Rechts, Links und die Gewerkschaften in den USA

Von Bill Fletcher

Joe Biden tritt als neuer Präsident in den USA an mit dem Versprechen, eine sozialere Politik zu machen. Die Gewerkschaften werden das unterstützen, doch sie sind geschwächt. Eine Analyse und Forderungen für die Zukunft.

In diesem historischen Augenblick, wenn Joe Biden sein Amt als 46. Präsident der USA  antritt, stoßen zwei „tektonische Platten“ gegeneinander: eine globale Wirtschaftskrise und eine globale Umweltkrise. Diese Krisen sind die Grundlage für das planetarische Unbehagen und die Angst. Sie haben auch mächtige Kräfte entfesselt, einschließlich einer Revolte gegen die neoliberale Globalisierung von der Rechten und der Linken, obwohl die Rechte in ihrem Ansatz gegenüber dem Neoliberalismus alles andere als konsequent war.

Die Gewerkschaftsbewegung ist angesichts des Rechtspopulismus wie gelähmt

Diese Krisen schaffen Legitimitätsprobleme für kapitalistische demokratische Staaten und begünstigen den Aufstieg rechtspopulistischer Bewegungen auf der ganzen Welt – Bewegungen, die Autoritarismus, nationalen Chauvinismus und Rassismus, Frauenfeindlichkeit, Fremdenfeindlichkeit, Militarismus und Irrationalismus fördern.  Rechtspopulisten greifen bisweilen zumindest rhetorisch den Neoliberalismus an, aber sie haben keinen konsistenten ökonomischen Ansatz.  Innerhalb des Rechtspopulismus gibt es einen Kern neofaschistischer Tendenzen, die – ebenso wie der Rechtspopulismus selbst – jeweils eine nationalspezifische Form haben.

Die US-Gewerkschaftsbewegung ist angesichts des Rechtspopulismus wie gelähmt. Sie haben mehr als ein Jahrhundert lang weitgehend gemäß dem hegemonialen Rahmen gehandelt, den der Gewerkschaftsgründer und -führer Samuel Gompers nach schwedischem Vorbild in der zweiten Hälfte des 19 Jahrhunderts geformt hatte. Also: Gewerkschaften sind parteiunabhängige Interessenvertretungen der Arbeiter, die gute Löhne, Arbeitszeiten und Arbeitsbedingungen aushandeln. Doch heute befindet sich die US-Gewerkschaftsbewegung in einem Zustand relativer Lähmung. Zunehmend geschwächt durch die Angriffe während des Kalten Krieges in den späten 1940er-Jahren, wandte sich die Gewerkschaftsbewegung vollständig vom Klassenkampf und der sozialen Gerechtigkeit ab und konzentrierte sich darauf, sich mit dem Kapital zu arrangieren. Anfang der 1970er-Jahre war dieser Weg nachweislich gescheitert, und der Niedergang der relativen Stärke der organisierten Arbeiterschaft beschleunigte sich. Das Aufkommen der neoliberalen Globalisierung verschärfte die Krise.

Trotz verschiedener Bemühungen um eine Wiederbelebung konnte der Großteil der organisierten Arbeiterschaft die Notwendigkeit einer organisatorischen und inhaltlichen Transformation nicht akzeptieren oder erkennen. Die Spaltung der AFL-CIO (American Federation of Labor and Congress of Industrial Organizations) im Jahr 2005 war insofern sinnbildlich für die Krise, als keine der beiden Seiten in der Lage war, einen Weg zur Korrektur der Bewegung zu artikulieren.

Im Mittelpunkt dieser Krise standen nicht in erster Linie Fragen der Organisationstechnik, sondern vielmehr Vision und Strategie. Abgesehen von den linksgeführten Gewerkschaften weigerte sich die organisierte Arbeiterschaft, Fragen des Rassismus, der Genderdiskriminierung und des Kapitalismus anzusprechen. In jüngster Zeit war sie entweder unfähig oder nicht willens, dem Ansturm des Rechtspopulismus direkt zu begegnen. Nach der Wahl von Donald Trump zum Präsidenten 2016 bekamen viele Gewerkschaften Angst vor ihren eigenen Mitgliedern, da sie nicht verstanden, warum bis zu 40 Prozent ihrer Mitglieder für jemanden stimmen konnten, der grundsätzlich arbeitnehmerfeindlich ist.

Die Gewerkschaften sind zersplittert – nicht erst seit Trumps Amtszeit

Die organisierte Arbeiterschaft hat die neoliberale Globalisierung nie umfassend kritisiert: Im Mittelpunkt der Gewerkschaftskritik standen vor allem die Handelsabkommen. Der Schwerpunkt lag auf den Auswirkungen dieser Abkommen auf die US-Arbeiter*innen. Die allgemeineren Konsequenzen, etwa die Folgen von Nafta für mexikanische Arbeiter und Bauern, wurden weitgehend ignoriert. Viele der Gewerkschaften des öffentlichen Sektors reagierten auf die Privatisierung und wehrten sich, aber die Elemente der neoliberalen Globalisierung wurden nicht in diesem Zusammenhang betrachtet. Wenn sich die Arbeiterschaft in den USA zu verschiedenen Herausforderungen äußerte, sei es beim Handel oder bei den Privatisierungen öffentlicher Aufgaben, erweckte sie oft den Anschein, dass jemand anderes etwas gegen die sie unternimmt, statt die US-Kapitalisten anzuprangern, die zusammen mit dem Rest der transnationalen Kapitalistenklasse, die Rechte der Arbeiter*innen weltweit zerschlagen.

