Zum Verbot des Angriffskrieges

Von Ruprecht Großmann

Artikel 26 Absatz ] des Grundgesetzes (GG): Handlungen, die geeignet sind und in der Absicht vorgenommen werden, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören, insbesondere die Führung eines Angriffskrieges vorzubereiten, sind verfassungswidrig. Sie sind unter Strafe zu stellen.

I. Leitlinien des Grundgesetzes

Die Bestimmungen, die sich mit den Kriegen und ihrer Verhinderung befassen, gehören zu den brisantesten in den Verfassungen und Gesetzen der Staaten. Das beruht vor allem darauf, dass sie das Verhältnis der Staaten zueinander und vor dem Hintergrund der jeweiligen Geschichte zum Gegenstand haben. So verhält es sich auch mit dem Art. 26 Abs. I des Grundgesetzes (GG). Er ist — vereinfacht ausgedrückt — mit den Erfahrungen in der Vergangenheit und den völkerrechtlichen Zielsetzungen zu erklären, dabei sind drei legislatorische Wurzeln zu erkennen. Das GG bildet die demokratische Antithese zum diktatorischen Machtsystem des Nationalsozialismus. Es ist sodann nach seiner Präambel und den einzelnen Artikeln (s. z. B. I Abs. 2, 4 Abs. 3, 8 Abs. l, 24 Abs. 2, 26) ein Bekenntnis zum friedlichen Zusammenleben der Völker. Drittens ist es auf die Vorherrschaft des Rechts im Verhältnis zur Macht gegründet. Die Trias Demokratie — Frieden — Recht bestimmt das GG insgesamt und Art 26 Abs. I im Einzelnen.

II. Maßstäbe des Grundgesetzes für die internationalen Beziehungen

a. Verbot des Angriffskrieges (Art. 26 Abs. 1 Satz 1 GG)

Zum Angriffskrieg im Allgemeinen und seiner besonderen Regelung in Art. 26 Abs. I GG gibt es inzwischen eine große Zahl von Veröffentlichungen. Ich verweise deshalb auf die beigefügte Literaturliste (auch diese nur eine Auswahl) und hier in erster Linie auf das Werk von Norman Paech und Gerhard Stuby, «Völkerrecht und Machtpolitik in den internationalen Beziehungen», das in einer aktualisierten Ausgabe 2013 erschienen ist. Die Verfasser behandeln auf über 1000 Seiten im historischen Kontext und im Verhältnis zur aktuellen Politik die einzelnen völkerrechtlichen Sachverhalte, Normen und Entscheidungen im In- und Ausland gründlich und kritisch. Besonders nenne ich noch die umfangreichen Forschungsarbeiten von Wolfgang Beutin, z. B. über Kant und die sonstige Literatur. Bis zum Beginn des vorigen Jahrhunderts bestanden keine verbindlichen Regeln über den Krieg. Herrscher mit Macht und Mitteln führten Eroberungsfeldzüge durch, die großes Leid über Menschen brachten, die Machthaber aber häufig ruhmvoll in die Geschichte eingehen ließen. So war der Große Kurfürst von Brandenburg mit der Niederlassung Friedrichsburg an der westafrikanischen Küste einer der ersten Kolonialherrscher, auch wenn er 1685 das Edikt von Potsdam für die hugenottischen Flüchtlinge erließ. Friedrich der Große sorgte für die Einführung des Allgemeinen Landrechts für die Preußischen Staaten (das in einigen SS noch heute gilt), begründete seinen Ruhm aber mit den schlesischen Kriegen, Angriffskriegen par excellence. Krieg und Frieden lagen oft nahe beieinander, in zahlreichen Ländern bis heute. In der Literatur ist die Beschäftigung mit Angriffskriegen, auch mit völkerrechtlichen Ansätzen, schon in früheren Jahrhunderten festzustellen. Kant sah die Ursache von Angriffskriegen schon in der Einrichtung stehender Heere, die deshalb «mit der Zeit ganz aufhören» sollte (Vom ewigen Frieden, l. Abschnitt Nr. 3) und forderte unter NE 5 dieses Abschnitts: «Kein Staat soll sich in die Verfassung und Regierung eines anderen Staats gewalttätig einmischen«.

Eine Definition des Angriffskrieges fehlt im deutschen Recht. Die Generalversammlung der Vereinten Nationen (UN) einigte sich 1974 in der Resolution 3314 darauf, dass darunter eine militärische Aggression in Gestalt eines Erstschlags zu verstehen ist. Als einzelne Formen kommen nach Art. 3 der Resolution in Betracht: Invasion und Annexion, Bombardierung und Waffeneinsatz gegen fremdes Territorium, Blockade der Häfen und Küsten, Angriffe gegen fremde Streitkräfte, die Handels- oder Luftflotte, Einsatz der im Ausland stationierten Streitkräfte entgegen den vertraglichen Abmachungen, Überlassung des eigenen Territoriums für Aggressionsakte gegen einen dritten Staat, Entsendung bewaffneter Banden, Freischärler, Söldner usw. auf fremdes Territorium. Nach Art. 5 der Resolution ist der Angriffskrieg ein Verbrechen gegen den Weltfrieden mit voller strafrechtlicher und Wiedergutmachungs-Verantwortlichkeit.

b. Einsatzbeschränkung der Streitkräfte auf Verteidigung (Art. 87a Abs. 2 GG)

