Die Infektionsgefahr durch COVID-19 macht beunruhigende Zustände rund um deutsche Schlachthöfe wie durch ein Brennglas sichtbar. Wir gehen nach eingehenden Recherchen von einem kriminogenen System aus, das auf Schein-Werkverträgen und Mietwucher beruht. Es führt zu erhöhtem Infektionsrisiko von Wanderarbeitern aus Osteuropa.
Die Initiative Aktion gegen Arbeitsunrecht verfolgt seit geraumer Zeit die Arbeits- und Lebensbedingungen von Beschäftigten der deutschen Fleischindustrie – insbesondere im System des größten europäischen Schweineschlachters Tönnies. (Tönnies ist ein Vorreiter der sog. Werkverträge; er beschäftigt nur noch ca. 20% Festangestellte.)
Im Zuge der Coronakrise berichten die Medien wieder verstärkt unschöne Tatsachen. Der rechtliche Kern des Ausbeutungsgeschäftes sind die sog. Werkverträge zwischen Schlachthofbetreibern und sog. Werkunternehmern sind, die ihrerseits die mehrheitlich aus Rumänien und Bulgarien stammenden Arbeiter unter Vertrag nehmen.
Dabei wird die Ausbeutung über Werkverträge zwar regelmäßig kritisiert – aber nicht ausreichend in Frage gestellt. Die rechtliche Grundlage der Werkvertragsregelungen ist mehr als wackelig.
Schein-Werkverträge: Organisierte Täuschung der Behörden durch illegale Arbeitnehmerüberlassung?
Alles spricht nach unseren Recherchen dafür, dass es sich in der Realität gar nicht um Werkverträge handelt sondern der Sache nach um Arbeitnehmerüberlassungsverträge (also verdeckte Leiharbeit bzw. Schein-Werkverträge). Das hätte weitreichende Auswirkungen, da nach unserer Kenntnis keiner der Werkunternehmer die Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung hat. Wir hätten es hier also mit einem kriminellen System zu tun, das sowohl die Arbeiter schädigt als auch — über Hinterziehung von Sozialabgaben und Steuern — das Gemeinwesen.
Bei illegaler Arbeitnehmerüberlassung bestände gegenüber dem Werkunternehmer ein Anspruch auf denselben Lohn wie die Stammbelegschaft ihn erhält (Equal pay, Gleicher Lohn für gleiche Arbeit), darüber hinaus bestände sogar ein Anspruch auf Einstellung gegenüber dem Schlachthof selbst, da dessen Vereinbarung mit dem Werkunternehmer nichtig wäre.
Die Behörden in NRW wissen seit Februar 2020 Bescheid
Wir haben diesen Sachverhalt dem zuständigen Hauptzollamt sowie dem NRW-Arbeitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) schon im Februar 2020 über unseren Anwalt Erberhard Reinecke mitgeteilt; bisher haben wir allerdings keine Kenntnis, ob die zuständigen Behörden aktiv geworden sind und welche Schritte sie ggf. eingeleitet haben.
Unsere Darstellung, dass es tatsächlich nicht um Werkverträge sondern um illegale Arbeitnehmerüberlassung handelt, ergibt sich schon aus den Richtlinien der Bundesanstalt für Arbeit zur entsprechenden Abgrenzung zwischen Werkvertrag und Arbeitnehmerüberlassung.
Ein Werkvertrag muss laut Arbeitsagentur folgende Kriterien erfüllen:
- die Vereinbarung und Erstellung eines qualitativ individualisierbaren und dem Werkunternehmer zurechenbaren Werkergebnisses,
- unternehmerische Dispositionsfreiheit des Werkunternehmers gegenüber dem Besteller,
- Weisungsrecht des Werkunternehmers gegenüber seinen im Betrieb des Bestellers tätigen Arbeitnehmern, wenn das Werk dort zu erstellen ist,
- Tragen des Unternehmerrisikos, insbesondere der Gewährleistung, durch den Werkunternehmer
- erfolgsorientierte Abrechnung der Werkleistung
Es spricht alles dagegen, dass insbesondere die Schlachthofbetreiber nicht auch ein unmittelbares Weisungsrecht gegenüber den Beschäftigten des Werkunternehmers haben, was mit einem Werkvertrag nicht zu vereinbaren wäre.
Wir können aus Selbstzeugnissen insbesondere des Tönnies Konzerns deutlich machen, dass die Werkvertragsarbeiter in den Betrieb eingegliedert sind und gerade auch der Direktionsmacht des Schlachthofs unterliegen. Wir haben weiter eidesstattliche Versicherungen verschiedener Werkunternehmer von Tönnies vorgelegt, in denen diese unter anderem an Eides statt versichern:
„Wir stellen als Werkunternehmer Arbeiter für die Tönnies Unternehmensgruppe“
Die eidesstattlichen Versicherungen durch die Tönnies-Subunternehmer sind in anderem Zusammenhang entstanden, dürften aber zutreffend sein. (Tönnies verklagte uns mit Schertz Bergmann vor der Pressekammer Berlin erfolglos auf Unterlassung, siehe: Tönnies zieht das Ringelschwänzchen ein, Pressemitteilung, 19.11.2019)
Es ist völlig eindeutig, dass das bloße Stellen von Arbeitern nicht Gegenstand eines Werkvertrages sein kann.
Wir würden es sehr begrüßen, wenn die Berichterstattung diesen brisanten Gesichtspunkt aufgreifen würde. Die jahrelang geduldete Praxis rund um den „Missbrauch von Werkverträgen“ macht deutlich, dass die staatlichen Stellen sehr viel mehr Eingriffsmöglichkeiten hätten, als die Verantwortlichen jetzt teilweise behaupten.
Hinzu kommt Mietwucher
Analog zum mutmaßlichen Schwindel rund um Schein-Werkverträge zahlen die Wanderarbeiter anscheined regelmäßig überhöhte Mieten, die wir als Wucher bewerten. Auch hier stellt sich die Frage, warum die Staatsanwaltschaft nicht wegen Mietwuchers (§ 291 StGB) gegen die Vermieter von Sammelunterkünften durchgreift.
Wir sind gerne bereit Ihnen die Schriftsätze unseres Anwaltes (in weitgehend anonymisierter Form) zur Verfügung zu stellen.
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