Armut hat viele Gesichter. Ausbeutung auch. Und es gibt sie auch in einem reichen Land wie Deutschland. Betroffene schildern, wie ihnen grundlegende Rechte vorenthalten werden. Und wie im Ernstfall keiner etwas davon wissen will.
Die Datenlage ist schwierig. Wie viele Millionen Menschen in Europa ihr Land verlassen, um in einem anderen Land zu arbeiten, ist schwer zu erfassen. In der Pandemie kehrten zudem viele Wanderarbeitende gezwungenermaßen zurück in ihre Heimatländer. Eines aber lässt sich sagen: Die Lebens- und Arbeitsbedingungen sind oft schlecht.
Schon vor vielen Jahren schrieb die gewerkschaftsnahe Hans-Böckler-Stiftung, dass auch in Deutschland europäische Werte von sozialer Absicherung und menschenwürdiger Unterkunft mit Füßen getreten würden. Hat sich daran bis heute etwas geändert?
„Belgien, Tschechien, Zypern, Italien“ – Constatin zählt die europäischen Länder auf, in denen er in den letzten Jahren als Wanderarbeiter auf Baustellen gearbeitet hat. Alexandru Firus sitzt gemeinsam mit dem 41 Jahre alten Rumänen in einer türkischen Imbissbude in einem Arbeiterstadtteil von Frankfurt am Main. Es gibt Tee; Alexandru übersetzt: „Ich hätte gedacht, es ist genauso wie Belgien, Italien, Zypern, wo es in Ordnung war.“
Aber, nichts ist in Ordnung in Frankfurt am Main für Constatin. Er sagt: Er hätte nie geglaubt, dass auf einer deutschen Baustelle Menschen körperlich verschlissen werden um einen Kran, der eigentlich nötig wäre, einzusparen: „Um diesen Mangel auszugleichen, muss er richtig anpacken. Genau mit seinen Worten: Wieso noch einen Kran mieten, weil sie haben diese dummen Rumänen, die ihren Rücken krummmachen.“
Alexandru Firus, der das Gespräch mit Constatin möglich gemacht hat, hat in Frankfurt am Main Wirtschaftsgeografie studiert und arbeitet für das PECO-Institut e.V., das sich auf seiner Internet-Seite als „gewerkschaftsnaher Bildungsträger“ vorstellt. Das Institut berät Wanderarbeiterinnen und Wanderarbeiter aus Osteuropa.
Häufig kein Schutz durch Tarifverträge
Rund 50.000 rumänische Bauarbeiter, so schätzt Alexandru Firus, arbeiten zurzeit auf deutschen Baustellen – häufig ohne den Schutz von Tarifverträgen. Firus beobachtet, dass die nicht selten von Serben kontrollierten Firmen den rumänischen Arbeitern etwa Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, sowie Urlaubs- oder Kindergeld verweigern.
Auch würden die Bauarbeiter in großem Umfang zur Schwarzarbeit gezwungen, sagt er: „Ich würde sagen, das ist deutschlandweit. Solche Geschichten mit unbezahltem Urlaub hören wir aus Freiburg, Mannheim, hören wir aus Bayern, wir haben das gleiche Gefüge einer Mafia.“
Auch die deutschen Zollbehörden sprechen von „organisierter Kriminalität“ auf dem Bau – mit einem Schwerpunkt in Hessen und dem Rhein-Main-Gebiet. Noch im Herbst letzten Jahres ließen das Hauptzollamt Gießen und die Staatsanwaltschaft Kassel mehr als 500 Einsatzkräften von Zoll, Polizei und Steuerfahndung zeitgleich 44 Wohnungen und Geschäftsräume mit Schwerpunkt in Hessen durchsuchen. Das Hauptzollamt Gießen teilte dazu schriftlich mit:
Der Bande wird gewerbsmäßiger Betrug sowie Hinterziehung von Steuern und Sozialabgaben in Millionenhöhe vorgeworfen. Sie sollen Bauaufträge im gesamten Bundesgebiet mit Schwarzarbeitern und illegalem Personal ausgeführt und so den Sozialkassen und dem Fiskus Sozialversicherungsbeiträge und Steuern in Höhe von rund 2,5 Millionen Euro vorenthalten haben.“
Androhung von körperlicher Gewalt
Die Haupt-Leidtragenden dieser Kriminalität sind die Wanderarbeitenden. Denen werde bisweilen auch körperliche Gewalt angedroht, wenn sie mit dem Zoll zusammenarbeiten, schildert Alexandru Firus vom PECO-Institut. Er übersetzt das, was ein rumänischer Bauarbeiter schildert, der unerkannt bleiben möchte: „Ein Serbisch-Stämmiger habe ihm gesagt: Hey, wir sind seit 20 Jahren hier, ihr seid Neuankömmlinge, mit dem Zweck, ihm deutlich werden zu lassen, wer hier herrscht. Auf dieser Baustelle.“
Große Baufirmen, die auch öffentliche Aufträge erhalten, lassen sich jedoch immer wieder auf Verträge mit zweifelhaften Subunternehmen ein, weil sie damit ihre Angebote an die Auftraggeber günstiger gestalten könnten, so Alexandru Firus. Für die rumänischen Bauarbeiter, die unter diesen Strukturen leiden, zu denen auch oft karge Unterkünfte gehören, sei das sehr frustrierend: „Die sehen sich als Opfer und als unterdrückte Gruppe.“
Die von den deutschen Behörden zu schlecht geschützt werde – auch in den Wohnheimen, in denen sie oft von den Baufirmen untergebracht werden. Alexandru Firus hat Constatin dabei geholfen, bei der Frankfurter Polizei einen Diebstahl in seinem Wohnheimzimmer anzuzeigen, in den womöglich auch eine Baufirma verwickelt war.
