Der Gesundheits – Imperialismus: Deutschland bedient sich bei den Pflegekräften anderer Länder — das Virus dient, wie so oft, als Vorwand

Von Klaus Hecker

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn reist durch die Welt, um Pflegekräfte für den Dienst in deutschen Krankenhäusern zu gewinnen. Das ist mittlerweile bekannt. Insbesondere der Balkan — Bosnien-Herzegowina, Mazedonien, Albanien, Kosovo —, aber auch die Philippinen und Mexiko stehen im Fokus. Da fragt sich doch, warum es eigentlich in Deutschland nicht genug Pflegekräfte gibt. Hat das vielleicht mit den katastrophalen Arbeitsbedingungen — besonders der immer weiter ansteigenden Arbeitsbelastung — zu tun? Oder auch mit der notorisch schlechten Entlohnung, auf die das Bündnis „Krankenhaus statt Fabrik“ (1) hinweist?

So gesehen würde die Anwerbung ausländischer Arbeitskräfte noch einmal die bescheidenen Sozial-und Lohnstandards unterlaufen, sind diese doch aus ihren Heimatländern noch Schlechteres gewohnt. Der Konkurrenzdruck würde ein trade-unionistisches Auftreten der heimischen Pflegekräfte aufgrund der nun erfolgenden Konkurrenz von außen deutlich erschweren. Und darin liegt sicher eine wesentliche Kalkulation von Spahn. Das Märchen, es gebe hierzulande sozusagen naturwüchsig einfach viel zu wenig Interessenten für diesen Arbeitsbereich, muss entschieden zurückgewiesen werden. Das ist aufgrund politischer Kalkulationen herbeigeführt worden und nicht ungezielt eingetreten.

Damit einhergehend wäre — oder besser — ist ein nicht als gering einzuschätzendes Sparprogramm, wälzt man die nicht unerheblichen Ausbildungskosten doch auf die Herkunftsländer ab.

Spahn rühmt sich dafür, dass dies eine Triple Win-Situation wäre, da es eine Verpflichtung gebe, nur in diesen Ländern Pflegekräfte anzuwerben, die über einen Überschuss verfügen. Das ist nachweislich falsch (2).

Triple Win: einmal für das Herkunftsland, welches arbeitslose Kräfte abgeben könne, dann für das Zielland, also Deutschland, welches freie Stellen besetzen könne und schließlich für die Betroffenen selbst.

Die Reflexion — überwiegend in nationalen Kategorien laufend — verstellt, welche Auswirkungen/Nachteile diese vermeintlich für alle existierende Situation beispielsweise für die hier schon beschäftigten Pflegekräfte hat: objektiv die Funktion des Lohndrückers.

Der Markt in Polen ist leergefegt, sind doch die dortigen Arbeitskräfte schon in großer Zahl bereits in der privaten Pflege in Deutschland eingesetzt. Österreich hingegen hat durch die Anwerbung in Tschechien und Ungarn üble Löcher beim benötigten Pflegefachpersonal der dortigen Krankenhäuser herbeigeführt.

Sodann kommt Spahn auf die Idee, kleine Krankenhäuser in ländlichen Regionen zu schließen, wogegen die sich Manager der Unikliniken Dresden und Leipzig zur Wehr setzen und in der Debatte dafür werben, genau dies nicht zu tun. „Wir brauchen die Regional- und die Schwerpunktversorger“, befand Andreas Mogwitz, medizinischer Geschäftsleiter der Uniklinik Dresden.

Von welchem Standpunkt aus kommt denn ein Gesundheitsminister auf so eine Idee? Ist es der Standpunkt der Versorgung oder eher der Standpunkt, große Profitmaschinen zu betreiben?

Eine Autobahntankstelle mit zwei Zapfsäulen wäre sicher nicht besonders gewinnträchtig. Aber wäre das ein sinnvoller Standpunkt und könnte das Coronavirus etwas dafür, dass eine solche Überlegung aufkommt? Hier wird nicht gekleckert, sondern geklotzt:

„Pflegekräfte aus dem Ausland einzustellen soll einfacher werden. Krankenhäuser, Pflegeheime und andere Einrichtungen können ihren Bedarf an die Deutsche Fachkräfteagentur für Gesundheits- und Pflegeberufe (DeFa) melden. Die DeFa kümmert sich um Anträge für Visa, Berufsanerkennung und Arbeitserlaubnis. Pflegekräfte aus dem Ausland sollen so binnen sechs Monaten in Deutschland arbeiten können. Das Saarland hat die DeFa in enger Abstimmung mit dem Bundesministerium für Gesundheit (BMG) gegründet und damit einen Beschluss aus der Konzertierten Aktion Pflege umgesetzt. Bereits jetzt bearbeitet die DeFa mehr als 4.000 Anträge auf Vermittlung von Pflegekräften. (…) Die Bundesregierung wirbt Pflegekräfte nur in Ländern an, deren Bevölkerung im Schnitt sehr jung ist und die deutlich über ihren eigenen Bedarf ausbilden“ (3).

Fatmir Brahimaj, Präsident der albanischen Ärztekammer, weiß, dass sein Land auf einem ungeschützten Arbeitsmarkt keine echte Chance hat:

„Ich weiß nicht, wo ich eine Schatulle voll Gold finden kann, um dieses Phänomen zu stoppen“ (4).

Das klingt nicht gerade begeistert und noch weniger danach, dass Albanien überflüssiges Pflegepersonal nach Deutschland weiterreicht.

