Über die konkrete Lebenssituation armer Menschen in der Großstadt – der Verfolgung von Drogendelikten ausgeliefert

Die Auswirkungen der Reformen der „Agenda 2010“ die von der rot-grünen Koalition Anfang des Jahrhunderts auf den Weg gebracht wurden, haben der politischen Kultur und dem sozialen Klima im Land dauerhaft geschadet. Der Arbeitsmarkt wurde dereguliert, der Sozialstaat demontiert, eine Steuerpolitik betrieben, die den Reichen mehr Reichtum und den Armen mehr Armut gebracht und auch der Mittelschicht deutlich gemacht hat, dass ihr Abstieg jederzeit möglich ist. Damit reagieren die Stärkeren ihre Abstiegsängste, Enttäuschung und Ohnmacht an den Schwächeren ab.

Begleitet wird das Ganze von dem Mistrauen gegenüber den Mitmenschen und wenn man sieht, dass der Staat überall ein Sicherheitsproblem entdeckt, das mit martialischen Einsätzen der Sicherheitskräfte entschärft werden muss, dann wird die gefühlte Bedrohung real erlebt und nach dem noch stärkeren Staat gerufen.

Dabei ist es erforderlich, denen, die nichts mehr haben, als strafender und disziplinierender Staat entgegen zu treten und denjenigen Menschen mit Abstiegsängsten und den großen Vermögen einen starken Staat zu demonstrieren.

Der Bereich, in dem der strafende Staat schon seit Jahrzehnten eine besonders tragische Kontinuität an den Tag legt, ist die Ahndung von Drogendelikten, mit teilweise windigen und kruden Rechtsgrundlagen, die die Menschen kriminalisieren sollen und bewusst in die Verelendung führen.

Das Armutsdelikt, Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz, wird im Folgenden genauer betrachtet.

Die Strafen für Drogendelikte sind extrem hoch, es gilt das Prinzip der flächendeckenden Kriminalisierung. Der Grundsatz des Strafrechts, dass die Opfer vor den Tätern zu schützen sind, ist hier aufgegeben worden.

Kleinste Vorbereitungshandlungen werden zu eigenständigen Taten umgedeutet und es entfällt die Unterscheidung zwischen Helfern, Anstiftern und Tätern. So wundert es kaum, dass 80 Prozent der zu Gefängnisstrafen verurteilten Drogentäter suchtmittelabhängige Kleindealer sind, die meistens selbst zu Opfern der Verbrechersyndikate wurden.

Die praktische Handhabe des Betäubungsmittelgesetzes bietet den Strafverfolgern mittlerweile eine Vielzahl von erlaubten oder nicht erlaubten Mitteln, wie Funkzellen-Auswertungen, elektronische Auswertung von Datenströmen, Trojanereinschleusung, Zugriff auf ausländische Server, Handy-Überwachungen, Bewegungsbilder, Wanzeneinsatz, Positionsbestimmung per GPS, IMSI-Catcher (Geräte zum Auslesen von Handys), Observationen, Innenraum-Überwachungen, heimliche Durchsuchungen, Strukturermittlungsverfahren, Video-Überwachungen, Finanzermittlungen, Verfallsanordnungen von Geld und Wertsachen, Einsatz von V-Leuten, vorgefertigte Sperrerklärungen zur Aktenunterdrückung und vieles mehr.

Hierbei sind nicht mehr die Staatsanwälte und Richter die Herren des Verfahrens, sondern der Zoll und die Polizei. Bei ihren konspirativen Aktionen entziehen sie sich weitgehend der Kontrolle. Die „Bekämpfung der Drogenkriminalität“ rechtfertig für sie alles, was sie machen und wie sie es machen.

Das Betäubungsmittelgesetz (BtMG) hat in seiner jetzigen Form keine Berechtigung mehr

Nach dem Betäubungsmittelgesetz ist jeder Umgang mit Betäubungsmitteln (Rauschgiften) ohne behördliche Genehmigung strafbar. Der Besitz, auch einer geringen Menge, beispielsweise von Cannabisprodukten, ist grundsätzlich strafbar. Bei einer geringen Menge kann die Staatsanwaltschaft aber von der Strafverfolgung absehen. Eine Gewähr für die Einstellung des Verfahrens gibt es nicht. In jedem Fall hat die Polizei immer Strafverfolgungspflicht und führt in der Regel folgende Maßnahmen durch: vorläufige Festnahme, körperliche Durchsuchung, Einleitung eines Ermittlungsverfahrens, Mitteilung an die Führerscheinstelle wegen Drogen im Straßenverkehr, Durchsuchung der Wohnung, bei Personen unter 18 Jahren die Durchsuchung der Wohnung der Eltern.

Eine Einstellung des Verfahrens ist beim Handel mit Betäubungsmitteln immer ausgeschlossen, wenn die Tat in Schulen, Jugendheimen, Kasernen etc. begangen wurde und die Tat Kindern und Jugendlichen Anlass zur Nachahmung geben könnte.

