Krisengewinner: Gläubiger im Insolvenzverfahren – Geld und Ware sind nicht weg, sie sind nur woanders

Im Jahr 2019 meldeten in Deutschland 19.005 Firmen Insolvenz an und es gab 86.838 Privatinsolvenzen. Für das Jahr 2020 rechnen Experten mit mindestens zehn Prozent mehr mit einer Schadenssumme von insgesamt 223,5 Milliarden Euro, rund 7 Millionen Privatpersonen über 18 Jahre konnten als überschuldet oder nachhaltig zahlungsgestört eingestuft werden. Die durchschnittliche Schadenssumme je Insolvenzfall betrug für die privaten Insolvenzgläubiger, dazu zählen beispielsweise Banken, Lieferanten und sonstige Kreditgeber, 910.000  Euro. Zu den Leidtragenden einer Insolvenz zählen fast immer auch die Beschäftigten des insolventen Unternehmens. Die Zahl der betroffenen Arbeitsplätze summierte sich deutschlandweit auf  218.000.

Aber es gibt in den Insolvenzverfahren auch Gewinner, dazu gehören vor allem die Gläubiger.

Die Schulden der einen sind das Vermögen der anderen

Die Binsenweisheit, dass die Schulden der einen das Vermögen der anderen sind, ist zwar allgemein gesehen richtig, allerdings kommt es darauf an, unter welchen sozio-ökonomischen Bedingungen diese Prozesse stattfinden.

In den Gesellschaften, in denen kapitalistische Produktionsverhältnisse dominant sind, entspringt das zinstragende Kapital der Zirkulation des industriellen Kapitals. Eine Bewegung des industriellen Kapitals ist ohne Kredit gar nicht möglich. Immer wenn Waren von einem Unternehmen verkauft werden, fließt vorgeschossenes Kapital, also die Investition in die Herstellung dieser Waren, zurück. Es wird aber nicht sogleich wieder als Kapital in eine nächste Runde der Warenproduktion investiert.

Statt auf die nächste Runde der Warenproduktion zu warten, kann das zurückfließende Kapital zunächst als zinstragendes Kapital verwendet werden. Das ist sogar notwendig, um den Gesamtprozess am Laufen zu halten.

Irgendwer gewährt immer Kredite, um

  • die nächste Runde in Gang zu setzen,
  • die neue Technik zum Einsatz zu bringen,
  • die Produktion auszuweiten

oder die Profitrate zu erhöhen.

Mithilfe des Kredits können sich die Kapitalisten dabei sowohl als Kreditgeber als auch als Kreditnehmer bereichern. Wenn aber die Angehörigen der subalternen, also der niedrigen Klassen zu Kreditnehmern werden, werden Teile ihrer Einkommen dann als Zinszahlungen kapitalisiert und es bilden sich Ausbeutungsverhältnisse. Der Kredit kann somit den einen noch reicher machen und den anderen nie. Es sei denn, er wird auch zum Kapitalisten.

Durch ein Insolvenzverfahren werden nicht Geld und Werte verbrannt, sondern es ändert sich etwas an ihrer Zirkulation. Für die einzelnen finanzkräftigen Unternehmen bieten die Insolvenzen der anderen zusätzlich die Möglichkeit, im Rahmen der Konkurrenz und der Steigerung des Profits eine privilegiertere Marktstellung zu erhalten.

Gläubiger

Der Begriff des Gläubigers kommt vom italienischen Wort creditore, das auf das lateinische  credere ‚glauben‘ zurückgeht. Demnach glaubt ein Gläubiger seinem Schuldner, dass dieser die Schuld erbringen wird.

Im Schuldrecht wird als Gläubiger bezeichnet, wer von einem anderen, dem Schuldner, eine Leistung fordern kann. Die Rechtsbeziehung zwischen Gläubiger und Schuldner wird als Schuldverhältnis bezeichnet.

Stärkung der Gläubigerrechte

Bis zur letzten „Reform“ der Insolvenzordnung im Juli 2014 war dieses Schuldverhältnis im Großen und Ganzen recht ausgeglichen. Mit der Einführung des „Gesetzes zur Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens und zur Stärkung der Gläubigerrechte“ verschob sich das Verhältnis zugunsten der Gläubiger, dank ihrer guten Lobbyarbeit in Berlin.

Um die Akzeptanz der möglichen Verfahrensverkürzung zu erreichen, wurden den Gläubigern einige Zugeständnisse gemacht. Das Gesetz sieht nun neue Ausnahmen von der Restschuldbefreiung vor, wie rückständige Unterhaltsansprüche, die der Schuldner pflichtwidrig nicht gewährt hat oder Schulden aus einem Steuerschuldverhältnis, wegen denen der Schuldner strafrechtlich nach §§ 370, 373 oder 374 der Abgabenordnung (AO) rechtskräftig verurteilt worden ist.

