Ursachen des „Fachkräftemangels“ sind systembedingt und hausgemacht (4) – Duale Berufsausbildung am Ende

Wenn in den Unternehmen irgendetwas nicht rund läuft, wird sofort auf den vorgeblichen „Fachkräftemangel“ verwiesen, man zuckt mit den Schultern, meint damit, da „kann man nichts machen“, als wäre das Problem mit der geringen Zahl an Fachleuten wie ein Naturereignis vom Himmel gefallen.

Auch stimmt die Lobhudelei über das Duale Ausbildungssystem in Deutschland schon lange nicht mehr, mehr noch, dieses System scheint wohl völlig gescheitert zu sein. Die einzige Lösung wird in der Zuwanderung von Fachkräften aus dem Ausland gesehen, doch die Ursachen des Mangels an Fachkräften sind systembedingt und hausgemacht. Wer meint, dass die Unternehmen nun ihre Ausbildungsanstrengungen steigern und auch die Bundesagentur für Arbeit ihre Vermittlung junger Menschen in die Berufsausbildung hinterfragen würden, der ist auf dem Holzweg.

In Deutschland sind aktuell und offiziell 47,5 Millionen Menschen erwerbstätig, so viele wie nie zuvor. Das entspricht einer Quote von 77 Prozent aller Personen im Alter zwischen 15 und 65 Jahren. 35 Millionen von ihnen sind sozialversicherungspflichtig beschäftigt, doch arbeitet die Hälfte der erwerbstätigen Frauen, meist unfreiwillig, in unterbezahlter Teilzeit oder Minijobs. Dagegen sind 3,5 Millionen Menschen erwerbslos bzw. unterbeschäftigt bei 750.000 gemeldeten offenen Stellen.

Im vergangenen Jahr stieg die Arbeitsproduktivität gesamtwirtschaftlich um gut ein Prozent, im verarbeitenden Gewerbe um drei Prozent und in der Autoindustrie um mehr als fünf Prozent. Gleichzeitig erhöhte sich die Zahl registrierter arbeitsloser Menschen auf knapp 2,8 Millionen, ebenso die Anzahl der ausschließlich geringfügig Entlohnten auf 4,25 Millionen.

Während die Unternehmen lautstark einen Fachkräftemangel beklagen, bleiben 2,5 Millionen junge Menschen zwischen 20 und 34 Jahren ohne eine abgeschlossene Ausbildung zurück.

Duale Berufsausbildung am Ende

Die duale Ausbildung wurde in Deutschland 1969 bundesweit einheitlich und unabhängig von der jeweiligen Branche im Berufsbildungsgesetz verankert. Die Ausbildung in diesem System erfolgt an zwei Lernorten, dem Betrieb und der Berufsschule, und soll den jungen Menschen „lernortübergreifende Lernprozesse“, das Duales Lernen ermöglichen. Die Ausbildung in den Betrieben findet an drei bis vier Tagen pro Woche statt, an ein bis zwei Tagen (Länderrechtliche Regelungen: je nach Ausbildungsberuf und Ausbildungsjahr) werden Berufsschultage angeboten, auch ist ein mehrere Monate dauernder Blockunterricht möglich.

In den vergangenen Jahren wurde die Duale Berufsausbildung von Politik, Arbeitsverwaltung, Unternehmer und Gewerkschaften immer wieder über den grünen Klee gelobt und anderen Ländern wird auch heute noch dieses vorgebliche Erfolgsmodell wärmstens empfohlen.

Doch auch nach 55 Jahren Praxis muss der Dualen Berufsausbildung wie die letzten Berufsbildungsreporte, herausgegeben von der DGB-Jugend, ein grottenschlechtes Zeugnis ausgestellt werden:

