Das Streikrecht ist bei uns entgegen allen gegenteiligen Behauptungen in der Verfassung und zwar im Koalitionsgrundrecht garantiert. Auch in der Europäischen Sozialcharta und in der Europäischen Menschenrechtskonvention ist dieses Recht verankert. Zum Erstaunen vieler Gewerkschaftsmitglieder gab der DGB gemeinsam mit dem BDA im Juni 2010 die Erklärung: „Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie sichern – Tarifeinheit gesetzlich regeln“ heraus. Ohne Not wurde eine Diskussion vom Zaun gebrochen, bei der der DGB von vornherein auf der Verliererseite stand.
Am 21./22. Mai 2015 soll nun das höchst umstrittene „Tarifeinheitsgesetz“ in 2. und 3. Lesung im Bundestag beraten und verabschiedet werden. Kommt es so weit, wird ein weiteres Grundrecht massiv eingeschränkt. Wenn das Gesetz so verabschiedet wird, dann heißt das, dass eine Gewerkschaft, die in einem Betrieb nicht die Mehrheit hat, weder Tarifverträge für ihre Mitglieder abschließen, noch dafür Streiks oder Warnstreiks organisieren darf. Mittlerweile hat sich eine große Gegenbewegung gebildet, die das Gesetz verhindern will. Die DGB-Gewerkschaften sind in dieser Frage schon gespalten und so haben die Arbeitgeber bereits vor dem Inkrafttreten des Gesetzes einen Sieg eingefahren.
Während die großen Gewerkschaften in den vergangen Jahren bei den Lohnforderungen sehr zurückhaltend waren, sich dem Sparvorhaben der Politik unterwarfen und den Niedriglohnstandort Deutschland mit gestalteten, haben die kleinen Gewerkschaften, auch Spartengewerkschaften genannt, in ihren Bereichen effektiv gestreikt und sehr gute Abschlüsse durchgesetzt. Das passte den Arbeitgebern natürlich nicht. Ihr Ansinnen, sich für die „Tarifeinheit“ einzusetzen ist nicht redlich. Ihnen geht es darum, dass die kleineren und konkurrierenden Gewerkschaften an die Kette der Friedenpflicht für den dominierenden Tarifvertrag im Betrieb gelegt werden. Es geht ihnen um eine Streikbeschränkung und darum, an dem Grundrecht auf Koalitionsfreiheit zu kratzen.
Die Diskussion um die „Tarifeinheit“ bekam erst durch die Rechtsprechung richtig Fahrt. Genau genommen ging es um das Problem sich überschneidender Tarifverträge. Das heißt: Hatten in einem Betrieb mehrere Gewerkschaften für dieselbe Beschäftigtengruppe unterschiedliche Tarifverträge abgeschlossen, ließen die Arbeitsgerichte ursprünglich nur einen Tarifvertrag gelten und zwar den, der den Besonderheiten der betrieblichen Arbeitsverhältnisse am meisten gerecht wurde („Spezialitätsgrundsatz“ genannt). Dies ärgerte zwar die unterlegenen Gewerkschaften, sie unterwarfen sich aber doch dann dem alten Grundsatz „ein Betrieb – eine Gewerkschaft – ein Tarifvertrag“. Als aber die Flächentarife mehr und mehr zum Flickenteppich wurden, Arbeitslose und Beschäftigte gegeneinander ausgespielt werden konnten, Lohnerhöhungen faktisch ausblieben, mehr und mehr Bereiche ausgliedert wurden und die Gewerkschaften schwächelten, konnten besonders im öffentlichen Dienst kaum noch einheitliche Tarife durchgesetzt werden. Einzelne Beschäftigtengruppen machten sich in der Folge selbständig, mit einer eigenen Gewerkschaft. Den vorläufigen Endpunkt der rechtlichen Auseinandersetzung bildete der Beschluss des Bundesarbeitsgerichts (BAG) 2010: Am 27. Januar 2010 veröffentlichte das BAG eine Pressemitteilung, welche die Absicht des 4. Senates erklärte, im Falle der Tarifpluralität nicht mehr an der bisherigen Rechtsprechung festhalten zu wollen. Am 23. Juni 2010 schloss sich auch der 10. Senat des BAGs in zwei Beschlüssen dieser geänderten Rechtsauffassung an und kippte damit schließlich den Grundsatz für den Fall der Tarifpluralität (Az: BAG 10 AS 2/10 und 10 AS 3/10). Es führte aus, dass es keinen übergeordneten Grundsatz gebe, dass für verschiedene Arbeitsverhältnisse derselben Art in einem Betrieb nur einheitliche Tarifregelungen zur Anwendung kommen könnten. Das, was tariffähige Gewerkschaften im Tarifvertrag durchsetzen, ist auf die Arbeitsverhältnisse der jeweiligen Mitglieder der vertragsabschließenden Gewerkschaft anzuwenden. Ein Beispiel: Die Klinikärzte, die bei ver.di organisiert sind erhalten den ver.di Tarifvertrag – die Klinikärzte, die beim Marburger Bund organisiert sind, erhalten den Tarifvertrag des Marburger Bunds.