Seine These zum Überfall auf den 41-jährigen Wanderarbeiter aus Rumänien: „Er hat in einer Firmenunterkunft gewohnt, aber es war nicht die Unterkunft der Firma, sondern sie wurde von einer anderen Firma angemietet. Und diese andere Firma hat kurzfristig neue Leute eingestellt aus dem Ausland. Auf einmal haben die begriffen: Okay, wir haben nicht genug Unterkunftsmöglichkeiten für diese Leute. Oh – wir haben doch dieses Haus da. Aber das ist untervermietet. Egal. Dann sind sie eingebrochen.“
Während Alexandru Firus berichtet, zeigt mir Constatin ein Handy-Foto von der eingeschlagenen Tür seines Zimmers: „Die haben die untervermieteten Leute rausgeschmissen mit den Sachen und noch dazu ausgeraubt.“
Deutlich schlechter bezahlt als Deutsche
Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main laufen noch, erfährt der Deutschlandfunk auf Nachfrage. Lea-Maria Löbel arbeitet für die Internationale Arbeitsorganisation ILO, einer Sonderorganisation der Vereinten Nationen mit Sitz in Genf. Die ILO hat 187 Mitgliedstaaten, die mit der gleichen Anzahl von Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertretungen zusammenkommen, um gemeinsame internationale Arbeits- und Sozialstandards zu erreichen.
Gerade die EU-Länder profitieren stark von den Wanderarbeitenden auf dem Kontinent, so Löbel: „24 Prozent der Arbeitsmigrantinnen und Migranten sind in Nord-, West- und Südeuropa angesiedelt. Sie machen dort 18,4 Prozent der Erwerbsbevölkerung aus. Und sie haben auch eine viel höhere Arbeitskraft-Beteiligung als die erwerbsfähige Bevölkerung hier. Das heißt, sie gehen dahin wo Arbeit ist und wo sich für sie Arbeit lohnt und wir profitieren zum Beispiel hier in Deutschland davon, dass sie einen Teil der Infrastruktur mit stemmen, sei es im Gesundheitssektor, im Transportwesen, im Agrarbereich oder im Bausektor.“
Lea-Maria Löbel bestätigt das, was auch die Bauarbeiter in Frankfurt am Main berichten: Sie werden auf den Baustellen deutlich schlechter bezahlt als die wenigen Deutschen, die noch dort arbeiten: „Wir haben in der ILO dazu auch Daten erhoben, wie Migrantinnen und Migranten im Vergleich zur Bevölkerung selbst bezahlt werden und haben dort rausgefunden, dass global gesehen Arbeitsmigrantinnen und Migranten zirka 12 bis 13 Prozent weniger Lohn pro Stunde verdienen, als die Staatsangehörigen in den Ländern, in denen sie arbeiten und zwar vor allem in den Hocheinkommensländern. Man könnte jetzt erstmal meinen: Okay, Migrantinnen und Migranten haben vielleicht einen niedrigeren Bildungsstand und sie haben weniger Sprachkenntnisse und sind dementsprechend auch anders eingebunden in der Arbeitswelt. Gleichwohl verfügen viele von ihnen tatsächlich über höhere Grundqualifikationen und die können sie dann in dem Land, in dem sie eingestellt werden, nicht gewinnbringend einbringen. Das ist definitiv etwas, was wir in den Daten sehen.“
Kriminelle Machenschaften
Die seit 1996 gültige Europäische Entsenderichtlinie für alle Beschäftigten im EU-Binnenmarkt fordert soziale Mindeststandards für ausländische Firmen, die hierzulande aktiv sind. Doch in der Baubranche sind es vor allem in Deutschland angemeldete Firmen, die das betreiben, was eine Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung bereits im Titel „Geschäftsmodell Ausbeutung“ nennt:
„Auf dem deutschen Arbeitsmarkt haben sich düstere Nischen gebildet, wo die grundlegendsten sozialen Errungenschaften für mobile Beschäftigte aus östlichen EU-Ländern nicht mehr gelten. In dieser Schattenwelt diktieren Arbeitgeber willkürlich die Wochenarbeitszeit, umgehen trickreich Mindestlöhne, verändern abgeschlossene Verträge nach Belieben nachträglich, kürzen systematisch Löhne oder unterschlagen sie, zahlen keine Lohnfortzahlungen bei Krankheit oder Urlaub und gewähren keinen Kündigungsschutz.“
Die Bauarbeiter wehren sich auch deshalb oft nicht gegen diese kriminellen Machenschaften, weil die Arbeitgeber ihnen auf der anderen Seite ein paar Euro pro Stunde als Schwarzgeld anbieten. Ein Bauarbeiter, der seinen Namen nicht nennen will: „Er meint, wir Rumänen sind hier in Deutschland, um Geld an die Familien zu überweisen. Und deswegen nehmen wir auch, was uns schwarz angeboten wird. Wir brauchen das Geld, deswegen sind wir hier. Das ist auch ein Grund, warum sie sich nicht dagegen wehren.“
Gegen die Arbeitgeber, die ihnen etwa eine Lohnfortzahlung im Krankheitsfall verweigern oder ausreichende Arbeitssicherheit auf der Baustelle. „Er meint: Wir bauen Deutschland auf, aber was haben wir davon? Er fühlt sich wie im Krieg, weg von der Familie, nur unter Männern, weit weg, in sehr prekären Umständen.“
In der Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung mit dem Titel „Geschäftsmodell Ausbeutung“ wird von einem Fall aus Frankfurt am Main berichtet, bei dem sich 13 rumänische Bauarbeiter einmal gemeinsam gegen die Entwürdigung wehrten: „Anwerber hatten den Rumänen einen Arbeitsvertrag versprochen, der ihnen 1.200 Euro im Monat einbringen sollte, außerdem sicherte man ihnen freie Unterkunft, Transport und Verpflegung zu. In Deutschland jedoch wurde ihnen alles vom Lohn abgezogen: Es blieben 1,09 Euro pro Stunde. Die Bauarbeiter waren zuerst in einer leeren Fabrikhalle untergebracht, in der sich 50 Arbeiter eine Toilette teilten, anschließend übernachteten die 13 in einer einzigen Dreizimmerwohnung.“
Dann legten sie die Arbeit nieder. Heute wird Wanderarbeitenden in Frankfurt am Main in kargen Wohnheimen ein Schlafplatz für 300 Euro vermietet – im Mehrbettzimmer. Bad und Toilette auf dem Gang müssen sich die Arbeiter elf Monate mit acht anderen Männern teilen. Bevor sie dann einmal im Jahr für ein paar Wochen nach Hause fahren – ohne Urlaubsgeld. Dennoch sind die vielleicht 1.000 bis 1.500 Euro, die monatlich an die Familien in Rumänien überwiesen werden können, so wichtig, dass die Arbeiter die meist lange Abwesenheit von zuhause ertragen – oft aber nur mit viel Alkohol. Alexandru Firus führt mich in ein Zimmer mit zwei Betten, in dem ein angetrunkener Bauarbeiter auf die Frage antwortet, wie sein Leben hier ist: „Traurig und bitter.“ – „Warum?“ Der Bauarbeiter antwortet auf Deutsch: „Keine Familie hier, keine Kinder. Und die Chefs vom Rohbau – alles Arschlöscher, ja! Für mich ist Deutschland nicht mein Haus.“
Appelle an die Stadt Frankfurt
Ortswechsel. Im Büro des Europäischen Vereins für Wanderarbeiterfragen in Frankfurt am Main sitzt die 42 Jahre alte Bulgarin Borislava Ivanova. Im vergangenen Jahr wurde ihr Chef verhaftet – er betrieb eine Reinigungsfirma, die viele Gebäude der Stadt Frankfurt am Main betreute. Borislava Ivanova reinigte vor allem ein Städtisches Gymnasium, bevor ihre Firma in den Blick der Zollfahndung geriet. Wie im Baugewerbe, geht es auch hier um den Verdacht, das Steuern und Sozialabgaben in Millionenhöhe nicht gezahlt wurden. Die Firma ging pleite, seit einem Jahr wartet Borislava Ivanova auf Lohnzahlungen, die ihr noch zustehen.
