Reaktionen auf den Streik der GDL – es geht um den Eingriff in das Streikrecht

Streik-viele-StreikendeEinen Streik ohne „Opfer“ gibt es nicht und hat es in unserer Geschichte auch noch nicht gegeben. Sollen die Lokführer denn wirklich nur dann streiken, wenn möglichst wenige Bahn-Kunden davon betroffen sind? Dann müssten Müllwerker am Wochenende, die Erzieherinnen in den Tageseinrichtungen nachts streiken und Krankenschwestern könnten ihr Streikrecht überhaupt nicht wahrnehmen.

Jeder Streik kann aber nur dann Erfolg haben, wenn er in der Öffentlichkeit auch nur etwas Rückhalt hat. Genau dies war der Ansatzpunkt der Medien während des Streiks der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL), bei dem die Massenmedien mit geballter Kampagnenmacht auf die Lokführer einprügelten Die Reaktion auf den Streik der GDL hat gezeigt, wie viel sich in den vergangenen Jahren bei uns geändert hat.

Der Streik war genau so ein Streik wie viele Streiks vorher auch. Aber das gesellschaftliche Umfeld hat sich geändert. Geringerer Einfluss der Gewerkschaften allgemein, Co-Management der Betriebs- und Personalräte bei gleichzeitiger professioneller Bekämpfung der Gewerkschafts- und Betriebsrätearbeit und die Diskriminierung von Geringverdienern und Arbeitslosen als „Minderleister“ konnten es ermöglichen, dass die großen Unternehmen und ihre Vereinigungen sich auffallend mit Kritik an der GDL zurückhielten. Die Medien sprangen umso heftiger ein. Sie fielen massiv mit einer extremen Hetze über die Lokführer-Gewerkschaft her und griffen massiv in die Persönlichkeitsrechte des Gewerkschaftsvorsitzenden Claus Weselskys ein. Es beteiligten sich an dieser Antigewerkschaftskampagne nicht nur die üblichen Konzernmedien, sondern auch die bis vor kurzen noch halbwegs seriös berichtende und recherchierende Presse und sogar die Öffentlich-Rechtlichen.

Die GDL wurde im Großen und Ganzen von den anderen Gewerkschaften im Regen stehen gelassen, auch der DGB hielt sich verdächtig zurück. Lediglich der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) sah sich gezwungen, eine „faire Berichterstattung“ anzumahnen und an die Einhaltung „journalistischer Spielregeln“ zu appellieren. Sabine Schiffer, Leiterin des Instituts für Medienverantwortung hat gemeinsam mit dem Selbrund-Verlag eine Beschwerde beim Deutschen Presserat gegen die Berichterstattung eingereicht. Sabine Schiffer wirft z.B. dem Online-Auftritt des Focus vor, „massiv in die Persönlichkeitsrechte Weselskys eingegriffen zu haben. Seit dem Beitrag vom 5. November sind nun dessen Wohnverhältnisse einsehbar, sein Wohnort genau ermittelbar – er ist also auffindbar. Das verstößt gegen den Pressekodex Ziffer 8. Und im Kontext der extremen Hetze gegen die Lokführer-Gewerkschaft und Weselsky im Besonderen ist das verantwortungslos bzw. leichtsinnig, denn es gibt historische Vorbilder dafür, wie sich der medial geschürte Zorn gegen Einzelpersonen tatsächlich in Verbrechen niederschlagen kann – als Beispiel sei nur der Fall von Rudi Dutschke genannt“.

Um was ging es eigentlichen bei dem Streik der Lokführer?

Die Forderung der GDL lautete schlicht: Beim Unternehmen Deutsche Bahn parallele Tarifverträge zuzulassen, das ist in anderen Unternehmen längst schon ohne großen Aufhebens gängige Praxis. Weiter verlangt die Gewerkschaft fünf Prozent mehr Entgelt und eine Arbeitszeitverkürzung um zwei Stunden auf 37 Stunden pro Woche. Außerdem sollen künftig maximal fünf Arbeitsschichten in fünf Tagen möglich sein statt wie bisher sieben Schichten innerhalb von sechs Tagen. Die GDL geht davon aus, dass nur kürzere Arbeitszeiten die Überlastung des Zugpersonals tatsächlich verringern können. Tatsächlich liegen die Gehälter von Lokomotivführern unter dem Durchschnitt der Gehälter in Deutschland und unter dem, was sonst in vielen Bereichen der Verkehrsbranche bezahlt wird. Sie verdienen bei der Deutschen Bahn ohne Zulagen zwischen 2.500 und 3.400 Euro brutto im Monat. Die GDL hat lediglich ihre verfassungsgemäß garantierten Rechte in Anspruch genommen.

Sofort wurde der GDL vorgeworfen, den „Lauf der Ökonomie und das Fortkommen der Nation“ zu schädigen und zu stören. Dass ausgerechnet während der Herbstferien gestreikt wurde, war besonders verwerflich.