Die Auswirkungen dieses Versagens wurden 2016 deutlich, als Trump mit dem Establishment der Republikanischen Partei brach und eine protektionistische Agenda vorantrieb. Dies hat großen Anklang bei vielen US-Arbeiter*innen gefunden, insbesondere bei weißen Arbeitern. Die Gewerkschaften waren nicht in der Lage, den Unterschied zu erklären zwischen dem, was Trump sagte, und dem, wofür die Gewerkschaften eintreten.

Die organisierte Arbeiterschaft ist zersplittert: Dies wurde seit der Spaltung der AFL-CIO im Jahr 2005 immer deutlicher. Einerseits verließen mehrere größere Gewerkschaften die AFL-CIO, um die Change to Win Federation zu gründen. Doch Change To Win andererseits floppte, da sie dann wieder Mitglieder verlor, die entweder zur AFL-CIO zurückkehrten oder unabhängig wurden. Zudem trennten sich die International Longshore and Warehouse Union und später die International Longshoremen’s Association von der AFL-CIO, hauptsächlich aufgrund von Zuständigkeitsfragen und Frustration. Die Zersplitterung wurde dadurch verstärkt, dass größere Gewerkschaften ihre eigenen politischen Aktivitäten außerhalb des von der nationalen AFL-CIO geschaffenen Bereichs aufbauten, wobei sie manchmal die Landesverbände und zentralen Betriebsräte ganz ignorierten.

Die Arbeiter*innen des Südens und des Südwestens in Gewerkschaften zu organisieren, bleibt eine strategische Priorität für die organisierte Arbeiterbewegung. Es ist auch von zentraler Bedeutung, um die rechten Gruppierungen der „Neuen Konföderierten“ zu besiegen. An sich steht die Organisierung des Südens und Südwestens seit den 1930er-Jahren auf der Agenda der organisierten Arbeiterbewegung, aber sie ist weitgehend gescheitert. Das hatte vor allem zwei Gründe: Die Arbeiterbewegung setzte sich nicht ausreichend mit Rassismus und Antikommunismus auseinander und sie hatte keine große Vision für die Zukunft. Doch die Organisierung des sogenannten Sonnengürtels ist entscheidend für die Umgestaltung der Politik und Wirtschaft der USA.

Jetzt gilt es im Süden zu organisieren und Arbeitslose wie Veteranen zu integrieren

Es hat sich wiederholt gezeigt, dass gewerkschaftlich organisierte Arbeiter und ihre Familien dazu neigen, eher progressiv zu wählen. Gewerkschaftlich organisierte Belegschaften können zu „befreiten Zonen“ werden, in denen sie sich verstärkt für soziale Gerechtigkeit stark machen.  Wie das geht, demonstrierte die Linke schon in den 1930er- und 1940er-Jahren in Gewerkschaften wie Food, Tobacco & Agricultural Workers und Packinghouse Workers Union. Die Mine, Mill & Smelter Workers Union, eine weitere von der Linken geführte Formation, spielte eine sehr zentrale Rolle bei der Organisierung von Chicanos (mexikanischstämmigen Amerikanern) und indianischen Arbeitern im Südwesten, einschließlich der Unterstützung bei der Entwicklung einer frühen arbeiterfreundlichen regionalen Chicano/Mexicano Community Group.  Die Gewerkschaften müssen sich im Süden und Südwesten als Teil einer größeren Anstrengung organisieren, um die spalterische Neue Konföderation zu besiegen.

Lange vernachlässigt wurde auch die Organisierung von Arbeitslosen und Veteranen: Die Gewerkschaftsbewegung muss ihr Augenmerk auf diese beiden Gruppen richten, weil sie sich politisch nach rechts oder nach links wenden können, je nachdem, wer zuerst ihre Sorgen ernst nimmt. Die Arbeitslosen müssen durch die Arbeit des nationalen AFL-CIO und seiner staatlichen und zentralen Gewerkschaftsorgane organisiert werden, weil keine andere einzelne Mitgliedsorganisation ein Interesse daran hat. Besonders in diesem Moment des wirtschaftlichen Zusammenbruchs muss den Arbeitslosen direkt finanziell geholfen werden, aber auch mit Arbeitsplätzen, Wohnraum und wirtschaftlicher Perspektive. Die große Gruppe der Kriegsveteranen muss ebenfalls organisiert werden, da sie unter anderem häufig ein Ziel für faschistische Organisationen sind.  Pro-Arbeiter, progressive Veteranengruppen müssen ausgebaut werden und unter anderem die Aufgabe übernehmen, für die Reform des Department of Veterans Affairs zu kämpfen sowie sich in der Friedens- und Gerechtigkeitsarbeit zu engagieren. Schließlich wissen Veteranen aus erster Hand über die US-Außenpolitik Bescheid.

 

Über den Autor:

Bill Fletcher ist seit seiner Jugend in der Gewerkschaftsbewegung aktiv und war Präsident des TransAfrica Forum. Er hat für mehrere Gewerkschaften gearbeitet, u.a. als leitender Mitarbeiter des nationalen Dachverbandes AFL-CIO.

Aus dem amerikanischen Englisch von Daniel Haufler.

 

 

 

 

Quelle: https://gegenblende.dgb.de
Bild: pixabay.com cco