkschaften abzeichnete, teilte der DGB-Vorsitzende dem Bundeskanzler mit, dass der DGB seine Mitglieder zu gewerkschaftlichen Kampfmaßnahmen aufrufen wird.
Der Aktionsaufruf mobilisierte rund 350.000 Beschäftigte in allen Teilen der BRD, es fanden Protestkundgebungen, Demonstrationen und Warnstreiks statt. Ein wichtiger Höhepunkt war die Arbeitsniederlegung in allen Zeitungsbetrieben Ende Mai 1952, organisiert von der IG Druck und Papier.
Der politische Streik war damals der Startschuss für die einseitige Interpretation des Bundesarbeitsgerichts, das in der damaligen Zeit noch überwiegend besetzt war mit „Rechtsgelehrten“, die sich ihre „Verdienste“ schon im deutschen Faschismus erworben hatten.
Während in anderen europäischen Ländern das Streikrecht ohne Unterschiede besteht, gilt seitdem in Deutschland ein Streik, der nicht durch Tarifforderungen begründet wird, als unzulässig. Nicht aufgrund eines im Gesetzeswerk zusammengefassten Rechts, sondern aufgrund der Ansicht des damaligen Bundesarbeitsgerichtes unter Vorsitz von Carl Nipperdey, dem früheren Nazi-Rechtsideologen.
Völlig unzeitgemäß ist auch, dass die Gewerkschaften bei uns nur rein wirtschaftliche Forderungen stellen, während Streiks in anderen europäischen Staaten schon längst politisch ausgerichtet sind. Dort wird immer öfter, wenn sie z.B, Forderungen nach Inflationsausgleich stellen, dies ausdrücklich damit begründen, dass die Sanktionen gegen Russland und die Waffenlieferungen an die Ukraine die Ursache für diese Inflation sind und alle Staaten in der EU betreffen.
So eine Haltung stünde den DGB-Gewerkschaften bei uns gut an und hätte verhindert, dass sie auf dem Rücken der Beschäftigten, armen und erwerbslosen Menschen dem neuen Burgfrieden beigetreten sind.
Quellen: WSI-Tarifarchiv, HBS,,IG BCE, IAB, Tagessspiegel, Junge Welt, BA, Statis.de, dgb, verdi, ngg, Politika, B 92, wildcat, PM Arbeitsministerium, Franziska Wiethold, SGB, F. Deppe/G. Fülberth/J. Harrer/Geschichte der deutschen Gewerkschaftsbewegung Bildbearbeitung: L.N.