Sie appelliert nun an die Stadt Frankfurt am Main, deren Gebäude sie jahrelang gereinigt hat: „Ich sage so: Muss die Stadt Frankfurt antworten. Warum zahlt die Stadt Frankfurt nicht mein Geld? Ich habe immer für die Stadt die Grundreinigung gemacht, die sagten `Danke schön´ Wo ist jetzt die Stadt Frankfurt?“
Am Schreibtisch gegenüber sitzt Velislava Firova. Die bulgarische Rechtsanwältin arbeitet als Beraterin im vom Bund geförderten Projekt „Faire Mobilität“ des Europäischen Vereins für Wanderarbeiterfragen. Sie hat für mehrere Gebäudereinigungskräfte, die durch die Verhaftung des Firmenchefs bisher nicht an noch ausstehende Löhne kamen, den Brief an die Stadt Frankfurt am Main geschrieben. Die Verwaltung also, für die die Leute geputzt hatten: „Wir haben das Geld für die geleisteten Stunden gefordert, wie es das Gesetz vorgeschrieben hat.“
Der allerdings im Gefängnis sitzt. Nicht nur auf den Lohn für ihre Arbeit warten die Reinigungskräfte auch ein Jahr später noch – monatelang bekamen sie auch ihre Arbeitspapiere nicht zurück und konnten damit nur schwer eine neue Beschäftigung aufnehmen. Velislava Firova zeigt dem Deutschlandfunk ein Schreiben der Stadt Frankfurt am Main, in dem den Betroffenen mitgeteilt wird, dass die Stadt für die Probleme von externen Dienstleistungsfirmen nicht zuständig sei. Die bulgarische Rechtsanwältin will das nicht hinnehmen: „Warum müssen diese Leute vor Gericht gehen, um diese Situation zu klären? Wir würden uns freuen, wenn jemand mit uns sprechen will.“
In den Fängen dubioser Firmen
Die Frankfurter Rechtsanwältin Velislava Firova erklärt, warum immer wieder bulgarische Arbeiterinnen und Arbeiter in die Fänge dubioser Gebäudereiniger-Firmen geraten. Es seien nicht zuletzt Roma, die von den Anwerbern aus Deutschland ausgenutzt werden: „In Bulgarien gibt es bestimmte Regionen, wo es große Arbeitslosigkeit gibt. Und oftmals werden Leute aus solchen Regionen ausgenutzt.“
Anwerber kommen direkt in kleine Dörfer und versprechen den Menschen, die nach Westeuropa kommen wollen, eine Art `Rundum-Sorglos-Paket´. Sie habe das einmal selbst erlebt, berichtet Velislava Firova: „Jemand kam in eine kleine Stadt und warb Mitarbeiter für Holland, für die Landwirtschaft. Genau so funktioniert es: Es kommt jemand, der schon hier Kontakte zu den Arbeitgebern hat und das sind dann meistens Arbeitgeber, die nicht ganz korrekt sind. Sie sagen zum Beispiel: Ich brauche für Deutschland 20 Männer für den Bau. Und Wohnung und alles ist zur Verfügung gestellt. Und das ist der Teufelskreis, mit dieser Aussage, alles ist zur Verfügung gestellt.“
Denn das bedeutet auch totale Abhängigkeit von Firmen. Denn es fehlen die Sprachkenntnisse, um sich gegen die drohende Ausbeutung zur Wehr zu setzen: „Ich hatte schon solche Meldungen: Frau Firova, wir bekommen schon drei Monate kein Gehalt, aber wir können nichts sagen, weil der Chef sagt: Morgen fährst Du nach Bulgarien zurück. Und es ist sehr schwierig, in dieser Situation eine passende Lösung zu finden.“
Anwerbeverfahren soll transparenter werden
Die Internationale Arbeitsorganisation ILO sieht es kritisch, wenn Wanderarbeitende neben der Arbeit auch die Unterkunft von der Firma bekommen, bei der sie beschäftigt sind. Grundsätzlich gäbe es internationale Regelungen, die eine menschenwürdige Unterkunft fordern, so Lea-Maria Löbel: „Zum Beispiel im Übereinkommen 97 über Wanderarbeit. Dort geht es ganz klar darum gute Unterkünfte bereitzustellen, wenn Unterkünfte bereitgestellt werden. Ein weiterer Punkt ist natürlich bei dieser Unterkunft, das Arbeitgeber dafür Geld bekommen, das heißt, einen Teil des Lohnes direkt einbehalten. Und das ist natürlich auch eine schwierige Praxis, so ist man ja auch in Abhängigkeit. Zum einen, weil der Lohn direkt gemindert wird, Und angenommen, man wehrt sich, man will für den Arbeitgeber nicht mehr arbeiten, dann ist man auch ganz schnell seine Unterkunft los, das ist natürlich wahnsinnig belastend, das trauen sich dann viele nicht.“