Ein Résumé nach 40 Jahren Betäubungsmittelgesetz:
  • Der Drogenkonsum ist unabhängig von strafrechtlicher Intervention. Die Konjunkturen des Drogenkonsums sind gänzlich unabhängig von gesetzlichen Regelungen.
  • Die Vorgängerregelung des BtMG (Opiumgesetze) sah als Höchststrafe drei Jahre Haft vor. Es gab zu Beginn der 1960er Jahre durchschnittlich drei Verurteilungen pro Woche in der ganzen Bundesrepublik Deutschland. Heute droht das Betäubungsmittelgesetz 15 Jahre Höchststrafe an und rund die Hälfte aller Untersuchungshäftlinge sind wegen Drogenvorwürfen in Haft.
  • Bezogen auf das geschützte Rechtsgut, die Gesundheit, hat sich das Gesetz als wirkungslos erwiesen.
  • Drogen hat es immer gegeben und die Lust darauf und die Genusssuche wird es immer geben. Im legalen Bereich z.B. bei Alkohol wird das nicht angezweifelt oder kritisiert. Es ist willkürlich bestimmt, dass einige Drogen davon illegal sind.
  • Mit nichts anderem ist die Justiz mehr beschäftigt, als mit der Drogenkriminalität. Dennoch ist kein erwünschter Effekt der Strafverfolgung, wie eine geringere Nachfrage nach illegalen Betäubungsmitteln oder ein geringeres Angebot erkennbar. Die Prohibition ist seit vier Jahrzehnten vollkommen unwirksam.
  • Die Drogenprohibition hat rechtsstaatliche Prinzipien verdrängt. Die Justiz und der Gesetzgeber verweigern die kritische Bestandsaufnahme. Die Gerichte lassen im Regelfall grenzwertige oder rechtswidrige Ermittlungsmethoden der Polizei regelmäßig durchlaufen. Die Vernachlässigung der Kontrollfunktion der Gerichte wird damit gerechtfertigt, dass, je größer der Verdacht auf einen Drogenhandel , desto geringer ist die Voraussetzung zur Einhaltung rechtsstaatlicher Standards und Beschuldigtenrechte. Die Gesetzgebung versagt hier ebenfalls als Korrektiv: Im Betäubungsmittelbereich folgt das Gesetz der polizeilichen Praxis, nicht die polizeiliche Praxis dem Gesetz.
  • Die Beschaffungskriminalität ist eine weitere Folge der Prohibition. Jeder Mensch kann zum Opfern von Einbrüchen, Raubüberfällen und Betrug werden. Diese Delikte dienen dazu, die durch den Schwarzmarkt maßlos erhöhten Preise auch bezahlen zu können. Darüber hinaus ist eine weltweite Schattenwirtschaft mit riesigen Profitraten entstanden, das Geld wird gewaschen und fließt in den Wirtschaftskreislauf zurück. Der wirtschaftliche Schaden ist immens.
  • Seit fast 50 Jahren werden die Menschen durch die Medien und die Politik falsch informiert. Einzelne Problemfälle, sowie die Anzahl der Drogentoten, werden immer wieder massiv dramatisiert. Der Tod wurde immer der Droge zugeschrieben, er hätte aber vor allem dem Strafrecht als Ursache zugeschrieben werden müssen. Drogentote gibt es in der Regel durch Unkalkulierbarkeit der Dosis, durch Beimengungen und gesundheitliche Risiken der Lebensumstände. Bei sinnvoller Aufklärung und durch eine Verschreibungspflicht von Drogen hätte es auf jeden Fall weniger Tote gegeben.
  • Junge Menschen werden unnötig der Kriminalisierung ausgesetzt. Sie werden als Kriminelle geführt, weil ein Genuss verfolgt wird, ohne dass sie jemand geschadet haben. Sie begehen opferlose Delikte, bei denen kein Rechtsgut verletzt wird. Jeder darf Drogen konsumieren, das ist an sich nicht strafbar und von der Verfassung her gedeckt, aber man kann eben nicht konsumieren, ohne sich strafbar zu machen, z.B. wegen des Besitzes.
  • Seit 20 Jahren wird schon auf die gesetzliche Umsetzung der Vorgaben des Bundesverfassungsgerichtes zur Straflosigkeit des Besitzes geringer Mengen Cannabis gewartet. Im Gegenteil, die Strafbarkeit im Betäubungsmittelrecht wird immer weiter verschärft. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes reicht das ernsthafte Gespräch über ein Drogengeschäft zur Verwirklichung des Tatbestandes des vollendeten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge schon aus.
  • Das Strafrecht erzielt seine Wirkung nicht, vielmehr zeigt es unbeabsichtigte Nebenwirkungen, wie den Schwarzmarkt mit all seinen Folgen z.B.: dem Drogenkrieg in Mexiko, hunderttausend Tote und Finanzierung des Terrorismus weltweit durch Opiumhandel.

 

Schon vor einigen Jahren haben 122 deutsche Strafrechtsprofessoren eine Resolution unterzeichnet, in der sie eine Entkriminalisierung der Drogen verlangten.

Es war ein Versuch, die ursprüngliche Funktion des Parlaments wieder zu wecken, da verfassungsrechtlich die Gesetze eigentlich wissenschaftlich begründet und überprüfbar sein müssen. Die Zielsetzung war, unabhängig von der Frage, ob Drogen gefährlich sind oder nicht, dass die Politik sich mit der derzeitigen unhaltbaren Situation, die sich aus dem Betäubungsmittelgesetz ergibt, auseinandersetzt. Die Wissenschaftler bezeichneten die strafrechtliche Verfolgung als gescheitert, sozial schädlich und unökonomisch.

Rechtsstaatlich wäre es erforderlich, ein solchermaßen nutzloses Gesetz, wie das Betäubungsmittelgesetz, abzuschaffen.

Bis auf einige Aktivitäten in den Landtagen, auf Initiative kleinerer Parteien, ist auch dieser Entkriminalisierungsversuch lautlos verpufft. Ebenso wie die Bemühungen, das Drogenproblem aus dem strafrechtlich-polizeilichen Bereich in den sozial-gesundheitlichen Bereich zu verlagern.

Geblieben ist nur der Ruf nach mehr Repression.

 

Quellen: WAZ, monitor.de, BTM-Gesetze, Dortmunder Bekanntmachungen Berichte von Betroffenen
Bild: LotharSchaack | Wikimedia CC BY-SA 3.0