„Bei dem von Minister Spahn geplanten Pflegebudget, das Anfang 2020 als neue Finanzierungsform eingeführt werden soll, hält die Krankenhausgesellschaft Sachsen mehr Geld für Arbeiten nötig, die von der Pflege auf andere Berufsgruppen übertragen wurden.

Beispiele dafür sind Stationsapotheker, die Essenversorgung oder der Patiententransport. Spahns Vorhaben sieht vor, dass für solche Arbeiten bis zu drei Prozent des Pflegebudgets berücksichtigt werden könnten. Die Krankenhausgesellschaft Sachsen dringt hingegen auf eine Größenordnung von sieben bis zehn Prozent.

Sollten Arbeiten, die die Kliniken wegen Kapazitätsengpässen aus der Pflege ausgelagert haben, wieder (teilweise) dorthin zurückwandern, bräuchte es laut Klinikmanager Schüller mindestens zehn Prozent mehr Pflegekräfte.“

Nochmal zu Triple Win: Vereinfachung der Einreise, Anwerbeprogramm der Bundesagentur für Arbeit. Triple Win heißt es, weil drei Seiten gewinnen sollen: Deutschland, das Heimatland, der Bewerber. Und sie vereinfacht den Prozess massiv: Bei den deutschen Botschaften auf dem Westbalkan warten Arbeitsmigranten sonst bis zu ein Jahr auf einen Termin. Die Botschaften sind von den vielen Anfragen nach Arbeitsvisa überfordert. Mit Triple Win geht es leichter. Wartezeiten für Termine, so steht es auf der Botschaftsseite, gibt es mit dem Programm nicht. Alles soll schnell gehen. Und effektiv. Statt mehr als ein Jahr brauchen die Pflegekräfte bei Triple Win etwa ein halbes für den gesamten Prozess.

Was sich in den letzten Jahren sowieso schon zu einem üblen Missstand in den Krankenhäusern entwickelt hat, verstärkt nun das Coronavirus wie ein Brandbeschleuniger.

Die Mittel dagegen sind in der Reihenfolge diese:

  1. In der Tagesschau treuherzig wie Herr Spahn schauen mit der Botschaft: Wir haben alles im Griff.
  2. Deshalb verdienen wir ganz viel Vertrauen.
  3. Dem völlig überlasteten Pflegepersonal eine Konkurrenztruppe aus dem Ausland zuführen, die sowieso mit fast allem zufrieden ist.
  4. An eine Ausbildungsinitiative für diese Berufe in Deutschland wird nicht gedacht. Das wäre auch ein Widerspruch zur Ökonomisierung des Krankenhauswesens, was ja oberste Priorität genießt, aber als Ausbeutungstatsache nicht gern angesprochen wird.
  5. Schließlich sei noch erwähnt, dass den wirtschaftlich dahinsiechenden Balkanländern jeder abziehende Arzt, jede abziehende Krankenschwester — zusätzlich zur Wirkung auf das dortige Gesundheitswesen — ein Loch in einen kleinen und bescheidenen Wirtschaftsaufschwung reißt.

Bezeichnend ist auch, was Spahn als Bekämpfung des Coronavirus ausgibt, etwas, was zum Beispiel die Hamburger Krankenhausgesellschaft zur Verzweiflung treibt. Deren Vorsitzender Jörn Wessel hält an der Kritik am Eilgesetz von Bundesgesundheitsminister Spahn fest:

„Eine erbsenzählerische, kleinkrämerische Erweiterung eines an sich schon dysfunktionalen Finanzierungssystems ist das Gegenteil von dem, was Krankenhäuser jetzt brauchen.“

Und: Die Krankenhäuser seien fassungslos über das Auseinanderklaffen politischer Versprechen und vorgesehener Umsetzung. Auch die Deutsche Krankenhausgesellschaft und der Katholische Krankenhausverband bezeichnen die Pläne als unzureichend, als „herbe Enttäuschung“ und als „fatalen politischen Fehler“ (5).

Eines muss man Jens Spahn lassen: Auch in der derzeit mehr als angespannten Katastrophensituation geht es ihm darum , die Gewinnmaschine Krankenhaus, die ja über viele Jahre hinweg sukzessive eingerichtet wurde, nicht in Frage zu stellen, sondern als Priorität unverrückbar an erste Stelle zu setzen und den Ärzten und Organisatoren des Krankenhauswesens mit diesem aparten Standpunkt das Leben schwer zu machen.

 

Quellen und Anmerkungen:

(1) Bündnis „Krankenhaus statt Fabrik“, https://www.krankenhaus-statt-fabrik.de/
(2) ARD, Sendung Monitor vom 12.03.2020, https://www.daserste.de/information/politik-weltgeschehen/monitor/videosextern/monitor-vom-12-03-2020-100.html. Diese Monitorsendung möchte ich ausdrücklich empfehlen, sehr gut recherchiert, sehr aufklärerisch, bitte anschauen.
(3) Pressemitteilungen des Bundesgesundheitsministerium, https://www.bundesgesundheitsministerium.de/presse/pressemitteilungen/2019/4-quartal/pflegekraefte-ausland-defa.html
(4) Balkan soll beim deutschen Pflegenotstand helfen, DW, 01.12.2018, https://www.dw.com/de/balkan-soll-beim-deutschen-pflegenotstand-helfen/a-46528566
(5) Krankenhäuser fühlen sich von Spahn im Stich gelassen, Hamburger Abendblatt, 21.03.2020, https://www.abendblatt.de/hamburg/article228746361/Krankenhaeuser-fuehlen-sich-von-Spahn-im-Stich-gelassen.html
(6) Zeit-online, 21.03.2020

 

 

Quelle: https://www.rubikon.news  

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Bild: Bündnis "Krankenhaus statt Fabrik