Dieser Beschluss war für die Arbeitgeberseite nicht hinnehmbar, sie forderten dass die Tarifeinheit gesetzliche geregelt werden müsste. Sie argumentierten auch, dass die konkurrierenden Berufsverbände einem Streikverbot unterworfen werden müssten, damit die Branchengewerkschaften auf dem Boden maßvoller Tarifpolitik bleiben. Das ist schon ein starkes Stück. Waren sie es denn nicht selbst, die das unterschiedliche Vertragsrecht in ihren Betrieben eingeführt haben? Sie haben doch Betriebsteile ausgelagert, Zeitarbeit und Werkverträge eingeführt, geringfügige Beschäftigung genutzt und sind aus den Tarifverträgen ausgestiegen. Wenn man die Krokodilstränen getrocknet hat, kommt zum Vorschein, dass mehr an die Einschränkungen beim Streikrecht gedacht wird, als an die Erhaltung der Tarifeinheit. Denken sie nicht eher daran, dass die aus dem dominierenden Tarifvertrag folgende Friedenspflicht auch für die konkurrierende Gewerkschaft gelten soll und ihnen damit das Streikrecht beschnitten wird? Folglich müssten, so die krude Logik, die konkurrierenden Berufsverbände einem Streikverbot unterworfen werden, damit die Branchengewerkschaften auf dem Boden maßvoller Tarifpolitik bleiben.
Die großen Gewerkschaften sahen dies nicht so, aber Widerstand wurde nicht organisiert. Zum Erstaunen vieler Gewerkschaftsmitglieder gab der DGB gemeinsam mit dem BDA im Juni 2010 die Erklärung: „Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie sichern – Tarifeinheit gesetzlich regeln“ heraus. Dieses Bündnis hielt aber nicht lange. Während zuerst ver.di sich distanzierte und der DGB dann folgte, blieben die IG Bergbau-Chemie-Energie und die IG Metall bei der Stange. Beide letztgenannten Gewerkschaften sind jetzt wieder im Verbund mit dem DGB dabei, dem Vorhaben der Großen Koalition zur Gesetzesänderung zuzustimmen. Die Gewerkschaften ver.di, NGG und GEW haben dann eine Initiative ins Leben gerufen, mit der sie die Bundesregierung auffordern, von einer gesetzlichen Regelung der Tarifeinheit abzusehen.
Der nun vorliegende Gesetzentwurf zur Tarifeinheit darf nicht isoliert von anderen Angriffen auf die gewerkschaftliche Aktionsfreiheit gesehen werden. Weitere Verschärfungen liegen schon in den Schubladen der Regierungsparteien bereit. So erwägt man beispielsweise, jedem Arbeitskampf per Gesetz eine Zwangsschlichtung vorzuschalten.
Nur darauf zu hoffen, dass das Bundesverfassungsgericht das Gesetz erst einmal wieder kippen könnte ist zu wenig und zu riskant.
Die beste Verteidigung gegen die Einschränkung des Streikrechts ist der Streik selbst!
Weitere Infos: https://gewerkschaftsforum.de/reaktionen-auf-streik-der-gdl-es-geht-um-den-eingriff-in-das-streik-recht/ und https://gewerkschaftsforum.de/diskussion-ueber-die-tarifeinheit-geht-es-wirklich-um-die-tarifeinheit-oder-um-etwas-ganz-anderes/
Bild: Rechtsanwalt Hensche.de