Das GG belässt es nicht beim Ausspruch des Angriffskriegsverbotes, sondern regelt auch Konsequenzen für die davon betroffenen Institutionen. So dürfen die Streitkräfte des Bundes gemäß Art 87a Abs. 2 GG nur zur Verteidigung eingesetzt werden, abgesehen von im GG aufgeführten Ausnahmen. Diese Fälle betreffen den Einsatz zum Schutz ziviler Objekte, zur Unterstützung polizeilicher Maßnahmen, z. B. gegen bewaffnete militante Aufständische, bei Naturkatastrophen und bei besonders schweren Unglücksfällen, also sämtlich für Maßnahmen innerhalb des Bundesgebietes (s. Art. 87a Abs. 3 und 4 und Art. 35 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 Satz l). Die im Verteidigungsfall zu treffenden Maßnahmen sind in den Art. 115a bis 115 1 GG geregelt. Bündnisse mit anderen Staaten zur gemeinsamen Verteidigung können nach Art. 59 Abs. 2 Satz I GG eingegangen werden. Der Einsatz zur Verteidigung ist stets nur als Abwehr gegen einen militärischen Angriff erlaubt, nicht zur Verfolgung, Durchsetzung und Sicherung ökonomischer oder politischer Interessen.

c. Einordnung des Bundes in Systeme gegenseitiger kollektiver Sicherheit (Art. 24 Abs. 2 GG)

Eine von Art. 87a Abs. 2 GG völlig unterschiedliche Regelung trifft Art. 24 Abs. GG. Sie lautet:  Der Bund kann sich zur Wahrung des Friedens einem System gegenseitiger Kollektiver Sicherheit einordnen; er wird hierbei in die Beschränkungen seiner Hoheitsrechte einwilligen, die eine friedliche und dauerhafte Ordnung in Europa und zwischen den Völkern der Welt herbeiführen und sichern.

Hier sind nicht die Streitkräfte des Bundes und ihr Einsatz im Verteidigungsfall angesprochen, sondern ein übergreifendes System kollektiver Sicherheit. Es wird nicht schon gebildet durch eine Mehrheit von Staaten, die durch ein Bündnissystem zu gegenseitigem Beistand und in diesem Rahmen zur Friedenssicherung verpflichtet sind. Erforderlich ist vielmehr die Möglichkeit der Teilnahme aller Staaten und die vorrangige Verpflichtung zur Schaffung und Erhaltung des Friedens mit und in allen Staaten. Dazu sind bestimmte vereinbarte Konfliktregelungsmechanismen erforderlich, die bei einem Bündnissystem in der Regel fehlen. Das hier in erster Linie angesprochene kollektive Sicherheitssystem ist das völkerrechtliche Regelungswerk der Vereinten Nationen (UN). Es ist nicht beschränkt auf den Verteidigungsfall, sondern zielt ab auf gegenseitige Sicherung. Die Sicherheit soll gemeinsam sein, d. h. nicht beschränkt sein auf Allianzen und Militärbündnisse, wie sie schon in früheren Jahrhunderten verbreitet waren. Vor dem Hintergrund der Erfahrungen aus den letzten Kriegen mit zahlreichen Völkern und Staaten besteht ein Bedarf an Sicherheit nicht nur beim eigenen Staat, sondern bei allen potentiellen Gegnern. Durch ein rechtliches Band, das alle Staaten kollektiv umfasst, kann der Grad der Sicherheit entsprechend verstärkt werden.

III. Regelungen des Völkerrechts

a. Briand-Kellogg-Pakt

Die erste gegen den Krieg gerichtete völkerrechtliche Absprache ist der Vertrag über die Ächtung des Krieges, abgeschlossen und unterzeichnet am 27. August 1928 in Paris von Frankreich, dem Vereinigten Königreich, den Vereinigten Staaten, dem Deutschen Reich, Japan, Indien, Italien, Polen, der Tschechoslowakischen Republik und Belgien, benannt nach den französischen und amerikanischen Verhandlungsführern (das Deutsche Reich wurde vertreten durch Außenminister Stresemann, Ratifizierung durch Reichsgesetz vom 9.2,1929). «Die Hohen Vertragschließenden Parteien erklärten feierlich im Namen ihrer Völker», dass sie den Krieg als Mittel für die Lösung internationaler Streitfälle verurteilen und auf ihn als Werkzeug nationaler Politik in ihren gegenseitigen Beziehungen verzichten. Sie vereinbarten außerdem, dass die Regelung und Entscheidung aller Streitigkeiten oder Konflikte niemals anders als durch friedliche Mittel angestrebt werden solle. Damit waren Angriffskriege erstmals verboten, auch wenn nicht alle Gewaltakte erfasst waren und es an Sanktionen fehlte. Der Pakt ist nie angefochten oder aufgehoben worden, besteht also fort. In seinen Rechtswirkungen ist er inzwischen durch die weitaus detailliertere UN-Charta überholt.

