Mythos Lohnnebenkosten: Kein Anstieg sondern Rückgang der Quote, begrenzte Bedeutung der Arbeitgeberbeiträge

Die zur langfristigen Finanzierung der Ausgaben der Rentenversicherung erforderlichen Beitragssatzanhebungen werden in der öffentlichen Debatte regelmäßig als untragbar angesehen. Befürchtet werden als Folge der hohen und steigenden Lohnnebenkosten Wachstums- und Arbeitsplatzverluste.

Ein Blick auf die Empirie lässt jedoch erkennen, dass der Anteil der Lohnnebenkosten an den gesamten Bruttoarbeitskosten im Jahr 2016 bei lediglich 23,1 % liegt. Die Ende 2018 vom Statistischen Bundesamt veröffentlichten Daten (Arbeitskosten und Lohnnebenkosten im produzierenden Gewerbe und im Dienstleistungsbereich) fassen unter Lohnnebenkosten insbesondere die Arbeitgeberbeiträge zur Sozialversicherung, die Kosten der Entgeltfortzahlung sowie die Leistungen der betrieblichen Altersversorgung zusammen.

Kurz gefasst:

  • Die zur langfristigen Finanzierung der Ausgaben der Rentenversicherung erforderlichen Beitragssatzanhebungen werden in der öffentlichen Debatte regelmäßig als untragbar angesehen. Befürchtet werden als Folge der hohen und steigenden Lohnnebenkosten Wachstums- und Arbeitsplatzverluste.
  • Ein Blick auf die Empirie lässt jedoch erkennen, dass der Anteil der Lohnnebenkosten an den gesamten Bruttoarbeitskosten im Jahr 2016 bei lediglich 23,1 % liegt. Die Ende 2018 vom Statistischen Bundesamt veröffentlichten Daten (Arbeitskosten und Lohnnebenkosten im produzierenden Gewerbe und im Dienstleistungsbereich) fassen unter Lohnnebenkosten insbesondere die Arbeitgeberbeiträge zur Sozialversicherung, die Kosten der Entgeltfortzahlung sowie die Leistungen der betrieblichen Altersversorgung zusammen.
  • Beobachtet man die Entwicklung dieser Quote seit 2004, zeigt sich ein Rückgang von 25,2 % (2004) auf 23,1 % (2016) (vgl. auch Tabelle II.14).
  • Werden zu den Lohnnebenkosten noch die Vergütungen für nicht gearbeitete Tage (Urlaub- und Feiertage) hinzugerechnet, liegt der Anteil der Personalnebenkosten im Jahr 2016 bei 33,2 % gegenüber 34,7 % im Jahr 2004. Insgesamt zeigt sich, dass die Nebenkosten einschließlich der Vergütung für nicht gearbeitete Tage eine begrenzte Bedeutung im Rahmen der Bruttoarbeitskosten insgesamt haben.
  • Dies gilt insbesondere für die Arbeitgeberbeiträge zur Sozialversicherung: Sie machen 2016 lediglich 13,0 % der Bruttoarbeitskosten aus und sind ebenfalls gegenüber 2004 (13,7 %) gesunken.
  • Zwar liegt der Arbeitgeberbeitragssatz zu den Zweigen der Sozialversicherung mit 19,3 % (2016) deutlich höher. Diese Abweichung erklärt sich vor allem daraus, dass als Bemessungsgrundlage für die Arbeitgeberbeiträge nur die Bruttolöhne – und -gehälter dienen. Die Bruttolöhne- und -gehälter sind aber nur ein Teil der Arbeitsgesamtkosten.
  • Der im öffentlichen Diskurs häufig vorzufindende Eindruck steigender Lohnnebenkosten oder Arbeitsgeberbelastungen bestätigt sich also nicht. Bei der Betrachtung des ‚Faktors Arbeit‘ bleibt außerdem zu berücksichtigen, in welchem Verhältnis die Arbeitsgesamtkosten zur Produktivität stehen. Nur so ist eine sinnvolle, auch sozialpolitische Interpretation auch der Lohnnebenkosten möglich.
  • Im Unterschied zur Definition des Statistischen Bundesamtes werden hier Sonderzahlungen, Sachleistungen, Leistungen für Vermögensbildung nicht zu den Nebenkosten gezählt. Denn die die Zahlungsweise des Arbeitsentgelts ändert nichts daran, dass auch Sonderzahlungen wie Weihnachtsgeld, Urlaubsgeld, Erfolgsbeteiligungen ein tarif- und/oder individualvertraglicher Bestandteil des Entgelts für die geleiteste Arbeit sind.
Hintergrund

