Mehr Drogentote in Dortmund – das Betäubungsmittelgesetz ist das Problem

Drogen KarlsruheCanKlAm 22.07.2014 berichtete die Westdeutsche Allgemeine Zeitung (WAZ), dass sich seit 2012 die Zahl der Drogentoten in Dortmund mehr als verdoppelt hat. Während es 2013 offiziell neun Tote waren, sind es im Juni 2014 bisher bereits elf. Dabei sei die Zahl der Toten, die an einer Überdosis gestorben sind, weitaus höher, weil sie nicht alle erfasst würden.

Der sozialpsychiatrische Dienst des Gesundheitsamtes weist in diesem Zusammenhang auch auf die starke Zunahme der Kriminalisierung hin, die besonders mit dem Heroinkonsum einhergeht.

 

Bis Anfang der 1970er Jahre verstand man in Dortmund unter Drogen nur Tabletten und Alkohol. Erst mit dem Auftreten der „Flower-Power-Generation“ erreichte LSD und „Berliner Tinke“, das war eine Opiummischung, eine überschaubare Zahl junger Menschen, die mit den Drogen auf die psychedelische Reise gingen. Sie nahmen keine Drogen, sie „experimentierten“ damit.

Als dann die Vermarktung in Dortmund begann, verschiedene „weiche“ Drogen angeboten wurden und immer mehr jungen Menschen Drogen nahmen, etablierte sich auch die Drogenhilfe in der Stadt. Um möglichst nah an den Hilfebedürftigen zu sein, wurde in der Kesselstraße in der Nordstadt eine Teestube eingerichtet.

Eine „Drogenszene“ gab es noch nicht. Der Begriff setzte sich erst durch, als Mitte der 1980er Jahre Heroin auf dem Dortmunder Drogenmarkt auftauchte und sofort fatale Folgen mit sich brachte. Das Experimentieren und Probieren funktioniert nicht mehr. Viele hatten noch gar nicht gelernt hat, auf anderem Wege, als mit Drogen ihre Probleme zu lösen. Diese neue Droge zog die jungen Menschen sofort nach unten, wo sie teilweise bis heute geblieben sind. Verelendung, Krankheit, Kriminalisierung, stundenlange Versuche legal oder illegal Geld zu beschaffen und Verfolgung durch Sicherheitskräfte bestimmten ihren Alltag.

Da hatte die „Szene“ eine wichtige Funktion für den einzelnen Abhängigen. Aber auch für die Polizei, die damals Wert darauf legte, dass sich die Abhängigen öffentlich treffen konnten, damit sie besser zu beobachten und kontrollieren waren.

Nach dem Betäubungsmittelgesetz (BtMG) aber machten sich die Drogenkonsumenten strafbar und wurden strafrechtlich verfolgt.

Bis Anfang der 1990er Jahre traf sich die „Szene“ auf dem Platz von Leeds in der Innenstadt.

Parallel zu dieser Entwicklung wurde die Drogenhilfe in Dortmund ausgebaut. Das Café Flash und die Übernachtungsstelle Relax wurden eröffnet. Für viele Abhängige kam in ihrer elenden Situation nun oft noch eine HIV-Infektion dazu. Als die Drogenhilfe saubere Nadeln anbot, ermittelte die Staatsanwaltschaft wegen des „Verschaffens einer Gelegenheit zum Drogenkonsum“ gegen die Mitarbeiter.

Das Betäubungsmittelgesetz (BtMG) war schon damals für vieles gut und gab viel her.

Der Verfolgungsdruck auf dem Platz von Leeds wurde erhöht, Platzverweise ausgesprochen und die Leute auseinandergetrieben.

Der Druck der Kaufleute, der Kundschaft und auch der konservativen Sozialpolitiker führte dann zur konzeptionellen Neuausrichtung im „Kampf den Drogen“. Vom Platz von Leeds, über die Brückstraße, über die Katherinentreppe zum Nordausgang des Hauptbahnhofs wurde die „Szene“ vertrieben. Auch sollte sie in Bewegung gehalten und immer wieder aufgescheucht werden, damit sie sich nicht lange niederlassen konnte. Nach einigen Monaten wurden die Abhängigen vom Nordausgang des Hauptbahnhofs zum Nordmarkt vertrieben. Dort sollte dann die „Szene zerschlagen“ werden, so die Theorie.