b. UN-Charta

Am 26. Juni 1945 vereinbarten 50 Unterzeichnerstaaten als Mitglieder der UN in San Francisco die UN-Charta, bis heute die wichtigste völkerrechtliche Regelung, Sie enthält in Art 2 Nr. 3 die Verpflichtung, dass alle Mitglieder der UN ihre internationalen Streitigkeiten durch friedliche Mittel so beizulegen haben, dass der Weltfriede, die internationale Sicherheit und die Gerechtigkeit nicht gefährdet werden. Gemäß Art. 2 Nr. 4 haben alle Mitglieder in ihren internationalen Beziehungen jede gegen die territoriale Unversehrtheit oder die politische Unabhängigkeit eines Staates gerichtete oder sonst mit den Zielen der UN unvereinbare Androhung oder Anwendung von Gewalt zu unterlassen. Das angestrebte System der kollektiven Sicherheit stützt sich zum einen auf dieses strikte Gewaltverbot, zum anderen auf Art. 24 Abs. 1, wonach die Mitglieder der UN die Hauptverantwortung für die Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit dem Sicherheitsrat übertragen. Er besteht aus 15 Mitgliedern der UN, wobei China, Frankreich, das Vereinigte Königreich Großbritannien mit Nordirland, Russland und die Vereinigten Staaten von Amerika ständige Mitglieder sind (Art. 23 Abs. I Satz l). Die Generalversammlung wählt 10 weitere Mitglieder nach näherer Maßgabe für zwei Jahre zu nichtständigen Mitgliedern des Sicherheitsrates (Art. 23 Abs. I Satz 2 und Abs. 2). Beschlüsse des Sicherheitsrates über Verfahrensfragen bedürfen der Zustimmung von neun Mitgliedern einschließlich sämtlicher ständigen Mitglieder (S 27 Abs. 3). Mindestens ein ständiges Mitglied oder vier nichtständige Mitglieder können also durch ihr Veto eine Beschlussfassung verhindern.

Der Sicherheitsrat stellt gemäß Art. 39 fest, ob eine Bedrohung oder ein Bruch des Friedens oder eine Angriffshandlung vorliegt. Er gibt Empfehlungen ab oder beschließt, welche Maßnahmen auf Grund von Art. 41 (Sanktionen ohne Gewaltanwendung) oder Art. 42 (militärische Sanktionen mit Luft-, See- oder Landstreitkräften) zu treffen sind, um den Weltfrieden und die internationale Sicherheit zu wahren oder wiederherzustellen. Eine weitere grundsätzliche Vorschrift ist Art. 51, kollektiven Selbstverteidigung beeinträchtigt, bis der Sicherheitsrat die zur Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit erforderlichen Maßnahmen getroffen hat (Art. 51 Satz l).

Das Hauptrechtsprechungsorgan der UN ist der Internationale Gerichtshof (IGH) (Art. 92 der Charta). Alle Mitglieder der UN sind ohne weiteres Vertragsparteien seines Statuts (Art. 93). Durch die Beendigung der Ost-West-Konfrontation, eingeleitet durch das «Neue Denken» des am 1 1.3.1985 zum Generalsekretär der KPdSU gewählten Michail Gorbatschow (Glasnost und Perestroika, Offenheit und Umbau), hat der IGH, ebenso wie die UNO insgesamt, eine Aufwertung erfahren. Mit dem Nicaragua-Urteil von 1986 lehnte der IGH ein Eingriffsrecht in die Anlagen eines fremden Staates zur Sicherung der Menschenrechte ab. Eine gegenteilige Meinung für den Fall, dass alle anderen Mittel versagt haben, vertrat das Europäische Parlament in einer Entscheidung 1994, ohne den Widerspruch zum strikten Gewalt- und Interventionsverbot nach der UN-Charta zu klären.

c. Sonstige völkerrechtliche Bestimmungen

Die Genfer Abkommen über den Schutz der Opfer bewaffneter Konflikte vom 12.8.1949, die für die Bundesrepublik am 14.8.1991 wirksam geworden sind enthalten z. B. im Zusatzprotokoll vom 8.6.1977 Vorschriften zum Schutz der Zivilbevölkerung und ziviler Objekte vor den Auswirkungen von Angriffen jeder Art (Art. 48-51). Die geschützten Objekte umfassen z. B. Nahrungsmittel, Frischwasser, Produktions- und Bewässerungsanlagen (Art.52-54).

Die Deklaration über die Prinzipien des Völkerrechts betreffend die freundschaftlichen Beziehungen und die Zusammenarbeit zwischen den Staaten vom 24.10.1970 stellt als Zusammenfassung von Art. I und 2 der Charta den bedeutendsten formulierten Beitrag zum Völkerrecht nach dem Zweiten Weltkrieg dar und enthält die folgenden Prinzipien: Verzicht auf Gewalt und Gewaltandrohung, Unabhängigkeit und souveräne Gleichheit der Staaten, Gleichberechtigung und Selbstbestimmung der Völker, Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten eines Staates, Zusammenarbeit zur Lösung wirtschaftlicher, sozialer, kultureller und humanitärer Problem nebst Stärkung der Menschenrechte, friedliche Streitbeilegung, Erfüllung der Mitgliedspflichten nach Treu und Glauben.

Eine völkerrechtliche Spezialregelung ist der Moskauer Vertrag vom 12.9.1990, der der deutschen Wiedervereinigung zugrunde liegt, abgeschlossen zwischen der Sowjetunion, den Vereinigten Staaten, dem Vereinigten Königreich, Frankreich und den beiden deutschen Staaten. Er wird in Art. I als wesentlicher Bestandteil der Friedensordnung in Europa bezeichnet. Art. 2 Satz I und 3 lauten: Die Regierungen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik bekräftigen ihre Erklärungen, dass von deutschem Boden nur Frieden ausgehen wird.