Die wirtschafts- und sozialpolitische Debatte wird durch die Auffassung beherrscht, dass eine Anhebung der Arbeitgeberbeitragssätze zur Sozialversicherung zu vermeiden sei. Steigende Beiträge – so die These – erhöhen die Lohnnebenkosten der Unternehmen, verteuern den Faktor Arbeit, gefährden die internationale Wettbewerbsfähigkeit und vernichten Arbeitsplätze. Entsprechend hat die Entlastung der Betriebe die Entwicklung in der Rentenversicherung (Finanzierung der betrieblichen und privaten Altersvorsorge allein durch die Arbeitnehmer) wie in der Krankenversicherung (bis Ende 2018 Finanzierung des Zusatzbeitrags allein durch die Versicherten) die Politik geprägt. Im Ergebnis ist der Grundsatz der paritätischen Finanzierung der Sozialversicherung damit eingeschränkt worden – verbunden mit einer Mehrbelastung der Versicherten.

Die Arbeitskostenerhebungen des Statistischen Bundesamtes machen allerdings deutlich, dass die Befürchtungen über die ökonomischen Negativwirkungen der Lohnnebenkosten weit überzogen sind. Denn der Arbeitgeberbeitragssatz zur Sozialversicherung ist nicht mit der Belastung der Arbeitgeber durch Arbeitskosten zu verwechseln. Eine Anhebung des paritätischen Beitragssatzes zur Rentenversicherung um beispielsweise einen Prozentpunkt und des Arbeitgeberbeitragssatzes entsprechend um 0,5 Prozentpunkte führt lediglich zu einer minimalen Erhöhung der Arbeitskosten insgesamt. Grob berechnet würden in diesem Fall die Arbeitgeberbeiträge um 2,6 %, die Lohnnebenkosten um 1 % und die Personalgesamtkosten um 0,4 % steigen.

Grundsätzlich gilt, dass es bei der Kostenkalkulation eines Unternehmens nicht vorrangig auf die Nebenkosten ankommt, sondern auf die Höhe und Entwicklung der Arbeitsgesamtkosten, also auf alle Aufwendungen, die einem Arbeitgeber durch die Beschäftigung von Arbeitskräften entstehen. Denn ökonomisch ist es letztlich unerheblich, wie sich die Arbeitskosten in ihre einzelnen Bestandteile aufteilen. Dabei ist der Begriff der Nebenkosten insofern irreführend, als dass er suggeriert, dass es zusätzlich zum Entgelt für die geleistete Arbeit noch Kosten gäbe, denen keine Leistung gegenübersteht. Tatsächlich müssen jedoch die Arbeitskosten insgesamt (also Entgelt und Nebenkosten) als Aufwendungen für den Einsatz der Arbeitskraft gesehen werden.

Unbestritten ist, dass die Arbeitsgesamtkosten in Deutschland im Vergleich zu vielen anderen Ländern der Welt hoch liegen. Hohe Arbeitskosten und hohe Löhne sind Spiegelbild einer durch Massenwohlstand gekennzeichneten Gesellschaft. Eine hohe gesamtgesellschaftliche Einkommens- und Wohlstandsposition sowie ein eng geknüpftes Netz der sozialen Sicherung lassen sich nicht mit niedrigen Arbeitskosten verbinden.

Zu fragen ist deshalb nicht, ob die Arbeitskosten hoch sind, sondern ob sie zu hoch sind. Die absoluten Werte geben auf diese Frage keine Antwort. Ob die Arbeitskosten ökonomisch verkraftet werden können, hängt ab von dem Leistungsergebnis, das in einem Betrieb, einer Branche oder in der Volkswirtschaft insgesamt erwirtschaftet wird und das den Kosten gegenübersteht. Auskunft über das Leistungsergebnis gibt die Arbeitsproduktivität, die den Produktionsoutput je Arbeitsstunde widerspiegelt. Setzt man die Arbeitskosten ins Verhältnis zur Arbeitsproduktivität, so ermitteln sich die Lohnstückkosten. Die Lohnstückkosten lassen erkennen, wie viel Lohn (einschließlich der Lohnnebenkosten) für eine Produkt- oder Dienstleistungseinheit gezahlt werden muss. In den entwickelten Industrieländern ergeben sich trotz hoher Arbeits- und Sozialkosten vergleichsweise niedrige Lohnstückkosten, weil auch die Arbeitsproduktivität hoch ist. Die hohe Kapitalintensität der Produktion, der Einsatz neuer Technologien, die effiziente Arbeitsorganisation und der gute Qualifikationsstand der Beschäftigten wirken sich unmittelbar positiv auf das wirtschaftliche Leistungsergebnis aus. Hohe Löhne und hohe Produktivität stehen also in einem Wechselverhältnis zueinander.