Auch wurden die Versagungsgründe neu geregelt. Für unredliche Schuldner wird im Falle von Eigentums- und Vermögensdelikten die Restschuldbefreiung erschwert. Außerdem ist die Restschuldbefreiung zu versagen, wenn der Schuldner seine Erwerbsobliegenheit verletzt, die künftig im gesamten Zeitraum des Verfahrens besteht.

Seit 2014 kann die Restschuldbefreiung künftig leichter widerrufen werden, wenn nachträglich ein Versagungsgrund bekannt wird.

Im alltäglichen Umgang ist die Kommunikation mit den Gläubigern durch ihre bessere Stellung  komplizierter geworden. So werden gegenüber den Schuldnern und deren Vertretern Informationen zurückgehalten, Anfragen nicht beantwortet, Forderungsaufstellungen erst nach Monaten übersandt, Nonsensvergleiche angeboten, Forderungen weiterverkauft, was die Nachverfolgung und Prüfung erschwert und häufiger Gläubigerinsolvenzanträge gestellt.

Insgesamt ist die Vergleichsbereitschaft aufseiten der Gläubiger zurückgegangen, auch deshalb, weil sie vom Gesetzgeber und von den Gerichten viele Zugeständnisse erhalten haben.

Ausfall einer Kapital­forderung führt zu einem Verlust, der vom Finanzamt steuerlich berücksichtigt werden muss

Das höchste Finanz­gericht hat entschieden, dass der endgültige Ausfall einer Kapital­forderung eines Gläubigers zu einem Verlust führt, der vom Finanzamt steuerlich berücksichtigt werden muss. Konkret bedeutet das, wer als Gläubiger sein Geld nicht zurückbekommt, muss weniger Einkommensteuer zahlen.

Im konkreten Fall hatte ein Ehepaar aus Nordrhein-Westfalen im Jahr 2010 rund 24.000 Euro gegen fünf Prozent Zinsen verliehen. Der Schuldner hatte mehr als 19.000 Euro nicht zurückgezahlt und schlussendlich Insolvenz angemeldet. Das örtliche Finanzamt hatte die 19.000 Euro Einbuße nicht als Verlust anerkannt. Das Ehepaar zog vor Gericht und hatte nun in der letzten Instanz Erfolg.

Mit dem Urteil vom  24.10.2017 – AZ VIII R 13/15 – wurde die Neuorientierung des Bundes­finanz­hofs (BFH) deutlich, denn bisher fanden sich Gläubiger steuerlich in einer unerfreulichen Lage, wenn ihre Schuldner nicht mehr zahlten: Sie mussten für verliehenes Geld Steuern bezahlen, auch dann, wenn die Schuldner nichts oder nur einen Teil zurück­gezahlt hatten.

Laut BFH hat sich die Rechtslage mit der Einführung der Abgeltungsteuer 2009 geändert. Danach gilt die früher übliche Trennung von Vermögen und Gewinnen bei der Versteuerung von Kapitalerträgen nicht mehr. Die Abgeltungssteuer ist eine Quellensteuer, die die Einkommensteuer abgilt. Hierdurch wird eine Veranlagung des Steuerschuldners überflüssig. Die bekannteste Abgeltungssteuer ist die Abgeltungssteuer auf Kapitalerträge, auch der Steuerabzug von Vergütungen von Aufsichtsräten wird als Abgeltungsteuer bezeichnet.

Der endgültige Ausfall einer Kapitalforderung führt nach Ansicht des BFH seit der Einführung der Abgeltungssteuer zu einem steuerlich anzuerkennenden Verlust in der privaten Vermögenssphäre. Ein für die Steuer relevanter Verlust aufgrund eines Forderungsausfalls liegt erst dann vor, wenn endgültig feststeht, dass über schon gezahlte Beträge hinaus keine weiteren Rückzahlungen mehr erfolgen werden.

Die Finanzämter erkannten diese Einbußen bisher nicht als Verlust an und auch sie müssen nun umdenken, denn gemäß dem Urteil gilt ja die früher übliche Trennung von Vermögen und Gewinnen bei der Versteuerung von Kapitalerträgen nicht mehr. Der BFH legt nun fest, dass die Finanzämter nicht zurückgezahlte faule Kredite steuerlich ebenso anerkennen müssen, wie Verluste beim Verkauf von Forderungen.

Nach diesem Urteil werden bei den vermögenden Geldverleihern, Spekulanten und der Finanzbranche insgesamt die Sektkorken geknallt haben. Wenn sie Geld verlieren, haftet der Staat und für die Steuerausfälle muss bei den Staatsausgaben gespart werden.

 

 

Quellen: Statistisches Bundesamt, AG Schuldner- und Insolvenzberatung,Stadt Dortmund, Creditreform, schulnderatlas, BFG
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