Das Vermögensgeflecht – Die heimlichen Herrscher des Finanzsystems verfügen über eng geknüpfte Seilschaften

Von Werner Rügemer

„Konkurrenz belebt das Geschäft“, heißt es. Wettbewerb ist stressig, aber im Idealfall auch fair. Die Besten setzen sich durch, und Wettbewerber spornen sich durch den Vergleich stets zu Höchstleistungen an. So weit die Theorie. Hinter den Kulissen wird der Wettbewerb aber andauernd umgangen, haben wenige mächtige Akteure überall ihre Finger im Spiel. Über Unternehmensbeteiligungen zum Beispiel. Vereinfacht ausgedrückt, konkurrieren bestimmte Absahnerfirmen meist nur mit sich selbst und kontrollieren sich auch selbst. Die Verlierer sind oft die Verbraucher, Umwelt und Sozialstandards. Dabei widerspricht das Fehlen von wirklicher Konkurrenz und echten Alternativen dem Ideal des kapitalistischen Wirtschaftens, das nach außen hin laut tönend vertreten wird. Überall lassen „BlackRock“, „Vanguard“ & Co diskret die Puppen tanzen — Regierungen, Leitmedien und auch Gewerkschaften schweigen komplizenhaft.

„BlackRock“ ist der größte Vermögensverwalter der Welt — davon hat die Öffentlichkeit schon mal gehört. Zum Beispiel, als Friedrich Merz zum Vorsitz der CDU kandidierte. Da wurde bekannt: Aha, Merz ist schon seit Jahren Vorsitzender der „BlackRock Deutschland AG“, also oberster „BlackRock“-Lobbyist hierzulande. Als dieses bisschen an plötzlicher Aufmerksamkeit für Merz wie für „BlackRock“ zu viel wurde, trat er von dem lukrativen Posten zurück. Aber sofort holte sich der Konzern 2020 einen Nachfolger: Michael Rüdiger war Chef der „DekaBank Deutsche Girozentrale“ und im Vorstand der Öffentlichen Banken Deutschlands und ist Mitglied im Aufsichtsrat der Deutschen Börse.

Das ist kein Einzelfall. Von 2011 bis 2021 war Lars-Hendrik Röller als Abteilungsleiter im Bundeskanzleramt oberster Wirtschafts- und Finanzberater der Bundeskanzlerin Angela Merkel. Mit dem Ende der Kanzlerschaft Merkels holte ihn „BlackRock“ als hochbezahlten Berater für nachhaltiges Investieren: Er soll dem Finanzkonzern noch besseren Zugang zu den vielen Milliarden des „Green Deal Fonds“ der Europäischen Union (EU) verschaffen.

„BlackRock“ ist gleichzeitig Aktionär in weltweit 18.000 Unternehmen und Banken und größter Aktionär in allen wichtigen kapitalistischen Staaten: in den USA, in Kanada, in Großbritannien, in Deutschland, Frankreich, der Schweiz und anderswo. Die Lobbyisten wie Merz spielen das herunter: Ja, das stimmt, aber „BlackRock“ hat doch immer nur drei oder fünf oder höchstens mal neun Prozent der Aktien, bei Deutscher Bank, Siemens und dem Wohnungskonzern Vonovia! Mit so wenigen Aktien kann doch niemand etwas entscheiden!

Ausverkauf der Deutschland AG

Das klingt plausibel für jene, die nostalgisch am alten Bild des deutschen Kapitalismus von vor 50 oder auch noch vor 30 Jahren hängen. Da hatten Deutsche Bank, Dresdner Bank und die Allianz AG 40 Prozent der Aktien bei Mannesmann, Siemens und anderen Unternehmen. Aber dieser gemütliche deutsche Nach-NS-Kapitalismus ist längst vorbei.

Die Bundesregierung unter Helmut Kohl (CDU) und Finanzminister Theodor Waigel (CSU) holte 1990 US-Beraterfirmen „McKinsey“, „Price Waterhouse Coopers“ und „J.P. Morgan“ in die Treuhandanstalt und beauftragte sie mit dem möglichst günstigen Verkauf der DDR-Unternehmen — günstig für die Investoren: niedriger Kaufpreis und noch ein paar Millionen an staatlichen Subventionen dazu, um für ein paar Jahre ein paar hundert Arbeitsplätze zu erhalten.

