Das Verhandlungsergebnis Versicherungswirtschaft – Kungelei mit der Digitalisierung als Drohgebärde

Gemeinsam mit den Großbanken bilden die großen Versicherungen das Netz des weltweiten Finanzkapitals. Sie haben sich durch riesige Konzentrationsprozesse zu einem Machtfaktor entwickelt. Zunehmend dringen die Versicherungskonzerne auch in Infrastruktur-Projekte ein, weichen mehr und mehr das 3-Säulen-Modell auf und verdrängen die öffentlichen und genossenschaftlichen Versicherungen zunehmend. Die großen privaten Versicherer sind mittlerweile reine Kapitalsammelstellen geworden und haben ihr Kerngeschäft auf die Vermögensverwaltung konzentriert. Die Konzerne der Versicherungsbranche haben, wie die anderen Konzerne auch, die Digitalisierung als effektiven Hebel für die Deregulierung des Arbeitsmarktes entdeckt und setzen sie als Drohkulisse bei Verhandlungen mit den Gewerkschaften ein.

Vor diesem Hintergrund war das diesjährige Tarifverhandlungsergebnis wohl mehr ein Hohn, das die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di für die Beschäftigten in der Versicherungsbranche erzielt hat, nämlich das Entgelt drei Jahre lang nur unterhalb der Inflationsrate zu steigern.

Die Unternehmer haben der Gewerkschaft weisgemacht, dass sie das Geld nicht für die Bezahlung der Beschäftigten benötigen, sondern in die dringend notwendige Digitalisierung stecken müssen.

Anfang des Jahres wurde von ver.di mit der Mobilisierung der Versicherungsangestellten begonnen. Mit Elan wurden drei Warnstreik-Wellen durchgeführt. Rund 10.000 Menschen beteiligten sich aktiv an der Auseinandersetzung, viele zum ersten Mal, und das in einer Branche deren Beschäftigte von außen oft als rührig bezeichnet werden.

Die ver.di Verhandlungskommission hatte nach dem Streik im Juni die Verhandlungen als gescheitert erklärt.

Doch dann geschah etwas Merkwürdiges. Der ver.di Verhandlungsführer traf sich mit dem Verhandlungsführer der Unternehmen zu einem Vieraugengespräch, das Ende August in einem Achtaugengespräch weitergeführt und dann recht schnell mit einer Einigung beendet wurde. Die ver.di Verhandlungsführung feierte das Ergebnis als ein „positives“. Vor allem sei ein „qualitativer Einstieg in die tarifvertragliche Gestaltung gelungen, um die Beschäftigten in die digitale Assekuranz mitzunehmen und den beispiellosen Umstrukturierungsprozess sozial zu gestalten.“ Das waren große Worte, um das magere Ergebnis schön zu reden.

Entgegen der Verlautbarung, dass vom 1. November 2017 bis 1. Dezember 2018 das Entgelt um 2,0 Prozent erhöht wird, kommt beim Nachrechnen nur 1,2 Prozent auf das Jahr gerechnet heraus, weil die Erhöhung erst nach sieben Nullmonaten seit dem letzten Abschluss einsetzt und das bei einer Preissteigerungsrate im Jahr 2017 von 1,8 Prozent.

Auch die Erhöhung von 1,7 Prozent für die Zeit von Dezember 2018 bis zum Ende des Tarifvertrages im August 2019 wird voraussichtlich unter der Preissteigerungsrate liegen.

Da ist es schon ein starkes Stück, wenn die ver.di-Verhandlungsführung frech von einem „positiven Ergebnis“ spricht. Sie hat es nicht nötig, sich dafür zu rechtfertigen, dass bei dem „Deal“ es die Unternehmen geschafft haben, die Beschäftigten im Versicherungswesen in den Reallohnverzicht zu treiben, sie mit dazu beitragen, dass ihre Arbeitsplätze noch schneller abgebaut werden, als es die Digitalisierung eventuell tun wird, ohne die Beschäftigten „in die digitale Assekuranz mitzunehmen“.

Die Beschäftigten sollten vielleicht noch einmal das Beispiel Erzieherinnen nachschauen – diese hatten die Verhandlungsführer daran gehindert, in Vier- oder Achtaugengespräche zu kungeln.

Auch im Sozial- und Erziehungsdienste in NRW hatten rund 10.000 Beschäftigte die Arbeit niedergelegt und vor allem die Erzieherinnen waren hochmotiviert mobilisiert worden. Anders als im Versicherungswesen hatte sich die Basis von ver.di im Erziehungsdienst mittlerweile einige Rechte mehr als früher erstritten, mit denen sie in das Geschehen eingreifen konnte.

Als in der Schlichtungsphase die beiden Schlichter einen mageren Kompromiss auf den Tisch legten, mussten diese Ergebnisse und deren Umsetzung auf einer bundesweiten Delegiertenversammlung im Juni 2015 diskutiert werden.

Dort rieben sich einige Funktionäre die Augen, als sie sahen, dass es zu einer fast hundertprozentigen Ablehnung der Empfehlung der Schlichter kam und vor allem auch die lange Laufzeit der Einigung von 5 Jahren vehement abgelehnt wurde.

Die Delegierten stellten übereinstimmend fest, dass mit dieser Schlichtungsempfehlung eine Aufwertung der Sozial- und Erziehungsberufe nicht erreicht wird. Die Konferenz kam zu dem Schluss, der ver.di-Bundestarifkommission zu empfehlen, eine aufsuchende Mitgliederbefragung durchzuführen, um die Meinung der Mitglieder einzuholen. Die Umfrage lief bis Anfang August. Insgesamt lehnten 69,13 Prozent der ver.di-Mitglieder im Sozial- und Erziehungsdienst den Schlichterspruch ab.

Während dem Arbeitskampf im Sozial- und Erziehungsdienst, der fast ausschließlich durch Frauen geprägt war, ist unglaublich viel passiert.

Es kam zu einer Eintrittswelle vor allem für ver.di, mit 25.000 neuen Mitgliedern. Bei diesem Streik wurde ver.di von der Beteiligungsbereitschaft der Mitglieder förmlich überrannt. Es wurde ein riesiges Maß an Streikdemokratie entwickelt, das zum Maßstab für künftige Arbeitskämpfe werden kann. Das Konzept einer konflikt-, beteiligungs- und aktionsorientierten Gewerkschaftsarbeit hat bundesweit Früchte getragen, bei der die Streikenden vieles in ihre eigenen Hände nahmen und die alte Stellvertreterhaltung der Gewerkschaft deutlich geschwächt wurde. Es konnten sich neue demokratische Formen des Arbeitskampfes, wie z.B. die Streikdelegiertenkonferenz durchsetzen. Was auf der Streikdelegiertenkonferenz stattgefunden hat, war eine kleine Revolution, bei der die Basis ihrer Führung nicht folgte. Mit den Streikvollversammlungen und Delegiertenkonferenzen wurde der Arbeitskampf demokratisiert.

Für die ver.di-Führung war das eine ganz neue Erfahrung, sie hatte Mühe die Bewegung einzufangen und zu kontrollieren.

Wie im Sozial- und Erziehungsdienst, muss auch für die Versicherungsbranche die alte Weisheit gelten, dass die Arbeitgeber nur dann noch Zugeständnisse machen, wenn sie durch ebenso harte Haltungen und ausdauernden Kämpfen dazu gezwungen werden.

 

Quelle: Ossietzky, ver.di

Bild: ver.di.de