Lohnnebenkosten

Die Frage, welche Elemente der Arbeitskosten zu den Lohnnebenkosten zu zählen sind, ist seit jeher strittig.

Das Statistische Bundesamt definiert in Entsprechung einer EU-Verordnung und den Standards der ILO als Lohnnebenkosten

• die tatsächlichen und unterstellten Sozialbeiträge der Arbeitgeber,

• die Kosten für die berufliche Aus- und Weiterbildung,

• die sonstigen Aufwendungen und

• die Steuern auf die Lohnsumme oder Beschäftigtenzahl

 

Als Personalnebenkosten gelten zusätzlich

• Sonderzahlungen,

• Sachleistungen,

• Leistungen zur Vermögensbildung der Arbeitnehmer,

• Vergütung für nicht gearbeitete Tage (Urlaub, Feiertage und sonstige arbeitsfreie Tage).

• Bruttolöhne und -gehälter der Auszubildenden

Diese Zuordnung von Sonderzahlungen (wie Weihnachtsgeld, Urlaubsgeld, Erfolgsbeteiligungen), Sachleistungen und vermögenswirksamen Leistungen als Personalnebenkosten ist allerdings wenig einsichtig, da die Zahlungsweise des Arbeitsentgelts nichts daran ändert, dass auch Sonderzahlungen ein tarif- und/oder individualvertraglicher Bestandteil des Entgelts für die geleiteste Arbeit sind. Bei einer Bewertung von Sonderzahlungen als Nebenkosten kommt es nämlich zu dem Paradox, dass die Nebenkosten steigen, wenn sich der erfolgsabhängige Teil der Entlohnung erhöht. Umgekehrt würden die Nebenkosten sinken, wenn die Tarifparteien vereinbaren, dass das gesonderte Urlaubs- oder Weihnachtsgeld in die monatliche Tarifvergütung eingearbeitet wird.

Methodische Hinweise

Die Daten entstammen der Arbeitskostenerhebung des Statistischen Bundesamtes. In einer Stichprobe werden Unternehmen mit zehn und mehr Beschäftigten befragt. Zu den Arbeitnehmer/-innen (Beschäftigten) zählen insbesondere sozialversicherungspflichtig Beschäftigte, Personen in Altersteilzeit – selbst wenn sie bereits von der Arbeitsleistung freigestellt sind (Blockmodell) -, geringfügig Beschäftigte, Beschäftigte, die ihren Wohnsitz im Ausland haben und zur Arbeit einpendeln, Heimarbeiter/-innen, Saison- oder Gelegenheitsarbeiter/-innen, Aushilfskräfte, Personen in Mutterschutz und mit Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall sowie Personen in Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen (ABM). Beamtinnen und Beamte werden einbezogen, sofern sie für die Deutsche Bahn AG, Deutsche Post AG oder Deutsche Telekom AG tätig waren.

Beträge der Entgeltumwandlung, also der arbeitnehmerfinanzierten betrieblichen Altersversorgung, werden seit 2008 nicht mehr den Aufwendungen für betriebliche Altersversorgung zugeordnet, sondern den Bruttolöhnen und -gehältern.

Zu den unterstellten Sozialbeiträgen der Arbeitgeber zählen auch die Beiträge zur Alters- und Gesundheitsvorsorge der Beamten. Hierunter fallen die oben genannten (ehemals staatlichen) Arbeitgeber, die ohne spezielle Deckungsmittel finanzierte Rentensysteme und/oder Beihilfeleistungen für die Beamten vorsehen.

Vollzeiteinheiten sind Vollzeitbeschäftigte sowie entsprechend ihrer tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden in Vollzeitarbeitsplätze umgerechnete Teilzeitbeschäftigte.

 

 

Quelle: Thema des Monats Mai 2019 – Kontakt: Prof. Dr. Gerhard Bäcker ǀ Institut Arbeit und Qualifikation ǀ Forsthausweg 2 ǀ 47057 Duisburg ǀ 0203 379 2573 ǀ gerhard.baecker@uni-due.de

http://www.sozialpolitik-aktuell.de/