Und mit der Bundesregierung unter Gerhard Schröder (SPD) und Joseph Fischer (Grüne) griff ihr Programm „Entflechtung der Deutschland AG“: Ausländische Investoren, vor allem aus den USA, konnten nun günstig ganze Unternehmen oder Aktienanteile kaufen. Die Niedriglöhne aus den vier „Hartz“-Gesetzen gehörten zum Angebot. Bund, Bundesländer und Kommunen verscherbelten öffentliche Wohnungen unter Marktwert.

Verdeckt miteinander verflochten

„BlackRock“ & Co wurden endgültig mit der Finanzkrise von 2008 führende Aktionäre in den wichtigsten Banken und Unternehmen in Deutschland. „BlackRock“ ist Aktionär in allen 40 Konzernen gleichzeitig, die im „Deutschen Aktien-Index“ (Dax) gelistet sind. Und die eng verbundenen Kapitalorganisatoren dieser Art wie „Vanguard“, „State Street“, „Capital World“, „Fidelity“, „Wellington“, „T. Rowe Price“ und „Norges“ sind in unterschiedlicher Zusammensetzung und etwas geringerer Zahl mit „BlackRock“ gleichzeitig Aktionäre in allen Dax-Konzernen. So ähnlich ist es auch in den USA, in Frankreich, in der Schweiz und anderswo.

„BlackRock“ & Co sind somit gleichzeitig auch Aktionäre in Unternehmen, die nach der reinen Irrlehre der freien Marktwirtschaft eigentlich im Wettbewerb gegeneinander stehen, also in allen wichtigen Auto-, Öl-, Rüstungs-, Chemie-, Zement- und Digitalkonzernen, zum Beispiel bei Bayer und BASF und Monsanto.

Nun kam da doch am Rande ein bisschen Kritik auf. Einige „kritische“, akademische Ökonomen bezeichnen diese gleichzeitige Aktionärsschaft von „BlackRock“ & Co. in Unternehmen derselben Branchen als „common ownership“ (gemeinsame Eigentümerschaft): Durch diese gleichzeitige, branchenübergreifende Eigentümerschaft entstünden Monopole, der Wettbewerb werde behindert und Preise würden erhöht.

Das ist natürlich richtig. Doch diese braven Kritiker stochern nur ein bisschen an der Oberfläche herum. Sie haben die Tiefen-Strukturen des gegenwärtigen Kapitalismus nicht erkannt. Denn die Präsenz von „BlackRock“ & Co in Unternehmen geht weit über die Stellung als Aktionäre hinaus, denn sie sind gleichzeitig mit anderen Aktionären verflochten, ebenso mit Kreditgebern, schließlich auch mit den Ratingagenturen.

Beispiel: Der Betrugskonzern „Wirecard“

Der schnell in den Dax aufgestiegene Finanzdienstleister „Wirecard“ entpuppte sich als einer der größten Betrugsfälle der neueren Geschichte. Zahllose Berichte in den Leitmedien schilderten die Betrugskarrieren der Vorstandsmitglieder, das komplizenhafte Versagen des Bundesfinanzministers Olaf Scholz, der Aufsichtsbehörde Bafin, der betrugsabsichernden Wirtschafts„prüfer“ „Ernst & Young“. Ein Untersuchungsausschuss des Bundestages untersuchte und prangert an. Doch von niemandem wurden die im Kapitalismus eigentlich Verantwortlichen benannt, geschweige denn kritisiert oder vor Gericht gestellt: die Eigentümer. Also „BlackRock“ & Co.

Drittgrößter Aktionär bei „Wirecard“: Mit dem Aufstieg von „Wirecard“ in den Dax wurde „BlackRock“ einer der Großaktionäre. 2020, vor dem öffentlichen Bekanntwerden des langjährigen, systemischen Betrugs, war „BlackRock“ mit 5,7 Prozent der drittgrößte Aktionär.

Verflechtung mit den anderen Aktionären: Die anderen vier größten Aktionäre von „Wirecard“ waren „Goldman Sachs“ mit 16 Prozent, „Société Générale“ mit 6,37 Prozent, „Bank of America“ mit 5,48 Prozent, „Morgan Stanley“ mit 5 Prozent. „BlackRock“ ist gleichzeitig führender Aktionär in allen diesen Banken: Größter Aktionär bei „Société Générale“, drittgrößter Aktionär bei „Goldman Sachs“ und „Bank of America“ und viertgrößter Aktionär bei „Morgan Stanley“.

