56 Prozent der Unternehmen mit mehr als 500 Beschäftigten umgehen die Mitbestimmung

topelementDa war er aber selbst erstaunt: Walter Bayer hatte die Mitbestimmungsverhältnisse derjenigen Unternehmen untersucht, die aufgrund ihrer Mitarbeiterzahl von mehr als 500 Beschäftigten eigentlich der Drittelbeteiligung von Arbeitnehmern unterliegen und heraus gefunden, dass 56 Prozent dieser Unternehmen keinen Aufsichtsrat haben. Die gesetzliche Mitbestimmung ist für sie ein Fremdwort. Der Jenaer Wissenschaftler, der nicht als gewerkschaftsnah gilt und diese Studie auch nicht im Auftrag von Gewerkschaftsstiftungen erstellt hat, hält dieses Verhalten vieler GmbH-Vorstände für schlicht gesetzeswidrig und rechtspolitisch bedenklich.
Unter den Betrieben die die Mitbestimmung mit Füßen treten, sind auch so bekannte und werbestarke Unternehmen wie die Media-Saturn Deutschland oder das Reiseunternehmen Alltours.

Die Mitbestimmungsgesetze erklären die Mitbestimmung im Betrieb zu einem Rechtsanspruch der Arbeitnehmer.
Die Mitbestimmung von Betriebs- und Personalräten gilt in Betrieben und Verwaltungen mit mindestens fünf wahlberechtigten Arbeitnehmern.
Das Recht auf Mitbestimmung in unternehmerischen Fragen bzw. die Einrichtung eines Aufsichtsrates gilt nur in größeren Firmen, die in der Rechtsform einer Kapitalgesellschaft verfasst sind.
Das Drittelbeteiligungsgesetz (DrittelbG) aus dem Jahr 2004 gilt für Unternehmen mit mehr als 500 Beschäftigten. Diese Drittelbeteiligung ist die schwächste Ausprägung der Unternehmensmitbestimmung überhaupt und sieht eine Drittel-Beteiligung der Arbeitnehmer in den Aufsichtsräten von Aktien- und Kommanditgesellschaften auf Aktien, sowie die als GmbH verfassten Unternehmen mit bis zu 2000 Beschäftigten vor. So haben hier die Anteilseigner eindeutig das Sagen im Aufsichtsrat. Zwei Drittel der Sitze entfallen auf sie, ein Drittel auf die Arbeitnehmer.
Die Regelungen dieses Gesetzes betreffen aber nicht die Familiengesellschaften mit weniger als 500 Beschäftigten, sowie Aktiengesellschaften mit weniger als 500 Arbeitnehmern, wenn sie neu gegründet oder aus einer anderen Rechtsform umgewandelt wurden.

In der Jenaer Studie „Gesetzeswidrige Mitbestimmungslücken bei der GmbH“ wurde deutlich, dass mehr als jedes zweite, als GmbH verfasste Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitern die Drittelbeteiligung von Arbeitnehmern im Aufsichtsrat ignoriert und die Mitbestimmung völlig umgeht.
In den Bereichen Handel und Dienstleistungen werden die Mitbestimmung besonders häufig ignoriert, dort haben sogar mehr als zwei Drittel der Unternehmen keinen Aufsichtsrat. In der Industrie ist das Problem zwar etwas geringer, aber mit 37 Prozent dennoch immer noch hoch.
Exakte Zahlen für die Mitbestimmungsschwelle waren auch bei dieser Untersuchung schwer zu ermitteln, da leitende Angestellte als Mitarbeiter nicht mitgezählt werden dürfen, dagegen die Teilzeit- und Aushilfskräfte voll mitzählen. Unberücksichtigt bleiben bei den Untersuchungen auch die Unternehmen, die dem sogenannten Tendenzschutz unterliegen, wie etwa karitative/kirchliche Unternehmen oder Verlage als Teil der politischen Meinungsbildung.

