Tagesmütter arbeiten als „Scheinselbständige“ und werden weit unter Mindestlohn bezahlt

Als am 01.08.2013 der Rechtsanspruch für Kinder ab Vollendung des ersten Lebensjahres auf einen Kindertagesstätten-Platz eingeführt wurde, hatten die Städte noch nicht genügend Plätze in den Tageseinrichtungen geschaffen. Das ist heute immer noch so.

Um mögliche Klagen der Eltern, deren Kindern keinen Platz erhielten, zu vermeiden, wurden auf die Schnelle zusätzliche Betreuungsplätze bei den Tagesmüttern geschaffen bzw. die Tätigkeit Tagesmutter beworben.

Im Frühjahr dieses Jahres wurden Tagesmütter im Auftrag des Landesverbandes Kindertagespflege gefragt, wie viele Stunden sie arbeiten. Auf dieser Grundlage konnte der durchschnittliche Verdienst von Tagesmüttern in Baden-Württemberg ermittelt werden: Er liegt bei 4,08 Euro pro Stunde. Das ist spürbar weniger als die Hälfte des gesetzlichen Mindestlohns von 8,84 Euro – im Durchschnitt. Was nichts anderes bedeutet, als dass viele noch darunter liegen.

Die Kommunen und die Länder haben nach wie vor ein starkes Interesse daran, dass es diese scheinselbstständige Beschäftigung gibt, sie sparen dabei viel Geld ein.

Doch was das für die Lebens- und Arbeitssituation der Tagesmütter bedeutet, soll am Beispiel Dortmund geschildert werden, auch dort werden sie im Regen stehen gelassen.

Als der Rechtsanspruch für Kinder ab Vollendung des ersten Lebensjahres auf einen Kindertagesstätten-Platz eingeführt wurde, hatte Dortmund, wie andere Städte auch, noch nicht genügend Plätze in den Tageseinrichtungen geschaffen.

Um mögliche Klagen der Eltern, deren Kindern keinen Platz erhielten zu vermeiden, wurden auf die Schnelle zusätzliche Betreuungsplätze bei den Tagesmüttern geschaffen bzw. die Tätigkeit Tagesmutter beworben.

In der Broschüre von den Familienergänzenden Bildungseinrichtungen für Kinder in Dortmund (FABIDO), die rund 1.000 Plätze in Kindertagespflege im gesamten Stadtgebiet anbieten, heißt es: „Jede Tagesmutter, jeder Tagesvater arbeitet individuell und selbstständig, bietet bestimmte Betreuungszeiten an und hat eigene inhaltliche Schwerpunkte. Für alle mit der Kindertagespflege zusammenhängenden organisatorischen, formalen und pädagogischen Fragen stehen Ihnen unsere 18 sozialpädagogischen Fachberatungen in zwei Teams mit einem umfangreichen Beratungsangebot zur Verfügung“.

Es scheint, dass der erste Satz seitens der Stadttochter FABIDO zu wörtlich interpretiert, der zweite Satz in der Praxis wohl nicht ernsthaft genug ausgefüllt wurde.

Heute steht fest, dass einige der Tagemütter nicht die erforderliche Unterstützung in organisatorischen und formellen Fragen erhalten haben. Sie konnten nicht nur individuell und selbständig arbeiten, ihnen fehlte es schlichtweg an elementare Unterstützung; mit der Folge, dass einige Frauen, die als selbständig tätige Tagesmütter arbeiten, sich überschuldet haben. Sie führten Beiträge zur Renten- und Krankenversicherung nicht oder nur teilweise ab und es häuften sich Steuerschulden beim Finanzamt an. Sie sind in die Schuldenfalle geraten und in ihrer materiellen Existenz bedroht.

Ihnen fehlte die Unterstützung durch ihre Vertragspartner und die Aufsicht führenden Stellen der Stadt Dortmund.

Im Vorfeld des Rechtsanspruchs für Kinder ab Vollendung des ersten Lebensjahres auf einen Kita-Platz wurde seitens der Landesregierung ab 2010 Druck gemacht und eine Aufholjagd gestartet, da der „U-3“- Ausbau der Betreuung für unter Dreijährige ins Stocken geraten war.

Auch die Stadt Dortmund konnte den Rechtsanspruch nicht gewährleisten, auch weil die Erweiterung oder der Neubau der Kitas keine ausreichende Anzahl an Plätzen erwarten ließ.

