Rechte Strukturen in der Polizei – Chatgruppen, Drohschreiben und Terrorpläne

Von Martin Kirsch

Seit 2017 gehören Meldungen über das Auffliegen von rechten Chatgruppen in den Reihen der Polizei zum medialen Alltag. Ein strukturelles Problem der Polizeibehörden bis hin zu ganzen Netzwerken von organisierten Rechten in den Sicherheitsbehörden wird allerdings von den verantwortlichen Politiker*innen häufig abgetan oder kleingeredet. Symptomatisch dafür ist, dass ein flächendeckender Überblick allein über die in den letzten Jahren bekannt gewordenen Fälle bisher fehlt. Daher sollen hier zwei Komplexe in den Blick genommen werden, die Hinweise auf die Dimensionen liefern und zeigen, welche Gefahren durch organisierte rechte Polizist*innen drohen.

Nordkreuz – Zwei Polizisten mit Terrorplänen

Im August 2017 fanden sechs Razzien in Mecklenburg-Vorpommern (MV) statt. Die ermittelnden Bundesbehörden weihten die Landesbehörden nicht ein, weil sie ihnen misstrauten. Zwei Personen, bei denen Durchsuchungen stattfanden, waren Polizeibeamte der Landespolizei. Bei den Razzien fanden die Ermittler*innen Feindeslisten sowie ein Arsenal an Waffen und Munition. Durch die Auswertung von Smartphones und Computern wurden Chatgruppen mit den Namen Nord, Nordkreuz und Vier Gewinnt gefunden. In den Chatgruppen und in privaten Gesprächen hatten sich Mitglieder der Gruppe, die öffentlich als Nordkreuz bekannt wurde, auch über konkrete Terrorpläne ausgetauscht. An einem Tag X sollten politische Gegner*innen massenweise entführt werden, um sie anschließend zu töten. Die an den Chats Beteiligten waren als Sportschützen, Jäger und Reservisten der Bundeswehr – an Schusswaffen ausgebildet. Gefunden wurden neben Feindeslisten auch Waffen, Munitionsvorräte und sogar eine Einkaufsliste für Leichensäcke und Ätzkalk, der Tote schneller unkenntlich macht und verwesen lässt.

Der mittlerweile entlassene Kriminalpolizist der Landespolizei MV, Haik J., war einer der beiden Hauptverdächtigen. Gegen ihn läuft ein Verfahren wegen der Vorbereitung schwerer staatsgefährdender Straftaten bei der Bundesanwaltschaft in Karlsruhe. Er steht im dringenden Verdacht, die Feindeslisten mit Informationen aus Polizeicomputern angereichert zu haben. Der AFD-Landesverband MV wählte J. noch nach dem Auffliegen in ein Parteigremium zur Inneren Sicherheit.

Eine weitere zentrale Figur von Nordkreuz ist Marko G. – ein ehemaliger Elitesoldat. Nach seiner Zeit bei der Bundeswehr war er Teil des Spezialeinsatzkommando des LKA MV und daher u.a. als Scharfschütze und Einzelkämpfer ausgebildet. Zum Zeitpunkt der Razzia 2017 war er Beamter des LKA MV. Als Administrator der Chatgruppen war G. für die organisatorische Grundlage der Gruppe verantwortlich und hielt Kontakt zum bundesweiten Hannibal-Netzwerk. Ein Großteil der legalen und illegalen Waffen und Munition wurden bei zwei Durchsuchungen 2017 und 2019 auf seinem Grundstück in Banskow gefunden. Darunter befanden sich eine von der Bundeswehr gestohlene Maschinenpistole und zehntausende Schuss Munition, die teils unter das Kriegswaffenkontrollgesetz fallen. Die Ermittlungen ergaben, dass er, wohl mit Hilfe weiterer Mitglieder des SEK MV, seit 2012 über 10.000 Schuss Munition vom LKA MV gestohlen hatte. Weitere illegale Munition, die bei ihm gefunden wurde, stammte von Spezialeinheiten der Bundeswehr und von Polizeibehörden aus dem gesamten Bundesgebiet. Ihr gemeinsamer Link: Alle Spezialeinheiten trainierten auf dem privaten Schießplatz der Firma Baltic Shooters in Güstrow, wo u.a. jährlich ein Special Forces Workshop abgehaltenen wurde. Recherchen ergaben, dass der federführende Schießtrainer Frank T. engen Kontakt mit Marko G. pflegte, Mitgliedern von Nordkreuz Schießtrainings gab und vermutlich selbst Teil von Nordkreuz war. Darüber stolperte im Dezember 2020 auch MV Innenminister Caffier von der CDU und musste zurücktreten. Er war nicht nur Schirmherr des besagten Special Forces Workshop, auf dem die Munition verschwand, sondern er hatte sich auch eine Pistole samt Munition und Training für den privaten Gebrauch von T. besorgen lassen. Bis zu seinem Rücktritt fiel Caffier dadurch auf, dass er die Ermittlungen und die öffentliche Aufklärung womöglich behinderte.

