Schon vor dem Regierungswechsel 2015 in Griechenland war die Strategie klar. Die Existenz einer funktionierenden Links-Regierung in der Europäischen Union (EU), die wohlmöglich gegen die Austeritätspolitik kämpfen und die politische und wirtschaftliche Vormachtstellung Deutschlands infrage stellen könnte, konnte unter keinen Umständen geduldet werden. So drehten die Kreditgeber und der damalige Bundesfinanzminister Schäuble den Spieß um und arbeiteten daran, Griechenland zum Modell für ihre neoliberalen Pläne für Gesamteuropa zu machen.
Die Kredite und die Memoranden waren von Anfang an politisch nicht neutral, sondern wurden instrumentalisiert und hier konnte man nach dem Regierungswechsel den Hebel ansetzen. Die Kreditvergabe wurde noch strenger als zuvor an eine breite und unkontrollierte Treuhandschaft gebunden und die direkte Einmischung in Landesangelegenheiten ausgeweitet, die weit über die fiskalischen Regelungen hinausging.
Von Beginn an stand die Zerschlagung der einst starken Gewerkschaften und das Schleifen der Arbeitsrechte ganz oben auf der Maßnahmeliste der Troika. Vorläufiger Höhepunkt war, dass das griechische Parlament vor kurzem die freien Tarifverhandlungen zwischen Gewerkschaften und Arbeitgebern vorläufig verboten hat, die Beschäftigten, wie auch die erwerbslosen Menschen dem „freien Spiel der Kräfte“ schutzlos ausgeliefert sind und demonstriert wird, wie „Kerneuropa“ mit der Peripherie Europa umspringen kann.
Der europäische Druck zu weiteren Sanierungsschritten in Griechenland wird immer größer. Dabei werden nicht einmal die unveräußerlichen Sicherheiten der EU-Grundrechtecharta geschont. So hat das griechische Parlament vor kurzem die freien Tarifverhandlungen zwischen Gewerkschaften und Arbeitgebern vorläufig verboten – eine Maßnahme, die in Deutschland kaum vorstellbar wäre.
Neue Tarifverträge, die höhere Löhne beinhalten könnten, sind nach den Beschlüssen von Regierung und Parlament in Griechenland bis auf Weiteres nicht mehr möglich. Dieses Verbot gilt allerdings nur für kollektive Lohnvereinbarungen. Individuelle Verträge zwischen einzelnen Arbeitnehmern und Firmen sind weiter gestattet.
Diese Maßnahme soll dazu dienen, das Lohnniveau in der griechischen Wirtschaft insgesamt zu senken. Unter anderem drängt die deutsche Regierung darauf, die Löhne zu kürzen, um die griechischen Unternehmen „wettbewerbsfähiger” zu machen. Die krude Logik soll heißen: Wenn die Betriebe geringere Lohnkosten haben, können sie ihre Produkte leichter auf dem Weltmarkt verkaufen. Dadurch nimmt der griechische Staat mehr Geld ein und brauchte weniger Kredite. Mehr noch, die Troika aus EU-Kommission, Europäischer Zentralbank und Internationalem Währungsfonds will die Löhne so lange einfrieren, bis die Arbeitslosigkeit auf 10 Prozent zurückgegangen ist.
Auf deutsche Verhältnisse übertragen, würde dieses Vorgehen bedeuten, dass der Bundestag ein Gesetz verabschiedet, mit dem er beispielsweise der IG Metall und dem Branchenverband Gesamtmetall verbietet, die nächste Tarifrunde zu eröffnen, freie Lohnverhandlungen als Grundbestand der Demokratie fielen so weg.
Dass der durch einen nationalen Tarifvertrag festgelegte Mindestlohn in Griechenland gekürzt wird und außerdem die Tariflöhne nicht mehr frei verhandelt werden können, sind eindeutige Eingriffe in die Tarifautonomie, die durch Artikel 28 der Grundrechtecharta der EU als ein Rechtsgut geschützt sind, das niemals beschnitten werden darf.
