Arzneimittel-Rabattvertrag: Zu Risiken und Nebenwirkungen lesen Sie …

Als der Mann das Rezept in der Apotheke einreichte, wurde er doch stutzig. Hatte er erst neulich noch einen längeren Klinikaufenthalt, bei dem er möglichst präzise auf die neuen Psychopharmaka eingestellt wurde. Er bekommt seine passgenauen Tabletten in der Apotheke aber nicht, weil seine Krankenkasse keinen Rabattvertrag mit dem Hersteller abgeschlossen hat. Er muss mit einem anderen Mittelmix Vorlieb nehmen, der zwar die gleichen Wirkstoffe wie die verschriebenen hat, doch gibt es auch Unterschiede, besonders in der Dosierungsform – genau da, wo es für ihn gefährlich werden kann.

Kaum einen Teil der vielen „Gesundheitsreformen“ bekommen die Krankenversicherten so hautnah zu spüren, wie die neuen Rabattverträge zwischen Krankenkassen und Pharmafirmen.

Mit dem Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV), kurz: GKV-Modernisierungsgesetz fing eigentlich alles an.

Im Jahr 2003 versuchte die rot-grüne Regierungskoalition die Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung und damit die Lohnnebenkosten dauerhaft zu senken. Vorgeschoben wurde das Märchen von den steigenden Kosten im Gesundheitswesen, die angeblich aus dem Ruder laufen würden.

Das im Januar 2003 in Kraft getretene Beitragssatzsicherungsgesetz (BSSichG) sollte das richten und genau das war der Startschuss zu einer fatalen Entwicklung für die Krankenkassenmitglieder.

Der Arzneimittel-Rabattvertrag ist eine vertragliche Vereinbarung zwischen einzelnen Arzneimittelherstellern und einzelnen gesetzlichen Krankenversicherungen über die exklusive Belieferung der Krankenversicherten mit den Arzneimitteln des Herstellers. Flankiert wurden diese direkten Belieferungsverträge durch das im Mai 2006 in Kraft getretene Arzneimittelversorgungs-Wirtschaftlichkeitsgesetz (AVWG) und das GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz ab dem 1. April 2007.

Von Beginn an gab es massive Komplikationen bei der Umsetzung der Rabattvertrags-Arzneiversorgung, waren sie verursacht durch Lieferengpässe der Vertragshersteller oder durch die großen Unsicherheiten auf Seiten der Patienten, die so zu einer Medikamentenumstellung gezwungen wurden. Zudem trat eine Vielzahl von juristischen Problemen auf, da zwei völlig verschiedene Rechtskreise, nämlich das Vergaberecht und das Sozialrecht bei der Vertragsgestaltung aufeinanderstießen. So stritten sich zuletzt verschiedene Landgerichte samt Vergabekammern mit einigen Sozialgerichten um die Zuständigkeit, wer über die Klagen einiger Arzneimittelhersteller zu entscheiden habe, die sich bei der Vergabe benachteiligt fühlten.

Als dann noch die Europäischen Kommission mit einer Vertragsverletzungsklage vor dem Europäischen Gerichtshof drohte, sah sich die Bundesregierung gezwungen, die rechtlichen Probleme zu minimieren, um den pünktlichen Beginn einer neuen Rabattrunde zu ermöglichen.

Außer den großen Krankenkassen und deren Spitzenverband, die auf der Beibehaltung der Arzneimittel-Rabattverträge als wirksames Instrument der Kostensenkung bestehen, ist niemand der sonstigen Beteiligten mit den Rabattverträgen zufrieden.

Besonders die Patienten sind die Leidtragenden, obwohl theoretisch alles gewährleistet sein sollte, kann passieren, dass:

