Medienstadt Dortmund – als Tiger gestartet, als Bettvorleger gelandet

Auf dem Weg ins „Neue Medien-Zeitalter“ träumten viele Dortmunder Anfang der 1980er Jahre vom Aufbau der Medienstadt, die auch als Job-Motor dienen sollte. Die Politik strebte an, mittelfristig in der Liga mit München, Berlin und Köln zu spielen und war für alles offen, was die damaligen gesetzlichen und politischen Rahmenbedingungen hergaben.

Ein wichtiger Baustein für das große Vorhaben war das „Kabelpilotprojekt“, das neben Berlin, Ludwigshafen und München am 1. Juni 1985 gestartet wurde und für die Projektteilnehmer gehörte der Fernsehempfang per Antenne der Vergangenheit an, die Signale wurden per Kabel in die Haushalte gesendet.

Kritiker waren weniger euphorisch und warnten, mit den neuen technischen Möglichkeiten seien privaten Anbietern die Tür geöffnet und die Konsumenten würden mit allmählich verflachenden Programmen überflutet. Die Kritik war berechtigt, denn in Bonn hatte es 1982 einen Machtwechsel geben und die Regierung Kohl wollte den „Medienmarkt“ öffnen.

Aufbruch in Dortmund

Im Unterschied zu den anderen Kabelpilotprojekten in Berlin, Rheinland-Pfalz und Bayern sollte der Dortmunder Modellversuch ausschließlich in öffentlich-rechtlicher Trägerschaft liegen und es wurde zugesichert, dass das Programmangebot frei von Werbung sein würde. Hier wollte man vor allem den Gewerkschaften entgegenkommen, die schon im Januar 1982 in der DGB Landesbezirkskonferenz beschlossen hatten, das geplante Kabel-Pilotprojekt Dortmund grundsätzlich abzulehnen. Sie konnten aber mit ihrem Einfluss das Gesetzgebungsverfahren im Landtag NRW nicht stoppen, so dass das Kabelpilotprojekt Dortmund mit etwa 1.000 Haushalten am 1.6.1985 für eine Dauer von drei Jahren startete – in ausschließlich öffentlich-rechtlicher Trägerschaft und frei von Werbung.

Die Testpersonen in Dortmund empfingen neben den etablierten Sendern nun unter anderem einen Lokal-, einen Sport- und einen Offenen-Kanal, in dem die Dortmunder Bürger eigene Produktionen senden konnten. Ursprünglich sollten überhaupt keine Privatsender eingespeist werden, doch kurz nach dem Projektstart kamen dann noch SAT.1 und der Sky Channel hinzu.

Die Sender kosteten 0,25-0,50 DM Wochengebühr. Einzelne besondere Sendungen konnten auch mal 1,00 bis 4,00 DM kosten. Realisiert wurde dies per Fernsteuer- und adressierbares Teilnehmerkonverter-System (FAT).

Das Kabelpilotprojekt hatte dabei das Ziel, die Auswirkungen dieser Programmauffächerung auf die Testpersonen zu ergründen, aber auch die Reaktionen der „alten“ Medien und der Wirtschaft zu erforschen.

Zu der Zeit wurden sehr viele verschiedene und neuartige Techniken und Dienste entwickelt, die im Projekt getestet und ausprobiert werden konnten. Alles musste dann bzgl. der Akzeptanz und Auswirkungen in umfangreichen Begleitstudien dokumentiert werden. Diese vielen Studien sollten in Wirklichkeit die Grundlage für politische Entscheidungen über den weiteren Ausbau der Kabelnetze und vor allem die Zulassung des Privatfernsehens bilden.

Für die Privatisierung und Sendervielfalt wurde tüchtig geworben. Das ging so weit, dass die Deutsche Bundespost in Bildmontagen darauf hinwies, dass Hausantennen durch einen Kabelanschluss überflüssig würden und somit auch das Erscheinungsbild der Häuser einer Stadt oder Gemeinde verschönere.