Die Auswirkungen dieser gewerkschaftsfeindlichen Politik hat die G.S.E.E. die Dachorganisation der gewerkschaftlichen Organisationen der Arbeitnehmer in Griechenland in ihrem Jahresbericht zusammengestellt:
„Die reale Arbeitslosigkeit in Griechenland übersteigt 27 Prozent und ein großer Teil der arbeitenden Bevölkerung lebt in Armut
Der Jahresbericht des INE der GSEE stellt eine Arbeitslosigkeit bei 27,5% und nicht – wie es die offiziellen Angaben zeigen – bei 20,2%, eine starke Zunahmen der Armutsquote bei den beruflich am Rand befindlichen gesellschaftlichen Gruppen, aber auch Armutsumstände für einen großen Teil der arbeitenden Bevölkerung fest.
Den Fakten der am 22 März 2018 präsentierten Studie zufolge liegt auf Basis der alternativen Indizes, die Unterbeschäftigung, entmutigte Arbeitslose und potentielle zusätzliche Arbeitskräfte berücksichtigen, in Griechenland die reale Arbeitslosenquote um 7% über den amtlichen Angaben.
Stabilisierung der Lohnentwicklung in Griechenland auf niedrigen Niveaus
Die Arbeitslosenquote ist bei Frauen und jungen Leuten – sogar auch jenen mit hoher Bildung – sowie auch in den Provinzen Nord- und Westgriechenlands signifikant höher, während die Langzeitarbeitslosen 70% der Gesamtheit übersteigen. Die Entwicklung der Löhne während des Jahres 2017 wiederum zeigt eine Stabilisierung auf sich gestalteten niedrigen Niveaus.
Auf dem privaten Sektor ist der Anteil der niedrigverdienenden Arbeitnehmer mit monatlichen Nettobezügen von unter 700 Euro signifikant gestiegen (von 13,1% im Jahr 2009 auf 37,4% im Jahr 2017), während der Anteil für Bezüge zwischen 700 – 899 Euro um etwa 4 Prozent sank (von 27,3% im Jahr 2009 auf 23,5% im Jahr 2017). Parallel ist der Anteil der Arbeitnehmer mit monatlichen Nettobezügen zwischen 900 – 1.300 drastisch um etwa die Hälfte zurück gegangen (von 35,7% im Jahr 2009 auf 16,8% im Jahr 2017).
Auf dem weiteren öffentlichen Sektor ist der Anteil der Beschäftigten Arbeitnehmer mit monatlichen Nettobezügen von unter 1.000 Euro signifikant gestiegen (von 18,9% im Jahr 2009 auf 29,8% im Jahr 2017) und der Anteil für Bezüge von 1.000 – 1.100 Euro hat etwas zugenommen (von 13% im Jahr 2009 auf 16,2% im Jahr 2017). Dagegen ist der Anteil der Beschäftigten, die monatliche Nettobezüge von 1.100 – 1.599 Euro angeben, (von 46,5% im Jahr 2009 auf 34,3% im Jahr 2017), wie auch der Anteil der Beschäftigten mit Bezügen von über 1.600 Euro signifikant gesunken (von 46,5% im Jahr 2009 auf 34,3% im Jahr 2017).
Überwältigende Vorherrschaft der betrieblichen Arbeitsverträge
Was die Manteltarifverträge (MTV) betrifft, zählen 2017 die nationalen oder lokalen MTV weiterhin außerordentlich wenige, während die betrieblichen Arbeitsverträge seit mittlerweile acht Jahren überwältigend vorherrschen.
Auf Basis der Angaben des griechischen Arbeitsministeriums wurden 2017 nur 15 Branchen- / Berufsgruppen-Manteltarifverträge unterzeichnet, also auf den ungefähr selben Niveaus wie in den vorherigen Jahren. Die Anzahl der betrieblichen MTV beläuft sich dagegen auf 224 und steht für 92% der Summe aller MTV.
Konstanter Rückgang der Einstellungen mit Vollzeitbeschäftigung
Im selben Moment gehen die Einstellungen mit Vollzeitbeschäftigungen konstant zurück, da ihr prozentuales Verhältnis von 79% im Jahr 2009 auf 45% im Jahr 2017 sank, während die prozentuale Analogie der Neueinstellungen mit flexiblen Beschäftigungsformen sich mehr als verdoppelte.
Während 2009 die Einstellungen mit flexiblen Beschäftigungsformen 21% der Summe der Neueinstellungen entsprachen, machten sie 2017 einem Anteil von 54,9% aus.