Unterstützt wird und wurde dieses fragwürdige Vorgehen von der Nordstadt-CDU und einem Teil der Nordstadt-SPD.

Mittlerweile haben sich viele der Abhängigen aus der Öffentlichkeit zurückziehen und sich dem Verfolgungsdruck beugen müssen. Kommt es zu größeren Ansammlungen wie derzeit auf dem Nordmarkt, dem Schleswiger Platz oder der Heroldwiese, wird sofort der Verfolgungsdruck wieder erhöht. Die Menschen sind dann den Drogenfahndern und Strafverfolgern mit ihren immer neuen grundrechteeinschränkenden Fahndungsmethoden, die das Betäubungsmittelgesetz und die Rechtsprechung bieten, ausgesetzt.

Man ist nicht mehr im „Kampf den Drogen“, sondern kämpft angeblich gegen die Dealer und die Drogenkriminalität.

Laut WAZ will auch der Erste Polizeihauptkommissar in der Nordstadt, Detlef Rath, dem Drogenhandel den Nährboden entziehen. Das allerdings nicht allein durch die Polizei, sondern in einem Verbund aus Bürgern, Stadt, Justiz, Staatsanwaltschaft und Polizei. Die Kooperation mit der Stadt funktioniere in diesem Bereich sehr gut. Zu einer besseren Kooperation hätten zweifelsohne auch die Ordnungspartnerschaften zwischen Stadt und Polizei beigetragen. Bei der Polizei seien nun die verschiedenen Kommissariate und Einheiten besser vernetzt, von den Mitarbeitern der Wache Nord, der Schwerpunkteinheit Nordstadt, zivilen Einsatztrupps und den Beamten des Rauschgiftkommissariats. Stadt und Polizei gingen gemeinsam vor, nutzen repressive Maßnahmen der Polizei parallel zu ordnungsrechtlichen-, baurechtlichen und gewerberechtlichen Maßnahmen der Stadt.

Die Stadt Dortmund lässt stolz verlauten „auch wenn die städtischen Einsatzkräfte in der strafrechtlich relevanten Bekämpfung von Drogenkriminalität keine Eingriffsbefugnisse haben, so unterstützen sie im Rahmen der Ordnungspartnerschaft dennoch die wichtige Arbeit von Polizei und Staatsanwaltschaft. Ordnungspartnerschaft und Task Force Nordstadt – ein Erfolgsmodell. Die Task Force Nordstadt war 2013 in über 25.000 Einzelfällen aktiv.“

Den Verbund Bürger und Polizei haben einige Bewohner der Nordstadt wohl zu wörtlich genommen, z.B. schießt die stadtteilbekannte Oma öfter mal übers Ziel hinaus oder im Stil der Selbstjustiz wird mit einer Plakataktion ein mutmaßlicher Dealer in die Öffentlichkeit gezogen.

Vor allem aber die sicherheitspolitische Offensive von Polizei und Stadt Dortmund nach dem Zuzug von Menschen aus Osteuropa in Verbindung mit den Möglichkeiten des Betäubungsmittelgesetzes bei der „Bekämpfung der Drogenkriminalität“ haben mittlerweile die Bewohner der Nordstadt unter Generalverdacht gestellt.

Das beginnt mit massiver Polizeipräsenz im Alltagsbild der Nordstadt, geht über martialische, überzogene Polizeieinsätze, auch schon bei Bagatelldelikten und endet bei den aggressiven Durchsuchungen und Totalabsperrungen ganzer Wohnquartiere mit Hunderten von Einsatzkräften.

