Die gewerkschaftliche Basisinitiative „Sagt NEIN!“ und die Website IVA, die in der Gegenöffentlichkeit aktiv ist, unterstützen die Protestaktionen gegen die Wehrdienstreform und gegen die geplante (Wieder-)Einführung der Wehrpflicht. Wenn das Vaterland ruft: „Jugend ans Gewehr“, soll man Nein sagen. Das gilt auch für die erste Stufe, wo es „bloß“ um die Wiedereinführung der Wehrerfassung geht und wo es ganz harmlos mit der Zusendung eines Fragebogens beginnt.
Denn: Die Wehrpflicht kommt wieder. Seit der „Zeitenwende“ wird die Notwendigkeit eines Wehrdienstes, der junge Menschen an die Bundeswehr heranführt, ja allenthalben betont, wobei eigentlich nur noch der Zeitpunkt der Implementierung offen ist. Zustimmung gibt es – leider – von rechts bis links. Aber es gibt auch entschiedenen Widerspruch, so von der Initiative „Sagt NEIN!“, die unter der Losung „Gewerkschafter:innen gegen Krieg, Militarismus und Burgfrieden“ angetreten ist und für ihren Aufruf mittlerweile rund 30.000 Unterschriften eingesammelt hat.
„Sagt NEIN!“ stellt sich, wie letztens im „FriedensForum“, der Zeitschrift der Friedensbewegung ausgeführt, kritisch gegen die Linie der DGB-Führung. Die oppositionelle Initiative aus der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi (dem zweitgrößten Arbeiterverein in der BRD) findet es etwa empörend, was in der diesjährigen DGB-Erklärung zum Antikriegstag steht, und besonders auch das, was nicht in ihr steht: Zwar im Ton leise, im Inhalt aber „robust“ stimme die Arbeitervertretung ihre Mitglieder auf den Kurs von Hochrüstung und Kriegsvorbereitung ein – wiederhole also die Politik des „Burgfriedens“, mit der 1914 die Arbeiterbewegung den Weg ins Jahrhundert der Weltkriege bahnte.
„Arbeiter schießen nicht auf Arbeiter“
Seit dieser Zeit trifft also die Losung, dass Arbeiter nicht auf Arbeiter schießen, genau auf die gegenteilige Realität: Die arbeitende Bevölkerung ist imperialistische Ressource, mit der die Hüter der Kapitalstandorte ihre Gegensätze in Krieg und Frieden austragen. „Sagt NEIN!“ will sich mit dieser Realität nicht abfinden, ruft dazu auf, der allseitigen Militarisierung und der in atemberaubendem Tempo stattfindenden Kriegsvorbereitung entgegenzutreten. Denn wirksamer Sand im Getriebe können eigentlich nur die sein, die den Reichtum samt seinen gigantischen Destruktivkräften schaffen – wenn sie denn die verordnete Parteilichkeit fürs völkische Kollektiv aufgeben und sich solidarisch mit denjenigen zeigen, die anderswo in gleicher Weise das Fußvolk für die dortigen Warlords abgeben.
Deshalb muss, wenn das Vaterland ruft, die Parole lauten: Wir sagen Nein! Denn a) wird die Öffentlichkeit mit diesem ominösen Ruf nach Strich und Faden belogen. Das „Wir“, das hier beschworen wird, lebt nicht in einem Vaterland, sondern in einer Klassengesellschaft, die durch eine Staatsgewalt zusammengehalten wird. Diese betreut lauter gesellschaftliche Gegensätze – an erster Stelle den von Kapital und Arbeit –, die dem Gemeinwesen schon in Friedenszeiten ihren äußerst gewalttätigen Stempel aufdrücken. Und b) ist dieser Ruf eine einzige Zumutung, die die Massen zu Mord und Totschlag in Bewegung setzen will. Und zwar geschieht dies im Interesse der politischen und ökonomischen Machterweiterung, die der jeweilige Souverän als unabdingbare Verteidigung seines Status und seiner Ansprüche im Staatenverkehr kennt. Zur Umsetzung seiner Vorhaben benutzt er die Lüge, er schütze das Volk und dessen Heimat, während er in Wahrheit seine menschliche Verfügungsmasse rücksichtslos zur Absicherung von Reichweite und Schlagkraft der Staatsgewalt verheizt.