Die Regierungen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik erklären, dass das vereinte Deutschland keine seiner Waffen jemals einsetzen wird, es sei denn in Übereinstimmung mit seiner Verfassung und der Charta der Vereinten Nationen.

d. Völkergewohnheitsrecht

Neben dem geschriebenen Recht kann sich auch im Völkerrecht Gewohnheitsrecht entwickeln, sofern die dafür üblichen Voraussetzungen erfüllt sind, nämlich eine längere Handhabung in der Staatenpraxis und eine dementsprechende Rechtsüberzeugung unter den Staaten. So stellte der IGH in der Sache Nicaragua gegen USA bei folgenden Prinzipien eine gewohnheitsrechtliche Geltung fest: Gewaltverbot, Interventionsverbot, Achtung der Unabhängigkeit und territorialen Integrität von Staaten, Freiheit der Schifffahrt. Damit gehört das Gewaltverbot auch nach Art. 25 GG zu den allgemeinen Regeln des Völkerrechts, die Bestandteil des Bundesrechts sind und den innerstaatlichen Gesetzen vorgehen.

V. Nato-Recht  

Die NATO wurde als reines Verteidigungsbündnis gegründet, so nach dem Nordatlantik-Vertrag vom 4.4.1949 in der Fassung vom 17.10.1951, dem NATO Truppenstatut vom 19.6.1951 und dem Zusatzabkommen in der Fassung vom 18.3.1993. Der Brüsseler Vertrag über die Westeuropäische Union (WEU) in der Fassung vom 23.10.1954 regelte über die kollektive Selbstverteidigung hinaus auch die wirtschaftliche, soziale und kulturelle Zusammenarbeit. Nach der Auflösung des Ostblocks traten die osteuropäischen Staaten der NATO bei (1999 Polen, Tschechien und Ungarn, 2004 Bulgarien, Estland, Lettland, Litauen, Rumänien, Slowakei und Slowenien). Russland, das der Sicherheitsrat und andere internationale Organisationen als Nachfolgestaat der UdSSR anerkannten, bildet zusammen mit Weißrussland, der Ukraine und acht weiteren Staaten des mittleren Ostens die Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS); sie ist mit der NATO lediglich durch einige Kooperationsvereinbarungen verbunden . Damit ist ein gesamteuropäisches Sicherungssystem nicht zustande gekommen. Die NATO nimmt gleichwohl nach ihrem Strategischen Konzept vom 24.4.1999 über die Aufgaben als Verteidigungsbündnis hinaus Funktionen der Friedens- und Stabilitätssicherung auf der Basis gemeinsamer Grundwerte wie Demokratie, Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit in Anspruch. Diese Neuausrichtung ist weder in den NATO-Verträgen noch in den Verträgen mit den Mitgliedern ausreichend statuiert. Es ist deshalb und wegen der fehlenden Einbeziehung der potentiellen Gegner verfehlt, die NATO als ein regionales System kollektiver Sicherheit einzustufen. Ihr fehlt überdies ein verbindliches Konfliktregelungssystem vergleichbar dem der UN.

Ein Beispiel für die Kompetenzschwierigkeiten der NATO als Verteidigungsbündnis liefert die Entscheidung des BVerfG vom 3.7.2007. Sie betraf formal die Frage, ob die Fortentwicklung der NATO durch Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem Einsatz einer Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanistan (ISAF-Mandat) im Jahr 2007 die Mitwirkung des Bundestages erforderte. Das Gericht verneinte das und führte im Einzelnen aus, dass die NATO auch als ein »im Grundsatz klassisches Verteidigungsbündnis« nach ihrem strategischen Konzept von 1999 über die Bündnisgrenzen hinweg zur Sicherheit des euro-atlantischen Raumes zusätzlich »Krisenreaktionseinsätze« durchführen könne. Der ISAF-Einsatz, der »im Wesentlichen mit militärischen und polizeiähnlichen Mitteln die Rahmenbedingungen für den zivilen Aufbau Afghanistans schaffen und absichern« sollte, wurde auch auf die UN-Resolutionen 1386 (2001), 1510 (2003) und 1707 (2006) gestützt. Dazu ist zu sagen, dass die UN-Resolutionen für sich genommen keinen rechtsverbindlichen Charakter haben, denn entscheidend bleibt bei Eingriffen in den Bestand eines anderen Staates, ob die hierfür nach der UN-Charta aufgestellten Voraussetzungen erfüllt sind, was nach dem Sachverhalt zu verneinen sein dürfte. Auch von einer an sich mit Hilfe von Resolutionen möglichen Entstehung von Völkergewohnheitsrecht zu sprechen, verbietet sich hier, weil die UN-Charta als Grundsubstanz nicht in Frage gestellt werden kann.

V. Kriegsschauplätze

In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts haben u. a. folgende Angriffskriege stattgefunden: Korea 1950-1953, Iran 1953, Guatemala 1954, Indochina 1954, Ungarn 1956, Libanon 1957-1958, Kongo 1960, Kuba 1961, Vietnam 1964-1975, Dominikanische Republik 1965, Griechenland 1967, Tschechoslowakei 1968, Kambodscha 1970, Chile 1973, Afghanistan 1979-1980, Grenada 1983, Nicaragua 1981-1984, Panama 1989, Golfkrieg 1991, Irak 1998, Sudan 1998.