Gerade die Mitbestimmungsforschung ist ein äußerst umstrittenes Forschungsfeld.
Seit einigen Jahren gibt es zwar Studien zum Stand der Arbeitnehmerbeteiligung, diese sind aber in der Fachwelt umstritten. Die Analysen verwenden keine Primärquellen und verlassen sich auf die Hoppenstedt-Datenbank (Hoppenstedt war ein deutscher Informationsdienstleister, der Firmeninformationen und Geschäftsadressen für Vertrieb und Marketing verkaufte und Kredit- und Risikoanalysen erstellte. Anm. L.N.), ohne dass die Daten mit aktuellen Handelsregisterdaten und Jahresabschlüssen abgeglichen wurden.

Die Jenaer Studie war deshalb anderes aufgebaut. Es wurden nur GmbHs mit rund 1.000 Arbeitnehmern herausgefiltert, um genügend Abstand zur 500er-Schwelle zu bekommen, obwohl die Unternehmen ab 501 Mitarbeitern der Drittelbeteiligung von Arbeitnehmern im Aufsichtsrat unterliegen und der ab dieser Beschäftigtenzahl rechtlich zwingend gebildet werden muss. Dann nutzte die Studie Angaben aus der Unternehmensdatenbank Amadeus, die europaweit Finanzinformationen von Unternehmen speichert und ging Hinweisen nach, welche Einzelabschlüsse von Unternehmen aus dem Jahr 2013 veröffentlicht vorlagen.
Das Drittelbeteiligungsgesetz (DrittelbG) sollte mal genauer unter die Lupe der Politik genommen werden, weil dort vieles im Argen liegt.
Bei der Drittelmitbestimmung haben im Gegensatz zur 76er-Mitbestimmung die Gewerkschaften kein Vorschlagsrecht für Aufsichtsratsmitglieder und bleiben somit formaljuristisch außen vor. Bei einem Verstoß gegen die Drittelbeteiligung können Betriebsräte zwar in einem Statusverfahren vor Gericht die Pflicht zur Mitbestimmung feststellen lassen, doch das Verfahren ist teuer und aufwendig. Bei der hohen Zahl von Unternehmen, die die Drittelbeteiligung ignorieren, ist diese Überprüfungshürde ein Witz.
Im Mitbestimmungsgesetz werden für den Schwellenwert, bezogen auf eine Muttergesell-schaft, auch die Arbeitnehmer von Tochtergesellschaften mitgezählt. Die Beschäftigten der Tochtergesellschaft müssen mitgezählt werden, wenn über die Mitbestimmung im Aufsichtsrat der Muttergesellschaft entschieden wird.
Diese Rechnungsweise wird Konzernzurechnung genannt und gilt im Drittelbeteiligungsgesetz jedoch nicht, wenn kein Beherrschungsvertrag besteht. (Ein Beherrschungsvertrag ist ein zwischen einer inländischen Aktiengesellschaft oder Kommanditgesellschaft auf Aktien mit einer in- oder ausländischen Gesellschaft mit beliebiger Rechtsform geschlossener Unterneh-mensvertrag, der die Leitung der inländischen Gesellschaft dem anderen Unternehmen unterstellt. Anm. L.N.). Dies führt dann dazu, dass Unternehmen überhaupt keine Arbeitnehmerbeteiligung im Aufsichtsrat haben, obwohl ein Konzern knapp unter 2000 Beschäftigte hat.

Verschärft wird das ganze Problem zusätzlich noch durch die Europäische Aktiengesell-schaftsform (SE), weil sich ein Unternehmen, wie die Praxis zeigt, kurz vor dem Erreichen des Schwellenwertes von 2000 Beschäftigten einfach in eine SE umwandeln kann, womit der mitbestimmungsfreie Zustand auf Dauer festgeschrieben wird.

 
Quellen: Walter Bayer, Thomas Hoffmann: Gesetzeswidrige Mitbestimmungslücken bei der GmBH ,GmbH-Rundschau, 17/2015 ,Hans Böckler Stiftung
Bild: zuonline.ch