Die Initiative„Sagt NEIN!“ hat daher ein Flugblatt vorgelegt, dass sich vor allem an die zu späterem Kriegsdienst vorgesehenen Jugendlichen wendet. Es trägt die Überschrift „Kriegsdienst: Jetzt auch für dich, mein Freund!“ und bringt Nachfragen zum gegenwärtigen Prozess der Militarisierung – als Verfremdung der gegenwärtigen Bundeswehrwerbung, die auf die zur Erfassung und Musterung anstehenden Jahrgänge zielt. Es macht zeitgemäße Ansagen unterm Leitbild der „Kriegstüchtigkeit“, die folgende Punkte zur Sprache bringen:
Mitteilung der Staatsgewalt an den hochgeschätzten Nachwuchs
Liebe Jugendliche, wir brauchen künftig wieder mehr Soldaten.
Klar – ihr lest ja keine Nachrichten mehr, aber soviel habt ihr sicher mitgekriegt: Es gibt da den bösen Putin, der ist ein Aggressor, der einfach alle angreift, und deshalb müssen wir uns gegen den verteidigen, koste es, was es wolle.
Bei „verteidigen“ könnt ihr gerne an euch, euer buntes Stadtviertel oder den Besuch in der Disco denken und euch vorstellen, dass Putin nichts anderes vorhat, als all das zu attackieren. Wir haben da zwar etwas Größeres im Auge, unsere Vormachtstellung in Europa zum Beispiel. Aber letztlich ist das auch egal. Hauptsache, ihr seid bereit, wenn’s losgeht. Wir sind jedenfalls die Guten! Da dürft ihr sicher sein.
Wichtig ist nämlich vor allem, dass die deutsche Armee jetzt wieder stark gemacht wird. Geld für Waffen ist das eine – dafür sorgen wir. Mehr Soldaten das andere. Und da kommt ihr ins Spiel. Unsere Journalisten und Journalistinnen haben in den letzten Monaten ja oft genug ausgemalt, wie wichtig das ist. Da eine Drohne, hier Sabotage, dort ein chinesischer Spion – sowas können wir uns einfach nicht gefallen lassen, kapiert?
Offensichtlich nicht – denn laut Umfragen gibt es noch nicht genug Freiwillige. Ihr wollt also keine Bundeswehr? Oder Kriegsdienst ist ok, aber ihr selbst wollt euch nicht die Hände schmutzig machen und eurem Vaterland dienen? Dann eben anders. Dann eben mit Zwang.
Klar, ihr dürft jetzt und auch im nächsten Jahr die Bundeswehr doof finden – eure Meinung eben! Aber hin müsst ihr trotzdem, wenn wir das wollen und euch brauchen. Das müssen wir an dieser Stelle mal ganz klar sagen: So geht Meinungsfreiheit, das ist Demokratie (die Putin uns wegnehmen will). Ihr dürft meinen, wir aber haben das Gewaltmonopol und sagen euch, wo es langgeht.
Wir bestimmen übrigens auch, auf wen ihr schießen und wo ihr sterben müsst, wenn es soweit ist. Notfalls auch mal präventiv, um Schlimmeres zu verhindern. Klar, wir locken mit einer netten olivgrünen PR-Kampagne: Abenteuer, Freiheit und so zu. Auch den Führerschein finanzieren wir und bilden euch zu Handwerkern oder Führungskräften aus. So was braucht man alles im modernen Krieg – und es macht gar nichts, wenn ihr das verwechselt: eure Karriere bzw. dass ihr überhaupt irgendwie an Kohle kommt und das, wofür eine Armee gebraucht wird. Wenn ihr da nicht ganz klar seht, ist das vielleicht sogar besser – wenn die Front kommt, wird früh genug klar, wozu ihr da steht!
Und bitte: Diskutiert fleißig weiter, wie die Obrigkeit das fair hinkriegt. Wen soll man ziehen? Ist ein Losverfahren gerecht? Müssen auch Girls ran? Das ist top! So bleibt ihr schön beschäftigt und fragt garantiert nicht, warum überhaupt gekämpft und gestorben werden muss. Oder wer am Ende profitiert…?! Ihr seid’s bestimmt nicht.