  • Fast drei Viertel bzw. 72,2 Prozent der befragten jungen Menschen gab an, dass ihnen in der Schule kaum bei der Berufswahl geholfen wurde. Überdies haben nicht einmal 29 Prozent der Befragten die Berufsberatung der BA genutzt. Von ihnen gaben außerdem 40,5 Prozent an, dass sie ihnen „weniger“ oder „gar nicht“ geholfen hat.
  • Bei der fachlichen Anleitung im Ausbildungsbetrieb stieg der Anteil derjenigen Auszubildenden, deren Ausbilder selten oder nie am Ausbildungsplatz verfügbar sind, mit 11,6 Prozent auf den höchsten Wert seit 2008 an.
  • 13,3 Prozent der Auszubildenden gaben an, Arbeitsvorgänge nur „selten“ oder „nie“ zufriedenstellend erklärt zu bekommen.
  • Insgesamt 12,7 Prozent der befragten Auszubildenden müssen »immer« oder »häufig« ausbildungsfremde Tätigkeiten erledigen, die nicht Bestandteil der Ausbildung sind und nicht dem Lernerfolg dienen.
  • Mehr als ein Drittel der Auszubildenden (33,6 Prozent) hat keinen betrieblichen Ausbildungsplan, obwohl dieser gesetzlich vorgeschrieben ist. Somit wissen diese Auszubildenden nicht, wie ihre Ausbildung ablaufen soll und was die Lerninhalte sind.
  • Ein Drittel der befragten Auszubildenden (32,1 Prozent) muss regelmäßig Überstunden machen und arbeitet durchschnittlich 3,6 Stunden mehr in der Woche. Fast jeder zehnte Auszubildende (9,5 Prozent) bekommt für die Überstunden weder eine Vergütung noch einen Freizeitausgleich.
  • Vier von zehn Auszubildenden (42,3 Prozent) wissen selbst im letzten Ausbildungsjahr noch immer nicht, ob sie von ihrem Ausbildungsbetrieb auch übernommen werden.
  • Von den Auszubildenden im dritten Lehrjahr, die bereits wussten, dass sie nicht übernommen werden, fehlte 39,5 Prozent eine konkrete berufliche Perspektive.
  • Nur gut die Hälfte der Auszubildenden finden die Qualität ihres Berufsschulunterrichts „gut“ oder „sehr gut“.
  • Der Ausbildungsabbruch ist über die Jahre beständig gestiegen und betrug zuletzt 26,7 Prozent. Besonders hoch ist der Ausbildungsabbruch bei Jugendlichen mit ausländischer Staatsangehörigkeit (35,3 Prozent) und Jugendlichen mit Hauptschulabschluss (38,5 Prozent)

und über 70 Prozent der Auszubildenden sind mit ihrer Ausbildung zufrieden, jedoch gibt es erhebliche Unterschiede zwischen den Branchen: Insbesondere Industriemechaniker, Mechatroniker, Verwaltungsfachangestellte und Elektroniker für Betriebstechnik sind deutlich zufriedener als der Durchschnitt. Berufe aus dem Hotel- und Gaststättengewerbe, der Zahnmedizin, dem Einzelhandel und dem Friseurhandwerk bewerten ihre Betriebe und die Ausbildung dagegen als mangelhaft.

Systemwechsel erforderlich

Im Jahr 2023 bekamen nicht einmal 70 Prozent aller bei der Bundesagentur für Arbeit gemeldeten Jugendlichen einen Ausbildungsplatz. Weniger als jedes fünfte Unternehmen bildet hierzulande noch aus. Auf der anderen Seite gibt es aber ein riesiges Potenzial an jungen Menschen die keine Ausbildung finden. Über 220.000 Jugendliche stecken jedes Jahr in den sogenannten Übergangsmaßnahmen zwischen Schule und Ausbildung fest, hinzu kommen über 2,3 Millionen junge Menschen im Alter zwischen 20 und 34 Jahren, die keinen Berufsabschluss haben. Diesen Menschen droht ein Leben in prekärer Beschäftigung, Arbeitslosigkeit und Armut.

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Hier geht´s zu:

Ursachen des „Fachkräftemangels“ sind systembedingt und hausgemacht (1) – Seit 55 Jahren wird eine verfehlte Berufsbildungspolitik betrieben | gewerkschaftsforum.de

Ursachen des „Fachkräftemangels“ sind systembedingt und hausgemacht (2) – 2024 bildeten nur knapp 19 Prozent aller Betriebe aus | gewerkschaftsforum.de

Ursachen des „Fachkräftemangels“ sind systembedingt und hausgemacht (3) – Berufsberatung und Vermittlung durch die Bundesagentur für Arbeit (BA) | gewerkschaftsforum.de

 

 

 

 

Quellen: destatis, Ausbildungsmarktstatistik, Berufsbildungsreport, BA, BDA, Hans Boeckler Stiftung, WAZ, Junge Welt, TAZ, Makroskop, Berufsbildungsgesetz, Bundesinstitut für Berufsbildung, Berufsbildungsbericht 2023 der Bundesregierung

Bild: pixabay cco