42-Stunden-Woche: Eine antiquierte Scheinlösung

Um dem Fachkräftemangel zu begegnen, trommeln die Arbeitgeber nach der 42-Stunden-Woche. Dieser Vorschlag ist antiquiert. Längst leisten die Beschäftigten genug Mehrarbeit. Längere Arbeitszeiten würden nur ihre Gesundheit gefährden.

Stark steigende Energiepreise, Klimakrise und der heranrückende Corona-Herbst – an Themen, die gerade nach politischen und ökonomischen Antworten verlangen, mangelt es derzeit nicht. Doch stattdessen sehen sich das Institut der deutschen Wirtschaft (IW), Arbeitgeberverbände und Polit-Rentner aus Goslar dazu veranlasst, eine Debatte über die Verlängerung der Wochenarbeitszeit auf 42 Stunden vom Zaun zu brechen. Als Argumente müssen dafür der Fachkräftemangel und die Finanzierung der Sozialsysteme herhalten. Es heißt also mal wieder: Zurück in die Vergangenheit.

Beschäftigte leisten zu viele unbezahlte Überstunden

Trotz ständiger Wiederholung wird dieser Vorschlag nämlich nicht besser. Es handelt sich um eine antiquierte Scheinlösung, die auf Kollisionskurs mit der Realität ist. Schon jetzt leisten die Beschäftigten oft mehr als genug! In den letzten Quartalen haben sie bundesweit jeweils rund 400 Mio. Überstunden angesammelt, über die Hälfte davon unbezahlt (siehe Grafik). Wenn die Arbeitgeber ernsthaft um die finanzielle Lage der Rentenkasse besorgt sind, könnten sie als erstes ihre Gratismentalität bei der geleisteten Mehrarbeit ablegen.

Mehrarbeit gefährdet die Gesundheit

Eine 42-Stunden-Woche verbietet sich insbesondere, weil sie die Gesundheit der Beschäftigten leichtfertig aufs Spiel setzt. Frank Brenscheidt, Arbeitszeitexperte bei der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA), berichtet, dass bereits zwei Überstunden einen starken Einfluss auf Herzprobleme haben (hier). Laut Dirk Windemuth vom Institut für Arbeit und Gesundheit der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (IAG) erhöht sich nach mehr als acht Stunden das Unfallrisiko am Arbeitsplatz (hier). Und schon heute sind viele Arbeitskräfte so sehr am Limit, dass längere Arbeitszeiten eine gesundheitliche Gefahr darstellen.

Darüber hinaus zeigt das Arbeitgeberlager mit seinen Vorstellungen, wie weit es sich von der Lebenswirklichkeit der Menschen entfernt hat. Nach einer aktuellen Befragung lehnen fast drei Viertel eine 42-Stunden-Woche ab (hier). Inzwischen nehmen Wünsche nach der Vereinbarkeit von Familie, Freizeit und Beruf einen viel größeren Raum ein, Modelle wie die 4-Tage-Woche werden getestet und Arbeitszeiten öfter reduziert.

Maßnahmen gegen den Fachkräftemangel

Wer etwas gegen den Fachkräftemangel und für das Rentensystem unternehmen möchte, muss deshalb an anderen Stellschrauben drehen. Obwohl viele Frauen ihre Arbeitszeit gerne aufstocken wollen, stecken sie unfreiwillig in der prekären Minijob- und Teilzeitfalle fest. Dagegen hilft einerseits ein Ausbau der Kinderbetreuungsplätze. Gleichzeitig müssen sich die Betriebe aber grundsätzlich um ihre Attraktivität kümmern und auf vollwertige Arbeitsplätze zu Tarifbedingungen setzen. Es braucht eine Ausbildungsplatzgarantie für die Jugend, eine schnellere Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse und ausreichende Weiterbildungsmöglichkeiten. Indem Unternehmen und Staat ihre Investitionstätigkeiten ausweiten, lässt sich außerdem die Produktivität erhöhen.

42-Stunden-Woche geht zulasten der Beschäftigten

In Summe versprechen diese Maßnahmen wesentlich mehr Erfolg als die substanzlose und einseitig zulasten der Beschäftigten gehende Empfehlung aus der Arbeitgeber-Mottenkiste. Die 42-Stunden-Woche ist und bleibt ein Irrweg!

 

 

 

 

 

Quelle, Bild und weitere Infos:
#schlaglicht 27/2022: 42-Stunden-Woche: Eine antiquierte Scheinlösung (PDF, 296 kB)