„Bimbes“ für die politische Medienlandschaftspflege

Die Entwicklung schritt rasant voran, am Ende Laufzeit des Kabelpilotprojekts waren die „neuen“ Medien bereits bundesweit etabliert. Hier haben Personen mit geschoben, die man damals zwar im Verdacht hatte, die privaten Medien auszubauen, heute aber ist bekannt, dass es beispielsweise einen Vertrag über die „Beratungen zu politischen Entwicklungen in Deutschland und in Europa“ zwischen Leo Kirch, dem Medienmogul der 1980er und 1990er Jahre und Helmut Kohl, dem damaligen Bundeskanzler, gab.

Der Vertrag wurde nun öffentlich, die angebliche Beratertätigkeit ist aber dort nicht weiter genannt. Im Gegensatz zu den Leistungen sind die „Vergütungen“ in Paragraph 5 exakt definiert: pro Jahr gab es 600.000 DM, zahlbar in „12 gleichen Raten“ jeweils zu Beginn eines jeden Monats. Dazu laufen noch die jeweilige Mehrwertsteuer sowie alle weiteren „angemessenen Kosten und Spesen“ auf. Helmut Kohl hat für diese Art seiner Einnahmen gerne das Wort „Bimbes“ benutzt. Im Paragraf 2 des Beratervertrags ist genau beschrieben, was Helmut Kohl nicht leisten muss: u.a. keine Marketingaktivitäten, keine Öffentlichkeitsarbeit und keine Werbung sowie keine Teilnahme an Veranstaltungen der Kirch-Firmen.

Nicht vergessen wurde die „Vertraulichkeit“, in Paragraph 4 verpflichten sich die Vertragspartner gegenseitig zur „unbedingten Wahrung von Vertraulichkeit“ über den Inhalt des Vertrages und die erbrachten Dienstleistungen.

Das Ganze lässt den Schluss zu, dass der fürstliche Lohn eher ein Dankeschön für politische Gefälligkeiten war. Den famosen Aufstieg zum Milliardär jedenfalls verdankte Leo Kirch der Regierung Kohl. Diese setzte sich immer wieder für den Münchner Medienmacher und dessen Pläne auf dem Fernsehmarkt ein und legt sich dabei sogar mit der EU-Kommission an.

Auch schon früher wurde eine „Beratertätigkeit“ von Politikern für den Münchner Medienkonzern KirchMedia fürstlich belohnt. Da standen neben Helmut Kohl, z.B. Jürgen Möllemann, Ex-Finanzminister Theo Waigel, die früheren Postminister Wolfgang Bötsch und Christian Schwartz-Schilling sowie der frühere Verteidigungsminister Rupert Scholz auf der Gehaltsliste von Theo Kirch.

Der konnte sein Medienimperium weiter ausbauen, bis ihn die Banken fallen ließen. Wegen Überschuldung musste die KirchMedia im April 2002 Insolvenz anmelden. In den folgenden Monaten wurde die Unternehmensgruppe zerschlagen. Nach Meinung von Leo Kirch verursachte eine bewusste Äußerung über die mangelnde Kreditwürdigkeit des Unternehmens durch die Deutsche Bank die Insolvenz. Damals war die Konzentration im Medienbereich schon weit fortgeschritten und die Meinungsbildung lag in der Hand von ein paar Konzernen.

Meinungseinfalt in Dortmund

Mit dem Ende des Kabelpilotprojets in Dortmund nach 3 Jahren war auch der medienpolitische Aufbruch beendet. Die Politik wurde ähnlich wie die Gewerkschaften förmlich von der Privatisierung überrollt und versuchte lediglich den öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu schützen.

Letztendlich konnte sie die Konzentration der Medienlandschaft in der Hand der Dortmunder Lensing- und der Essener Funkegruppe nicht verhindern, sie hatte es auch verpasst, diese Entwicklung überhaupt zu problematisieren.