Die drei gravierendsten Kriege in den letzten 15 Jahren sollen hier kurz behandelt werden:

a. Jugoslawien 1999

Die Bombardierung durch die NATO im Frühjahr 1999 hatte eine umfangreiche Vorgeschichte (Auflösung des Ostblocks, Zerfall der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien, bürgerkriegsähnliche Kämpfe in der Provinz Kosovo ab 1997). Trotz dieser Entwicklung hätte der UN-Sicherheitsrat keine Schwierigkeiten gehabt, die Zustände vor allem im Kosovo als Bruch des Friedens festzustellen und gemäß Art. 42 der Charta militärische Sanktionen einzuleiten und durchzuführen. Er sah sich dazu aber wegen Art. 27 Abs. 3 nicht in der Lage, weil Russland ein Veto gegen solche Maßnahmen angekündigt hatte. Dieser Sachverhalt gab der NATO aber nicht das Recht, den souveränen Staat Jugoslawien ohne UN-Mandat militärisch anzugreifen. Erschwerend kam hinzu, dass die Bombenabwürfe gegen die Protokolle zu den Genfer Konventionen (s. III 3) und gegen den völkergewohnheitsrechtlich geltenden Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstießen. Damit lag ein nach Art. 2 Nr. 4 der UN-Charta rechtswidriger Angriffskrieg vor. Dieser war bezüglich der Bundesrepublik, die sich z. B. mit Tornados an dem Einsatz beteiligte (s. Weser-Kurier vom 25.3.1999: «Deutsche Tornados sicher zurückgekehrt») ein lupenreiner verfassungswidriger Angriffskrieg gemäß Art. 26 Abs. 1 Satz 1 GG.

Nach den Kampfhandlungen erhob sich in der Öffentlichkeit ein Sturm der Entrüstung. Aus der großen Zahl der Proteste seien genannt die Erklärung »Wir klagen an« von W. Beutin/Deschner/Wollschläger mit einer detaillierten Aufzählung der Verstöße und Zitaten weiterer Kritiker und die Schrift »Der Terror des Krieges« über eine Protestveranstaltung am 27. Mai 1999 (s. auch Literaturübersicht).

b. Afghanistan 2001

Der Angriff des Terrornetzwerkes Al-Qaida auf das World Trade Center und das US-Pentagon am IL September 2001 war nach Art und Ausmaß ein epochaler Einschnitt in die internationalen Beziehungen und zugleich ein Angriff auf die gesamte zivilisierte Welt. Präsident George W. Bush beantwortete den Terrorakt mit dem Ruf nach einem militärischen Gegenschlag. Eher am Rand wurde der UN-Sicherheitsrat aufgefordert, ein Mandat zur militärischen Intervention in Afghanistan zu erteilen, was der Sicherheitsrat unter Bezugnahme auf die UN-Charta ablehnte«. Die US-Administration berief sich daraufhin auf ihr Selbstverteidigungsrecht nach Art, 51 der Charta für ihren Krieg, den sie am 7. Oktober 2001 begann. Die Voraussetzung nach Art. 51, einen bewaffneten Angriff des afghanischen Staates, konnte sie bis heute nicht nachweisen. Der Terroranschlag traf die USA überraschend, aber nicht unvorbereitet. Nach dem Buchtitel ihres langjährigen Sicherheitsberaters Brzezinski »Die einzige Weltmacht. Amerikas Strategie der Vorherrschaft« sind sie für militärische Aktionen im Mittleren Osten schon wegen der Rohstoffquellen ständig gerüstet.

Was den USA bei der UNO nicht gelang, erreichten sie ohne Weiteres bei der NATO: Die Ermächtigung zum Krieg, indem nämlich die NATO am 1.10.2011 erstmals in ihrer Geschichte nach Art. 5 des NATO-Vertrages den Bündnisfall verkündete, der die Mitgliedstaaten aufforderte, die USA in ihrem Krieg gegen Afghanistan zu unterstützen. Der Bundesrepublik gelang es ebenso wenig wie vorher den USA, vom Sicherheitsrat der UN eine Ermächtigung für ein militärisches Vorgehen gegen Bin Laden und die Taliban zu erhalten. Afghanistan wurde dennoch mit Beteiligung der NATO unter Einschluss der Bundesrepublik militärisch angegriffen.

In der rechtlichen Beurteilung war auch dieser Krieg ein nach Art. 2 Nr. 4 i. V. m. Art. 39 und 42 UN-Charta verbotener militärischer Gewaltakt. Neben dem Selbstverteidigungsrecht (Art. 51) gibt es kein Recht auf einen militärischen Gegenschlag, Gruppen und Einzeltäter sind strafrechtlich zur Rechenschaft zu ziehen, wozu völkerrechtlich auch Tribunale eingerichtet werden können. Soweit es die Bundesrepublik betrifft, liegt ein nach Art. 26 Abs. I Satz I GG verbotener Angriffskrieg vor.