Das ist aber nur das öffentliche Bild ihres Kampfes. Die praktische Handhabe des Betäubungsmittelgesetzes bietet den Strafverfolgern mittlerweile eine Vielzahl von erlaubten oder nicht erlaubten Mitteln, wie Funkzellen-Auswertungen, elektronische Auswertung von Datenströmen, Trojanereinschleusung, Zugriff auf ausländische Server, Handy-Überwachungen, Bewegungsbilder, Wanzeneinsatz, Positionsbestimmung per GPS, IMSI-Catcher (Geräte zum Auslesen von Handys), Observationen, Innenraum-Überwachungen, heimliche Durchsuchungen, Strukturermittlungsverfahren, Video-Überwachungen, Finanzermittlungen, Verfallsanordnungen von Geld und Wertsachen, Einsatz von V-Leuten, vorgefertigte Sperrerklärungen zur Aktenunterdrückung und vieles mehr.

Hierbei sind nicht mehr die Staatsanwälte und Richter die Herren des Verfahrens, sondern der Zoll und die Polizei. Bei ihren konspirativen Aktionen entziehen sie sich weitgehend der Kontrolle. Die „Bekämpfung der Drogenkriminalität“ rechtfertig für sie alles, was sie machen und wie sie es machen.

Das Betäubungsmittelgesetz (BtMG) hat in seiner jetzigen Form keine Berechtigung mehr

Nach dem Betäubungsmittelgesetz ist jeder Umgang mit Betäubungsmitteln (Rauschgiften) ohne behördliche Genehmigung strafbar. Der Besitz auch einer geringen Menge, beispielsweise von Cannabisprodukten, ist grundsätzlich strafbar. Bei einer geringen Menge, kann die Staatsanwaltschaft aber von der Strafverfolgung absehen. Eine Gewähr für die Einstellung des Verfahrens gibt es nicht. In jedem Fall hat die Polizei immer Strafverfolgungspflicht und führt in der Regel folgenden Maßnahmen durch: vorläufige Festnahme, körperliche Durchsuchung, Einleitung eines Ermittlungsverfahrens, Mitteilung an die Führerscheinstelle wegen Drogen im Straßenverkehr, Durchsuchung der Wohnung, bei Personen unter 18 Jahren die Durchsuchung der Wohnung der Eltern.

Eine Einstellung des Verfahrens ist beim Handel mit Betäubungsmitteln immer ausgeschlossen, wenn die Tat in Schulen, Jugendheimen, Kasernen etc. begangen wurde und die Tat Kindern und Jugendlichen Anlass zur Nachahmung geben könnte.

Ein Résumé nach 40 Jahren Betäubungsmittelgesetz:

  • Der Drogenkonsum ist unabhängig von strafrechtlicher Intervention. Die Konjunkturen des Drogenkonsums sind gänzlich unabhängig von gesetzlichen Regelungen.
  • Die Vorgängerregelung des BtMG (Opiumgesetze) sah als Höchststrafe drei Jahre Haft vor. Es gab zu Beginn der 1960er Jahre durchschnittlich drei Verurteilungen pro Woche in der ganzen Bundesrepublik Deutschland. Heute droht das Betäubungsmittelgesetz 15 Jahre Höchststrafe an und rund die Hälfte aller Untersuchungshäftlinge sind wegen Drogenvorwürfen in Haft.
  • Bezogen auf das geschützte Rechtsgut, die Gesundheit, hat sich das Gesetz als wirkungslos erwiesen.
  • Drogen hat es immer gegeben und die Lust darauf und die Genusssuche wird es immer geben. Im legalen Bereich z.B. bei Alkohol wird das nicht angezweifelt oder kritisiert. Es ist willkürlich bestimmt, dass einige Drogen davon illegal sind.
  • Mit nichts anderem ist die Justiz mehr beschäftigt, als mit der Drogenkriminalität. Dennoch ist kein erwünschter Effekt der Strafverfolgung, wie eine geringere Nachfrage nach illegalen Betäubungsmitteln oder ein geringeres Angebot erkennbar. Die Prohibition ist seit vier Jahrzehnten vollkommen unwirksam.
  • Die Drogenprohibition hat rechtsstaatliche Prinzipien verdrängt. Die Justiz und der Gesetzgeber verweigern die kritische Bestandsaufnahme. Die Gerichte lassen im Regelfall grenzwertige oder rechtswidrige Ermittlungsmethoden der Polizei regelmäßig durchlaufen. Die Vernachlässigung der Kontrollfunktion der Gerichte wird damit gerechtfertigt, dass, je größer der Verdacht auf einen Drogenhandel ist, desto geringer ist die Voraussetzung zur Einhaltung rechtsstaatlicher Standards und Beschuldigtenrechte. Die Gesetzgebung versagt hier ebenfalls als Korrektiv: Im Betäubungsmittelbereich folgt das Gesetz der polizeilichen Praxis, nicht die polizeiliche Praxis dem Gesetz.
  • Die Beschaffungskriminalität ist eine weitere Folge der Prohibition. Jeder Mensch kann zum Opfern von Einbrüchen, Raubüberfällen und Betrug werden. Diese Delikte dienen dazu, die durch den Schwarzmarkt maßlos erhöhten Preise auch bezahlen zu können. Darüber hinaus ist eine weltweite Schattenwirtschaft mit riesigen Profitraten entstanden, das Geld wird gewaschen und fließt in den Wirtschaftskreislauf zurück. Der wirtschaftliche Schaden ist immens.
  • Seit 40 Jahren werden die Menschen durch die Medien und die Politik falsch informiert. Einzelne Problemfälle, wie Drogentote, werden immer wieder massiv dramatisiert. Der Tod wurde immer der Droge zugeschrieben, er hätte aber vor allem dem Strafrecht als Ursache zugeschrieben werden müssen. Drogentote gibt es in der Regel durch Unkalkulierbarkeit der Dosis, durch Beimengungen und gesundheitlichen Risiken der Lebensumstände. Bei sinnvoller Aufklärung und durch eine Verschreibungspflicht von Drogen hätte es auf jeden Fall weniger Tote gegeben.
  • Junge Menschen werden unnötig der Kriminalisierung ausgesetzt. Sie werden als Kriminelle geführt, weil ein Genuss verfolgt wird, ohne dass sie jemand geschadet haben. Sie begehen opferlose Delikte, bei denen kein Rechtsgut verletzt wird. Jeder darf Drogen konsumieren, das ist an sich nicht strafbar und von der Verfassung her gedeckt, aber man kann eben nicht konsumieren, ohne sich strafbar zu machen, z.B. wegen des Besitzes.
  • Seit 20 Jahren wird schon auf die gesetzliche Umsetzung der Vorgaben des Bundesverfassungsgerichtes zur Straflosigkeit des Besitzes geringer Mengen Cannabis gewartet. Im Gegenteil, die Strafbarkeit im Betäubungsmittelrecht wird immer weiter verschärft. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes reicht das ernsthafte Gespräch über ein Drogengeschäft zur Verwirklichung des Tatbestandes des vollendeten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge schon aus.
  • Das Strafrecht erzielt seine Wirkung nicht, vielmehr zeigt es unbeabsichtigte Nebenwirkungen, wie den Schwarzmarkt mit all seinen Folgen z.B: dem Drogenkrieg in Mexiko, hunderttausend Tote und Finanzierung des Terrorismus weltweit durch Opiumhandel.

 

Im Frühjahr 2014 haben 122 deutsche Strafrechtsprofessoren eine Resolution unterzeichnet, in der sie eine Entkriminalisierung der Drogen verlangen.

Es ist ein Versuch, die ursprüngliche Funktion des Parlaments wieder zu wecken, da verfassungsrechtlich die Gesetze eigentlich wissenschaftlich begründet sein und überprüft werden müssen. Die Zielsetzung ist, unabhängig von der Frage, ob Drogen gefährlich sind oder nicht, dass die Politik sich mit der derzeitigen unhaltbaren Situation, die sich aus dem Betäubungsmittelgesetz ergibt, auseinander setzt. Die Wissenschaftler bezeichnen die strafrechtliche Verfolgung als gescheitert, sozial schädlich und unökonomisch.

Rechtsstaatlich wäre es, ein solchermaßen nutzloses Gesetz wie das Betäubungsmittelgesetz abzuschaffen.

Der notwendige öffentliche Streit darüber hat hoffentlich nun begonnen.

 

Quellen: WAZ, Lorenz Böllinger, Martin Lemke

Bild: LotharSchaack | Wikimedia CC BY-SA 3.0