Negative gesellschaftlichen Auswirkungen
Die Periode 2009 – 2016 wurde von besonders negativen gesellschaftlichen Auswirkungen begleitet, wie sie aus den einschlägigen Armuts- und Ungleichheits-Indizes zum Ausdruck kommen. Die Entwicklung der besagten Indizes scheint der rezessiven Dynamik zu folgen, die sich in der griechischen Wirtschaft während der Periode der Umsetzung der Austeritäts-Politiken ergab, da deren negativen Ergebnisse während der Periode 2013 – 2014 das höchste Niveau tangieren, um sich in den folgenden Jahren zu stabilisieren.
Aufzeigend sei angeführt, dass der Index der Armut und sozialen Ausgrenzung von 27,6% im Jahr 2009 auf 36% im Jahr 2014 anstieg, um 2016 leicht auf 35,6% zu sinken (verfügbare Einkommen 2015). Maßgeblicher Faktor für die Eindämmung der Armutsquote in Griechenland stellen die Transfer-Zahlungen und speziell jene der Renten dar, da sich während der Krise konstant die Bedeutung ausweitete, die sie bei der Bewältigung der Armut haben.
Auf der anderen Seite wird der Umstand als beunruhigend beurteilt, dass die sich beruflich am Rand befindenden Gruppen – wie die Arbeitslosen und die nicht aktive Bevölkerung – in der Periode 2015 – 2016 einen starken Anstieg der Armutsquote zeigen. Ebenfalls noch schwieriger wird die Lage der nicht lohnabhängig Arbeitenden (Selbständigen) im Gegensatz zu den Arbeitnehmern, bei denen die Armutsquote einen kleinen Rückgang zeigt.
Ein großer Teil Griechenlands arbeitender Bevölkerung lebt in Armut
Hinsichtlich des Lebensniveaus der Arbeitnehmer zeigt sich eine konstante Verschlechterung der Armutsquote der Frauen im Gegensatz zu den Männern, bei denen die entsprechende Quote geringer ausfällt. Zusätzlich bestätigen die empirischen Befunde noch mehr die Beunruhigung des INE / GSEE, dass die Ausbreitung der Teilzeitbeschäftigung und die Verallgemeinerung der flexiblen Arbeitsverhältnisse einen großen Teil der arbeitenden Bevölkerung dazu verurteilt haben, unter Armutsverhältnissen zu leben.
In Kombination mit dem Umstand, dass die Armutsquote bei Arbeitnehmern mit befristeten Teilzeitarbeitsverträgen sich im Verhältnis zu den Arbeitnehmern mit unbefristeten Arbeitsverträgen auf ungefähr dreifachen Niveaus bewegt, macht offensichtlich, dass die stabilen und Vollzeitbeschäftigungsverhältnisse einen eindeutig besseren Schutz vor der Verarmung gewährleisten.
Obwohl die Armutsquote bei dem ansteigenden Verlauf der vorherigen Jahre Tendenzen einer Stabilisierung zeigt, nimmt die wirtschaftliche Knappheit der privaten Haushalte 2016 bezüglich fast aller Kategorien von Konsumbedürfnissen weiterhin zu, wobei die Abweichung hinsichtlich des Lebenshaltungsniveaus der Europäischen Gemeinschaft (EU) das höchste Niveau der Periode 2009 – 2016 erreicht.
Aus den Einschätzungen der Armut auf peripherem Niveau werden für das Jahr 2016 die höchsten Quoten in den Verwaltungsbezirken Westgriechenland, Ostmakedonien – Thrakien und Thessalien ausgemacht. Die besten Ergebnisse zeigen dagegen die Insel-Bezirke der nördlichen und südlichen Ägäis und der Ionischen Inseln. Schließlich ergab sich während der Krise eine Verschärfung der wirtschaftlichen Ungleichheit, mit Tendenzen einer Deeskalation in den letzten Jahren.
Was die peripheren (sprich auf die Verwaltungsbezirke bezogene) Ungleichheiten betrifft, werden die höchsten in Thessalien, Attika und Westgriechenland und die niedrigsten in Westmakedonien, auf den Ionischen Inseln und in der südlichen Ägäis ausgemacht“.
Quelle: iefimerida.gr, Griechenland Blog, G.S.E.E. Bild: L.N.