Verflechtung mit den Kreditgebern: „Wirecard“ hat durch Betrug über zwei Milliarden Euro an Krediten erschlichen. Die größten Kreditgeber waren Deutsche Bank, Commerzbank, ING (Niederlande) und „Crédit Agricole“ (Frankreich). „BlackRock“ war größter Aktionär der Deutschen Bank, drittgrößter der Commerzbank und einer unter den zehn größten Aktionären bei ING und „Crédit Agricole“.

Verflechtung mit dem Ratinggeber: Wenn Unternehmen große Kredite aufnehmen wollen, müssen sie ein Rating vorweisen, also den Nachweis über die Rückzahlungsfähigkeit, über Seriosität und Perspektiven des Geschäfts. Danach richten sich die Kreditkonditionen: Höhe der Zinsen, Garantien und ähnliches. Die weltweit zweitgrößte Ratingagentur, „Moody’s“ aus den USA, wurde von „Wirecard“ wiederholt mit dem Rating beauftragt, für ein Millionenhonorar. „Moody’s“ urteilte zuletzt 2019 für einen Kredit von 500 Millionen Euro: „Stabiler Ausblick und erwartetes starkes Wachstum“. Da waren die Betrügereien auf dem Höhepunkt. Und die größten Eigentümer von „Moody’s“ sind „Berkshire Hathaway“, „Vanguard“ und „BlackRock“. Letzterer ist Großaktionär bei „Berkshire Hathaway“.

Verflechtung der größten Vermögensverwalter untereinander

Bei „Wirecard“ zeigte sich: „BlackRock“ ist nicht nur direkter Aktionär, sondern gleichzeitig Aktionär bei den anderen führenden „Wirecard“-Aktionären, und bei der Ratingagentur.

Aber in den meisten Unternehmen ist die Verflechtung noch direkter. Dass bei „Wirecard“ neben „BlackRock“ die anderen Großaktionäre Banken waren, hat damit zu tun: „Wirecard“ war Finanzdienstleister, also mit Bankgeschäften befasst, und deshalb interessant für Banken. Aber das ist untypisch. In den anderen Dax-Konzernen sind diese Banken keine Aktionäre. Sondern hier sind die häufigsten Mitaktionäre neben „BlackRock“ eben die Kapitalorganisatoren, die zum selben Typ gehören wie „BlackRock“, also „Vanguard“, „State Street“ und so weiter.

Die Aktionäre von „BlackRock“: Das Unternehmen ist mit dem nächsten Dutzend ähnlicher Kapitalorganisatoren durch gegenseitige Eigentümerschaft verflochten. Vanguard ist mit 10 Prozent der größte Aktionär von „BlackRock“: Der zweitgrößte Kapitalorganisator der westlichen Welt ist also auch der größte Aktionär des größten Kapitalorganisators der westlichen Welt; dann folgt „BlackRock“ selbst mit eigenen Aktien von 8,1 Prozent; dann „Capital World“ mit 5,7 Prozent; dann „State Street“ mit 5,2 Prozent; dann „Temasek“ aus Singapur mit 4,8 Prozent. Und der sich neuerdings sozial gebende norwegische Staatsfonds „Norges“ hat 2020 seine Aktienanteile reduziert, bleibt aber mit knapp 2 Prozent im großen Boot.

Die Aktionäre von „Vanguard“: Diese verflochtene Eigentümerschaft läuft genauso gut in die Gegenrichtung. Deshalb heißen die Großaktionäre des „BlackRock“-Großaktionärs „Vanguard“, wie aus dem neokapitalistischen Bilderbuch, genauso: Mit 13,4 Prozent ist „BlackRock“, der größte Kapitalorganisator der westlichen Welt, zugleich der größte Aktionär des zweitgrößten Kapitalorganisators der westlichen Welt, „Vanguard“. Der hat an sich selbst (Stand Mai 2021) 9,2 Prozent der Aktien; dann folgt „Dimensional Fund“ mit 7,9 Prozent; dann „T. Rowe Price“ mit 6,6 Prozent; „Perkins“ mit 4,6 Prozent; „Wellington“ mit 4,5 Prozent, schließlich „State Street“ mit 2,2 Prozent.

Damit es nicht zu langweilig wird, verzichte ich an dieser Stelle darauf, die Aktionäre der dritt-, viert- und fünftgrößten Kapitalorganisatoren „State Street“, „Capital World“ und „T. Rowe Price“ aufzulisten. Das lässt sich im digitalen Bilderbuch des Neokapitalismus alles schnell nachverfolgen.