Die ILO konzentriert sich in ihrer Arbeit darauf, die Anwerbeverfahren in der internationalen Wanderarbeit transparenter und für Behörden kontrollierbarer zu machen. Auch die 50-Jahre alte Ralitsa Miladinova und ihr 55 Jahre alte Mann Svetoslav haben jahrelang kommunale Gebäude und auch das Deutsche Architekturmuseum in der Mainmetropole geputzt. „Kitas und Schulen hier in Frankfurt.“
Bevor ihre Firma insolvent war und sie ihren Löhnen hinterherlaufen mussten. Genauso wie die 44 Jahre alte Fani Mihova Sasheca und ihr gleichaltriger Mann Alyosha. Eine Gruppe bulgarischer Roma wurde ebenfalls um ihren Lohn geprellt, so die Rechtsanwältin Velislava Firova: „Sie sind wirklich nicht alphabetisiert. Aber sie haben viel gearbeitet. Sie haben die Toiletten in den U-Bahnstationen in Frankfurt sauber gemacht und zwar viele Stunden geleistet.“
Für ihre ganze Familie sei die Verhaftung ihres Chefs ein großes Unglück gewesen, erzählt Gebäudereinigerin Borislava Ivanova. Denn vier Familienmitglieder hätten am Ende bei der Firma gearbeitet – alle haben ihren Job verloren. Die Familie konnte die Miete für die Wohnung nicht mehr bezahlen. Sie lebt nun mit ihrem 17 Jahre alten Sohn in einer Ein-Zimmer-Wohnung, der Rest der Familie musste notgedrungen wieder nach Bulgarien zurückkehren. „Vier Monate lebe ich jetzt auf einem Zimmer, das geht nicht. Mein Sohn ist 17 Jahre alt.“
In Belgien sei der Arbeitsschutz besser
Der rumänische Bauarbeiter Constatin will keinesfalls auf Dauer in Deutschland bleiben. Vielleicht wandert er nach Belgien weiter. Dort war er schon einmal, hat im Hafen von Antwerpen gearbeitet. In Belgien gab es besseren Arbeitsschutz, sagt er. Die Löhne wurden überdies pünktlich und korrekt ausgezahlt – anders als oft in Deutschland. Doch bevor er Frankfurt am Main endgültig verlässt, will Constatin noch um das Geld kämpfen, das ihm hier noch zusteht: „Er will jetzt gerichtlich vorgehen gehen gegen ehemalige Arbeitgeber, die Sachen von ihm einbehalten haben. Er will das klären. Er sagt, wenn diese offenen Fragen nicht gewesen wären, dann wäre er nicht nach Deutschland zurückgekommen.“
Alexandru Firus, der Mitarbeiter des PECO-Institut für nachhaltige Regionalentwicklung in Europa hält es für dringend erforderlich, dass mehr Beraterinnen und Berater mit Sprachkenntnissen für die Betreuung der europäischen Wanderarbeitenden eingestellt werden. So sieht das auch die Internationale Arbeitsorganisation ILO. Auch sie plädiert für einen europaweiten Ausbau des Beratungsnetzes für Wanderarbeitende. Lea-Maria Löbel: „Das heißt wir müssen – und da sind die Mitgliedstaaten gefragt – Infrastrukturen schaffen, die an allen Punkten zu jedem Zeitpunkt Informationen bereitstellen, Hilfsmöglichkeiten bereitstellen.“
Und diese Strukturen seien teilweise bereits da und teilweise noch nicht. In der hiesigen Gebäudereinigungs- und Baubranche müsse jedenfalls dringend mehr gegen Ausbeutung geschehen, sagen die Fachleute vor Ort.
Mehr zu Arbeitsbedingungen von Wanderarbeitern in Deutschland:
- „Menschen landen in Sklaverei ähnlichen Situationen“
- Wanderarbeiter: Ausgebeutet und ausgegrenzt
- Initiative gegen Ausbeutung
Grafik und Quelle: https://www.deutschlandfunk.de/vom 21.03.2022