In dem Verfahren in Karlsruhe wurde Marko G. nur als Zeuge geführt. Diese Missachtung seiner Rolle bei Nordkreuz könnte, wenn es sich nicht um ein totales Behörden- und Justizversagen handelt, darauf hindeuten, dass G. mit einem Geheimdienst kooperierte. In einem Verfahren am Landgericht Schwerin wurde Marko G. zu 21 Monaten auf Bewährung wegen Verstoß gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz verurteilt. Seine Rolle bei Nordkreuz spielte für den Richter in diesem Verfahren keine Rolle. Die Staatsanwältin legte entsetzt Berufung ein. Sie hatte eine deutlich höhere Gefängnisstrafe gefordert. Marko G. hingegen verließ das Gericht als freier Mann und wurde von seinen Anhängern, darunter auch Mitgliedern von Nordkreuz, begrüßt und gefeiert. Seit Januar 2022 ist bekannt, dass die Generalbundesanwaltschaft auch das Verfahren wegen des Verdachts der Vorbereitung schwerer staatsgefährdender Straftaten eingestellt hat. Während weitere Verfahren wegen der gestohlenen Behördenmunition laufen, sieht es aktuell so aus, dass die Terrorpläne und Feindeslisten von Nordkreuz nicht vor einem deutschen Gericht verhandelt werden. Viele der Mitglieder von Nordkreuz dürfen weiter legal Schusswaffen besitzen.1

NSU 2.0 – Ermittlungen führen zu diversen rechten Chats

Die These von der sauberen Polizei, die ausschließlich durch wenige Einzeltäter in Verruf gebracht wird, bricht an einem weiteren Tat- und Ermittlungskomplex zusammen.

Seit August 2018 werden in Deutschland Drohschreiben mit dem Absender NSU 2.0 verschickt. Darin wird klar Bezug auf die rechte Terrorgruppe NSU und deren Mord- und Anschlagsserie genommen. Die Betroffenen werden aufs übelste beleidigt – sie und z.T. auch ihre Kinder mit dem Tode bedroht. Adressaten sind meist Personen, v.a. Frauen, die in der Öffentlichkeit stehen und sich gegen Rassismus, Antisemitismus und für Flucht und Migration einsetzen. Die erste Betroffene war die Frankfurter Anwältin Seda Başay-Yıldız die auch die Familie eines NSU-Opfers vor Gericht vertrat. In den Drohschreiben wurden immer wieder für die Öffentlichkeit nicht zugängliche Privatadressen und Informationen über Kinder der Bedrohten erwähnt. Die wahrscheinlichste Quelle dieser Informationen waren die Datenbanken der Polizei.2

Im Zuge der Ermittlungen fiel der Verdacht auf das 1. Polizeirevier in Frankfurt. Dort wurden in vier Fällen Daten von Betroffenen abgerufen, bevor die Drohschreiben verschickt wurden. Die Polizistin, die zum Zeitpunkt der Datenabfrage eingeloggt war und drei weitere Kollegen der selben Schicht wurden durchsucht und dabei die Chatgruppe „Idiotentreff“ gefunden, in der NS-verherrlichende und übelste antisemitische und rassistische Nachrichten und Bilder ausgetauscht wurden.

Die weiteren Ermittlungen führten allein in Hessen zu sechs Komplexen, in denen sich Polizist*innen in Chats klar rechtsextrem äußerten, Bekenntnisse zur Reichsbürgerszene abgaben, mit Neonazis zusammenarbeiteten oder an einer rassistisch motivierten Schlägerei beteiligt waren. Wegen rechter Chatgruppen wurde im Juni 2021 sogar eines der zwei hessischen Spezialeinsatzkommandos (SEK) in Frankfurt aufgelöst. Hier hatten die Ermittlungen, die den Stein ins Rollen brachten, allerdings soweit bekannt, keinen direkten Bezug zu NSU 2.0, sondern wurden wegen Verdacht auf Kinderpornografie geführt.3 Insgesamt sind mittlerweile 67 rechte Chatgruppen innerhalb der Landespolizei Hessen bekannt.

Die Spuren von NSU 2.0 führten auch nach Berlin. Auch dort wurden Daten mit Bezug zu den Drohschreiben von Polizeicomputern abgefragt. Auch hier gerieten Polizisten in den Fokus, die illegal Daten abfragten, mit gewaltbereiten Neonazis kooperierten oder selbst Drohbriefe verschickten.Zudem wurde auch in der Polizei Berlin eine Chatgruppe mit 25 Polizist*innen aufgedeckt, in der zutiefst rassistische und menschenverachtende Inhalte geteilt und Neonazis als mögliche Verbündete bei Demonstrationseinsätzen benannt wurden.4

Die Suche nach illegalen Datenabfragen mit Bezug zu NSU 2.0 führte auch in Nordrhein-Westfalen zu weiteren rechten Strukturen. Dort wurde die Chatgruppe „Alphateam“ aufgedeckt. Daran beteiligt waren 31 aktive oder ehemalige Beamt*innen einer Polizeiwache in Mülheim an der Ruhr. Auch hier wurden über Jahre rechte Inhalte in Chats geteilt und kommentiert.5 Auch hier handelte es sich nicht um die erste rechte Chatgruppe in der Polizei NRW.