Dann wurde richtig eingeheizt: Der Forderungskatalog sei ein „schwer verdaulicher Brocken“. Die Schädlingstheorie wurde aufgerüstet. Der Vorsitzende der GDL wurde als Hauptfeind aufgebaut, als der Schädling der deutschen Gesellschaft an sich herausgestellt. Am 5. November schrieb Bild: „In Deutschland droht ein Monster-Streik“. Man veröffentlichte die Anschrift und die Telefonnummer Weselskys, Bilder vom Wohnhaus der Familie Weselsky, samt genauer Ortsangabe und man forderte die Leser auf, dem „Größen-Bahnsinnigen direkt die Meinung zu geigen“. Er wurde von der Springerpresse als „Deutschlands größte Nervensäge“ und „aktuell wohl der meistgehasste Deutsche“ betitelt. Der Focus forderte Wesselky auf „Lassen Sie Deutschland endlich in Ruhe“ und stellte seinen „Machtwahn“ und „ Egotripp“ in den Vordergrund. In den Tagesthemen fragte die Moderatorin, ob „ein Streik hinnehmbar ist, dessen Schaden erkennbar den Nutzen übersteigt“.

Die eigenen Kolleginnen und Kollegen ließen die Streikenden im Regen stehen.

Der Vorsitzende des DGB, Rainer Hoffmann hatte schon im September gewarnt: Die GDL wolle „ohne Rücksicht auf öffentliche Ansehensverluste der deutschen Gewerkschaften in ihrer Gesamtheit die eigene Einflusssphäre ausbauen. Es droht ein Imageschaden der Bewegung“. Vertreter der SPD bliesen in das gleiche Horn: Der SPD-Vorsitzende Gabriel verunglimpfte den GDL-Streik als „Missbrauch des Streikrechts“. SPD-Fraktionschef Oppermann sagte, dass die GDL seiner Meinung nach „ganz Deutschland nervt“. Die SPD-Arbeitsministerin Andrea Nahles kam dann noch mit ihrem Gesetzentwurf heraus, in dem über das Tarifeinheitsgesetz das Streikrecht, nicht nur für die Lokführer, sondern generell einschränkt werden soll.

Da kam die Medienhetze doch gerade recht.

Warum verhält sich die Deutsche Bahn bei den Verhandlungen mit der GDL eigentlich so stur? Doch wohl nicht wirklich um einen Arbeitskampf anzuzetteln, den sie überhaupt nicht gewinnen kann? Oder spielt sie gar als großes Unternehmen den „Agent Provocateur“ um im Verbund mit den Medien und der Großen Koalition die öffentliche Meinung zugunsten einer gesetzlichen Beschneidung der Arbeitnehmerrechte zu drehen? Soll die Bahn etwa den Vorreiter für einen Angriff auf das Streikrecht spielen und die Diskussion über die Tarifeinheit ist nur das Vorspiel dafür?

Blicken wir zurück auf die vergangenen Jahre. Die Diskussion um die Tarifeinheit bekam erst durch die Rechtssprechung richtig Fahrt. Genau genommen ging es um das Problem sich überschneidender Tarifverträge. Das heißt: Hatten in einem Betrieb mehrere Gewerkschaften für dieselbe Beschäftigtengruppe unterschiedliche Tarifverträge abgeschlossen, ließen die Arbeitsgerichte ursprünglich nur einen Tarifvertrag gelten und zwar den, der den Besonderheiten der betrieblichen Arbeitsverhältnisse am meisten gerecht wurde („Spezialitätsgrundsatz“ genannt). Dies ärgerte zwar die unterlegenen Gewerkschaften, sie unterwarfen sich aber doch dann dem alten Grundsatz „ein Betrieb – eine Gewerkschaft – ein Tarifvertrag“. Als aber die Flächentarife mehr und mehr zum Flickenteppich wurden, Arbeitslose und Beschäftigte gegeneinander ausgespielt werden konnten, Lohnerhöhungen faktisch ausblieben, mehr und mehr Bereiche ausgliedert wurden und die Gewerkschaft schwächelten, konnten besonders im öffentlichen Dienst kaum noch einheitliche Tarife durchgesetzt werden. Einzelne Beschäftigtengruppen machten sich in der Folge selbständig, mit einer eigenen Gewerkschaft.