c. Irak 2003

Nach einer mehr als zwölfjährigen Vorgeschichte, die durch einen Überfall des Irak auf Kuwait, militärische Maßnahmen der USA und des Vereinigten Königreichs gegen den Irak und die Nichtbeachtung von Resolutionen des Sicherheitsrates durch den Irak bestimmt wurde, eskalierte der Konflikt Ende 2002 erneut. Mit der Behauptung, der Irak sei im Besitz von Massenvernichtungswaffen und damit eine unmittelbare Gefahr für den internationalen Frieden, versuchten die USA Anfang 2003, beim Sicherheitsrat der UN eine Ermächtigung zum militärischen Einsatz zu erhalten. Sie legten dazu eine Vielzahl unglaubwürdiger und sogar gefälschter Papiere vor. Es wurde deshalb eine unabhängige Kommission zur Überprüfung der Behauptungen der USA eingesetzt. Die Welt wartete gespannt auf das Ergebnis der Prüfung; es war negativ. Der Sicherheitsrat lehnte deshalb die Erteilung eines Mandats gemäß Art. 42 der Charta ab. Die USA ließen sich dadurch nicht entmutigen und bereiteten ein militärisches Vorgehen einer von ihnen angeführten Koalition mehrerer Staaten gegen den Irak vor. Eine Intervention stieß in der benachbarten Türkei auf Widerstand. Das türkische Parlament lehnte gegen den Willen seiner Regierung am 1.3.2003 die Stationierung von besonderen Streitkräften der USA in der Türkei ab und verhinderte damit eine Bodenoffensive der US-Truppen von der Türkei aus in den Nordirak. Allerdings gab die Türkei ihren Luftraum für den Überflug durch Militärflugzeuge der Staatenkoalition frei. Der deutsche Bundeskanzler Schröder erklärte, Deutschland werde sich an einem Krieg gegen den Irak nicht beteiligen, werde aber seine Bündnispflichten erfüllen und den USA sowie der NATO Überflug-, Bewegungs- und Transportrechte gewähren. Zum Schutz des Bündnisgebietes würden AWACS-Flugzeuge (AWACS Airborne early warning and control system = Frühwarnsystem der NATO) mit deutschen Soldaten besetzt sein. Gemäß diesen Erklärungen wurde der Einsatz der USA und der NATO gegen den Irak durchgeführt.

Nach dem vorstehenden Sachverhalt liegt hier ebenfalls eine nach Art. 2 Nr. 4 der UN-Charta völkerrechtswidrige Gewaltanwendung und zugleich ein nach Art. 26 Abs. I Satz I verfassungswidriger und verbotener Angriffskrieg vor. Der Tatanteil der Bundesrepublik ist zwar geringer als in anderen Fällen, er ist aber ein wesentlicher Bestandteil der Gesamtaktion gewesen. Zu diesem Ergebnis gelangt auch das Bundesverwaltungsgericht in einem sehr ausführlichen und gründlichen Urteil vom 21.6.2005, Der Fall betraf einen Berufssoldaten der Bundeswehr, der sich aus Gewissensgründen geweigert hatte, an der weiteren Entwicklung eines für den Kriegseinsatz bestimmten militärischen Software-Programms im Rahmen seiner Dienstpflicht teilzunehmen. Das Truppendienstgericht setzte ihn daraufhin wegen eines Dienstvergehens im Dienstgrad herab. Seine Berufung zum BVerwG hatte Erfolg. Das Gericht hat ausführlich dargelegt, dass die Einsätze der USA und der NATO völkerrechts- und verfassungswidrig waren. Es hat sich dazu einerseits auf die Art. 2 Abs. 4, 39 und 41 f. der UN-Charta gestützt und eine Ermächtigung durch den UN-Sicherheitsrat verneint, andererseits nach gründlicher Würdigung der Art. 25 und 26 Abs. I GG die von subjektiven Zielsetzungen unabhängige Vorbereitung und Führung eines Angriffskrieges bejaht.

d. Folgerungen 

Vor dem Hintergrund der eindeutigen Fakten der Angriffskriege und der eben so eindeutigen Bestimmungen der UN-Charta zum Gewalt- und Interventionsverbot wird unter dem Stichwort »Konstitutionalisierung« eine Neuordnung des Völkerrechts diskutiert. Die Extremposition wird dabei in Richtung auf eine »Relativierung des Gewaltverbots zu Gunsten des Schutzes elementarer Menschenrechte« und auf die »teleologische Anpassung von Völkerrechtsnormen an neue Herausforderungen« markiert, auch wenn dadurch Staaten mit »wirtschaftlicher und militärischer Hegemonial- oder Oligopolstellung« begünstigt werden. Paech und Stuby haben in der Widerlegung dieser Position auf eine Schwächung der Rechtsordnung, eine Zunahme der Rechtsunsicherheit und eine Verkennung der normativen Rangordnung (Gewaltverbot als ius cogens des Völkerrechts, Menschenrechte als einfaches Völkerrecht) hingewiesen“

Eine andere Variante in dem zunehmenden Konflikt zwischen Macht, gutem Willen und Recht hat Bundeskanzlerin Merkel ins Spiel gebracht. Sie hat sich während ihrer Teilnahme am Parteitag der Jungen Union am 16. Oktober 2015 auf die »Responsibility to protect« als völkerrechtliche Grundlage für eine militärische Intervention aus humanitären Gründen in Syrien bezogen. Damit ist eine Studie angesprochen die auf Veranlassung des früheren UN-Generalsekretärs Kofi Annan 2001 entwickelt und als solche auch von der damaligen Generalversammlung zur Kenntnis genommen wurde. Sie beinhaltet die Aufforderung an die Staaten, der Verantwortung zum Schutz der jeweiligen eigenen Bevölkerung gewissenhaft nachzukommen und gibt kein Recht oder gar eine Pflicht zur Intervention gegenüber anderen Staaten. Die Entscheidung zu solchen Interventionen ist nach wie vor allein dem Sicherheitsrat nach den Artikeln 39, 41, 42 UN-Charta vorbehalten. Auch die Generalversammlung ist daran gebunden, es sei denn, sie ändert mit der erforderlichen Zwei-Drittel-Mehrheit die entsprechenden Bestimmungen der Charta. Der gute Wille, auch wenn er wirklich besteht, reicht nicht aus, die strikte Bindung an das Völkerrecht zu ändern.