So bilden „BlackRock“ & Co mit ihren kombinierten zwei, drei, fünf und auch mal acht Prozent der Aktien in den meisten wichtigen Banken und Unternehmen des westlichen Kapitalismus — zusammen mit vielen anderen Investoren, auch mal kleineren Hedgefonds, die in geringerer Zahl dabei sind — die jeweils führende Gruppe der 10 größten Aktionäre. Und „BlackRock“ & Co. sind auch die führenden Aktionäre der größten Ratingagentur, „Standard & Poor’s“.

Zum Schaden der Allgemeinheit

„BlackRock Inc.“ hat seine operative Zentrale in New York, seinen rechtlichen Sitz aber in der größten und wichtigsten westlichen Finanzoase für multinationale Konzerne: im winzigen US-Bundesstaat Delaware. Und gleichzeitig besteht „BlackRock“ aus hunderten Briefkastenfirmen in den wichtigsten Finanzoasen, die zum integrierten westlichen Kapitalismus gehören, angefangen wieder bei Delaware, dann die Cayman Islands, die direkt Queen Elizabeth unterstellte britische Insel Jersey sowie die wichtigsten Finanzoasen in der EU, die Monarchien Luxemburg und Niederlande.

Übrigens: Der jahrzehntelange Vertreter von Delaware im US-Kongress war Senator Joseph „Joe“ Biden. Unter Präsident Barack Obama wurde er Vizepräsident. Jetzt ist er selbst US-Präsident — und drei Topmanager von „BlackRock“ sind Mitglieder der Biden-Regierung: der Direktor des „National Economic Council“, Brian Deese, der Vize-Finanzminister Wally Adeyemo und der Chefökonom von Vizepräsidentin Kamala Harris, Michael Pyle.

„BlackRock“ erhält das Kapital zum Kauf der Anteile an Banken und Unternehmen von den „High Net Worth Individuals“ (HNWI) und den „Ultra High Net Worth Inviduals“ (UHNWI), also den superreichen Multimillionären und Multimilliardären. Für sie müssen nicht nur drei Prozent jährlicher Gewinn herausgeholt werden, sondern mindestens sechs Prozent — zwölf Prozent sind besser. Ein Instrument dazu ist die Möglichkeit der Steuerflucht. So sind zum Beispiel die 4,5 Prozent der „BlackRock“-Aktien am Braunkohle-Konzern RWE auf über 150 Briefkastenfirmen verteilt.

Gerade die gewinnträchtigsten und an der Börse wertvollsten Unternehmen, an denen „BlackRock“ & Co zu den führenden Aktionären gehören, holen ihre Gewinne aus der Steuerflucht, aber auch aus global organisierter Niedriglöhnerei heraus.

Seit Jahrzehnten lassen etwa „Apple“ und „Microsoft“ ihre Geräte mehrheitlich in Niedriglohnstaaten wie Vietnam und China endmontieren, und zwar durch den größten Organisator kasernierter Niedriglöhnerei, das taiwanesische Unternehmen „Foxconn“.

Durch die gleichzeitige Eigentümerschaft in Unternehmen derselben Branche organisieren „BlackRock“ & Co Fusionen und Übernahmen, zuletzt etwa bei Bayer und Monsanto: Arbeitsplätze werden abgebaut — und keine neuen entstehen. „BlackRock“ & Co nutzen die jeweiligen Vorteile der Standorte. In diesen breitet sich bei der Mehrheit, auch im Mittelstand, die Armut aus, die Volkswirtschaften schrumpfen.

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Der Beitrag erschien zuerst unter dem Titel „Heimliche Herrscher mit enggeknüpften Seilschaften“ in Ausgabe 4/22 des Magazins „ViER.“ Anfang August 2022.

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Quellen und Anmerkungen:

Werner Rügemer ist Publizist und lebt in Köln. Mit einem Team und der Universitätsgesellschaft Potsdam organisiert er am 16. und 17. September 2022 an der Universität Potsdam die Konferenz „Der Schwarze Fels. Wie ‚BlackRock‘ & Co Umwelt, Arbeit, Rente bedrohen. Rote Linien dagegen und innovative Konzepte“. Programm, Infos, Anmeldung gibt es online hier: www.blackrocktribunal.de

Mehr zum Thema gibt es hier:
Werner Rügemer: „BlackRock & Co enteignen! Auf den Spuren einer unbekannten Weltmacht“ Nomen Verlag 2021. ISBN: 978-3-93981-682-9. 12 Euro
Werner Rügemer: „Die Kapitalisten des 21. Jahrhunderts“ Papyrossa Verlag, 3. aktualisierte Auflage 2021. ISBN 978-3-89438-675-7. 19,90 Euro

 

 

 

 

 

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