Mittlerweile steht ein arbeitsloser Berliner Facharbeiter für EDV in Frankfurt für die Drohschreibenserie NSU 2.0 vor Gericht. Er soll sich als Polizist ausgegeben haben und am Telefon so an die Daten der Opfer gekommen sein. Die Nebenklage als Vertretung der Betroffenen besteht hingegen auf weiteren Ermittlungen gegen einen Frankfurter Polizisten. So sprechen alle öffentlich bekannten Indizien dafür, dass der mittlerweile entlassene Polizist Johannes S. mindestens das erste Drohfax der NSU 2.0 Serie verschickt hat.6 Auch wenn die Möglichkeit im Raum steht, dass es sich um eine gewagte Verteidigungsstrategie handelt, hat der Angeklagte vor Gericht mittlerweile ausgesagt, mit dem Polizisten aus Frankfurt bis zu einem Streit über das Darknet zusammengearbeitet zu haben.

Fazit

Auch wenn die meisten Ermittlungen im Fall NSU 2.0 nicht zu den tatsächlichen Täter*innen führten, tragen sie zu einem erschreckenden Bild bei, welche rechten Strukturen innerhalb der Polizei gefunden werden, wenn zumindest temporär mit größerem Aufwand in diese Richtung ermittelt wird. Zudem waren in allen benannten Fällen die Recherchen von Journalist*innen, Zivilgesellschaft und Betroffenen nötig, um das Geschehen an die Öffentlichkeit zu bringen.

Weil in vielen Fällen und mittlerweile auch wieder im Fall NSU 2.0 gemauert, vertuscht und abgestritten wird, dass es rechte Strukturen in der Polizei überhaupt gibt, oder deren Ausmaß kleingeredet wird, ist davon auszugehen, dass es sich bei den beschriebenen Komplexen nur um die Spitze eines Eisberges handelt.

Die Polizei in Deutschland hat ein strukturelles Problem mit Rassist*innen, Antisemit*innen und extremen Rechten in ihren Reihen. Neben vielen weiteren guten Argumenten sollte auch das ein Grund sein, die Polizei nicht weiter aufzurüsten, sondern über Wege und Formen nachdenken, in denen die Sicherheit der Gesellschaft nicht von bewaffneten, hierarchisch organisierten, staatlichen Strukturen abhängt.7

Dieser Beitrag erschien zunächst im Schwerpunkt „Militarisierung der Polizei“ in der Ausgabe 4/2022 der Zeitschrift „Friedensforum“.

Anmerkungen:

1 TAZ: Sonderseite zum Thema Nordkreuz mit sämtlichen Artikeln des Rechercheteams, dass relevante Teile des Netzwerkes an die Öffentlichkeit gebracht hat, taz.de/Nordkreuz; sowie und IMI-Studie 2019/04, Der Hannibal-Komplex – Ein militantes, rechtes Netzwerk in Bundeswehr, Geheimdiensten, Polizei, Justiz und Parlamenten, Luca Heyer, 13.06.2019, imi-online.de.

2 NSU Watch: Sonderseite mit gesammelten Beiträgen zum NSU 2.0, nsu-watch.info; sowie Hessenschau: Thema „NSU 2.0“-Affäre, hessenschau.de.

3 Telepolis: Claudia Wangerin, SEK-Auflösung in Frankfurt am Main: Verhalten „wie NPD-Stammtische“, heise.de.

4 Monitor: Neue rassistische Chatgruppe bei der Polizei Berlin 01.10.2020, wdr.de, und RBB 24: Menschenverachtende Inhalte – Durchsuchungen bei fünf Berliner Polizisten wegen rechtsextremer Chats, 14.07.21, rbb24.de.

5 Redaktionsnetzwerk Deutschland: Rechtsextremismus bei der Polizei: Einzelfälle oder strukturelles Problem?, rnd.de.

6 TAZ: Konrad Litschko, Versendete Polizist erstes Drohfax?, 17.03.2022, taz.de.

7 Die Black Lives Matter-Bewegung in den USA ruft nicht nur nach der Abschaffung der Polizei, sondern entwickelt unter dem Namen der Transformative Justice spannende Konzepte, wie Konflikte in einer Gesellschaft (fast) ohne Polizei gelöst werden könnten.

 

 

 

 

 

Der Beitrag erschien am 04.07.2022 auf Informationsstelle Militarisierung (IMI) (imi-online.de)

Bildbearbeitung: L.N.