Unter Bezugnahme auf die UN-Prinzipiendeklaration 2625 von 1970 haben Paech und Stuby den geltenden Zustand wie folgt klar umrissen:

Alle grundlegenden Regeln und Werte in der UN-Charta sind verbindlich für alle Staaten aufgeführt. Dies gilt für die Souveränität und die Gleichheit der Staaten, die Garantie der territorialen Unversehrtheit und der politischen Unabhängigkeit, das Gewalt- und Interventionsverbot, das Selbstbestimmungsrecht der Völker und die Verpflichtung der Staaten, zusammenzuarbeiten und internationale Streitigkeiten friedlich zu regeln.

VI. Strafbarkeit des Angriffskrieges

a. Nürnberger Militärtribunal 1946 

Zur Aburteilung der NS-Verbrechen haben die alliierten Mächte ab 1946 in Nürnberg zu Gericht gesessen, nicht als ein über den einzelnen Staaten schwebendes Weltgericht, sondern als Träger der nationalen Souveränität Deutschlands nach dessen bedingungsloser Kapitulation. Inhalt der Anklage waren deshalb erst in zweiter Linie Verbrechen gegen die Menschlichkeit, sondern vorrangig die Planung und Ausführung eines den Frieden in der Welt beendenden Angriffskrieges eines souveränen Staates gegen andere souveräne Staaten. Art. 6 Buchstabe a der von den Alliierten 1945 in London verfassten Charta des Internationalen Militärtribunals erwähnt unter den «Verbrechen gegen den Frieden» »die Planung, Vorbereitung oder Durchführung eines Angriffskrieges« . Dem entsprach das unter Leitung des amerikanischen Hauptanklägers Robert H. Jackson und seines Stellvertreters Robert H. W. Kempner sorgfältig durchgeführte Verfahren. Hervorzuheben ist auch das Credo Jacksons, der Prozess möge ein Zeichen setzen, dass die gesamte Völkergemeinschaft keine Angriffskriege mehr dulden und die mit einem Krieg verbundenen Verbrechen ächten und ahnden würde (s. Ingo Müller, Festvortrag 60 Jahre nach dem Beginn des Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozesses). Über die insgesamt 13 Nürnberger Prozesse einschließlich des sogenannten Wilhelmstraßenprozesses, in dem Kempner Hauptankläger war, liegen umfangreiche Protokolle und sonstige Niederschriften, insbesondere über die Vernehmung der Angeklagtem vor. Nach diesen Prozessen kennzeichnete Egon Bahr, der als 23jähriger Journalist das Kriegsende in Berlin erlebt hatte, die Situation in Deutschland mit dem Satz »Wir sind noch einmal davongekommen«.

b. Entwicklung zum Internationalen Strafgerichtshof

Die Nürnberger Prozesse haben die Diskussion über das Völkerstrafrecht belebt. Zwar fällt das Strafrecht im Wesentlichen nach wie vor in die Zuständigkeit der nationalen Gerichtsbarkeiten (Territorialitätsprinzip). Dennoch gibt es Beispiele, auch ausländischen Staatsbürgern den Prozess zu machen, wie die Verfahren gegen Eichmann und Demjanjuk zeigen. Trotz einiger Verfahrensverstöße sorgte hier vor allem das Bedürfnis nach »Sühne und Abschreckung« für eine internationale Akzeptanz der Urteile. Es fehlte aber eine völkerrechtliche Instanz, die vor allem Kriegsverbrecher international aburteilen konnte. Die enttäuschte Öffentlichkeit behalf sich deshalb mit so genannten »Tribunals of Opinion«, in denen Wissenschaftler über die politischen, militärischen und ökonomischen Zusammenhänge von kriegerischen Ereignissen aufklärten. Besonders bekannt geworden ist das von dem englischen Philosophen Lord Bertrand Russell initiierte »International Tribunal on the American War Crimes in Vietnam«, das 1967 unter dem Vorsitz von Jean Paul Sartre stattfand. Auch wenn dieses Gremium keine rechtliche Zuständigkeit und Sanktionsgewalt besaß, enthielt sein abschließendes Urteil zwei berechtigte Vorwürfe in Gestalt schwerer Verstöße der USA gegen das Gewalt- und Aggressionsverbot der UN-Charta und gegen zahlreiche Verbote das Kriegsvölkerrechts.

In Anknüpfung an diese Schritte sah sich der UN-Sicherheitsrat wegen der seit 1990 aufgetretenen Verbrechen und Menschenrechtsverletzungen im auseinander brechenden Bundesstaat Jugoslawien veranlasst, zunächst eine Expertenkommission und anschließend 1993 ein internationales Tribunal zur Verhandlung und Entscheidung über die Kriegsverbrechen im früheren Jugoslawien mit dem Sitz in Den Haag einzurichten.

Die geschilderten Tribunale förderten die Entwicklung des internationalen Strafrechts auch in Richtung auf einen permanenten Internationalen Strafgerichtshof. Ein entsprechendes Statut wurde 1998 mit großer Mehrheit verabschiedet. Die erfassten Straftatbestände beschränken sich auf Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen. Im Jahr 2000 wurde der Gerichtshof errichtet. Erst 2012 konnten sich die Staaten auf eine Definition der Aggression einigen, die erst ab 2017 die strafrechtliche Verfolgung von Angriffskriegen ermöglicht

c. Verzögernde Erfüllung des Art 26 Abs. I Satz 2 GG

Die in Art. 26 Abs. 1 Satz 2 GG vorgeschriebene Unterstrafestellung von Handlungen nach Art. 26 Abs. 1 Satz I blieb rund zwanzig Jahre unerfüllt. Hindernisse oder sonstige Gründe sind nicht bekannt geworden. Mehrere Personen und Institutionen richteten deshalb Anfragen, Petitionen oder Forderungen zur Verwirklichung des legislatorischen Auftrags an den Gesetzgeber.