Den vorläufigen Endpunkt der rechtlichen Auseinandersetzung bildete der Beschluss des Bundesarbeitsgerichts (BAG) 2010: Am 27. Januar 2010 veröffentlichte das BAG eine Pressemitteilung, welche die Absicht des 4. Senates erklärte, im Falle der Tarifpluralität nicht mehr an der bisherigen Rechtsprechung festhalten zu wollen. Am 23. Juni 2010 schloss sich auch der 10. Senat des BAGs in zwei Beschlüssen dieser geänderten Rechtsauffassung an und kippte damit schließlich den Grundsatz für den Fall der Tarifpluralität (Az: BAG 10 AS 2/10 und 10 AS 3/10). Es führte aus, dass es keinen übergeordneten Grundsatz gebe, dass für verschiedene Arbeitsverhältnisse derselben Art in einem Betrieb nur einheitliche Tarifregelungen zur Anwendung kommen könnten. Das, was tariffähige Gewerkschaften im Tarifvertrag durchsetzen, ist auf die Arbeitsverhältnisse der jeweiligen Mitglieder der vertragsabschließenden Gewerkschaft anzuwenden. Ein Beispiel: Die Klinikärzte, die bei ver.di organisiert sind erhalten den ver.di Tarifvertrag – die Klinikärzte, die beim Marburger Bund organisiert sind, erhalten den Tarifvertrag des Marburger Bunds. Dieser Beschluss war für die Arbeitgeberseite nicht hinnehmbar, sie forderten, dass die Tarifeinheit gesetzlich geregelt werden müsste. Sie argumentieren auch, dass die konkurrierenden Berufsverbände einem Streikverbot unterworfen werden müssten, damit die Branchengewerkschaften auf dem Boden maßvoller Tarifpolitik bleiben.

Das ist schon ein starkes Stück. Waren sie es denn nicht selbst, die das unterschiedliche Vertragsrecht in ihren Betrieben eingeführt haben? Sie haben doch Betriebsteile ausgelagert, Zeitarbeit und Werkverträge eingeführt, geringfügige Beschäftigung genutzt und sind aus den Tarifverträgen ausgestiegen.

Wenn man die Krokodilstränen getrocknet hat, kommt zum Vorschein, dass mehr an die Einschränkungen beim Streikrecht gedacht wird, als an die Erhaltung der Tarifeinheit. Denken sie nicht eher daran, dass die aus dem dominierenden Tarifvertrag folgende Friedenspflicht auch für die konkurrierende Gewerkschaft gelten soll und ihnen damit das Streikrecht beschnitten wird? Folglich müssten, so die krude Logik, die konkurrierenden Berufsverbände einem Streikverbot unterworfen werden, damit die Branchengewerkschaften auf dem Boden maßvoller Tarifpolitik bleiben.

Die großen Gewerkschaften sahen dies nicht so und Widerstand wurde nicht organisiert. Zum Erstaunen vieler Gewerkschaftsmitglieder gab der DGB gemeinsam mit dem BDA im Juni 2010 die Erklärung: „Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie sichern – Tarifeinheit gesetzlich regeln“ heraus. Dieses Bündnis hielt aber nicht lange. Während zuerst ver.di sich distanzierte und der DGB dann folgte, blieben die IG Bergbau-Chemie-Energie, die IG Metall bei der Stange. Beide letztgenannten Gewerkschaften sind jetzt wieder im Verbund mit dem DGB dabei, dem Vorhaben der Großen Koalition zur Gesetzesänderung zuzustimmen. Im Koalitionsvertrag steht nun: Das Gesetz über die Tarifeinheit soll zum Inhalt haben, dass pro Betrieb nur noch ein Tarifvertrag gelten soll.

In der Praxis bedeutet dies, dass Berufsgewerkschaften wie der Marburger Bund (MB) oder die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) den Tarifvertrag übernehmen müssen, den verdi für alle Krankenhäuser oder die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) für den Bahnkonzern abgeschlossen haben. Ärzte- und Lokführerstreiks wären nicht mehr möglich. Der Gesetzgeber soll also die Tarifeinheit nach dem betrieblichen Mehrheitsprinzip regeln.

Aber wer entscheidet welche Arbeitseinheiten zu einem Betrieb zusammengefasst oder ausgegliedert werden? Die Arbeitgeber entscheiden darüber, welche Betreibsteile ausgegliedert, welche zusammengefasst werden und welcher Tarifvertrag gemäß der Mehrheit gilt und welcher nicht. Damit nehmen sie direkten Einfluss auf das Streikrecht.

Detlef Hensche (von 1992 bis 2001 Vorsitzender der Industriegewerkschaft Medien und heute Mitherausgeber der Monatszeitschrift „Blätter für deutsche und internationale Politik“) sagt: „Haben die Gewerkschaften nicht gesehen, dass es dem BDA nicht um die Tarifeinheit geht, sondern darum, dass die aus dem dominierenden Tarifvertrag folgende Friedenspflicht auch auf die konkurrierende Gewerkschaft erstreckt werden soll (…)? Wenn Gewerkschaften da in einem immer noch prosperierenden Land schon aus nichtigem Anlass eine gesetzliche Streikbeschränkung dulden, offenbart dies ein schwer nachvollziehbares Maß an Grundrechtsvergessenheit und lässt für die Standfestigkeit in existenziellen Herausforderungen nichts Gutes erwarten.“

Dem kann man sich nur anschließen!

Quellen: DGB, Detlev Hensche, BAG,WAZ,DJV

Bild: Rechtsanwalt Hensche.de