Das ist lebendige Debattenkultur. Und das Schöne daran ist: Dann fragt ihr zumindest das Wichtigste nicht. Nämlich warum diese Gesellschaft so viel Gewalt braucht – im Innern wie nach außen. Nur nebenbei: Noch lieber ist uns, wenn ihr meint, dass man dieser Gesellschaft „was zurückgeben“ kann als Soldat an der Front oder ersatzweise bei der Pflege der Verwundeten in den künftigen Lazaretten. Da freuen wir uns sehr darüber – da habt ihr ja trotz eurer jungen Jahre richtig was gelernt!
Zum Glück sagt kaum einer von euch: Sollen doch die zum Bund und das Land verteidigen, die das wollen. So freiheitlich denkt die Gen Z offenbar doch nicht. Gegen das Lotterie-Verfahren sind die einen; wenn schon Bundeswehr, dann Zwang für alle, weil das dann gerecht ist, meinen andere. Vielleicht sind unsere Schulen doch besser als ihr Ruf? Wer allerdings meint, er müsste öffentlich rumstänkern gegen Bundeswehroffiziere in der Schule, sollte sich das gut überlegen. Andernfalls: Prozess am Hals!
Liebe deutsche Jugend, soviel für heute. Wir erwarten, dass ihr euch demnächst wie vorgeschrieben zur Musterung einfindet, später zum Kriegsdienst oder zu anderen Verpflichtungen, zu denen wir euch vergattern.
Bis dahin, ciao und macht’s gut, in aller Freiheit! Eure Staatsgewalt
Aktionen gegen die Wehrpflicht
Das Flugblatt wurde kurz vor dem 8. November, dem Beginn der bundesweiten Protestaktionen, erstellt und wird über verschiedene Verteiler verbreitet. Es kann bei „Sagt NEIN!“ oder auf der IVA-Startseite heruntergeladen werden. Das Blatt eignet sich zur Verteilung bei Demos, vor Schulen oder bei Werbeveranstaltungen der Bundeswehr. Es ist kurz und polemisch abgefasst, versteht sich natürlich als Denkanstoß. Es greift u.a. Überlegungen auf, wie sie Suitbert Cechura in der Jungen Welt am 5. November unter dem Titel „Jugend ans Gewehr!“ ausgeführt hat.
Den Aufbau einer kriegsbereiten Bundeswehrtruppe hat jetzt auch Björn Hendrig in einer zweiteiligen Reihe bei Telepolis kommentiert. Der Kommentar „Die deutsche Politik steuert auf einen bewaffneten Konflikt mit Russland zu. Wer könnte Widerstand leisten?“ stellt genau die Frage, die für „Sagt NEIN!“ zentral ist: Auf welche Kräfte kann man überhaupt setzen, wenn der nächste Krieg verhindert werden soll? Teil 1 widmet sich der (möglichen) Opposition im Bundestag, Teil 2 einer Umschau unter den friedensbewegten Akteuren außerhalb des Parlaments, wobei natürlich auch die Gewerkschaften und die trostlose Rolle der DGB-Führung zur Sprache kommen. Der Text führt abschließend die Notwendigkeit an, eine machtvolle gewerkschaftliche Opposition aufzubauen, und nennt dazu Beispiele.
Die Herausgeber des Blattes haben eine größere Auflage im Vierfarbendruck hergestellt, der die markante olivgrüne Wirkung rüberbringt. Wer an Verteilung interessiert ist, kann sich bei info@sagtnein.org oder redcat@i-v-a.net melden. Wenn das Kontingent noch nicht erschöpft ist, wird gerne geholfen. Und ich empfehle als offiziellen Song der neuen Kampagne – statt Reinhard Mey – Frank Zappa mit seinen damaligen Hit gegen die Wehrerfassung: „I don’t wanna get drafted“.
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Der Autor:
Johannes Schillo ist Sozialwissenschaftler und Journalist und war lange Jahre als Redakteur in der außerschulischen Bildung tätig; letzte Veröffentlichung zusammen mit N. Wohlfahrt, „Deutsche Kriegsmoral auf dem Vormarsch“.
Bild und weitere Infos: Home | Sagt NEIN!