Es bestand eine sehr große Nachfrage an „gut geschulten und engagierten Tagespflegepersonen“. Täglich meldeten sich Eltern, die einen Betreuungsplatz benötigten, da sich ihre Berufstätigkeit auf den Rechtsanspruch ihrer Kinder auf einen U-3-Platz ausgerichtet hatte. So wurde auf Tagespflegepersonen gesetzt, die Zuhause oder in gemieteten Räumlichkeiten ein Betreuungsangebot für die Kinder vorhalten sollten.

Man stand unter Zeitdruck und alles ging hoppla-hopp.

Vorgesehen war, dass sich die Tagespflegepersonen mit insgesamt 160 Unterrichtsstunden für die Betreuung von Kindern qualifizieren. Nach erfolgreicher Kursteilnahme und dem Abschlusskolloquium erhielten sie ihr Zertifikat und damit eine Pflegeerlaubnis vom Jugendamt.

Laut Aussage eines kirchlichen Bildungsträgers geht es bei der Ausbildung hauptsächlich um Erziehung, Gesundheit und Ernährung, genauso wie um die kindliche Entwicklung und rechtliche Fragen. Die Tagesmütter sollen auch nach deren Abschluss weiter begleitet werden. Deshalb organisieren sie einen Erfahrungsaustausch mit anderen Kindertagespflegepersonen oder auch Fortbildungen zu aktuellen Themen.

Soweit die Theorie.

Die Rahmenbedingungen für die Arbeit der Tagesmütter sind sogar für Insider oft nicht durchschaubar. Auch deshalb liest man in den Richtlinien oder Broschüren ganz oft: „Tagespflegepersonen müssen sich hierzu entsprechend informieren“ – leichter gesagt als getan, wenn man die komplizierten Fragestellungen anschaut, über die sie sich informieren sollen.

Schon allein der arbeitsrechtliche Status ist verworren: Nach dem Handbuch des zuständigen Bundesministeriums „kann eine Tagespflegeperson selbstständig oder angestellt tätig sein. Für die Abgrenzung ist die Art der Tätigkeit, entsprechend den allgemeinen Abgrenzungskriterien ausschlaggebend, ob die Tagespflegeperson bei der Gestaltung und Durchführung der Kinderbetreuung an Weisungen der Eltern bezüglich Art, Ort und Zeit der Betreuung gebunden ist oder Art und Umfang der Betreuung selbst bestimmen kann. Dazu gehören z.B. Fragen der Ernährung der Kinder ebenso wie die konkrete Ausgestaltung der Betreuung (Fernsehen, Spiele, Ausflüge). Anhaltspunkte für das Vorliegen eines Arbeitsverhältnisses können sich auch aus dem regulären Ort der Betreuung ergeben (Haushalt der Tagesmutter / des Tagesvaters oder Haushalt der Eltern). Betreut die Tagespflegeperson das Kind in dessen Familie nach Weisungen der Eltern, ist sie in der Regel Arbeitnehmerin, die Eltern sind die Arbeitgeber.

Werden hingegen Kinder verschiedener Eltern im Haushalt von Tagesmutter/-vater oder in anderen kindgerechten Räumen eigenverantwortlich betreut, dann ist die Tagespflegeperson selbstständig tätig. Die Einnahmen als Tagesmutter sind einkommensteuerpflichtige Einkünfte aus selbstständiger Tätigkeit und haben in der Regel sozialversicherungsrechtliche Auswirkungen.

Die Erziehung von Kindern gegen Entgelt stellt laut Gewerbeordnung kein Gewerbe dar (§ 6 GewO). Eine Anmeldung beim Gewerbeamt ist folglich nicht notwendig.

Tagespflegepersonen müssen sich hierzu entsprechend informieren“.

Genau so kompliziert sind andere Fragen und deren Umsetzung wie

  • Höhe und Bestandteile der Einnahmen
  • bei oft wechselnder Kinderzahl ständige Änderung der Einnahmen und Ausgaben
  • Betriebskostenabrechnungen
  • Anrechnung pauschaler Betriebsausgaben
  • Steuerpflichtigkeit der Einnahmen
  • Sozialversicherungspflicht
  • Kranken- und Pflegeversicherung
  • Alterssicherung
  • Arbeitslosenversicherung
  • Unfallversicherung
  • Aufsichtspflicht
  • allgemeine Versicherungen

und Verwaltungsabläufe und allgemeine Organisation.