  • – falls der Arzt bei seiner Arzneimittelverordnung den Austausch nicht explizit untersagt, der Patient in der Apotheke nicht das Medikament von dem Hersteller erhält, der auf dem Rezept genannt ist, sondern ein Medikament vorgeblich mit dem gleichen Wirkstoff, gleicher Dosierung, gleicher Packungsgröße, gleichem Indikationsbereich und vergleichbarer Arzneiform, von einem der Hersteller, die einen Rabattvertrag mit der Krankenkasse des Patienten geschlossen haben.
  • – wenn Patienten, die über sehr lange Zeit Arzneimittel eines Herstellers eingenommen haben und zufrieden waren und diese Umstellung nicht leicht fällt, kann der Arzt auf der Abgabe des altgewohnten Arzneimittels bestehen, er kann dies auf dem Rezept ausdrücklich vermerken.
  • – falls sich der Arzt jedoch weigert, dies zu tun, kann der Patient sein bisher gewohntes Arzneimittel nur noch dann erhalten, wenn er den vollen Verkaufspreis des Arzneimittels übernimmt.
  • – der betroffene Patient diese Kosten aber von seiner Krankenkasse nachträglich nur teilweise erstattet bekommt, es kommt in diesem Fall daher beinahe immer zum Austausch des bisherigen Arzneimittels gegen das des Rabattvertrags-Herstellers.
  • – in der Apotheke den Patienten deshalb eine lange Wartezeit droht, weil der Apotheker mit Hilfe des Computers erst bestimmen muss, welches Rabattarzneimittel für die jeweilige Kasse, den jeweiligen Wirkstoff, Packungsgröße und Arzneiform gültig ist. Für diesen Abgleich mussten 9,8 Millionen Datensätze zusätzlich in die Arzneimitteldatenbanken aufgenommen werden.
  • – wenn für jedes Medikament nur wenige Ersatzmedikamente in Frage kommen, in der Praxis durch den Computer nur relativ wenige Datensätze abgeglichen werden müssen. Viel länger dauert die Prüfung auf Verfügbarkeit des Arzneimittels beim Apothekengroßhändler und auf die tatsächliche Gleichheit des Arzneimittels bei Arzneiform, Wirkstoff und weiterer pharmazeutischer Eigenschaften.
  • – wenn es sich bei dem ermittelten Rabattarzneimittel um ein bislang ungebräuchliches Präparat eines neuen Vertragsherstellers handelt, sich die Belieferung mit dem Arzneimittel noch einmal verzögert.
  • – es auch Krankenkassen gibt, die dem Hersteller ab Gültigkeit des Rabattvertrages im Rahmen der Friedenspflicht bis zu vier Monate Zeit lassen, bevor sie das Rabattarzneimittel liefern müssen. In diesem Zeitraum muss erst von den Apotheken die Nichtverfügbarkeit nachgewiesen werden, damit sie ein anderes Präparat abgeben können.
  • – falls ein Arzneimittel aufgrund eines Arzneimittel-Rabattvertrags ausgegeben wird, es nicht automatisch von der Zuzahlung befreit ist. Da liegt es im Ermessen der Krankenkasse, ob sie den Patienten die Zuzahlung ganz oder zur Hälfte erlassen möchte (gemäß § 31 Abs. 3 S. 5 SGB V). Einige Krankenkassen locken die Patienten mit der Zuzahlungsbefreiung, um die Akzeptanz der rabattierten Arzneimittel bei ihm zu erhöhen.
  • – die Befreiung aufgrund des Festbetrages aber nur solange gilt, wie das Medikament die Preisbedingung erfüllt. Senken die Krankenkassenverbände oder das Bundesministerium für Gesundheit den Festbetrag oder erhöht der Hersteller den Verkaufspreis, so entfällt diese Befreiung von der Zuzahlungspflicht wieder. Im Alltag kann sich das alle zwei Wochen ändern, wenn die Preisänderungsdaten in die „Lauer-Taxe“, das ist die Preisliste für Arzneimittel und apothekenübliche Waren, aufgenommen worden sind.

Eine recht komplizierte Angelegenheit also, bei der es für die Patienten vielerlei Überraschungen, aber auch konkrete gesundheitliche Risiken geben kann.

So auch für den Mann, der doch einen längeren Klinikaufenthalt hinter sich hatte, bei dem er möglichst präzise auf die neuen Psychopharmaka eingestellt wurde und seine passgenauen Tabletten in der Apotheke nicht erhält, weil seine Krankenkasse keinen Rabattvertrag mit dem Hersteller abgeschlossen hat.

Als der Mann dies seiner Psychiaterin berichtete, fiel die aus allen Wolken – an ihr war die Einführung der neuen Rabattverträge völlig vorbeigegangen. Nach den zig „Gesundheitsreformen“ hatte sie ihre Ohren auf Durchzug gestellt, immer dann, wenn das Wort „Gesundheitsreform“ erklingt.

 

Quellen: DAK,AOK,Ärzte gegen Tierversuche

Bild: dgb