Mehrfach forderte der Schriftsteller Kurt Hiller die Erfüllung des Gesetzes, vor allem zur Verringerung der Kriegsgefahr und zur Verwirklichung einer Vernunftordnung. Der damalige Bundesjustizminister Richard Jäger reagierte ungehalten und wies darauf hin, dass die Strafbarkeit ein internationales Problem sei, das von einem einzelnen Staat nicht selbstständig gelöst werden könne und das deshalb die Einschaltung der Vereinten Nationen erfordere. Das traf nicht zu, da die Strafvorschrift allein in die Kompetenz der Bundesrepublik Deutschland fiel. Im Herbst 1965 richtete Hiller über den Neusozialistischen Bund und mit den Unterschriften u. a. von Georg Burckhardt, Karlheinz Deschner, Heinrich Dorsch, Ossip K. Flechtheim, Susanne Leonhard, Martin Niemöller und Erwin Piscator erneut eine Erklärung an den Gesetzgeber. In vergleichsweise kurzer Zeit, nämlich mit dem 8, Strafreformgesetz vom 25.6.1968 während der Amtszeit von Gustav Heinemann als Bundesjustizminister, wurde mit den SS 80 und 80a Strafgesetzbuch (StGB) die Strafbarkeit geregelt.

d. Verfahren nach den §§ 80 und 80a Strafgesetzbuch (StGB)

 § 80: Vorbereitung eines Angriffskrieges

Wer einen Angriffskrieg (Art. 26 Abs. I GG), an dem die Bundesrepublik Deutschland beteiligt sein soll, vorbereitet und dadurch die Gefahr eines Krieges für die Bundesrepublik Deutschland herbeiführt, wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe oder mit Freiheitsstrafe nicht unter 10 Jahren bestraft.

§ 80a: Aufstacheln zum Angriffskrieg

Wer im räumlichen Geltungsbereich dieses Gesetzes öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreitung von Schriften (S Il Abs. 3) zum Angriffskrieg (§ 80) aufstachelt, wird mit Freiheitsstrafe von 3 Monaten bis zu 5 Jahren bestraft. Soweit ersichtlich, sind keine Strafverfahren mit Verurteilung bekannt geworden. Mangels einer entsprechenden Statistik weiß man nicht, ob es Anzeigen und Ermittlungsverfahren gegeben hat

Der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof hat in einer Entschließung vom 21.3.2003 die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gegen Mitglieder der Bundesregierung wegen des Verdachts der Vorbereitung eines Angriffskrieges abgelehnt, weil keine zureichenden tatsächlichen Anhaltspunkte für einen Anfangsverdacht vorlagen. Zur Begründung hat er u. a. angegeben, die Strafvorschrift schütze den Völkerfrieden nicht umfassend, sondern nur insoweit, als Deutschland in eine Konfliktsituation geraten könne. Die Gewährung von Überflug-, Bewegungs- und Transportrechten gemäß der Bereitschaft des Bundeskanzlers sei keine Beteiligung an einem Angriffskrieg, der außerdem begrifflich nicht geklärt sei. Der Ausbruch eines Krieges durch die Tathandlung müsse wahrscheinlich sein und sich der Vorsatz des Klägers hierauf erstrecken .

Diese Ausführungen sind zum Teil begründet. Unrichtig ist die Ansicht, dass der Begriff des Angriffskrieges nicht hinreichend geklärt sei und dass die Gewährung von Überflugrechten und dergleichen keine Teilhabe an einer Angriffshandlung sei. Hierzu wird auf die obigen Ausführungen verwiesen. Zu kritisieren ist auch, dass Interventionen aus humanistischen Gründen eine Angriffshandlung ausschließen könnten. Richtig ist dagegen, dass sowohl § 80 als auch § 80a auf Angriffskriege beschränkt sind, wohingegen Art. 26 Abs. 1 Satz I auch andere friedensgefährdende Handlungen umfasst. Außerdem verlangt § 80, dass der Täter durch seine Handlung die wahrscheinliche Gefahr eines Krieges für die Bundesrepublik herbeiführt und dies auch mit seinem Vorsatz umfasst . Dazu trifft Art. 26 Abs. 1 Satz I keine Regelung. In Fällen minderer Tatanteile wird deshalb in der Regel keine Bestrafung erfolgen können. Da § 80 StGB in den genannten beiden Punkten von der Vorgabe des Art. 26 Abs. 1 Satz 1 GG abweicht, sollte der Gesetzgeber über eine Korrektur des § 80 StGB nachdenken. Das wäre vor dem Hintergrund zunehmender friedensfeindlicher Aktionen in Teilen der Bevölkerung auch zeitgemäß.

Schlussmotto:

Wenn wir recht handeln und wenn zwischen jedem Menschen und jedem Volk  Gerechtigkeit herrscht, dann haben wir Frieden.

(Indianische Weisheit am Friedenstunnel in Bremen)

 

 

 

Der Artikel ist zuerst in dem Buch: „Wir sind noch einmal davongekommen“ Heidi Beutin/Hans Böttcher/Uwe Polkaehn im Verlag Ossietzky erschienen. Dort sind die Anmerkungen und das Literaturverzeichnis einzusehen. Der Artikel wird hier mit freundlicher Genehmigung des Verlags gespiegelt.

Bildbearbeitung: L.N.