Dazu kommt der ständige Wirrwarr bei den Vorschriften und bei den Ansprechpartnern. So ist für die Geldleistung an die Tagemütter der kaufmännische Bereich des Jugendamtes zuständig, fachliche Ansprache kann bei FABIDO erfolgen und rechtliche/organisatorische Fragen werden im Einvernehmen mit dem Jugendamt mit den Vertragspartnern (in Dortmund sind dies Mütterzentrum, Katholischer Trägerkreis Kindertagespflege, Ev. Kirche, Deutsches Rotes Kreuz, Arbeiterwohlfahrt und FABIDO) geklärt.

Da wundert es nicht, wie Beratungsstellen beobachten, dass zunehmend überschuldete Tagesmütter Rat und Hilfe suchen.

So haben sich manchmal über 20.000 Euro Schulden angesammelt. Wenn man sich die Gläubiger anschaut, sieht man sofort, dass die o.g. Rahmenbedingungen für die Arbeit der Tagesmütter in Dortmund dafür der Grund sind. Schulden sind bei der Kranken- und Pflegeversicherung, dem Finanzamt, dem Rentenversicherungsträger und dem Jugendamt entstanden. Es wurden nicht die korrekten monatlichen Krankenversicherungsbeiträge gezahlt, der Einkommensteuerjahresausgleich nicht gemacht, die Rentenversicherungsbeiträge nicht richtig abgeführt und die wechselnde Anzahl von betreuten Kindern beim Jugendamt nicht aktuell angemessen vergütet. Mit der Zeit kommen für die Frauen noch Schulden bei der Steuerberatung und sogar private Mietschulden bzw. Schulden bei dem Vermieter der Betreuungsräumlichkeit hinzu.

Je nach Zahl der betreuten Kinder und eines Stundensatzes in Höhe von 4,50 Euro, kann dann keine Ratenzahlung auf die Schulden, geschweige denn eine Schuldenregulierung erfolgen. In einzelnen Monaten liegen die Einnahmen manchmal sogar unter dem Existenzminimum und es müsste ergänzend Arbeitslosengeld II (HARTZ IV) beantragt werden.

Den Frauen war einfach nicht bekannt, wie sie bei der laufenden Betreuungsarbeit was, wann, wie und wo machen müssen.

Da ist es schon vermessen, den Frauen zu empfehlen, sich „entsprechend zu informieren“.

Hier geht es um konkrete Schulung, praktische Unterstützung und Entlastung, Erledigung von Verwaltungs- und Organisationsaufgaben, konkreten Starthilfen und aufsuchende Beratung und Begleitung durch die Jugendverwaltung während der laufenden Betreuungsarbeit.

Hier ist unbedingt sofortiger Handlungsbedarf bei der Jugendpolitik und Jugendverwaltung erforderlich.  

Kommunen stehlen sich aus der Verantwortung

Die Kommunen stehlen sich mit der Finanzierung von „selbstständigen“ Tagesmüttern, die ihre Aufträge meist nur über die Kommune bekommen, billig aus der Verantwortung. Dass sich trotz der miesen Bedingungen überhaupt noch Tagesmütter finden, hat auch mit dem mangelnden Betreuungsangeboten und den niedrigen Löhnen weiblicher Beschäftigter zu tun.

Die Mütter bleiben zuhause, weil sie keine geregelte Betreuung während ihrer Arbeitszeit hinbekommen oder auch einfach, weil sich finanziell das Arbeiten im eigentlichen Beruf kaum noch lohnt, wenn die Betreuungskosten gegen das eigene Einkommen gerechnet werden.

Mittlerweile werden auch Großeltern, die für ihre Kinder die Betreuung ihrer Enkel übernehmen, werden öfter aufgefordert, zusätzlich Kinder in die Betreuung zu nehmen. Für jemanden, der eine Armutsrente bekommt, ist das ein kaum abzulehnendes Angebot.

Das Land Baden-Württemberg, wo die o.g. Umfrage durchgeführt wurde, hat den Kommunen nun zugesagt, sich an der finanziellen Besserstellung der scheinselbstständigen Tagesmütter zu beteiligen. Nun soll es einen Euro mehr pro Kind und Stunde geben, für unter drei Jahre alte Kinder wären das 6,50 Euro, für Kindern über drei Jahre 5,50 Euro.

Die Studie des Landesverbandes Kindertagespflege rechnet aber vor, dass 9,49 Euro pro Stunde und Kind nötig wären, um überhaupt auf den gesetzlichen Mindestlohn zu kommen.

 

 

Quelle: Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend – Handbuch Kindertagespflege, Stadt Dortmund, Bundesverband Kindertagespflege

Bild: irfanview.de