Man fiel aus allen Wolken als in Dortmund die Entlassung von allen 120 Redakteuren und noch einmal so vielen freien Mitarbeitern bei der Westfälischen Rundschau (WR) durch die Mediengruppe Funke  im Januar 2013 anstand. Seitdem erscheint die WR zwar in vielen Städten weiter – aber ohne eigene Redaktion. Den Lokalteil kauft die WR, genauso wie die Westdeutsche Allgemeine Zeitung (WAZ), die auch zur Mediengruppe Funke gehört, von der Konkurrenz, den konservativen und dem Klerikalismus verpflichteten Ruhr Nachrichten (RN) ein. Die RN erscheinen im Medienhaus Lensing in Dortmund, das bereits im Januar 2007 der gesamten 19-köpfigen Lokal- und Sportredaktion der Münsterschen Zeitung, die zu ihrem Medienhaus gehört, gekündigt hatte.

Auch in Dortmund haben sich monopolartige, private Medienkonzerne entwickelt, die teilweise von einzelnen Familien beherrscht werden und deren Meinungen auch von den angestellten journalistisch tätigen Beschäftigten vertreten werden müssen. Ein objektiv berichtender und urteilender Journalismus kann so nicht mehr gewährleistet und aufrechterhalten werden.

Die Medienunternehmen sind ganz normale Dienstleistungsunternehmen geworden, die Informationen bereitstellen und gleichzeitig auf Gewinn zielen.

Um den möglichst größten Profit zu erzielen, setzen die Medienkonzerne auf Werbung, Sport und seichte Unterhaltung. Sensationsjournalismus ist an die Stelle der Berichterstattung getreten. Jeder schreibt mittlerweile von jedem ab und kann so politische Kampagnen gegenüber Einzelpersonen, Gesellschaftsgruppen und auch Staaten initiieren.

Die zunehmende Macht, Konzentration und Kommerzialisierung der Medien wurde noch einmal durch die digitalen Kommunikationssysteme gepusht.

Nach dem Kahlschlag in der Dortmunder Presselandschaft wird die Medienlandschaft und Meinungsbildung in Dortmund heute vor allem durch die Lensing-Gruppe geprägt, neben den dominierenden Ruhrnachrichten, gehören die Nordstadtblogger, Dortmund24.de und das Radio 91.2 dazu. An Radio 91,2 sind die Ruhr Nachrichten mit 39,6 Prozent, die Funke Mediengruppe mit 35,4 Prozent und die Dortmunder Stadtwerke21 mit 25 Prozent beteiligt.

Und die Öffentlich-Rechtlichen? Da gibt es die rührige Lokalzeit mit dem familienorientierten Programm mit vielen Reportagen aus der Tier- und Pflanzenwelt – aus dem Zoo und Kleingarten – und einem WDR-Hörfunk der ganz viel und oft über die faktisch/statistisch fallende Kriminalität in der Stadt berichtet, wobei der Hörer den Eindruck hat, die Berichte und Meldung kommen direkt aus der Pressestelle der Polizei.

Und der Offene Kanal? Dieser von den Bürgern der Stadt selbstorganisierte Fernsehsender, der im Juni 1985 im Rahmen eines Kabelpilotprojekts, als bundesweit zweiter offener Kanal Deutschlands, eröffnet wurde. Der WDR fungierte zunächst als Träger des Projektes, wurde aber im März 1988 durch den Offener Kanal Dortmund e. V. ersetzt. 1995 war der Offene Kanal Dortmund der erste Offene Kanal, der eine eigene Website publizierte. 2004 wurde das Fernsehprogramm in floriantv umbenannt und in Kooperation mit dem Journalistik-Institut der Uni Dortmund betrieben. Am 1. Januar 2009 stellte floriantv seinen Sendebetrieb im Dortmunder Kabelnetz nach mehr als 23 Jahren ein.

Die Befürchtungen der Gewerkschaften, die im Januar 1982 auf der DGB Landesbezirkskonferenz beschlossen hatten, das geplante Kabel-Pilotprojekt Dortmund grundsätzlich abzulehnen, weil der Privatisierung damit elegant Tür und Tor geöffnet würde, sind wohl eingetreten.

 

 

 

Quelle: wdr, panorama, kabelfunk Do, WAZ

Bildbearbeitung: L.N